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Eine Räuberfamilie – Siebtes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Siebtes Kapitel

Eine Soirée in der Villa Rapo

Folge mir der Leser nun nach Bisaccia, einem Städtchen in der Provinz Avellino, östlich von Neapel, wo die Abruzzen, diese mächtige Gebirgskette, das Land gleichsam halbieren.

Dass nach der Verjagung des Königs Franz II. des Ré Bombino, wie das Volk ihn getauft hatte, das Briganten- oder Räuberwesen eine wahrhaft grausige Ausdehnung und Verwegenheit erlangte, ist als hinreichend bekannt vorauszusetzen. König Franz ergriff jedes Mittel, mochte es noch so verworfen und teuflisch sein, zur Wiedererlangung seiner Krone. Unter diesen Mitteln war das Banditen- und Räubertum eins der hervorragendsten. Vom Palast Farnese in Rom, den der Exkönig bewohnte, gingen die geheimen höllischen Fäden aus, welche eine förmliche Organisation des Räubertums schufen, alle unnatürlichen Verbrechen und Gräuel gegen die öffentliche Sicherheit sanktionierten und bezahlten sowie Raub und Mord in ein System brachten. Erst mit der endlichen Abreise dieses Menschen wird die Regierung Italiens im Stande sein, dem Land Sicherheit und Ruhe wiederzugeben.

Wir verlebten an einem der vorhergehenden Kapitel einen milden, Geist und Körper erquickenden Herbstabend in Norddeutschland. Wie viel anders ist ein solcher in dem schönsten Land der Welt, dem sonnigen Italien. Die Natur scheint hier ein Paradies geschaffen zu haben, in welches sie, um die Unvollkommenheit alles Irdischen in den krassesten Gegensätzen zu zeigen, menschliche Teufel hineinsetzte.

Weithin spannte sich der tiefblaue Himmel über die lieblichste Flur, im wunderbarsten Licht schwamm der Mond durch den dunklen Äther und das zahllose Heer der Sterne schimmerte an diesem Firmament als Jehovahs goldgestickter Mantel. Im leisen Abendwind, der im berauschenden Liebesgeflüster durch die Myrtenbüsche und die Blätter der Pinien rauschte, drangen volle, herrliche Akkorde durch die himmlisch schöne Nacht. Zu ihnen gesellte sich eine prachtvolle Frauenstimme, von den Wogen der Leidenschaften mächtig getragen.

Heller Lichterglanz strahlte aus der Villa der Familie Rapo, deren Mitglieder, elf an der Zahl, zu den Angesehensten und Geachtetsten in dem Städtchen Bisaccia gehörten.

Der Vater war tot, nur die Mutter lebte noch mit fünf schönen Töchtern und vier ausgezeichneten Söhnen, während das elfte Mitglied der Familie, Gennaro Rapo, Bruder des verstorbenen Vaters, der beliebteste Pfarrer und berühmteste Kanzelredner von Bisaccia war; bekannt in der ganzen Gegend durch seine sprichwörtlich gewordene Frömmigkeit und Weisheit.

In den fürstlich eingerichteten Räumen ihrer herrlichen Villa dicht vor der Stadt war an diesem Abend eine glänzende Soirée. Die vornehme Welt des nicht unbedeutenden und reichen Städtchens war hier versammelt. Alle Notabilitäten bis zum Ortsrichter, der Bischof, welcher die Weltfreuden durchaus nicht verschmähte und seinem lieben Pater Gennaro sehr häufig die Freude und Ehre gewährte, die prachtvollen Salons seiner Familie zu betreten, wie auch die Offiziere der Garnison in glänzenden Uniformen, bewegten sich an diesem Abend mit großer Heiterkeit und lautem Frohsinn in den feenhaften Räumen, deren Gesellschaften zu den beliebtesten der Stadt gehörten.

In diesem Augenblick war alles in lautloser Andacht versunken. Seraphine Rapo, die Schönste der Schönen, saß am Flügel und begleitete sich selber – eine Romanze, welche sie mit hinreißendem Gefühl vortrug. Es war ein Lied der Liebe, von Sehnsucht und Leidenschaft durchflammt. Als sie geendet hatte, brach ein Sturm von Begeisterung und Entzücken los, wie man es in dieser Weise nur in Italien findet.

Aber die Sängerin verdiente auch diesen Enthusiasmus, und seltsamer Weise waren auch die Frauen in Seraphines Vergötterung einig. Die schönsten und jüngsten Damen drängten sich an sie heran, umarmten, herzten und küssten sie und baten und schmeichelten noch um ein einzig kleines Liedchen. Dass hierin die Herren, besonders die Helden der Uniform, nicht zurückblieben, ist natürlich, und die schöne, von aller Welt vergötterte Sängerin willfahrte lächelnd dem Wunsch ihrer Gäste und sang noch eine jener reizenden Barkarolen, woran Italien so ungemein reich ist.

Seraphine Rapo war eine echte Tochter des Südens. Es schien, als hätte dieser glühende Himmel ihr seinen prächtigen Stempel aufgedrück. Sie war die Königin des Hauses, die Fee und Tonangeberin aller Gesellschaften der vornehmen Welt des Städtchens. Jede neue Mode fand an ihr eine ebenso schöne wie reiche Repräsentantin. Und was die Herzen der gesamten Männerwelt Bisaccias anbetraf, so war sie eine so kluge und geistreiche und dabei so liebenswürdige Tyrannin, dass man sich, falls sie es forderte, mit seinem Todfeind versöhnt hätte.

Dass dessen ungeachtet die Eifersucht oft zu Dolch und Terzerol griff, um den Nebenbuhler zu beseitigen oder doch wenigstens unschädlich zu machen, war bei dem leidenschaftlichen, leicht entzündlichen Charakter der Italiener sehr begreiflich, doch wusste es die gewandte Seraphine in den meisten Fällen wieder auszugleichen und das Ganze in heitere, harmlose Scherze umzuwandeln.

Wer diese Familie, die Mutter, eine würdige Matrone mit schneeweißem Haar, den Oheim, den milden, stets freundlichen Pfarrer, Michel Rapo, den ältesten Sohn, einen schönen, gewandten, äußerst klugen, gebildeten Mann, wie die übrigen jüngeren Geschwister, alle so schön, so heiter und liebenswürdig, in ihrer Häuslichkeit sah, musste unwillkürlich an das höchste irdische Glück, an den Himmel auf Erden dabei denken.

Es war Mitternacht. Die Jugend hatte getanzt und gespielt, der Wein die Herzen geöffnet und zur übersprudelnden Heiterkeit entflammt.

Man hatte fast den ganzen Abend von nichts anderem als den abscheulichen räuberischen Überfällen friedlicher Reisender und deren Ermordung oder von ihren unerschwinglichen Forderungen hinsichtlich der Lösesummen geredet. Wie viele schauderhafte Morde und Gräueltaten waren nicht seit den letzten Monaten in der nächsten Umgebung der Stadt vollbracht worden, ohne dass es auch nur ein einziges Mal der Behörde gelungen wäre, eine Spur der Räuber zu finden. Wie viele Familien in Bisaccia waren durch das Verschwinden einzelner Mitglieder in Trauer und Verzweiflung gesetzt. Seltsamerweise war es den eifrigsten Bemühungen der Soldaten als auch der Nationalgarde noch immer nicht gelungen, irgendeinen Banditen zu fangen oder einen ihrer Schlupfwinkel, deren sie auch sicherlich in der Stadt selbst mehrere haben mussten, zu entdecken.

Während sich nun die vor Lust und Heiterkeit übersprudelnde Jugend in den prächtigen Garten zerstreute, um dort im Mondschein zwischen Myrtenbüschen und duftenden Orangen an des Lebens überschäumendem Kelch sich zu berauschen, saß eine Anzahl älterer Herren, denen sich der würdige Pfarrer Gennaro als auch Michel Rapo angeschlossen hatte, im ernsten Gespräch unter dem schlanken Säulendach der Villa.

»Es geht nicht mehr länger, Signori!«, sprach der Ortsrichter, ein ältlicher Herr, »die Überfälle des frechen Mordgesindels mehren sich von Tag zu Tag. Kein Fremder wagt es mehr, diese Gegend zu betreten. Wir werden isoliert, eingeschlossen von einer Räuberbande, der wir schließlich noch alle zum Opfer fallen.«

»Ganz richtig, mein verehrter Signor!«, rief der Major der Garnison, ein feuriger Anbeter der schönen Seraphine, mit welcher er sich nächstens zu verloben hoffte, indem seine dunklen Augen die dichten Büsche zu durchspähen suchten. »Dieses verdammte Gesindel, Pardon, Herr Pfarrer! Aber es ist wahr, ich kann es nicht anders nennen. Dieses verdammte Gesindel muss hier in Bisaccia als auch in der nächsten Umgebung ausgezeichnete Spione und Schlupfwinkel besitzen. Ich lasse es mir nicht ausreden, dass ein Drittel der Bevölkerung, will sagen der niederen Klassen, Brigantenfreunde sind. Corpo di bacco! Unser General war vollständig außer sich, als er erfuhr, dass einer seiner Busenfreunde, Signor Manfredi di Bolerio, mit seiner ganzen Familie von den Räubern abgefangen, ausgeplündert und in irgendeinem verborgenen Schlupfwinkel verborgen gehalten wurde, bis ein Lösegeld von 6000 Scudi Gold erlegt war, und wie hatte man die Armen misshandelt und geängstigt! Beim Blut des heiligen Januarius, fiele mir ein solcher Hund von Bandit in die Hände, ich ließe ihn lebendig braten!«

»Schwören Sie nicht, mein lieber Herr Major. Die Heiligen bestrafen solchen Frevel; die Rache ist mein, spricht der Herr!« So sprach mit sanfter Stimme der Pfarrer Gennaro Rapo und bekreuzigte sich mit frommer, demütiger Gebärde.

»Ihr Wort hoch in Ehren, ehrwürdiger Herr!«, erwiderte der Major lebhaft, »aber es heißt auch irgendwo: Auge um Auge, Zahn um Zahn!«

»Ei, ei, wie bewandert der Major ist«, entgegnete der Bischof, scherzend mit dem Zeigefinger drohend, »wohl heißt es so, wie Sie sagen, aber deshalb sollen wir doch bei den Heiligen nicht schwören, um Grausamkeiten zu vergelten. Sagen Sie mir indessen, Signor, wusste Signor Bolerio nicht den Ort, wo man ihn und die seinen gefangen gehalten hat oder erkannte er keinen der Räuber?«

»Sie sind mit verbundenen Augen abgeführt worden, Hochwürden!«, versetzte der Major, »indessen möchte er darauf schwören, dass sie in Bisaccia selber in einem tiefen Keller gefangen gehalten worden sind. Auch behauptet er, eine bekannte Stimme vernommen zu haben. Nur will er sich nicht genau erinnern können, wo er dieselbe gehört habe.«

»Seltsam«, meinte Pater Gennaro kopfschüttelnd, »ich kenne, möchte ich behaupten, wohl jeden Bewohner unserer guten Stadt, hoch und niedrig, aber ich wüsste auch kein einziges Haus, wo sich ein Brigantenfreund befinden könnte. Liegen doch die Seelen aller meiner Beichtkinder wie offene Blätter eines Buches vor mir, und würde ich doch selber in einem solchen Fall in Hinsicht auf das Wohl des Ganzen sicherlich eine Ausnahme von dem Beichtgeheimnis machen. Aber nein, der Signor di Bolerio hat sich jedenfalls geirrt, Bisaccia hat keinen einzigen Freund der Briganten in seinen Mauern.«

»Es ist, als ob der Teufel selber ihnen hilfreiche Hand bei ihren Schandtaten böte«, rief der Major eifrig, »unser General Pallavicini ist der Wachsamste aller Soldaten. Darauf will ich die Hostie nehmen, doch können wir mit unseren Truppen samt der Nationalgarde, das können Sie, als Leutnant derselben mir bezeugen, Signor Rapo, auch nicht die geringste Spur der Banditen finden. Ich bleibe dabei, eine höllische Hand führt die Teufel just dahin, wo wir nicht sind. Hat eine Durchsuchung, die wir mit Ihrer Hilfe, Signor Rapo, unternommen haben, auch nur ein einziges Mal das allergeringste Resultat geliefert? Nein, man könnte bersten vor Wut. Es ist, als ob wir von einer unsichtbaren dämonischen Macht an der Nase herumgeführt werden, aber der General hat die Hostie darauf genommen, nicht zu ruhen, bis er die Banditen samt und sonders an den Galgen geliefert haben wird. Er ist der Mann, ein Gelübde zu halten.«

Über Michel Rapos Gesicht flog ein flüchtiges Lächeln, während der Pfarrer sich fromm bekreuzigte, und die übrige Gesellschaft diesem Beispiel folgte.

»Ja«, sprach der Bischof mit gen Himmel gerichteten Augen und heiliger Salbung, »unser frommer Pater Gennaro möchte gern alles auf Erden zum Paradies der Versöhnung und Liebe umwandeln und nach unsers Herrn Vorbild jedem Schächer hiernieden schon die ewige Seligkeit verleihen. Das aber verträgt sich nicht mit unseren Gesetzen und unserer bürgerlichen Sicherheit. Sagt doch auch die Heilige Schrift: Wer Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden.«

»So ist es!«, rief der Major triumphierend, »vor einigen Wochen hätten wir beinahe das Glück gehabt, den gefürchteten Räuberhauptmann Crocco nebst seiner Geliebten zu fangen. Es war just um diese Stunde, wir verfolgten sie bis in diese Gegend, ja, Signor Rapo, man hätte fast zu dem Glauben kommen können, der Räuber habe in Ihrem Garten ein Versteck gefunden.«

Alles lachte herzlich über eine solche Annahme, nur ein alter, reicher Kaufmann schüttelte den Kopf und meinte: »Es ist nicht so lächerlich, meine Herrschaften, wie Sie wähnen. Von der Frechheit dieser Landplage will ich Ihnen ein Beispiel erzählen, insofern meine Ohren mich nicht getäuscht haben sollten. Sie wissen, der Garten des ehrwürdigen Herrn Pfarrers Rapo stößt an den meinen. Nun war es vor ungefähr acht Tagen, als ich, an Schlaflosigkeit leidend, in der Nacht in meinem Garten spazieren ging und mich in die Weinlaube setzte, welche an des Herrn Pfarrers Myrtenhecke grenzt. Ich hatte mich kaum gesetzt, als ich sprechen hörte, erst leise flüstern, dann lauter. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel, worin ich Dinge hörte, welche mir das Blut erstarren machten. Es handelte sich um nichts Geringeres, als das Begraben einiger Toten und die Ermordung von Gefangenen, welche in irgendeinem ungenannten Haus verborgen gehalten und um deren Beseitigung oder die Art und Weise derselben der Streit entstand. Ich versichere Ihnen, meine Herrschaften, die Stimme des einen Mannes kam mir so bekannt vor, als hätte ich sie schon öfters gehört. Wenn ich nicht zu genau von meinem wachen Zustand in jener Stunde überzeugt wäre, ich möchte versucht werden, alles für einen wüsten Traum zu halten.«

»Und warum kamen Sie nicht sogleich zu mir, mein teurer Freund!«, rief der Pfarrer Gennaro lebhaft, »erst dann hätten wir die Überzeugung gewonnen, ob Sie gewacht oder geträumt hätten, obwohl ich an das Letztere so fest wie an die Gnade Gottes glaube. Ei, ei, welcher Räuber wäre verworfen genug, sich den Garten eines schlichten Pfarrers zu seinen Mordgeschichten auszuwählen. Müsste er nicht den Zorn aller Heiligen fürchten und ein Wunder Gottes solchen Frevel fürchterlich an dem Missetäter rächen? Nein, mein Freund, ein böser Traum hat Sie geneckt. Die ewigen Mordtaten und Raubüberfälle der letzten Monate haben ja alle Welt in Furcht und Angst versetzt. Ist es da nicht ganz natürlich, dass man sogar davon träumt. Die laue Nacht hat Sie endlich überwältigt, teurer Freund, und so die furchtbare Räubergeschichte erzeugt.«

Der alte Kaufmann blickte den Pfarrer nachdenkend an und schüttelte dann lebhaft den Kopf. »Ich könnte darauf schwören, die bekannte Stimme, welche ich in jener Nacht gehört, wiederzuerkennen«, rief er und horchte dann plötzlich in sichtlicher Aufregung hinaus in den Garten, wo das Lachen und Schäkern der Jugend hell herüber klang und in diesem Augenblick eine sonore Männerstimme sich dicht an der Veranda hören ließ.

»Hm, hm«, brummte der alte Herr, sich hastig erhebend und unter die Säulen tretend, wo soeben die schöne Seraphine mit einem jungen, eleganten Herrn im lauten, heiteren Gespräch vorüber wandelte.

»Signor Lupparelli, hm, hm, es ist dieselbe Stimme, ich könnte die Hostie darauf nehmen«, brummte der Kaufmann wieder unruhig, »der Patron hat auch eben nicht den besten Ruf, um das Recht zu haben, in einer solchen Gesellschaft zu erscheinen.«

Er setzte sich wieder auf seinen Platz inmitten der Gesellschaft, und Michel Rapo, der einen blitzschnellen Blick mit dem Pfarrer gewechselt, rief heiter: »Nun, teurer Signor Amavi, haben Sie vielleicht eine Vision gehabt?«

»Tatsächlich, etwas derartiges, Signor! Es müsste sonst eine wunderbare Sinnestäuschung zu Grunde liegen«, versetzte jener in sichtlicher Unruhe, »ich hörte soeben die nämliche Stimme von jener Nacht.«

»Und wem gehörte diese Stimme?«, fragte der Major eifrig.

»Ich bitte recht sehr, Signor Amavi, keinen meiner Gäste zu verdächtigen«, fiel Michel Rapo mit Entschiedenheit ein.

Der Kaufmann zuckte die Achseln und schwieg etwas verlegen, während der Major unruhig in den Garten hinausblickte und um alles in der Welt gern hätte wissen mögen, wer der Mann gewesen war, der mit Seraphine, deren weißes Gewand mit der blauen, silbergestickten Schärpe er sehr gut erkannt hatte, in so heiterer Unterhaltung vorübergegangen war und dabei in so guter Gesellschaft die Stimme eines Räubers besitzen sollte.

Den guten Major leiteten zwei wichtige Motive dabei, zuerst Eifersucht und dann Soldatenpflicht, abgesehen von der Höhe des Preises, der auf die Gefangennahme eines Räubers gesetzt war.

Als es die Schicklichkeit erlaubte und das Gespräch in andere, harmlosere Bahnen geleitet war, entfernte sich der Major, nachdem er dem alten Kaufmann Amavi einen verstohlenen Wink, ihm zu folgen, gegeben hatte.

Diesen Wink schien indessen der fromme Pfarrer Gennaro Rapo doch bemerkt zu haben, denn er hielt den alten Herrn mit einer so bewunderungswürdigen Gewandtheit im Gespräch fest, dass es diesem beim besten Willen nicht möglich war, zu entkommen.

Die älteren Herren setzten sich nun noch zu einem Spielchen zusammen, während der Bischof aufbrach und von dem Pfarrer nach Hause begleitet wurde, worauf sich dieser ebenfalls zu seinem Haus, welches in der Stadt lag, begab.

Mittlerweile nahm das heitere Fest in der Villa Rapo seinen ungestörten Fortgang. Man schien sich nach der Entfernung der Heiligkeit, deren Gegenwart doch immer einen Druck ausübte, erst so recht in seinem Element zu fühlen. Die ungebundene Fröhlichkeit verdrängte bald jegliche Standesetikette.

Die fünf schönen Töchter des Hauses waren der Mittelpunkt des Festes. Unter diesen strahlte Seraphine als Königin hervor, umschwärmt von einer Legion Anbeter.

Unter Schäkern und Lachen, Scherzen und verstohlenen Küssen im Schatten der Myrtenbüsche und duftigen Orangen haschten sich die lustigen Gestalten in den schattigen Gängen, während Seraphine plötzlich wie durch einen Zauber verschwunden war und an der Seite eines schönen, bärtigen Mannes einen versteckten Liebeswinkel, den sie sich selber heimlich in dem großen, prächtigen Garten geschaffen, aufsuchte. Dies war jener Augenblick, wo sie an der Veranda vorüberwandelte.

Ihr Begleiter hieß Lupparelli. Er war ein Freund des Hauses und auch ihr Herzensfreund. Er genoss in Bisaccia nicht des besten Rufes, man hielt ihn bei der Behörde sogar wegen kleiner Vergehen für ziemlich verdächtig, indessen ließ man ihn als Michel Rapos Freund und wie man meinte, Seraphines heimlichen Bräutigam, unangefochten.

Er war verreist gewesen und erst vor wenigen Augenblicken wieder zurückgekehrt, wo er noch nach Mitternacht des Freundes Haus aufgesucht hatte, um das Fest durch seine Gegenwart zu verherrlichen.

Seltsamerweise hatte ihn von der ganzen Gesellschaft kein anderer bemerkt als Seraphine und der alte Kaufmann Amavi. Als Erstere mit ihm in den Winkel, eine kleine, reizende Grotte aus blühendem Gebüsch versteckt, hineintrat, wollte Lupparelli sie leidenschaftlich umfangen.

Fast zornig stieß sie ihn zurück und flüsterte: »Lass mich, rühre mich nicht an, Guido! Ich weiß, wo du dich in der Zeit deiner Abwesenheit aufgehalten hast., Anstatt nach Neapel zu meinem Bruder Pasquale zu gehen und mit ihm vereint Schiavone und meine geliebte Filomena aufzusuchen, die schon so lange nichts von sich haben hören lassen, hast du dich mit Zia Maria umhergetrieben und den braven Crocco vor Eifersucht so toll gemacht, dass er beinahe den dummen Streich begangen hatte, sich fangen zu lassen.«

Lupparelli lachte laut auf und wollte sie von Neuem umarmen.

»Still, willst du die Gesellschaft hierher locken, Verräter?« Seraphine stampfte ingrimmig mit dem kleinen Fuß.

»Ruhig, meine schöne Königin!«, flüsterte Lupparelli schmeichelnd, »du lässt mich ja gar nicht zu Wort kommen. Wie kann ich mich also rechtfertigen? Maledetto! Wenn einer Ursache zur Eifersucht hätte, dann wäre ich es. Muss ich doch alle Tage sehen, wie jeder Laffe dir Caressen macht und dieser Hund von Major sich sogar einbildet, dich nächstens zum Altar zu führen.«

»Und das ist gerade zum Närrisch werden«, versetzte das schöne Weib, verächtlich die Lippen aufwerfend, »beim heiligen Eustachius! Es wäre der höchste Triumph des Brigantentums, wenn Seraphine Rapo mit einem Major des Ré gentiluomo zum Altar träte, dann wäre es gesichert auf lange, lange Zeit hinaus. Aber täte ich es wirklich, und es liegt nur an meinem Willen, dann geschähe es nicht, um dem Brigantentum einen Dienst zu leisten, nein, Lupparelli, deinetwegen heiratete ich den albernen Major, dir zum Trotz, maledetto! Um die Macht in Händen zu haben, dich eines schönen Tages am Galgen zu sehen.«

»Ah, wie du mich mit diesem allerliebsten Zorn so glücklich machst, mia cara«, entgegnete Lupparelli, sie trotz ihres heftigen Widerstrebens umschlingend und ihren Mund mit Küssen bedeckend. »Du weißt, dass ich dich bis zur Tollheit liebe, Seraphine, und der geringste wirkliche Anlass zur Eifersucht einen Tiger aus mir machen würde, aber ich weiß auch, dass du den Major hasst und deine übrigen Anbeter verachtest. Ich weiß, dass du mich allein liebst, mia cara! Und dass du überzeugt bist von deiner Schönheit und Macht, bah, alle Zia Marias der ganzen Welt sind Sklavinnen, nur du allein bist die Königin!«

»Aber du bist doch in den letzten Tagen bei ihr gewesen, Guido?«, versetzte sie, halb besänftigt.

»In Pater Gennaros Auftrag, meine Himmlische, und dem Befehl musste ich wohl gehorchen. Wir sind umhergezogen, um den wilden Crocco zu suchen, der einem reichen Prälaten auflauerte und seine Zia Maria daheim gelassen hatte, weil sie noch an einer kleinen Wunde leidet. Er sollte den dicken Priester eigentlich gefangen nehmen, dass wir ihn nach Belieben auspressen könnten. Da wurde es vom Meister beschlossen, ihn mit einem gut geführten Stoß rasch zu beseitigen. Corpo di bacco, ich war dabei, der Crocco machte den Stoß vorzüglich, es war ein Kunststück, den Fettwanst zu durchbohren. Der Pfaffe gab keinen Laut von sich.«

Seraphine lächelte dämonisch. Ihr sonst so liebliches Antlitz war in diesem Augenblick teuflisch zu nennen.

»Eine prächtige Spekulation vom Onkel Gennaro«, flüsterte sie, sich scheu umblickend, als fürchte sie, das mildlächelnde fromme Antlitz des Pfarrers zu sehen. »Man wird niemand anders als ihn zum Prälaten wählen, ist er doch der frömmste und klügste Geistliche in der ganzen Provinz.«

»Richtig, der klügste«, sprach Lupparelli, »deshalb beseitigt er die großen und kleinen Steine des Anstoßes auf seinem Weg zur Höhe. Pah, was ist denn da weiter? Der erste Kardinal der Christenheit, Minister Seiner Heiligkeit des Papstes, Signor Antonelli, ist der Sohn einer großen Räuberfamilie. Mich sollte es gar nicht verwundern, nach dem Tode Pius’ IX. unseren teuren Pfarrer Gennaro als Heiligen Vater in Rom zu sehen.«

»Da müssten wir erst einen Kardinal und dann den Papst beseitigen«, gab Seraphine lachend von sich, »das sind noch zwei sehr große Steine des Anstoßes.«

»Es ist ja noch nicht aller Tage Abend«, flüsterte Lupparelli. »Unser frommer Maestro trägt sich mit großen Plänen umher, von denen mir Zia Maria einiges anvertraut. Du weißt doch, dass der wilde Crocco eigentlich im Stillen und wohl mit Recht auf Pater Gennaro die wütendste Eifersucht hegt. Ich fürchte, wenn der Pater seine christliche Liebe gegen Zia Maria zu weit treibt, das Allerärgste von Crocco, der vor dem Mord eines Heiligen nicht zurückschreckt. Nun, ihr hat er, unser frommer Pfarrer nämlich, in vertrauter Stunde manches von seinen Plänen enthüllt, und darunter ist in erster Linie die Hoffnung auf den päpstlichen Stuhl.«

»Narr«, sprach Seraphine verächtlich.

»Kein Narr, die Stufen dazu sind schon gehauen. Der Prälat ist die Erste, in einigen Monden kommt irgendein Kardinal, das heißt, wenn Gennaro jene erste Stufe erst wirklich bestiegen haben wird, woran ich indessen nicht zweifle, als zweite Stufe, und zuletzt Pius IX. Ah, mia cara! Der Plan ist prächtig. Von wem können die gottverfluchten Briganten anders gedungen sein, als vom König von Italien, welcher unseren allerfrömmsten König Franz fortgejagt hat und nur noch auf den Tod des Papstes wartet? Die ganze katholische Christenheit wird sich erheben ob solch ungeheurer Missetat, welche dem Ré gentiluomo möglicherweise die Krone kosten kann.«

»Ein Mord an dem Heiligen Vater, von so guten Christen, wie die Briganten doch nun einmal sind?«, flüsterte Seraphine schaudernd. »O, Freund! Dass niemand so Fürchterliches vernehme, mir wird bei dem Gedanken schon siedend heiß, als säße ich bereits im Fegefeuer. Und wenn Onkel Gennaro nur eine Silbe davon hörte …«

»Dann wäre uns beiden das Urteil gesprochen, mia cara«, antwortete Lupparelli, »doch still davon, ich erwähnte es ja auch nur, um deine Eifersucht in Betreff Zia Marias zu zerstreuen. Maledetto! Man wird dich längst in der Gesellschaft vermisst haben; und ich wollte mich eigentlich ganz ungesehen wieder fortschleichen, nur müsste ich den Michel oder Pfarrer Gennaro erst sprechen.«

»Lass mich es bestellen; es ist besser, du entfernst dich unbemerkt, wie du gekommen bist«, meinte Seraphine.

»Gut, Schiavone und Filomena sind zurückgekehrt …«

»Und das sagst du mir jetzt erst, Nachlässiger?«, rief Seraphine halblaut, »meine geliebte Freundin, nach welcher ich mich so unendlich gesehnt habe, endlich wieder da? Wo sind sie?«

»Hier in der vornehmen Gesellschaft nicht, mein Engel. Ich kam ja deshalb her, sie bringen einen Gefangenen mit, einen Hund von Tedesco, den Filomena durchaus in deine Pflege geben will, während Schiavone ihn am liebsten, wie dein Bruder Pasquale verlangt hat, mit einem leichten Stoß, da er schon halb krepiert ist, auf die Seite geschafft hätte. Ich protestiere indessen gegen die Pflege, auch entginge uns dann ein Lösegeld von 5000 Scudi.«

»Das Letztere hätte bei meiner Entschließung allerdings mehr Gewicht als das erste«, sagte Seraphine spöttisch. »Wo sind sie mit dem Gefangenen, in unserem Haus bei der Mutter?«

»Im Pfarrhaus«, versetzte Lupparelli, »leider war der Pater nicht daheim, doch ist er im Keller wohl untergebracht, trotz Filomenas Willen, ihn in des Pfarrers Prunkgemach zu schleppen.«

»Das macht mich neugierig, gewiss ist er sehr schön?«

»So schön, wie ein blonder Deutscher überhaupt sein kann, mia cara! Nimm dich in Acht, Seraphine, meine Eifersucht zu erwecken. Du scheinst vor Neugierde schon halb verliebt zu sein!«

»Und das Mitleid wird das Übrige tun. Du weißt, ich kann meiner Filomena nichts abschlagen«, entgegnete Seraphine spöttisch, »hab sie schon oft gebeten, mir einmal einen Tedesco mitzubringen.  Nun hat sie Wort gehalten, das ist alles!«

»Gut, ich kann auch Wort halten«, murmelte Lupparelli finster. »Wenn ich den Ketzer von Tedesco umbringe, erbaue ich mir eine Stufe im Himmel und brauche nicht einmal Absolution dafür.«

»Still, man kommt«, flüsterte Seraphine, »sei nicht närrisch mit deiner Eifersucht, Guido! Es war nur eine kleine Revanche für Zia Maria!«

Sie zog ihn auf eine Moosbank nieder und erwiderte mit südlicher Leidenschaft seine Küsse und Umarmungen.

Nebenan rauschten die Myrtenbüsche, während der laue Wind leise durch die Pinien und Lorbeerbäume flüsterte.

Die beiden Liebenden hielten plötzlich den Atem an, denn sie witterten einen Verräter in ihrer Nähe.

Alles blieb still, dann kam das entfernte Lachen und Singen der toll jubelnden Gesellschaft näher, und noch immer wagten sie sich nicht hervor.

»Ich will allein gehen«, flüsterte Seraphine, »bleib du hier, bis alles ruhig ist, dann schleiche dich fort.«

»Wer auch der Horcher sein mag, er ist verloren«, murmelte Lupparelli, während Seraphine stolz wie eine Königin durch die Büsche lief und sich mit der näher kommenden Gesellschaft unter Lachen und Scherzen nach einer andern Gegend des Gartens begab.

Lupparelli verhielt sich ruhig. Er hatte die Nähe eines Menschen mit seinem feinen Gehör nur zu gut bemerkt, als dass er sich nun in den hellen Mondschein hinauswagen sollte, obwohl er vor Ungeduld hätte vergehen mögen und mit der Hand krampfhaft sein Stilett umfasst hielt.

So wartete er wohl eine Viertelstunde lang, welche ihm zur unerträglichen Ewigkeit wurde.

Plötzlich rauschte es wieder in dem Myrtengebüsch. Eine Gestalt tauchte dicht vor der Grotte auf und bog vorsichtig die Zweige auseinander, um dem Mondlicht einen Weg in das Innere dieses Verstecks zu verschaffen.

Es war der Major, Lupparellis verhasster Nebenbuhler, der ihn schon längst mit argwöhnischen Blicken zu beobachten schien und deshalb seinen Hass herausgefordert hatte.

Kaum hatte Seraphines Geliebter ihn an der blitzenden Uniform erkannt, als er wie ein Tiger mit einem Satz an ihm vorbeisprang und im Gebüsch verschwand.

Der Major fühlte zugleich einen stechenden Schmerz in der Seite. Er wollte dem Flüchtling nach, tat einige Schritte und brach dann stöhnend zusammen, mit leiser Stimme um Hilfe rufend.

Niemand hörte ihn, seine Stimme wurde immer leiser, bis sie gänzlich verstummte und eine tiefe Ohnmacht ihn umfangen hielt.

Nach einer Stunde war jedes Geräusch im Garten ebenfalls verstummt und das glänzende Fest zu Ende. Die Gäste hatten sich mit dem einstimmigen Urteil verabschiedet, dass nur die Familie Rapo in der ganzen Stadt ein solches Fest zu arrangieren verstände.

Seraphine ging noch eine Weile mit ihrem Bruder Michel, dem Leutnant der Nationalgarde und Mitglied des Gemeinderats, in dem Garten spazieren, um ihm Lupparellis Nachrichten mitzuteilen.

»Wir witterten einen Horcher«, so schloss sie, »und ich ließ ihn deshalb allein in der kleinen Grotte. Ich will doch nachsehen, ob er fortgekommen ist, die heimliche Entfernung des Majors hat mich unruhig gemacht.«

»Pah, der Major ist zu dumm zu irgendeinem Verdacht aus eigener Wahrnehmung«, versetzte Michel verächtlich, »obwohl ihn der alte Esel von Amavi, der in seinem Garten von Räubern geträumt, die in dem angrenzenden Pfarrgarten Onkel Gennaros gewesen wären, beinahe auf einen äußerst unliebsamen Spürpfad gebracht hätte. Du gingst doch so etwa um Mitternacht mit Lupparelli an der Veranda vorbei?«

»Ja, ich konnte auf keinem anderen Weg in die Grotte gelangen.«

»Gut, es soll auch niemand wagen, auf unseren Freund Lupparelli einen Schatten von Verdacht zu werfen. Mein Name schützt ihn. Doch lass uns nun hineingehen, es wird etwas kühl und du bist so leicht gekleidet, mein liebes Seraphinchen! Auch muss ich noch in die Stadt, um die Nachrichten von Pasquale aus Neapel zu hören. Der Schiavone erhält wieder ein gutes Stück Arbeit: Amavi, der alte Träumer, will nach Capua mit großen Summen. Er zog mich auf die Seite, um meinen Rat über den sichersten, von ihm einzuschlagenden Weg zu hören. Nun, den habe ich ihm als Freund auch redlich gegeben.«

Beide Geschwister brachen in ein lautes, höhnisches Gelächter aus, während Michel, ebenfalls lachend fortfuhr: »Ich habe ihm sogar geraten, auf welche Weise er das Geld am besten vor den raubgierigen Händen der Briganten sichern könne, um höchstens mit einem beträchtlichen Lösegeld davonzukommen, zu welchem Behuf er seinen Neffen, einen mutigen Kaufmann, der schon einmal Croccos Gefangener gewesen ist, mitnehmen wird.«

Seraphine klatschte fröhlich in die kleinen Hände und eilte lachend zur Grotte. Noch immer schien der Mond hell durch die dunkeln Büsche und beleuchtete mit seinen gebrochenen Strahlen den blassen Major des Königs von Italien, welcher noch immer bewusstlos am Boden lag.

»Santa Maria!«, schrie sie bei diesem Anblick erschreckt auf, »hier ist ein großes Unglück geschehen, Michel!«

Dieser kam rasch herbei und fuhr ebenfalls ganz entsetzt zurück, als er den Major erkannte.

»Das ist unangenehm«, sagte er leise, »ein Mord in unserem Garten, an einem unserer Gäste, und noch dazu an einem Offizier des Königs. Welcher Unkluge mag dies getan haben? Lupparelli …«

»Niemand anders«, bestätigte Seraphine bestimmt. »So war der Major der Horcher, und da er mich die Grotte verlassen sah, lässt sich das Übrige bei der Eifersucht der beiden leicht denken. Was machen wir mit ihm?«

»Nun, nichts ist einfacher, wir tragen ihn hinein, untersuchen, was ihm fehlt. Sollte er wirklich tot sein, dann werfen wir ihn an die Landstraße, da mag ihn irgendein Räuber erschlagen haben.«

»Schön, legen wir denn Hand an den Narren, Michel!«

Der arme Major hatte keine Ahnung davon, von welchen Engelshänden, die er so oft leidenschaftlich bewundert und geküsst, getragen wurde.

Ungesehen, da die Dienerschaft schon zur Ruhe war, und niemand als diese beiden in der Villa mehr wach war, erreichten sie mit ihrer schweren Bürde ein Parterrezimmer, wo sie ihn auf ein Sofa betteten und seine Uniform öffneten.

»Da sitzt ein Stilett!«, flüsterte Seraphine, »es gehört Lupparelli, wie kann man nur so unvorsichtig sein!«

Die schöne Frau mit der sanften Engelsmiene zog das tödliche Eisen, welches tief in die Seite gestoßen war, mit einem kräftigen Ruck und ohne dabei auch nur mit den Wimpern zu zucken, heraus. Ein lautes Stöhnen entrang sich der Brust des schwer verwundeten Majors.

»Er lebt, maledetto!«, murmelte Michel, »der Lupparelli bringt uns mit seinen Streichen noch in Misskredit. Was nun?«

»Ich werde ihn verbinden und wir schaffen ihn in ein Bett. Wecke einen Diener, der den Arzt holt. Du hast ihn, als du noch in der Nacht nach Bisaccia gehen wolltest, auf der Landstraße in seinem Blut schwimmend gefunden.«

»Das geht, unsere Menschenfreundlichkeit und Aufopferung werden den armen Major rühren, deine Worte und Blicke müssen das meiste dabei tun.«

Sie brachten den Röchelnden in ein Fremdenzimmer und legten ihn, während er noch immer die Augen geschlossen hielt, in ein Bett.

Während Seraphine mit Samariterbarmherzigkeit Wache bei dem Kranken hielt, weckte Michel Rapo einen Diener, den er nach Bisaccia zum Arzt sandte.

Erst nach Verlauf von einer Stunde erschien dieser und untersuchte nun sorgfältig die Wunde, welche er dann für ziemlich gefahrlos erklärte.

»Er bleibt hier unter meiner Obhut«, sagte Seraphine entschieden, »ich werde ihn selber pflegen. Vielleicht, wie mir leider ahnt, ist er ein Opfer der Eifersucht geworden.«

»Ganz meine Gedanken, Signorina!«, sprach der alte Arzt, »die Jugend ist stets bereit, bei der geringsten Aufwallung nach der Waffe, und sei es auch dem heimlichen Dolch des Banditen zu greifen. Unter Ihrer Pflege wird der Patient, das kann ich Ihnen fest versprechen, bald genesen.«

»Das hoffe ich«, versetzte Seraphine, »ich wäre untröstlich und versucht, in ein Kloster zu gehen, falls dieser Mann an der heimtückischen Wunde stürbe.«

Der Arzt lächelte schalkhaft über die Äußerung Seraphines und beneidete im Stillen den glücklichen Major. Er meinte auch, dass er gern eine solche Wunde empfangen wolle, um nur das Glück zu genießen, von ihren Händen gepflegt zu werden.

Die Familie Rapo stand somit über jedem Verdacht erhaben.