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Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 14

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Vierzehntes Kapitel

Die Maikönigin und die Tochter des Puritaners

Volksbelustigungen und Zeitvertreibe wurden weislich von Jakob dem Ersten begünstigt, dessen Rücksicht für die Vergnügungen der niederen Klassen seiner Untertanen nicht genug gerühmt werden kann. Und da es der Hauptzweck dieser Geschichte ist, auf einige von den während seiner Regierung herrschenden Missbräuchen hinzudeuten, so ist es nur billig, dass wenigstens ein Umstand, der manches andere einigermaßen wiedergutmacht, erwähnt werde. Es ist immer die Gewohnheit versauerter Sektierer gewesen, alle noch so unschuldige Vergnügungen am Sonntag zu verdammen. Nachdem mehrere Fälle eines solchen Einschreitens vonseiten der puritanischen Prediger und ihrer Anhänger während seiner Reise durch die nördlichen Grafschaften Englands und besonders durch Lancashire vor Jakob gekommen waren, ließ er bei seiner Rückkehr nach London seine berühmte Erklärung hinsichtlich der gesetzlichen Belustigungen an den Sonntagen bekannt machen, worin den Puritanern ein strenger Verweis erteilt und die Sache des Volks in Ausdrücken verteidigt wurde, die, während sie sehr rühmlich für den Monarchen waren, nicht ganz unanwendbar auf andere Zeiten sind, als für welche sie gegeben wurden. »Sintemalen wir mit Recht einige Puritaner und übertrieben gewissenhafte Leute getadelt«, sagt König Jakob in seinem Manifest, »und den Befehl erteilt haben, dass dergleichen ungesetzliche Handlungen von denselben künftighin nicht weiter sollen vollführt werden, indem sie unserem guten Volke wegen ihrer gesetzlichen Erholungen und anständigen Übungen an Sonntagen und anderen Festen nach dem Nachmittagsgottesdienst verboten und sie deshalb bestraft: So finden wir jetzt, dass zwei Arten von Leuten, wovon das Land sehr heimgesucht ist – wir meinen die Papisten und Puritaner – auf boshafte Weise diesem unserem gerechten und ehrenvollen Verfahren entgegengehandelt haben. Und daher haben wir es für gut gehalten, uns zu erklären und unsere Willensmeinung allen unseren guten Untertanen in diesen Teilen des Landes kund zu tun.« Hierauf fasst er die Gründe für die gewährte Erlaubnis in folgender Weise noch einmal zusammen, wie folgt: »Denn wann wird das gemeine Volk Erlaubnis zu körperlichen Übungen haben, wenn nicht an Sonn- und Feiertagen, da sie an allen Werktagen ihre Arbeit treiben und ihren Lebensunterhalt erwerben müssen?«« Wahrlich, gegen diesen Vorschlag ist nichts einzuwenden.

Zu derselben Zeit, als diese Anordnungen zur verständigen Erholung gemacht wurden, verbot ein königliches Dekret alle ungesetzliche Spiele. Es wurde von den Puritanern Übereinstimmung mit der Staatskirche auf strenge Weise gefordert und Widersetzlichkeit, wie in dem Falle der Katholiken im Allgemeinen, wurde mit Verbannung bestraft. Dies war der Inhalt des königlichen Befehls, der an den Bischof jeder Diözese sowie an die sämtliche niedere Geistlichkeit im ganzen Königreich gerichtet wurde. Willkürlich mochte er sein, aber er war von vortrefflicher Absicht, denn man hatte mit halsstarrigen Personen zu tun, bei welchen mildere Maßregeln unwirksam gewesen wären. So wurde heftiger Widerspruch gegen das Dekret erhoben. Die puritanischen Prediger waren laut in der Verdammung desselben und, soweit es mit der Sicherheit verträglich war, heftig in ihren Angriffen auf den königlichen Verfasser.

Das Geschenk wurde indessen von der Mehrzahl des Volkes in dem Geist aufgenommen, wie es angeboten wurde. Die ihm gewährte Freiheit wurde nur sehr wenig missbraucht. Vollkommener Erfolg hätte diese wohlwollende Maßregel begleiten müssen, wären die Anstrengungen der puritanischen und katholischen Partei nicht gewesen, die gemeinschaftliche Sache dagegen machten und durch jedes Mittel dem wohltätigen Einfluss entgegenzuwirken suchten – die Ersteren, weil sie in der Strenge ihres Glaubens den Sabbat nicht im Geringsten entweiht sehen wollten, selbst nicht durch unschuldige Freude; die anderen, nicht weil ihnen etwas an der eingebildeten Entweihung des Tages des Herrn lag, sondern weil sie nicht wollten, dass eine andere Religion dieselben Vorrechte, wie die ihre, genießen sollte. So gingen Seelengeist und Intoleranz einmal Hand in Hand und taten offen oder verstohlen, wie sie Gelegenheit fanden, ihr Möglichstes, um das Volk unzufrieden mit der ihnen bewilligten Wohltat zu machen, indem sie es zu überreden suchten, dass die Annahme für ihr ewiges Heil nachteilig sein werde.

Solche Gründe hatten indessen nicht viel Gewicht bei den Massen, die keine schwere oder tödliche Sünde in der gesetzlichen Erholung oder in körperlichen Übungen nach Beendigung des Gottesdienstes sehen konnten, vorausgesetzt, dass der Gottesdienst selber in keiner Hinsicht vernachlässigt wurde. So überwand das königliche Dekret alle Opposition und wurde vollständig in Anwendung gebracht. Der lustige Monat Mai war in der Tat eine Jahreszeit der Freude und wurde in jedem Dorf des Landes als Blumenfest gefeiert. Maispiele, Pfingstbelustigungen und Morristänze waren berühmt, wie in vergangenen Zeiten. Alle kräftigen und gesunden körperlichen Übungen wie Springen, Laufen und Bogenschießen wurden von den Obrigkeiten nicht nur gestattet, sondern auch anempfohlen.

Diese vorläufigen Bemerkungen sollen zum besseren Verständnis des Folgenden dienen.

Wir haben bereits erwähnt, dass Jocelyn und sein Begleiter lange vorher, ehe sie Tottenham erreichten, aus dem Läuten der Glocken von dem efeubewachsenen alten Kirchturm herab sowie aus anderen freudigen Tönen gewahr wurden, dass irgendeine Festlichkeit dort stattfinde. Die Art derselben wurde ihnen sogleich bekannt, als sie in die lange Straße von einzeln stehenden Häusern eintraten, welche damals, wie heute, den Hauptteil des hübschen kleinen Ortes bildete, und eine große Versammlung von Landleuten in ihren Sonntagskleidern zum Rasenplatz hingehen sahen, um einen Maibaum aufzupflanzen, indem zugleich ihr freudiger Ruf weithin erscholl.

Alle Jünglinge und Mädchen aus Tottenham und der Nachbarschaft schienen an dem Morgen vor Tagesanbruch aufgestanden zu sein, um in den Wäldern zu der Festlichkeit grüne Zweige abzuschneiden und wilde Blumen zu pflücken. Zu gleicher Zeit wurde ein hoher, gerader Baum – der höchste und geradeste, den man finden konnte – ausgewählt und gefällt. Dann wurde er von seinen Zweigen befreit, auf einen Karren gelegt und mithilfe einer langen Reihe von Ochsen, die sich zuweilen auf vierzig Joch beliefen, in das Dorf gezogen. Jeder Ochse hatte eine Blumengirlande an den Hörnern und der lange Baum war auch mit Blumengewinden umschlungen, während an der Spitze eine Blumenkrone nebst vielfarbigen Bändern, Tüchern und Flaggen befestigt war. Die vordersten Ochsen trugen Glocken am Hals, welche erklangen, so wie sie weitergingen, und ihre lebhafte Melodie zu den allgemeinen heiteren Tönen hinzufügten.

Als der festliche Zug das Dorf erreichte, eilten alle Bewohner männlichen und weiblichen Geschlechts, Alt und Jung – heraus, um sie zu begrüßen. Die, welche ihre Wohnungen auf eine kurze Zeit zu verlassen imstande waren, schlossen sich der Prozession an, deren Spitze natürlich der Maibaum bildete. Dann kam eine Abtheilung junger Männer, die mit den nötigen Geräten versehen waren, um den Baum in den Boden zu verankern. Hinter diesen lief ein Trupp Mädchen, welche Binsenbündel trugen. Dann kamen die Musikanten, welche lustig Trommeln, Pfeifen, Sackpfeifen, Stockgeigen und Tambourins spielten. Dann folgte, allein gehend, die Maikönigin – eine ländliche Schöne namens Gillian Greenford – hübsch und fantastisch für diese Gelegenheit gekleidet und in einiger Entfernung von Robin Hood, Maid Marian, Bruder Tuck, dem Steckenpferd und einer Schar von Morristänzern begleitet. Dann kam die lachende und rufende Menge – die meisten von den jungen Männern und Mädchen trugen grüne Zweige von Birken und anderen Bäumen in ihren Händen.

Die für den Maibaum ausgewählte Stelle war ein grüner Rasenplatz in der Mitte des Dorfes, von malerischen Häusern umgeben und auf der einen Seite mit einem alten Kreuz versehen. Das Letztere war indessen nur noch ein Überbleibsel, denn das Kreuz war zur Zeit der Reformation seines Querbalkens beraubt und noch weiter verstümmelt worden. Nun war nichts mehr davon übrig als ein hoher hölzerner Pfeiler, zum Teil mit Blei ausgegossen, um ihn vor dem Wetter zu schützen und von vier starken Strebebalken unterstützt.

Auf dem Rasenplatz angekommen, machte der Wagen Halt und die Menge bildete einen großen Kreis um denselben. Dann wurde der Baum vom Wagen genommen und aufgerichtet. Es waren so viele tätige Hände dabei beschäftigt, dass er in unbegreiflich kurzer Zeit fest im Boden dastand, von wo er sich gleich dem mittleren Mast eines Kriegsschiffes erhob und die Dächer der in der Nähe stehenden Häuser weit überragte und in der Tat sehr schön aussah mit seiner Blumenkrone oben und den im Wind flatternden Tüchern und Flaggen.

Die Versammlung wiederholte ihre lauten Zurufe bei der Vollendung der Zeremonie, die Kirchenglocken läuteten lustig und die Musikanten spielten ihre lebhaftesten Stücke. Die Binsen wurden am Fuß des Maibaumes ausgestreut und mit bewundernswürdiger Schnelligkeit an verschiedenen Stellen auf dem Rasenplatze Lauben von Baumzweigen gebildet. Zu gleicher Zeit wurde das alte Kreuz mit Zweigen und Blumengewinden geschmückt. Die ganze Szene stellte einen so hübschen und heiteren Anblick dar, wie man nur wünschen konnte; doch war ein Zuschauer da, der sie aus einem anderen Gesichtspunkte ansah.

Nun kam die Maikönigin an die Reihe, sich dem Maibaum zu nähern. Sie stellte sich darunter. Die Morristänzer nebst den übrigen verkleideten Personen bildeten einen Kreis um sie, fassten einander an und tanzten lustig nach der Melodie der grünen Ärmel.

Lange vorher waren Jocelyn und sein Begleiter angekommen. Beide interessierten sich so sehr dafür, dass sie sich nicht geneigt fühlten, sich zu entfernen. Gillians Reize hatten bereits das leicht entzündbare Herz des Lehrlings entflammt, der seine Augen nicht von ihr abwenden konnte. So glühend waren seine Blicke und so ausdrucksvoll seine Gebärden der Bewunderung, dass es ihm bald zu seiner nicht geringen Freude gelang, auch ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Gillian Greenford war ein helläugiges, blondhaariges junges Wesen, heiter, lachend und strahlend, mit Wangen, so zart wie Pfirsichblüte, roten Lippen und Zähnen so weiß wie Perlen. Ihr farbiger Rock, halb Flachs, halb Wolle, war an der einen Seite aufgeschlagen und zeigte sehr zierlich gebildete Füße und Knöchel. Ihr scharlachrotes Mieder, welches, gleich den unteren Teil ihrer Kleidung, mit Flitter verschiedener Art besetzt war – sehr glänzend in den Augen der sie umgebenden Burschen sowie in denen Dick Taverners – ihr Mieder, sagen wir, welches eine schlanke Taille umspannte, war quer mit Tressen besetzt, während das schneeweiße Tuch darunter einen sehr schön gebildeten Busen nicht ganz verbarg. Ein Kranz von natürlichen Blumen war zierlich durch ihre fast flachsfarbigen Locken geschlungen. In der Hand hielt sie einen Schäferstab. Dies war die Schöne von Tottenham und die gegenwärtige Maikönigin. Dick Taverner hielt sie fast für einen Engel und es waren noch viele da, die seine Meinung teilten.

Wenn Dick so plötzlich bezaubert wurde, entging Jocelyn von einer anderen Seite her einem ähnlichen Schicksal nicht. Es geschah auf folgende Weise:

In dem offenen Bogenfenster einer jener alten und malerischen Häuser am Rasenplatz, die wir bereits oben beschrieben haben, stand ein junges Mädchen, deren Schönheit so ausgezeichnet und von so eigentümlichem Charakter war, dass sie sogleich seine Aufmerksamkeit auf sich zog und fesselte. Dies war wenigstens die Wirkung, die sie auf Jocelyn äußerte. Vor den Blicken der Menge zurückweichend und vielleicht aus religiösen Bedenklichkeiten es kaum für Recht haltend, eine Zuschauerin zu sein bei dieser Szene, hatte sich dieses schöne Mädchen so gestellt, dass sie von den meisten nicht gesehen wurde. Da Jocelyn aber zu Pferde war, so konnte er einen Teil des Zimmers, worin sie stand, übersehen. Er beobachtete sie einige Minuten, ehe sie gewahr wurde, dass sie der Gegenstand seiner Blicke sei. Als sie endlich bemerkte, dass sein Blick fest auf sie gerichtet war, verbreitete sich ein lebhaftes Erröten über ihre Wangen. Sie würde sich augenblicklich zurückgezogen haben, wenn der junge Mann nicht sogleich seine Augen gesenkt hätte. Dennoch wagte er von Zeit zu Zeit einen Blick auf das Bogenfenster zu richten und war entzückt, das Mädchen noch dort zu finden – ja er bildete sich ein, sie müsste einen oder zwei Schritte näher getreten sein, denn er konnte offenbar ihre Züge deutlicher unterscheiden. Sie waren in der Tat höchst lieblich, von gedankenvollem Ausdruck und vielleicht ein wenig zu blass, bis das rote Blut in ihre Wangen stieg. So von Erröten übergossen, mochte ihr Gesicht vielleicht an Schönheit gewinnen, aber es verlor hinsichtlich des eigentümlichen Reizes, den es von der außerordentlichen Weiße und Durchsichtigkeit der Haut entlehnte – eine Färbung, wogegen ihre herrlichen schwarzen Augen mit den dunklen Augenlidern und Augenbrauen sowie der dunkle Glanz ihres Haares vortrefflich abstachen. Ihre Züge waren außerordentlich schön und zierlich nach elassischer Form gebildet und trugen den Stempel der Bildung und des Geistes. Vollkommene Einfachheit, vereint mit dem gänzlichen Mangel alles persönlichen Schmuckes zeichnete ihren Anzug aus. Ihr rabenschwarzes Haar war schmucklos, aber keineswegs unschön über ihrer schneeweißen Stirn gescheitelt. Es lag etwas in dieser Einfachheit des Kostüms und in ihrem Wesen, was Jocelyn zu glauben geneigt machte, dieses schöne Mädchen müsse zu einer puritanischen Familie gehören. Auf seine Fragen erfuhr er von einem seiner Nachbarn in dem Gedränge – nämlich von einem alten Landmann – dass dies der Fall sei.

Die junge Dame war, wie sein Berichterstatter sagte, Fräulein Aveline Calveley, das einzige Kind des Master Hugo Calveley, der erst kürzlich nach Tottenham gezogen war und von dem wenig mehr bekannt sei, als dass er in der Schlacht bei Langside gefochten und zur Zeit der guten Königin Elisabeth – solche Zeit, wie England sie nie wiedersehen werde, fügte der alte Landmann beiläufig kopfschüttelnd hinzu – unter Esser sowohl in Spanien als auch in Irland mit großer Tapferkeit gedient habe. Master Hugo Calveley, fuhr er fort, sei ein strenger Puritaner, gewissenhaft in seinen Leben und mürrisch in seinem Wesen, ein offener Tadler der Sittenlosigkeit der Zeit und der Ausschweifung der Höflinge, infolgedessen er schon mehr als einmal in Verlegenheit gekommen war. Er verabscheue alle solche Belustigungen, wie sie nun vorgingen, und habe sich mit dem Pfarrer der Gemeinde, Sir Onesimus, der selber ein Frommer sei, vereint, am vergangenen Sonntag die Aufrichtung des Maibaums zu verhindern, wofür, wie der Landmann hinzufügte, einige von den jungen Leuten einen Groll gegen ihn hegten, und wobei er zugleich die Hoffnung aussprach, dass der Tag vorübergehen möchte, ohne dass sie ihren Groll gegen ihn an den Tag legten.

»Diese Puritaner stehen nicht in Gunst bei unserer Jugend, und kein Wunder«, sagte der alte Mann, »denn sie treten ihren Vergnügungen in den Weg und tadeln sie wegen ihrer harmlosen Belustigungen. Mistress Aveline selber ist fromm und gut, doch nimmt sie keinen Anteil an den Vergnügungen, die ihren Jahren angemessen sind und führt mehr das Leben einer Nonne im Kloster oder einer Klausnerin in ihrer Zelle als einer heiratsfähigen Dame. Sie geht nie ohne ihren Vater aus, und wie Ihr leicht denken könnt, besucht sie häufiger eine Vorlesung, die Kirche oder ein Konventikel, als irgendeinen anderen Ort. Ein solches Leben würde für meine Enkelin Gillian nicht passen. Dennoch ist Mistress Aveline eine liebe junge Dame, sehr beliebt wegen ihrer Freundlichkeit und Güte. Ihre sanften Worte haben manche Wunde geheilt, welche die raue Rede und die strengen Vorwürfe ihres Vaters geschlagen haben. Da, mein Herr, kann man ihr schönes und engelgleiches Gesicht sehen. Die Szene scheint ihr zu gefallen, und es lässt sich wohl denken, denn es ist immer ein angenehmer und herzerfreuender Anblick, die junge Welt glücklich und heiter zu sehen. Ich kann mir nicht denken, dass der allgütige Schöpfer uns auf Erden elend machen sollte, damit wir einen Platz im Himmel gewinnen. Ich bin ein alter Mann, Herr, und da ich gefühlt habe, dass dies wahr sei, habe ich meinen Kindern und Kindeskindern diese Ansichten eingeflößt. Doch da ich ihres Vaters Charakter kenne, muss ich gestehen, überrascht es mich, dass Mistress Aveline Vergnügen daran findet, dieses profane Schauspiel anzusehen, welches von Rechtswegen ihren Augen verhasst sein sollte.«

Der letzte Teil dieser Rede wurde mit leisem Lachen ausgesprochen, welches Jocelyn nicht ganz angenehm war. Das zunehmende Interesse, welches er für die schöne Puritanerin empfand, machte ihn empfindlich.

Die Blicke der beiden jungen Personen waren einander wieder mehr als einmal begegnet und wurden von beiden Seiten nicht so schnell abgewendet, wie vorher; vielleicht weil Aveline von der Erscheinung des jungen Mannes weniger beunruhigt oder mehr davon angezogen wurde, und vielleicht, von seiner Seite, weil er ein wenig kühner geworden war. Wir wissen nicht, wie dies geschehen mochte, aber wir wissen, dass die schöne Puritanerin nach und nach bis ans Fenster gekommen war und sich nun ein wenig hinauslehnte, sodass ihr reizendes Gesicht und ihre schöne Gestalt deutlicher sichtbar wurden.

Inzwischen hatte man den Maibaum aufgestellt und den ersten Tanz um denselben beendet. Am Schluss desselben verließ Gillian ihren Ehrenposten in der Nähe des Baumes. Es den Morristänzern überlassend, ihre fröhliche Runde ohne ihre hohe Gegenwart fortzusetzen, nahm sie ein Tambourin von einem der Musikanten und

begann für die gedungenen Darsteller Geschenke einzusammeln. Sie war glücklich in ihrem Unternehmen, wie die Menge von Münzen auf dem Tambourin bald zeigte. Nicht ohne Zaudern und Erröten näherte sich die Maikönigin Dick Taverner. Der Lehrling suchte in seiner Tasche, um sie desto länger in seiner Nähe zu behalten. Nachdem er alle Komplimente ausgesprochen, die ihm zu Gebote standen, und noch mehr durch seine Blicke ausgedrückt hatte, erklärte er endlich, er wolle den Musikanten eine Mark geben – damals keine geringe Summe, denn die höchste Münze, die bisher gegeben worden war, war ein Silber Groat – wenn sie einen lebhaften Tanz für ihn spielen wollten und sie, die Maikönigin, ihn mit ihrer Hand beehren wolle. Ermutigt durch das Lachen der Umstehenden und ohne Zweifel dem Vorschlag selber nicht abgeneigt, willigte Gillian mit ein wenig affektierter Scheu ein. Dick legte sogleich die Mark auf das Tambourin nieder, sprang aus dem Sattel, übergab sein Pferd einem Jüngling, der in seiner Nähe stand, und den er für seine Mühe zu belohnen versprach, und folgte dann der Maikönigin, als sie mit ihrer Einsammlung fortfuhr. Bald kam sie zu Jocelyn und hielt ihm das Tambourin hin. Nun fiel dem jungen Mann ein Gedanke ein.

»Ihr habt da einen hübschen Blumenstrauß, schönes Mädchen«, sagte er, auf ein Bukett von Nelken und anderen duftigen Blumen vor ihrer Brust deutend. »Ich will ihn Euch abkaufen, wenn Ihr wollt.«

»Ihr sollt ihn haben, schöner Herr«, versetzte Gillian, das Bukett von ihrem Kleid losmachend und es ihm anbietend.

»Wohlgetan, Gillian«, rief der alte Landmann billigend.

»Ah! Ihr seid da, Großvater?«, rief die Maikönigin. »Nun, Euer Geschenk für die Musikanten und Masken. Schnell! Schnell!«

Während der alte Greenford nach kleiner Münze suchte, legte Jocelyn ein Silberstück auf das Tambourin.

»Wollt Ihr mir eine Gunst erweisen, mein hübsches Mädchen?«, fragte er höflich.

»Das will ich sehr gern, schöner Herr«, versetzte sie, »wenn es mit Anstand geschehen kann.«

»Im anderen Fall sollst du es nicht tun«, sagte der alte Greenford.

»Nun Euer Geschenk, Großvater. Es währt sehr lange, ehe Ihr etwas findet.«

»Habe Geduld, Mädchen, habe Geduld. Junge Leute sind immer hastig. Hier ist es!«

»Nur ein Silber Groat!«, rief sie ihren Kopf drehend. »Der junge Mann hier hinter mir gab eine Mark und so auch dieser feine Herr zu Pferde.«

»Pah! Geh, Mädchen! Sie werden ihr Geld besser in Acht nehmen, wenn sie älter werden.«

»Bleibt, mein hübsches Mädchen«, rief Jocelyn, »Ihr habt versprochen, mir eine Gunst zu erweisen.«

»Und welche ist das?«, fragte sie.

»Überreicht diesen Blumenstrauß von mir der jungen Dame in jenem Fenster.«

»Was! Dies soll ich Mistress Aveline Calveley anbieten?«, rief Gillian mit Überraschung. »Seid Ihr gewiss, dass sie ihn annehmen wird, Herr?«

»Pah! Tue, was er dir sagt, Kind«, fiel der alte Greenford ein. »Ich bin neugierig zu sehen, was daraus werden wird – ha! ha!«

Gillian konnte nicht umhin, auch zu lächeln und trat ihre Botschaft an. Jocelyn setzte sein Pferd in Bewegung und folgte ihr langsam, indem er fast erwartete, Aveline werde sich zurückziehen. Aber er sah sich angenehm getäuscht, als er bemerkte, dass sie am Fenster stehen blieb. Sie musste bemerkt haben, was vorging. Daher machte ihr Dableiben ihn kühner und erregte seine Hoffnungen.

Unter dem Fenster angekommen, übergab Gillian Dick Taverner, welcher ihr gleich ihrem Schatten folgte, das Tambourin, befestigte den Strauß an das Ende ihres Schäferstabes, hielt ihn zu Aveline empor und rief in scherzendem Ton und mit schlauem Blick: »Hier ist eine Liebesgabe für Mistress Aveline Calveley von jenem jungen Cavalier.«

Ob das so dargereichte Geschenk angenommen worden wäre, ist fraglich, aber es sollte nie an die gelangen, für die es bestimmt war. Sobald der Schäferstab mit diesem Blumenstrauß erhoben wurde, erschien plötzlich ein Mann von sehr finsterem Ansehen, mit kurzgeschnittenem grauem Haar und Bart und veralteter militärischer Kleidung hinter Aveline, ergriff den Blumenstrauß und warf ihn zornig und verächtlichhinaus, sodass er zu Jocelyns Füßen niederfiel.