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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Gespenst im alten Schloss – Kapitel I

Das Gespenst im alten Schloss
Oder: Ein Verbrecher verrät sich selbst

I.

Beim Wirt an der Seewand wurde ein Hochzeitsgelage  mit Musik und Tanz gehalten. Schon hatte die Kirchenuhr des nahen Dorfes die Mitternachtsstunde angeschlagen und allmählich ging die Lustbarkeit zu Ende. Die Brautleute mit den ernsteren Gästen und auch viele Burschen und Dirnen waren heimgekehrt. Es war alles in Ordnung vorübergegangen und der Hochzeitslader schien nicht umsonst am Schluss seines Dankes den jungen Leuten besonders zugesprochen zu haben, dass sie den Ehrentag der Hochzeitsleute nicht durch Beleidigungen Gottes, durch Zank und Streit, durch Rauferei und Schlägerei und schändliche Dinge entehrten.

Doch einigen reichen und flotten Bauernburschen war dieses Vergnügen bei Musik und Tanz gar zu bald vorübergeeilt. Sie forderten immer wieder und wieder und zahlten noch ein Tänzchen. Als nun aber doch endlich das Letzte mit Ernst abgespielt war, warf der Schönberg Hans den Musikanten eine Handvoll Geld auf den Tisch, damit sie ihm auf den Heimweg aufspielen sollten. Dieser Einfall, sich heimgeigen zu lassen, fand bei den lustigen Burschen allen Beifall. Sie beschlossen, ihm das Geleit zu geben. War es doch eine herrliche mondhelle Nacht. Und wenn sie mit Musik an den Ort der Seewand kämen, der das großartige Echo gibt, wie schön muss sich dies ausnehmen?

Während nun aber solches beim Wirt an der Seewand vor sich ging, schritt ein 16-jähriges Mädchen allein und schweigsam rasch durch die Bergschlucht jener Gegend. Aus ihrer Kleidung war zu erkennen, dass sie nicht zu den Einheimischen gehörte, ja von weit her sein musste. Was gab wohl diesem jungen Mädchen die Entschlossenheit, allein bei Nacht und in der Fremde die schauerliche Gegend zu durchwandern?

Endlich lichtete sich die Schlucht und vor sich hatte sie den stillen See an der schroffen Seewand, und ein altertümliches Gebäude, halb verfallen, mit einem Eckturm, dessen unterste Steinlagen in den See hineingebaut waren. Die Flügel dieses Schlosses verband ein hoher, mit sechs weiten Bogenfenstern auf jeder Seite angebrachter Gang, in den das Mondlicht so hell eindrang, dass sogar die Steinplatten des Bodens vor ihren Blicken lagen. Deutlich war auch der stockhohe Anbau eines kleinen Hauses zu erkennen, der offenbar aus neuerer Zeit herrührte und bewohnt sein mochte, während das Jahrhunderte alte Gebäude mit seinem Turm am See beinahe wie ein großes Grab vergangener Geschlechter erschien.

Bei diesem Anblick setzte sich das Mädchen auf einen Baumstumpf und sprach für sich: »Da ist es, nach dem ich mich sehnte und was ich suchte. Der graue, fast schwarze Turm ist mir ein alter Bekannter, die Wand da drüben – den See und den alten Bogengang habe ich schon in meiner Kindheit gesehen – oder sollte mich nur eine Ähnlichkeit täuschen? Es sind gar viele, viele Jahre seither vergangen, viele Jahre und viel Unglück – armer Vater! Wie hast du mich lieb gehabt – wie hast du dich schwer von mir getrennt, – wer mochte es damals glauben, dass es zu einem solchen Ende führen musste – armer Vater, wäre ich bei dir! Immer leiser sprach sie, bis der Ton der Stimme in niederrieselnden Tränen erstarb. Lange saß sie einsam da, in düstere Erinnerungen versunken. Da meinte sie, von fern Musik zu vernehmen und bald aber drang ein schrecklicher Lärm an ihr Ohr. Die Burschen waren angekommen mit der Musik, in die sie ihr Jauchzen und Brüllen mengten. Ohne dass es das erschreckte Mädchen ahnte, waren diese Nachtschwärmer, die wohl weit und breit herum keinen Lauscher ahnten und keine menschliche Wohnung zu beachten hatten, in ihre Nähe gekommen. Sie wusste nichts anders, als unter den Schatten der Bäume zu fliehen, um vielleicht doch nicht von den Übermütigen erblickt zu werden.

Richtig hatten sie anfangs das Mädchen nicht beobachtet, obwohl sie nun von ihren raschen Schritten nachließen, die Musik aufhörte und sie selbst mit ihrem Gejauchze leise wurden. Alle Blicke waren auf den See und besonders auf das düstere Gebäude daran gerichtet, das sich in dem hellen Mondlicht fast unheimlich ausnahm und allerlei gespensterhafte Schattenbilder in den Spiegel des Sees warf.

Endlich sagte der Schönberg Hans: »Aber warum sind wir denn auf einmal so schweigsam geworden, gerade als hätte uns der Anblick des alten Schlosses die Sprache verschlagen?«

»Unheimlich bleibt es immer da herum«, bemerkte Wolfgang, der ein Bewohner von Schönberg war. »In der Schlucht ist es nicht geheuer. Das Schloss ist in der Macht des Leibhaftigen. Gott sei bei uns. Im Försterhaus, das angebaut ist und in dem der Simon nun wohnt, haben meine Eltern auch allerlei erlebt. Nicht umsonst heißt das Wasser da unten der Teufelssee!«

»Erzähl uns«, forderte Georg, »was du weißt!«

Als die anderen nicht abwehrten, begann er, sich an einen Baum lehnend:

»Der letzte Besitzer des Schlosses da unten war ein junger, gewal­tiger Herr und ebenso geldgierig wie grausam. Nichts als lustige Feste und Fress- und Saufgelage waren seine Freude. Die Mittel dazu wurden auf die grausamste Weise erpresst, daher Schloss und Ritter von allen Leuten gemieden wurden. Von seiner Burg aus begann er nämlich die Jagd auf Hab und Gut und Menschenleben. Wanderer und Anwohner wurden, wenn sie dem Jagenden begegneten, in das Schloss geschleppt, die reichen geplündert, die Dürftigen aber grausam gemartert und vom schwarzen Turm herab in den See gestürzt. Wenn man daher des Ritters Jagdhorn in den Wäldern hörte, wenn die Hunde im Wald bellten, eilte jedermann davon, sein Hab und Gut und sein Leben zu retten. Während nun dieser Raubritter im Schloss die geraubten Schätze aufhäufte, verödete die Gegend. Ringsum zog bald kein Wanderer mehr durch die verrufenen Wälder. Für dieses tolle Treiben kam aber auch der Tag der Rache oder vielmehr die Nacht derselben. In einer solchen hatte der wilde Jäger auch eine holde Jungfrau von deinem blutigen Weidwerk heimgebracht, die er den Vaterarmen entrissen hatte. Schon drohte der Unschuldsvollem seinen Kräften erliegen zu müssen; da jagte ein furchtbares Gewitter durch den Wald, Donner rollten, Blitze zuckten und die Erde erbebte und spaltete sich, sodass jener Teil der Burg, welcher die Schätze verbarg, samt Gold und Edelsteinen in die gähnende Kluft des Bodens versank. In der Verwirrung, welche folgte, floh die Jungfrau. Der Ritter aber stand händeringend auf dem rissigen Mauerbogen des Schlosses und sah in den Schlund, der seine Schätze verschlungen hatte und nur einen Trümmerhaufen an derselben Stelle, wo nun das Försterhaus dort angebaut steht, zurückließ. Am nächsten Morgen hatte man den Ritter, schwarz im Gesicht und halb verbrannt, als hätte ihn der Blitz erschlagen, tot auf dem Schutt gefunden, wohin er vom offenstehenden Mauerbogen im Dunkel der Gewitternacht hinabgestürzt sein musste. Sein Geist kann keine Ruhe finden. Oft hat man ihn in den öden Gängen des Schlosses erblickt, klagend und jammernd um seine verlorenen Schätze. Leute genug gibt es da herum, die ihn gesehen haben, wie einen Schatten schleichend durch die Halle, auf der ebenso hell das Mondlicht liegt, dass man es durch und durch schauen kann wie beim Tageslicht.«

»Das ist wohl auch eines der alten Weibermärchen«, meinte der Gruber Franz, »an die ich nicht glauben kann und dergleichen beinahe von allen alten Schlossern erzählt wird, aber mich erschreckte mehr der Förster Simon, wenn er mich einmal auf meinem Weg träfe. Der alte Jäger da unten am Schloss, der ist gar wild und brennt dir eins im Handumdrehen auf den Pelz, dass du dein Lebtag daran denkst.«

»Ja, ja«, sagte ein anderer, »das ist ein wilder und rascher Mensch, aber das Wildern geht doch nirgends leichter als da herum, denn wenn der lustige Loisl dabei ist, und das geschieht beinahe allzeit, da gibt der Förster Simon nach und lässt es gehen, wie es eben geht, wenn es ihn auch im Innersten wurmt und seine Blicke den Loisl vergiften möchten. Der lustige Loisl muss etwas vom Jäger wissen.«

»Lassen wir es mit solchen Geschichten gut sein«, sprach der Gruber Franz, »lieber die Musikanten wieder aufspielen lassen und eins singen, damit uns der Gespensterschreck wieder vergeht.«

Wirklich wurde dazu hergerichtet, aber nun schrie jemand laut auf. Und sieh da, Wolfgang, der unter dem Baum saß, starrte geisterbleich und zitternd auf den Schlossgang und wies mit ausgestreckter Hand darauf hin. Alle blieben wie versteinert stehen. In atemloser Spannung starrten auch sie auf den hell erleuchteten Bogengang im schwarzen Gemäuer hinab.

Selbst dem ungläubigen Franz war alle Lachlust vergangen. Von der Seite her, wo das Forsthaus angebaut steht, war der Schatten eines Mannes durch das mondbeschienene erste Bogenfenster sichtbar geworden, welcher sich langsam und gleichmäßig bewegte. Er ging am Wandpfeiler vorüber, wurde beim zweiten Fenster sichtbar, beim dritten und so weiter, bis er am sechsten verschwand.

Eine kleine Weile herrschte Stille, dann hieß es: »Franz, glaubst noch nichts?«

»Pah«, sagte er, »wer weiß, was es ist und ob nicht das Ganze auf einer Täuschung beruht. Es kann der Förster Simon gewesen sein, der weiß Gott was im alten Gebäude zu suchen hat.«

»Nein, nein«, flüsterte einer, »die Försterei hat gar keine Verbindung mit dem Schloss. Ich war oft genug da unten, um es zu wissen. Eine Brandmauer steht zwischen beiden und wenn diese nicht wäre, bliebe kein Mensch in diesem einschichtigen Försterhäusl.«

»Pst, pst, pst! Da ist es wieder«, hieß es.

In umgekehrter Richtung als vorher, schritt es an der Reihe der sechs Bogenfenster hin und verschwand spurlos. Diese geisterhafte Wanderung, die feierliche Stille der Nacht, und zwar der Mitternachtsstunde, hatten die ungläubigen Gemüter ergriffen und alle mit stillem Schaudern erfüllt.

Ebenso wie diese Leute, oder noch mehr, war auch das 16-jährige Mädchen ergriffen worden, welches zuvor in den Schatten der Bäume zurückgetreten war, um die Begegnung mit den lustigen Burschen zu vermeiden. Horchend hatte sie hinter dem Gesträuch gestanden. Schon die Nennung des Namens Förster oder Jäger Simon hatte ihre Aufregung gesteigert und ihrem Mund die Worte entlockt: »Er ist es, Gott sei gelobt, ich habe mein Ziel erreicht.«

Als aber das rätselhafte Umgehen im Bogengang des Schlosses sichtbar wurde, hatte sie der Schrecken so gewaltig erfasst, dass sie alle Vorsicht vergaß und in der höchsten Aufregung zwischen den Zweigen hervorhuschte.

»Holla, wer ist da unter uns, wie aus der Erde gezaubert? Was willst du, woher kommst du«, riefen mehrere Stimmen das zitternde sprachlose Mädchen an.

Als es endlich hervorbrachte, es habe das Ziel seiner Reise noch erreichen wollen, sei von der Nacht überrascht worden, habe nicht gewusst, dass es gar so weit hin sei und anderes, so hatten die meisten Mitleid mit dem armen wehrlosen Weibsbild und es geschah ihr nichts zu Leide. Wohl eine große Seltenheit, wenn ein junges wehrloses Mädchen das Unglück hat, in die Mitte junger Burschen zu geraten. Es geht ihm gewöhnlich nicht anders, als ob ein Lamm unter Wölfe kommt.

Nachdem das Mädchen wieder allein war, richtete es seine Schritte zum alten Schloss. Wiederholt blieb es stehen, es war ihm gar schwer und unheimlich, da hinab zu gehen, aber es war das Ziel ihrer Wanderschaft. Wohin sie musste, mochte ihr was auch immer entgegenkommen. Nicht weit vom Försterhaus hörte sie das leise Bellen eines Hundes, der sie witterte. Es war nun nicht die Stunde, um Einlass zu begehren. Sie fühlte keine Lust, den unfreundlichen Förster Simon in seiner Ruhe zu stören; darum hielt sie sich fern von der Försterei und ging am Schloss hin, um eine Stelle zum Ausruhen zu finden, welche vor dem eisigen Wind geschützt war , der zu wehen begann. In einer Art Schuppen, welcher sich am Turm sich befand, war Streu aufgehäuft. Diesen Ort wählte sie zu ihrem Nachtlager. Binnen wenigen Minuten schloss der Schlaf ihre Augen und ließ sie alles Weh und alle Bitterkeit des Lebens vergessen.

Die Reisemüde mochte ein paar Stunden lang geschlafen haben, als sie von einem seltsamen Geräusch aufgeschreckt wurde. Es schien dies vom Turm in ihrer nächsten Nähe herzukommen. Sie hörte deutlich Stimmen und Schritte, glaubte auch das Öffnen einer schweren Tür und dann wieder das Plätschern von Rudern im See zu vernehmen. Sie setzte sich auf, um besser zu sehen und hören zu können; allein der Mond und die Sterne waren bereits von zu dichten Wolken verhüllt. Sie vermochte nichts zu unterscheiden und legte sich alsbald wieder im Halbschlummer nieder, wobei es ihr so war, als bewegten sich schweigend dunkle Männergestalten, Lasten tragend, am Ufer hin und her. Sie glaubte auch ein Schifflein zu vernehmen, welches fast geräuschlos über die spiegelklare Wasserfläche hinglitt.

Traum und Wirklichkeit, Schlummer und Wachen verloren sich ineinander. Sie empfahl sich dem heiligen Schutzengel und schlummerte auf ihrer Streu und unter dem luftigen Obdach wieder ein, als läge sie im weichen Federbett.

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