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Die Riffpiraten – Kapitel 7

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 7
Der geheimnisvolle Brief

Wir überspringen zwei Jahre, um mit dem Hauptmoment dem unglücklichen Ereignis des Pflanzers Madachai auf Kuba, wieder zusammenzutreffen.

Die Abrahamiten, welche sich unter Hilfe eines Rabbiners und Judiths alle mögliche Mühe gaben, den indischen Prinzen für den Mosaismus zu gewinnen, bedienten sich zur Erreichung ihrer Zwecke einer fast königlichen Verschwendung. Auf ihre Kosten wurde die Jüdin zu der Hochzeit sehr luxuriös und reich ausgestattet. Der Bankier hatte außerdem die schöne Villa des Erzbischofs, welche mit ihrem großen Park fast an die Hauptstadt stieß, gekauft und für das junge Ehepaar eingerichtet, welches dadurch wirklich einen fürstlichen Sitz erhalten hatte.

Die kleine bucklige Cäcilie teilte den häuslichen Zirkel, in welchem sie als Gesellschafterin fungierte. Eine entsprechende Anzahl Diener wurde fest engagiert.

Die innere Pracht dieses Palastes, der von Mandelstein und glasigem Feldspat-Porphyr ausgeführt worden war, erstrahle in fabelhaftem Glanz. Aus allen Weltteilen befanden sich darin wertvolle Stoffe des Luxus zur Bewunderung angehäuft, Kunstwerke berühmter Künstler schmückten die Salons und Korridore. In den Umgebungen dieses Gebäudes standen Kunstpflanzungen von ausländischen Gesträuchen aller Art, frisch erhalten durch Fontänen und bevölkert mit den seltensten ausländischen und einheimischen Vögeln.

Die Kreolin befand sich einige Wochen nach dem Tod des Pflanzers mit der kleinen Buckligen in einem allgemeinen Gesellschaftszimmer jenes Palastes, von wo sie eine reizende Aussicht auf die Landschaft und einen Teil des Sees hatten, als sie sich nach der Zeit erkundigte.

»Es hat eben fünf geschlagen, Hoheit«, antwortete das kleine Wesen, indem es an einer Pendule im anderen Zimmer nachgesehen und so schnell, wie es die Gebrechlichkeit seines Körpers zuließ, zurückgekehrt war.

»Ihre Hoheit vergessen, dass Sie noch bis heute Abend vieles zu besorgen haben«, sagte die kleine Gesellschaftsdame.

»Das ist es eben, weshalb ich nach der Stunde fragte, da ich zuvor noch allerlei zu besorgen, mein Tagebuch in Ordnung zu bringen, auch noch den Schneider, wenn ich nicht irre, zu erwarten habe. Und auch den Steinschleifer, welcher heute die Diamanten bringen wollte.«

»Weißt du was«, entgegnete die Gebieterin nach kurzem Besinnen. »Ich habe heute nicht gut Zeit, mit diesen Leuten zu reden, nimm mir diese kleine Beschwerde ab. Ich kenne deinen guten Geschmack. Was du bestimmst, das gilt. Du kannst mir heute Abend darüber Bericht erstatten.«

»Und der Schneider?«, fragte die Kleine.

»Soll morgen wiederkommen«, entgegnete die Prinzessin.

In diesem Augenblick klopfte ein Läufer sehr deutlich und meldete den prinzlichen Gemahl mit der Frage an, ob die Hoheit ihn empfangen wolle, im entgegengesetzten Fall würde der Prinz spazieren reiten.

»Sage Sr. Hoheit, meinem Gemahl, er möge mich zurzeit entschuldigen, denn ich wolle eben versuchen, ein wenig zu schlafen, da ich Kopfschmerzen hätte«, war die Antwort für den Diener.

Die kleine Cäcilie schüttelte den sehr geputzten Kopf und sagte mit einem tiefen Seufzer: »Hätte ich das Glück, einen so liebenswürdigen Gemahl zu besitzen, ich würde ihn nicht so oft abweisen, wie Sie, Hoheit.«

»Das kennst du nicht, liebe Cäcilie, da du nicht in die Mysterien eines Ehestandes eingedrungen bist. Die Erfahrungen lehren uns, wie Abraham Levi richtig sagt, dass die Ehefrau, wenn sie ihrem ehelichen Zusammenleben ein dauerndes Glück erhalten will, die Besuche ihres Ehemannes, so viel wie es schicklich angeht, vermeidet. Nie aber gibt die kluge Ehefrau zu, dass er sich im Genuss ihres Umgangs übersättigt. Beide Ehegatten müssen den Reiz der Neuheit richtig zu würdigen wissen. Aus diesem Grund sehen sie sich so wenig wie möglich.«

»Das wäre vielleicht die politische Seite«, bemerkte die Kleine, »aber das Herz?«

»Das Herz muss stets dem Verstand untergeordnet sein«, entgegnete die Kreolin. »Auch gibt es gewisse Männer, die durch gimpelhafte Weichheit und nimmermüde Zärtlichkeit für das geschmackvolle Weib ganz reizlos werden.«

Diese Bemerkung wurde durch die Ankunft der Amme, welche Judiths kleines einjähriges Söhnchen auf dem Arm trug, der Bonne und eines Lakai, welche ihr folgten und spazieren gewesen waren, unterbrochen. Das Auge der Kreolin erheiterte sich in mütterlicher Freude.

Sie nahm ihr Söhnchen, nachdem Cäcilie es geküsst hatte, in ihre Arme, eilte in ein anderes Zimmer, um sich ihrem Entzücken ungestört zu überlassen. Nachdem sie sich in einem Fensterbogen niedergelassen und den legitimen Erben eines Königreichs geherzt hatte, flüsterte sie leise nach einer langen Pause seligen Nachdenkens: »Du bist der Stern, der Messias, auf den ein ganzes Volk blickt, welches das größte herkömmliche Recht auf Erden hat, da es das älteste ist. Dieses alte Recht sollst du ihm wieder in die Hände geben und verwirklichen helfen.

Mit deinem Auftreten geht für die Juden eine neue Epoche ihres durch unwürdige Gewalt verkümmerten Daseins an. Jehovah, unser alter Gott, segne und schütze dich«, fügte die junge Mutter mit Salbung hinzu, indem sie den kleinen Sultan von Neuem an ihr Herz presste.

Ein Lakai trat mit einem Brief ein, welchen er auf einem silbernen Tellerchen überreichte.

Das Schreiben war von der schönen Mestizin, Madachais Frau, von den Pflanzungen aus Kuba. Die Prinzessin, nachdem sie der Amme ihr Kind mit kurzer Anweisung übergeben hatte, las wie folgt:

Liebe Judith!

Ach, mein Schmerz überwältigt mich zu sehr, ich vergesse die eigentliche Titulatur, die Ihrem Rang gebührt. Denken Sie sich mein unbegrenztes Unglück. Mein guter, einziger Mann ist von einer giftigen Schlange gebissen worden und hat infolgedessen, trotz aller Bemühungen, ihn zu retten, in meinen Armen seinen Geist ausgehaucht. Er ist nicht mehr – ach! Er schied so ungern von mir.
Da Sie mein Glück kannten, werden Sie auch meine Verzweiflung begreifen.
Ein Indianer hat unter Hintenansetzung seiner eigenen Sicherheit das giftige Tier auf der Stelle getötet, aber leider zu spät, nachdem der tödliche Biss bereits vollbracht war.
Es ist nichts Rührenderes zu denken, als die Teilnahme, mit welcher dieser uns fremde, sonst rohe Mensch sich um meinen sterbenden Mann zu schaffen machte. Und doch war er kaum zu bewegen, eine Belohnung von mir anzunehmen. Hierauf verschwand der unbekannte Mensch unseren Nachforschungen, da ein nachbarlicher Freund meines Mannes ihn persönlich vernehmen wollte, indem er Zweifel in die Ehrlichkeit dieses Menschen setzte. Ich schließe, da ich Ihnen mein Unglück mitgeteilt habe.

Die unglückliche Witwe Madachai

Nachdem die Kreolin diese Zeilen zweimal ruhig durchgelesen hatte, sprang sie freudig auf, ging in ihrem Kabinett einige Male auf und ab, ließ sich an einem Sekretär nieder, nahm Feder und Papier und schrieb folgenden Brief:

Mein lieber Bruder!

Soeben läuft die Nachricht von der Insel Kuba ein, dass der Pflanzer Madachai bereits gestorben ist. Seine Witwe teilt mir diesen ausgezeichneten Vorfall umständlich mit. Ich bewundere deinen Scharfsinn, welcher zu solchen schnellen Resultaten führen konnte. Ich werde die Witwe veranlassen, so schnell wie möglich nach Mexico zu kommen, sodass wir sie sodann zur Hand haben.

Hier wurde die hohe Frau durch das Eintreten der kleinen Gesellschafterin unterbrochen, welche bescheiden an die Tür pochte und mit einem entfalteten Brief in der Hand eintrat.

Die Kreolin bedeckte erschreckt ihr angefangenes Schreiben mit einem Blatt Papier, verbarg es schnell in einem Schubkasten und fragte alsdann: »Hast du auch eine Nachricht erhalten?«

»Leider ja, dieses unermessliche Unglück für das gute, liebe Mädchen! Ach, wie manche Stunde haben wir über ihr bevorstehendes Glück geschwärmt, als sie noch Verlobte von Madachai war.« Und die hellen Tränen perlten über die blassen Wangen, welche die warme Teilnahme und ihr gutes Herz ihr auspressten.

»Das Unglück dieser armen Frau ist unbeschreiblich«, meinte die Prinzessin und wischte ebenfalls mit einem Tuch ihre Augen, als ob sie weinte. »Aber wie ist hier zu helfen, um ihren Kummer zu mildern?«

»Sie schreibt mir im Vertrauen, dass sie alle Anstalten trifft, den Ort zu verlassen, an welchem ihr so großes Unglück widerfahren, und nach Mexico zu eilen, um hier ihre Niederkunft abzuwarten«, sagte die Kleine traurig.

»Niederkunft?«, fragte die Kreolin hastig und erschrak heftig, weil sie sich durch diese Frage beinahe verraten hätte.

»Sie glaubt hier am besten Gelegenheit zu haben, das zu erwartende Kind im Judentum erziehen zu lassen«, fuhr die Gesellschaftsdame fort, »um dem Kind und auch sich, wie ihre Freunde ihr geraten, den Erbanspruch an die Pflanzung zu sichern, da sie als Christin nach einer Klausel des Erblassers, ihres Schwiegervaters, ihren Mann nicht beerben kann.«

»Das ist auch das Gescheiteste«, entgegnete die Kreolin, »wir wollen sie sofort zu diesem Entschluss brieflich aufmuntern«, setzte sie nach einer Pause hinzu, während sie ihre Bestürzung, die durch die Mitteilung der kleinen Dame hervorgerufen worden war, hinter dem Tuch zu verbergen versuchte, mit welchem sie sich, eine Trauer heuchelnd, die Augen bedeckte.

»O, die Ärmste!«, klagte die Gesellschafterin, »wie ist doch das Glück so wandelbar auf dieser Welt.«

»Ein Unrecht ist es daher, sich über ein kleines ertragbares Missgeschick zu beklagen, da das Unglück, wie wir hier sehen, eine entsetzliche Höhe erreichen kann. Indessen«, unterbrach sich die Kreolin, »lasse sofort eine meiner Equipagen vorfahren, eile in derselben zu unserem väterlichen Freund, dem Bankier, und setze ihn von dem Todesfall des Madachai ebenfalls in Kenntnis.«

Die kleine Bucklige beeilte sich, diesem Befehl nachzukommen, und Judith fuhr in ihrem Schreiben also fort:

Soeben erfahre ich von Cäcilie, an die die Witwe ebenfalls ein Schreiben gerichtet hat, dass sie sich zugleich in guter Hoffnung befindet und dass sie dieses Kind in der jüdischen Religion erziehen will. Auf diese Weise kann das Kind nach der testamentarischen Klausel erben. Dir und mir, als den nächsten alleinigen Expektanten auf die Pflanzung, entgeht somit unser ansehnliches Erbe.
Wir müssen nunmehr allen uns zu Gebote stehenden Scharfsinn zusammenfassen, um auch diesen fatalen Umstand im Keim zu ersticken, damit wir sodann freies Spiel haben. Dieses wird und muss uns ebenfalls gelingen, indem wir durch den letzten Vorfall bereits alle Rücksichten bekämpft haben, da wir im Grunde nur im Sinne eines so großen und kühnen Planes handeln, für dessen Gelingen die Asche unserer ehrwürdigen jüdischen Vorfahren zittern wird und den die betenden Lippen der mächtigen Genossen des Bundes Abraham segnen werden.

Deine treue Schwester Judith

Nachschrift: Verbrenne diesen Brief sorgfältig, nachdem du ihn gelesen hast.

Das geheimnisvolle Schreiben wurde versiegelt und erhielt folgende Aufschrift:

An den Herrn Doktor Simon, Wohlgeboren, p. Express. Man bittet um schleunige Befolgung.

Nachdem dieser Brief, wie gesagt, versiegelt war, nahm die Prinzessin Judith aus demselben verschlossenen Schubkasten, in welchem das Brieffragment gelegen hatte, zwei Schlüssel hervor. Mit dem einen öffnete sie einen in den Tapeten verborgenen Schrank, aus dem sie einen alten abgetragenen Mantel, in den sie sich hüllte, und einen sehr defekten Hut hervorholte, welchen sie aufsetze. An demselben war ein großer schwarzer, fast undurchsichtiger Schleier befestigt, hinter welchem sie sich vollständig verbergen konnte.

Nachdem sie vorsichtig den Riegel vor die Tür des Kabinetts, an welcher sie unwillkürlich einige Sekunden horchte, geschoben und den bewussten Brief in die Tasche ihres Gewandes gesteckt hatte, öffnete sie eine geheime Tapetentür und verschwand aus dem Zimmer.

Die Prinzessin Judith stieg darauf vorsichtig eine schmale eiserne, dunkle Treppe hinunter, gelangte so in ihr Gewächshaus, welches mit allen Wundern der Vegetation der Welt überladen war, eilte mit der ihr angeborenen Geschwindigkeit über den Asphaltboden hin, schloss eine Tür auf und war nun im Freien. Hastig durchschritt sie eine lange Allee ihres Parks, die an der Mauer entlang lief, öffnete wiederum eine Pforte, die sie sorgfältig hinter sich verschloss, und befand sich nun in einer menschenleeren Straße.

Nachdem sie den Wächter vor der Pforte mit einem Bitte, wie spät ist es? im Vorbeigehen angeredet und der melancholische Wächter 9½ Uhr, mein schönes Kind geantwortet hatte, setzte sie ihren Weg fort.

Sie war keine zwanzig Schritt von der Gartenpforte entfernt, als sie von einem Herrn keuchend eingeholt wurde, welcher sagte:  »Aber meine Allervortrefflichste, Sie eilen ja so, dass ich Ihnen kaum folgen kann, obwohl wir einen Weg haben.«

Da Judith vor solchen abendlichen Wegelagerern etwas Furcht hatte, zumal die Straße, welche an der Mauer ihres Parks entlang lief, ganz einsam war, blickte sie sich besorgt nach dem Wächter um. Dies war in ihrem Fall unvorsichtig, denn da nun der fremde Herr glaubte, es wäre eine Aufforderung für ihn, obwohl Judith ihre Schritte beschleunigte und ohne sich um den Fremden weiter zu kümmern, ihren Weg verfolgte, so eilte er, trotz seiner Beleibtheit ihr rührig nach, indem seine großen Sporen gewaltig klirrten, und sagte:  »Sie werden sich gewiss ohne meinen Rat und Beistand verirren.«

Judith, die in der einsamen Straße sich in der Gewalt des Unbekannten befand, glaubte eine Antwort geben zu müssen und entgegnete: »Bitte, ich kenne meinen Weg sehr genau.«

»Aber nicht die großen spitzen Steine, an denen Sie sich ihre allerliebsten Füßchen stoßen können«, erwiderte der aufdringliche Unbekannte.

»Allerdings, wenn Sie mich so erschrecken, bin ich imstande, unwillkürlich gegen Dinge zu laufen, die ich unter anderen Umständen schon sehen würde. Aber da weiterhin wartet mein Bräutigam schon.«

Der unbekannte Herr, welcher sich nunmehr an der Seite Judiths befand, fuhr fort, ohne sich im Mindesten abschrecken zu lassen.

»Jedenfalls konditionieren Sie in dem Palais des Prinzen.«

»Woraus schließen Sie das?«, fragte Judith.

»Weil ich Sie aus seinem Park habe kommen sehen, mein Kind.«

»Wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, mein Herr, so ist es so, ich diene dort.«

»Bei wem? Sie erlauben mir diese neugierige Frage.«

»Bei einer alten Dame, welche die Wäsche des Prinzen unter sich hat.«

»Gewiss ein guter Dienst?«

»Ein sehr schlechter.«

»Warum?«, fragte der Fremde.

»Weil sie mich jeden Tag auszankt.«

»Da weiß ich ein vortreffliches Mittel«, fuhr der unbekannte Herr fort. »Die alten hässlichen Weiber lassen den jungen hübschen Mädchen keine Ruhe, weil sie sich über deren Jugend und Schönheit ärgern. Es gibt dagegen aber, wie gesagt, ein probates Mittel.«

»Und welches Mittel?«, fragte Judith, sich neugierig stellend.

»Ich würde keine Stunde länger bei ihr bleiben, sondern auf der Stelle fortlaufen.«

»Wohin aber? Sie wissen, wie hilflos ein armes Dienstmädchen ist.«

»Ich würde zu einem gutmütigen, immer freundlichen Herrn ziehen, der Ihnen einen besseren Lohn gäbe, als die alte zankende Dame, der Sie fortgehen ließe, so oft Sie wollten, der Ihnen erlaubte, Ihren Bräutigam, wenn Sie einen haben, bei sich ins Haus kommen zu lassen, der Ihnen allerlei schenkte, der Sie nie auszankte, dem Sie nur zweimal am Tag einen Kaffee auf der Maschine zu kochen und bei dem Sie bequeme, angenehme Tage hätten, weil er sich sein Essen aus der Restauration kommen lässt.«

»Das wäre ein vortrefflicher Dienst, aber wo würde ich einen solchen Herrn finden.«

»Sie sehen ihn hier neben sich, meine Allervortrefflichste!«

Judith sah sich ihren Begleiter, der ihr einen so schönen Dienst antrug, genauer an.

Es war ein beleibter, runder Herr von mittlerer Größe und stämmigen Schultern. Er hatte, wie die Prinzessin im Mondschein wahrnahm, schwarzes, militärisch geschorenes Haar, ein ziemlich gerötetes, sogenanntes Kupfergesicht, befremdliche aufstarrende, borstenartige Augenbrauen, die das Ansehen hatten wie die Flügel eines Vogels, der eben im Auffliegen begriffen ist; dann zierte eine glühende Nase, auf die hie und da einige Blüten gepflanzt waren, sein freundliches Gesicht, in dem ein pechschwarzer, wohlgepflegter Schnurrbart prangte, welcher in ein Paar Spitzen zu jeder Seite aufgedreht war und an dem er fast immer mit den Fingern ordnete. Er trug eine Mütze, offenbar für die Dunkelheit berechnet, die er sich etwas in die Augen gezogen hatte, ein weißes Halstuch mit gestickten Spitzen, die lang ausgezogen umherflatterten, eine ganz unmoderne kurze Weste, aus welcher er herausgewachsen zu sein schien, einen blauen Tuchrock mit kleinem liegenden Kragen und außerordentlich kurzer Taille, ein Paar blaue Tuchbeinkleider, die um die Hüften wie ein weiter Sack hingen, nach unten zu sich aber allgemach verjüngten, sodass sie zierliche Stiefel endlich umfassten, an denen an jedem Absatz ein angeschraubter Sporn haftete, der die Form hatte, wie der Hals eines krähenden jungen Hahns, und die mit jedem Tritt so mächtig klirrten, als ob ein ganzes Glockenspiel geläutet werde. Ein dicker Bambusstock in der Hand stützte diesen bedeutenden Herrn, der sich stark in die Brust warf und dem ein rotseidenes Taschentuch lang aus der Tasche seines Rockes hing.

»Also Sie wären imstande, mir einen so angenehmen Dienst zu geben«, sagte Judith mit naiver Ironie.

»Ich, mein bestes Kind«, bejahte der runde Herr mit der kurzen Weste, indem er an seiner dicken goldenen Uhrkette rasselte und dabei ein paar große Ringe am Mittelfinger zeigte, die im Mondschein glänzten. »Und für den Fall, dass Sie sich fürchten sollten, so sollen Sie in einem Kabinettchen schlafen, das so gelegen ist, dass kein anderer Eingang dorthin als durch mein Zimmer führt, wo ich einen ganzen Wald von Waffen aller Art aufgestellt habe, um jedes nächtliche Ungetüm damit zu erschrecken und vertreiben.«

»Das wäre in der Tat eine Beruhigung«, erwiderte die Prinzessin hierauf zutraulich. »Es ist noch lange hin bis zum Ersten kommenden Monats; denn sowie meine Herrin merkt, dass ich fort will, wird sie mir so viel einbrocken, dass ich es nicht werde ertragen können.«

»Das gibt Ihnen Veranlassung, mein gutes Kindchen, sofort wegzubleiben.«

»Gleich – jetzt?«

»Gleich, mein gutes Kindchen, Sie können sofort Ihren Dienst antreten. Hier werde ich Ihnen ein abschlägliches Mietsgeld geben.« Er rasselte in der Tasche zwischen groben Realenstücken. Dann machte er eine Bewegung mit der Hand übers Gesicht, als ob ein anderer Gedanke in ihm aufblitzte, und fuhr dann fort:  »Aber meiner Seele, schlagen Sie doch den maliziösen Schleier auf, damit ich Ihr allerliebstes Gesichtchen sehe.« Hierbei versuchte er Judiths Hand zu nehmen, die sie unter dem leichten Mantel hatte.

Die Prinzessin jedoch machte ihrerseits eine abwehrende Bewegung, indem sie zwei Schritt an die Seite trat. Der galante Begleiter folgte ihr, indem er fortfuhr: »Doch den Schleier! Das Vergnügen werden Sie mir nicht versagen.«

»Welches Vergnügen, mein Herr?«

»Dass ich Ihr nettes Gesichtchen sehe.«

»Das ist unmöglich!«

»Weshalb? «

»Weil ich meinen Teint nicht verderben will.«

»Aber wie, meine allerliebste Närrin, im Mondschein?«

»Der Mond macht, wie meine Madame sagt, nicht allein gelb, sondern auch aschgrau! Die Madame aber hat in solchen Dingen immer recht. Auch weiß sie ein gutes Mittel gegen die Runzeln«

»Das Mittel möchte ich kennen, dann wüsste ich, wie man reich würde«, sagte der Herr in der kurzen Weste.

»Man muss ebenfalls den Schleier vornehmen.«

»Ha!« Der fette Herr lachte, dem dieses wie ein Witz vorkam. »So könnte man auf diese Weise alles hinter einem Schleier verbergen?«

»Alles nicht, aber vieles. Eine rote Nase würde zum Beispiel durchscheinen, weil der Schleier durchsichtig ist.«

Bei solchen anzüglichen Reden machte der verliebte Herr eine betroffene Bewegung, drehte seinen Schnurrbart mit beiden Händen zugleich und sagte dann: »Wollen Sie mir einen Gefallen tun, mein Gänschen?«

»Recht gern.«

»So legen Sie Ihren Arm in den meinen.«

»Und weshalb denn?«, fragte die Prinzessin, indem sie ihren Arm in den seinen legte.

»Um zu fühlen, wie mir das Herz für Sie schlägt. Fühlen Sie es nicht?«, fuhr er dann entzückt fort und ergriff den zarten, weichen und nackten Arm der Prinzessin, den sie ihm durch eine Öffnung ihres Mantels hingestreckt hatte.

Der Herr in der kurzen Weste war offenbar ein Kenner in solchen Dingen, von durchaus gutem Geschmack und, wie man sagt, von durchaus praktischem Blick. Seine eigentlichen Manieren außerhalb seiner verliebten Sphären waren polternd, alles umrennend, aufbrausend und so laut, dass man ihn in der Regel schon in der anderen Straße hören konnte. In anderen angedeuteten Fällen und besonders in dem vorliegenden Fall, in dem er den Arm der Prinzessin in seiner Hand gefangen hielt, zwang er seinen sonst stolzen Hahnentritt zu einer Art schleichenden Bewegung, um die Szene nicht durch Außendinge zu stören. Seine Hand zitterte, der Atem wurde heiß und kurz.

»Welche Fülle und Elastizität«, rief er entzückt aus, indem er den Arm betastete, »welche reizende Rundung, welche seidenweiche Haut!«

Bei diesen Worten versuchte er den ergriffenen Arm an seine heißen Lippen zu bringen.

Judith erschrak. Sie konnte den kurzen Atem in Form eines ausströmenden Dampfes im Mondschein deutlich sehen. Sie erkannte das Törichte ihres Verfahrens und entzog dem verliebten Herrn durch einen raschen, kräftigen Ruck ihre Hand wieder. Zu ihrer Beruhigung bogen sie nun in die Hauptstraße ein, wo es sehr lebhaft wurde.

Der Herr in der kurzen Weste schwieg einige Augenblick. Nach einer Pause, in der er keuchend neben der Prinzessin herlief, begann er: »Sie sind recht grausam, mein Herzchen!«

»Ich verstehe Sie nicht – wie? Ich grausam?«

»Ja, Sie!«

»Ach, Sie irren sich. Ich kann nicht einem Huhn den Kopf abschneiden, ohne mich jedes Mal satt zu weinen.«

Sie bogen in eine andere Straße ein und der Herr fragte: »Hier haben Sie wahrscheinlich zu tun?«

»Ja, ich hole für meine Madame Kaviar.«

»Gewiss bei meinem Freund, dem Delikatessenhändler mit dem Tanzboden.« Nun brach der stattliche Herr, indem er auf einen Augenblick seine verliebten Gedanken fahren ließ, in ein lautes Lachen aus, dass die Vorübergehenden stehen blieben und ihn verwundert ansahen.