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Der Detektiv – Die tote Lady Rockwell – 3. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Die tote Lady Rockwell

3. Kapitel

Lord Rockwell

Wir wurden vom Wetter auf unserer Reise nach Colombo sehr begünstigt. Unser schnelles Fahrzeug hielt sich stets in der Nähe der Küste. Unaufhaltsam ging es südwärts.

Am anderen Morgen saßen wir in der kleinen Kajüte und frühstückten. Harst war in glänzender Laune. Diese Seereise bereitete ihm viel Vergnügen. Er nahm bei dem Maschinisten geradezu Unterricht in der Bedienung eines so komplizierten Motors, wie es der eines Rennbootes ist. Der Maschinist war ein zum Christentum übergetretener Hindu. Zumeist sind diese Abtrünnigen, diese braunen Glaubensbrüder, wie Harst mir erklärte, die übelsten Burschen, die man sich denken kann. Der Hindu ist Religionsfanatiker. Wird er Christ, so hat das stets einen großen Haken. Es sind stets nur halbe Verbrecher ihrer Charakterveranlagung nach, die die Verachtung ihrer Volksgenossen des Abfalles wegen auf sich nehmen. Jeder christliche Hindu wird von den anderen wie die Pest gemieden. Dabei sind diese Leute gewöhnlich sehr bald Säufer, heimliche Diebe, werden naschhaft und faul. Harst hielt daher auch von den Missionsgesellschaften, die das Christentum zu verbreiten suchen, gar nichts.

Unser Maschinist Mir Bhar Khani bildete jedoch eine Ausnahme. Wir waren sehr zufrieden mit ihm.

Ich wollte Harst immer schon fragen, weshalb er mir damals die Zeitung hier in der Kajüte aus der Hand gerissen und ins Wasser geschleudert hatte. Nun beim Frühstück tat ich es.

Und die Antwort? Sein beliebtes, vorwurfsvolles »Aber Schraut!« kam über seine Lippen.

»Aber Schraut!«, wiederholte er. »Natürlich sollte doch dieser Wallace, dieser Spießgeselle unseres Freundes Cecil nicht sehen, dass du gerade den Artikel vorhattest, gerade dieses Bombayer Skandalblättchen India World genannt!«

»Also hängt der Artikel mit Warbatty zusammen?«

»Gewiss!«

»Woher weißt du das?«

»Diese Frage ist durchaus berechtigt.« Er rauchte sich eine Zigarette an, fasste in die Tasche, entnahm ihr eine Depesche und hielt sie mir hin.

»Da, lies das mal«, meinte er.

Die Depesche war gerichtet an – ah, das hatte ich nicht erwartet – an Thomas Sagton, Bombay Viktoria-Hotel! Aha, Sagton! Das war der Vater der toten Lady Rockwell!

»Woher hast du diese Depesche?«, fragte ich erstaunt und überflog dabei den Inhalt.

Bitte sofort zurückkehren, Lady abermals aufgetaucht. Inspektor Morris, Colombo.

»Dem Empfänger habe ich sie abgenommen, lieber Schraut«, erklärte Harst lächelnd und blies Rauchringe.

»Dem … Em … pfänger?«

»Nun ja, Thomas Simpson, dem Bruder Warbattys, der jetzt in Bombay in Untersuchungshaft sitzt.«

Da ging mir ein Licht auf. Simpson stammte aus Colombo, war dort Kaufmann. Er hatte also in Bombay in zwei Hotels gleichzeitig als Simpson und als Thomas Sagton gewohnt.

Als ich dies nun zu Harst sagte, nickte er.

»Stimmt, lieber Schraut! Als wir ihn in der verwahrlosten Gärtnerei festgenommen hatten, habe ich nachher seine Papiere durchgesehen. Da fand ich diese Depesche. Sie erschien mir sofort wichtig genug, sie einzustecken, obwohl ich damals diese Spukgeschichte von der lebend herumgeisternden toten Lady Rockwell noch nicht kannte.«

»Hm, du betonst das tot so eigenartig. Hast du dir bereits eine Meinung über diese rätselhafte Sache gebildet?«

»Allerdings. Sehr sogar, sehr! Ich denke, auch hierbei wird Warbatty seine Hand mit im Spiele haben. Jedenfalls werden wir in Colombo sofort Lord Rockwell aufsuchen, selbstredend in recht netter Verkleidung, da ich nicht Lust habe, mich abermals so kleinen Unannehmlichkeiten auszusetzen, wie die Türme des Schweigens es für uns waren. Bitte keine weitere Frage. Alles zu seiner Zeit!«

Ceylon! Was ist Indien gegen Ceylon! Gegen diese paradiesisch schöne Insel an der Südspitze Vorderindiens, gegen dieses fruchtbare, gesunde Land, indem es keine Tiger gibt, in dessen weiten Grassteppen der gut geschonte wilde Elefant noch herdenweise lebt, in dessen Wäldern der Zimtbaum zu Hause ist, an dessen Küsten wie ein Wunder aus den kalten Eisregionen die indische Seekuh, dieses walrossähnliche Tier, gejagt wird! Was sind die indischen Frauen gegen die oft bildschönen Singhalesinnen?! Wirklich, alles vereint sich hier, um einen wahren Zaubergarten zu schaffen.

War ich schon in Bombay beim Anblick der Tropenflora entzückt gewesen, auf Ceylon wurde ich begeisterter Anhänger des Orients!

Zwei ziemlich abgewrackt aussehende Chinesen wanderten an einem strahlend schönen Morgen die tadellose Straße von Colombo, dem Haupthafen auf der Westseite der Insel, nach Nordosten zu. Dort sollte die Plantage Lord Rockwells liegen.

Unsere Chinesenmaske war bis Detail genau ausgeführt. Wir trugen kleine Bündel auf dem Rücken, glichen vollkommen arbeitsuchenden Kulis.

Das schlossähnliche Wohnhaus des Lords lag auf einer Anhöhe, hinter der sich felsige Höhen zu einem kleinen Gebirgszug auftürmten. Dass der Lord nun hier weilte, hatten wir in Colombo erfahren.

Frech und gottesfürchtig steuerte Harst auf das Schloss zu. Doch schon an der Parkpforte gebot uns ein alter Singhalese recht grob Halt. Harst war darauf vorbereitet, kauderwelschte in miserablem Englisch zusammen, dass Seine Lordschaft uns angeworben hätte und selbst zu sprechen wünschte.

Der Torhüter drückte auf einen Knopf. Nach einer Weile kam vom Haus her ein Diener und nahm uns dann mit sich.

Der Lord saß auf der Terrasse mit einem anderen Europäer beim Frühstück. Wir mussten unten an der Treppe warten. Minuten vergingen. Dann erschien der Lord, ein noch junger Mann, etwa Ende der Zwanzig, an der Brüstung musterte uns und rief: »Schert Euch zum Teufel, gelbes Gesindel! Eine solche Unverschämtheit! Kirindu, mach die Hunde los!«

Der farbige Diener eilte von dannen.

Harst formte nun die Hände zum Sprachrohr und rief zurück: »Lady Rockwell!«

Der Lord fuhr leicht zusammen, kam zögernd die Stufen hinab.

»Ich bin der deutsche Liebhaberdetektiv Harald Harst, Mylord«, flüsterte Harst. »Ich sowie mein Freund und Sekretär bitten um eine Unterredung. Es darf aber niemand erfahren, wer wir sind. Ich habe hier ein paar Elfenbeinschnitzereien mitgebracht. Tun Sie so, als ob Sie mit uns über den Kauf sprechen wollen.« Er zog die wunderhübschen Tierfiguren aus der Tasche.

»Harst – Harst?« Der Lord strahlte. »Sie sendet mir der Himmel! Kommen Sie!«

Gleich darauf standen wir in seinem Arbeitszimmer.

»Wir brauchen hier Lauscher nicht zu fürchten, meine Herren«, sagte er liebenswürdig. »Bitte nehmen Sie Platz.« Er setzte uns Zigarren, Zigaretten und Liköre vor. Er war eine sehr sympathische Erscheinung, hatte nichts von der steifen, abgezirkelten englischen Art an sich und deutete unmerklich in allem an, dass er ganz als Kaufmann behandelt werden wollte.

»Ich freue mich sehr, Herr Harst« (er sprach deutsch fast fehlerfrei), »dass Sie sich gerade jetzt hier bei mir eingefunden haben. Ich habe in den Zeitungen gelesen, dass Sie hinter einem sehr gefährlichen Verbrecher her sind. Eine Depesche aus Bombay im heutigen Morgenblatt berichtet auch bereits von Ihrem geradezu unglaublichen Abenteuer in der Ruinenstadt Matasu. Allerdings stand dort zu Schluss, Sie seien nach Europa zurückgekehrt, weil Ihre Mutter schwer erkrankt wäre …«

»Ein kleiner notwendiger Schwindel, Mylord. Ich möchte jedoch sofort auf das zu sprechen kommen, was mich herführt. Ich habe in Bombayer Zeitungen von den seltsamen Geschehnissen gelesen, die sich nach dem Tod Ihrer Gattin in Colombo abgespielt haben …«

Der Lord legte die Hand über die Augen und nickte schwach.

»Ja, es ist furchtbar!«, meinte er leise. »Meine Nerven ertragen diese Aufregungen nicht länger. Man meidet mich bereits. Und draußen auf der Terrasse sitzt der Detektivinspektor Morris aus Colombo und versuchte aus mir unter dem Vorgeben freundschaftlichen Interesses Dinge herauszulocken, von denen ich nichts weiß.«

Er sprang auf und rannte im Zimmer hin und her, blieb dann vor Harst stehen:

»Denken Sie, Herr Harst, man wirft mir einen Versicherungsbetrug heimlich vor! Ich soll ein geriebener Schurke sein, der, weil seine Plantage durch zwei Missernten nichts eingebracht hat, jetzt …«

»Beruhigen Sie sich doch bitte, Mylord!«, unterbrach Harst ihn. »Ich werde Ihnen helfen. Dazu bin ich hier. Setzen Sie sich. Rauchen Sie eine Zigarette und beantworten Sie mir lediglich meine Fragen. Ihre Gattin Ellinor war eine geborene Sagton. Seit wann lebt deren Vater in Colombo? Wann haben Sie geheiratet?«

»Thomas Sagton tauchte vor fünf Monaten mit seiner Tochter in Colombo auf. Er ist Witwer. Er begann sofort großzügige Geschäfte in Kaffee und Tee zu machen, die ihm schnell den Ruf eines geschickten Spekulanten einbrachten. Ellinor lernte ich vor vier Monaten kennen. Nach vierzehn Tagen hielt ich um ihre Hand an. Und nach einem Monat bereits heirateten wir. Mein Eheglück hat genau 2½ Monat gewährt. Ich habe Ellinor über alles geliebt …«

»Wann und wie hoch versicherten Sie das Leben der Dame?«

»Sofort nach der Hochzeit mit 50.000 Pfund Sterling bei der Great India-Gesellschaft in Bombay.«

»Auf Veranlassung Thomas Sagtons, nicht wahr?«

Lord Rockwell machte eine ungewisse Handbewegung. »Möglich, dass er dahintersteckte. Der Gedanke selbst ging von Ellinor aus. Sie meinte, wenn sie stürbe, hätte ich dann doch wenigstens von ihr eine verspätete Mitgift. Bisher ist die Summe nicht ausgezahlt. Die Gesellschaft weigert sich infolge der Gerüchte. Ich will von dem Geld auch nichts mehr wissen.«

»So, so. Und in dem Versicherungsvertrag ist als zweiter Empfangsberechtigter im Fall Ihres Todes Thomas Sagton genannt, nicht wahr?«

»Ja. Aber woher in aller Welt haben Sie das erfahren, Herr Harst?«

Harst beachtete die Frage nicht, erklärte nun: »Die Sachlage ist also Folgende. Ihre Gattin stirbt. Halt – eine Zwischenfrage. Ihr Ableben erfolgte hier im Haus?«

»Ja. Ellinor war für einen Tag nach Colombo hinübergefahren. Sie war eine leidenschaftliche Tennisspielerin. Sie hatte sich sehr erhitzt, hatte eiskalte Getränke genossen und wurde von Bekannten bereits ohnmächtig hierher gebracht. Ihr Vater hatte sofort einen Arzt nachgeschickt, einen Doktor Rouvier. Alles half nichts. Ellinor starb abends gegen zehn Uhr an Herzlähmung.«

»Dieser Doktor war mit Sagton befreundet?«

»Sehr sogar. Jetzt jedoch sind sie Feinde.«

»Dachte ich mir. Er stellte auch den Totenschein aus?«

»Ja. Aber entschuldigen Sie, bester Herr Harst, Ihre Fragen sind so merkwürdig, dass …«

»Sie werden noch merkwürdiger werden, Mylord. Ich bin Detektiv. Also: Ihre Gattin stirbt, wird jedoch von den Leuten, die sie genau kannten, danach verschiedentlich lebend wieder in den Straßen Colombos gesehen. Sofort taucht das Gerücht auf, Sie Mylord, hätten im Einverständnis mit Ihrer Gattin einen Versicherungsbetrug derart in Szene gesetzt, dass Sie ihr eines jener sämtliche Lebenserscheinungen beseitigenden Betäubungsmittel, über die gerade die Inder so vielfach verfügen, eingeflößt und selbst dem Arzt vorgetäuscht hätten, Ihre Frau seit tot.«

»Ganz recht«, warf der Lord erregt ein. »Ganz recht. So ist es. Und ich behaupte, dass Sagton es war, der diese Gerüchte ausstreute. Er …«

»Halt, Mylord! Ruhig bleiben! Weiter also: Man vermutet, Sie hätten eine andere Tote an Stelle Ihrer Gattin der Familiengruft beisetzen lassen, eben eine Frau, die dasselbe rötlichbraune Haar besaß. Und diese untergeschobene Tote sollen Sie dann durch die Termiten, denen Sie durch in den Sarg gebohrte Löcher Zutritt selbst in den Zinkblecheinsatz verschafften, so haben entstellen lassen, dass …«

Der Lord sprang schon wieder auf. »Ah … wer … wer hat Ihnen denn all das so haarklein mitzuteilen gewagt, Herr Harst? Nennen Sie mir den elenden Verleumder, damit ich endlich einen von diesen Schurken fassen kann, die die öffentliche Meinung vergiften, die …«

»Aber Mylord, Ruhe, Ruhe! Niemand hat mir etwas erzählt. Ich selbst habe mir diese Einzelheiten unschwer zusammengestellt. Wirklich, es ist so! Mir stand lediglich ein Artikel einer Bombayer Zeitung zur Verfügung. Es mag Ihnen wunderbar erscheinen, wie ein Mensch aus Andeutungen sich ein ganz klares Bild von Geschehnissen zu entwerfen vermag. Und doch ist es nur Geistesübung. So, nun noch einige andere Fragen. Sie haben Ihre Gattin offenbar sehr geliebt. Wurde diese Liebe in demselben Maße erwidert?«

»Hm, Ellinor war eine etwas kühle Natur und recht ungleich in ihren Stimmungen. Sie …«

»Danke. Dann: Ist es zwischen Ihnen und Sagton zu einem offenen Bruch gekommen?«

»Ja. Sogar im Exzelsior-Klub in Gegenwart zahlreicher Herren. Er warf mir vor, dass ich ihm sein Kind geraubt hätte, er sei stets gegen diese Ehe gewesen. Er drückte sich sehr vorsichtig aus. Aber der Vorwurf, ich hielte Ellinor verborgen, war doch herauszuhören.«

»Danke. Das genügt mir. Die Europäer in Colombo haben sich ganz auf Sagtons Seite geschlagen. War Sagton nicht hier, als Ihre Gattin starb?«

»Nein. Er hatte einen Malariaanfall und lag in seinem Haus in Colombo zu Bett.«

»Aha!« Harst nickte befriedigt. »Das ist in der Tat ein geradezu unglaubliches Ränkespiel«, meinte er sehr ernst. »Nun, wir werden die Herrschaften bald haben …«

»Wen denn, Herr Harst?«

»Oh, davon später. Könnte ich mir nachher vielleicht die Leichenreste ansehen? Der Zinksarg wird doch wohl nicht wieder zugelötet sein.« Er erteilte dem Lord dann allerlei Anweisungen, damit unser Inkognito gewahrt bliebe.