Weißer als Schnee
C. S. Montanye
Weißer als Schnee
In der Unterwelt der großen Metropole war es üblich, dass Slim Hanley seit Langem einen Groll gegen einen Neuling hegte, der bekanntlich Mike, die Maus genannt wurde. Wie es dazu gekommen war oder warum Hanley die Maus hasste, schien niemand gründlich zu verstehen, aber es war Klatsch in den Cafés, Spielhöllen und Spelunken. Slim beabsichtigte, die Maus zu kriegen und ihn zu erwischen.
Wären die Umstände der Feindschaft bekannt gewesen, hätten jeder der Anwesenden verstanden, dass Slim Hanley Grund für den Zorn hatte, den er gegen den Kerl hegte. Einige Jahre zuvor, so unglaublich es auch schien, waren beide Männer Partner gewesen, reisten durch den ländlichen Raum und brachen in kleinstädtische Postämter und Banken ein, mit recht großem Erfolg. Es gab da die kleine Episode des Bahnhofs in der Stadt Millsburg. Hier war Slim Hanley den Machenschaften einer Sada Kern zum Opfer gefallen, der Tochter eines alten Fälschers, die sich inzwischen gewandelt hatte und eine kleine Farm bewirtschaftete. Sada, die von kriminellen Eltern geboren wurde, sehnte sich nach der Stadt. Slim versprach, dass ihre Sehnsüchte nicht vergeblich sein sollten. Er schlug vor, sie zu heiraten und sie zu Frau und Partnerin zu machen, aber zuerst ging es um den Safe im Bahnhof von Millsburg.
In der Nacht, in welcher der Überfall stattfinden sollte, stellte der schlanke Kerl, der zum Treffpunkt eilte, fest, dass jemand den Ort vor seiner Ankunft besucht hatte. Aus der Ferne beobachtete Hanley das Pendeln der Laternen und sah, dass der Ort von Gesetzeshütern wimmelte. Da er in dieser bestimmten Stadt kein Verbrechen begangen hatte, näherte er sich und stellte Nachforschungen an. Jemand gab ihm mehrere Informationen und erzählte ihm, dass der Safe des Bahnhofs von einem »Räuber, der mit der Tochter des alten Mannes Kern durchgebrannt war«, gesprengt worden sei. Als Slim, der vor vielfältigen Gefühlen brodelte, zur Farm des Ex-Fälschers eilte, stellte er fest, dass das, was er vermutete, wahr war. Es war Mike, die Maus, der sowohl den Safe gesprengt hatte als auch mit dem Millburg-Mädchen durchgebrannt war.
All dies geschah vor zwei Jahren, aber Slim Hanley wollte es nicht vergessen.
Mike, die Maus hatte nach seiner Ehe mit Sada Kern das Safe knacken zugunsten des leichteren und sichereren Berufs des Taschendiebstahls aufgegeben. Sada, die ein kriminelles Leben willkommen hieß, wurde zur Ladendiebin und genoss als Nebenerwerb ein lukratives Einkommen aus dem Verkauf kleiner Mengen von Rauschgift. Beide hatten ein Auge auf Hanley geworfen, als er in die Stadt zurückkehrte, um für eine Spielhalle in den späten 40er Jahren den Laden zu schmeißen; aber der große, gepflegte junge Mann hatte nichts weiter getan, als in Gegenwart der Maus zu erwähnen, dass er ihn irgendwann in der Zukunft kriegen wollte. Als die Maus leicht beunruhigt zu seiner Sada eilte und sie über das, was er erfahren hatte, informierte, beruhigte ihn seine bessere Hälfte und ließ ihn seine Ängste durch zunehmenden Sarkasmus zerstreuen.
»Du bist also auf das Zeug reingefallen, Mike?«, höhnte sie. »Weißt du nicht, dass er dir einen Schrecken eingejagt hat? Dieser billige Gag konnte sich nicht mit einem Spagetti fressenden Erdnussverkäufer messen! Reiß dich zusammen, Mike. Wenn er versucht, irgendetwas für zwei Cent anzufangen, lasse ich Larry, den Barbier, ein Messer in ihn stoßen.«
Ihr Mann erschauderte trotz allem. Er wusste, dass Sada nicht zögern würde, das zu tun, was sie sagte, und das beunruhigte ihn. Sein Spitzname passte gut zu ihm. Er hatte das Herz einer Maus. Insgeheim fürchtete er seine frühere Partnerin, bemühte sich aber, dass Sada nichts davon wissen sollte.
»Er ist ein schlechter Kerl«, murmelte die Maus, »aber er kann mich nicht einschüchtern. Ich erinnere mich, wie er einen der Polizisten in Hillmount erschossen hat …«
Seine Frau machte eine müde Geste. »Ländlicher Kram«, sagte sie abschätzig. »Kleinstadtquatsch! Slim mag in den meisten Dingen ein Trottel sein, aber wenn es darum geht, auf sich selbst aufzupassen, ist er mit dem Verstand dabei. Er weiß, dass er eine nette kleine Fahrt flussaufwärts machen wird, wenn er so etwas hier anfängt. Nichts für Hanley. Das Schlimmste, was er tun könnte, wäre, zu versuchen, dich reinzulegen, und damit kommt er nicht durch, solange ich im Geschäft bin!«
Leicht beschwichtigt und beruhigt streckte die Maus seine schmale Brust hervor. Wenn er zum Thema des Zornes auf Hanley befragt wurde, lachte er verächtlich und gab eine höhnische Antwort: »Ich weiß nicht, was der Kerl gegen mich hat, aber lass ihn etwas anstellen. Ich schätze, er wird mehr dafür bekommen, als er sich vorstellt.«
Als Slim, der von der Gelassenheit der Maus und seiner unveränderlichen Antwort hörte, merkte, dass sein ehemaliger Partner seine Drohung mit Interesse erwiderte, lachte er lange und laut.
»Wirst Mike auf die Schliche kommen«, sagte er zu Red Saunders, einem Freund und Vertrauten. »Er meint, er hätte die Nerven dazu! Der abgesägte Taschendieb! Ich wette, er schlottert bis hinunter zu seinen Schuhen!«
Red Saunders lachte. »Was hat er dir getan, Slim, und wann machst du ihn fertig?«
Die Lider fielen über die verschlagenen Augen des Gauners. Sein Mund zog sich zu einem dünnen, roten Streifen zusammen.
»Was er mir angetan hat«, antwortete er langsam, »ist eine persönliche Angelegenheit, und wenn ich mich mit ihm beschäftige, geht das niemanden etwas an, außer mich selbst – und dich. Du wirst eine Starrolle spielen, Kleiner.«
Die Zeit verging, und als Mike, die Maus unbehelligt seinen Angelegenheiten nachging, atmete er wieder leichter. Was Sada ihm über Slims Worte gesagt hatte, die ihm Angst einjagten, glaubte er; und nach einigen Monaten vergaß er die Bedrohung durch den anderen völlig.
Inzwischen kam der wirtschaftliche Wohlstand zu ihm und seiner Frau. Sada hatte das Ladendiebstahlspiel aufgegeben, um sich ganz dem Verkauf von Drogen zu widmen. Dabei machte sie ein florierendes Geschäft, indem sie Gewinne einnahm, die sie lange verblüfften, bis sie sich daran gewöhnt hatte. Die Maus, die das Lager in Ruhe und die Finger nicht in fremde Taschen wandern ließ, wurde ihr Agent und übergab den Schnee von Sada an den Käufer.
Fast sechs Monate nach Slim Hanleys Hysterie traf Mike, die Maus auf Austin Bender. Bender, so schien es, war ein Säufer aus Philadelphia, der sich in letzter Zeit Drogen zu sich genommen hatte und der in die Stadt gekommen war, wo der Vorrat reichlicher und leichter zu beschaffen war als in seiner verschlafenen Geburtsstadt. Mike, die Maus holte seinen Bekannten in einem Rialto-Café ab und erfuhr durch eine diskrete Befragung sofort, dass der Mann ein Sleigh Rider war. Als er dies herausfand, verkaufte er ihm den ganzen Schnee, den er bei sich hatte, zu einem erschwinglichen Preis und überbrachte die Nachricht an Sada, die misstrauisch zuhörte.
»Hm«, lautete ihr Kommentar, als die Maus seine Geschichte zu Ende erzählte. »Woher weißt du, dass er kein Lockvogel ist? Du bist zu freundlich zu Leuten, die du aufgabelst.«
Daraufhin wirkte die Maus betrübt und beeilte sich, ihr zu versichern, dass seine Beute eine Schnapsdrossel war, von der sie unbegrenzt Geld aus dem Verkauf des von ihnen behandelten verbotenen Stoffs aufbringen konnten. Als ein paar Wochen vergingen und Bender beide damit beschäftigte, seine Aufträge zu erfüllen, ohne dass etwas Unerwartetes passierte, ließ Sada ihre Aufmerksamkeit beiseite und vertraute der Maus an, dass sie mit ihren früheren Meinungen völlig falsch lag.
»Hör her, mein Freund«, sagte Austin Bender zur Maus, an einem späten Nachmittag, ein oder zwei Monate nachdem sie sich begegnet waren. »Ich fahre bis heute Abend nach Phillie, und ich habe ein paar Freunde in der Stadt, die sich das Zeug besorgen wollen, bevor sie die Rasselbande erwischen. Du weißt, dass in der Quaker City nichts in dieser Art und Weise zu holen ist, und wir wollen uns vor der Abreise damit eindecken. Wie viel hast du zur Hand und woher können wir den Stoff bekommen?«
Die Maus beteuerte Unwissenheit, bis er Sada damit konfrontieren konnte. Nachdem er Bender versprochen hatte, ihn in seiner Wohnung anzurufen, eilte er davon. Als die ehemalige Tochter von Millsburg die Nachricht von einem umfangreichen Kauf erfuhr, hörte sie schweigend zu und nickte dann.
»Sicher, ruf ihn an und richte ihm aus, dass er mit seinen Freunden hierher kommen soll«, sagte sie. »Ich denke, wir können sie verarzten.«
Die Maus leckte sich die Lippen. »Du … du glaubst doch nicht, dass dieser Vogel ein drogenabhängiger Bulle ist, oder?«, fragte er besorgt. »Woher wissen wir, wer seine Freunde sind? Ich glaube, er ist ehrlich, aber man weiß es nie.«
Sada amüsierte sich, denn als sie etwas misstrauisch wurde, hatte sich ihr Mann tapfer für die Verteidigung des Kunden aus Philadelphia eingesetzt. Nun, als sie völlig ruhig war, zweifelte er an ihr.
»Bitte sie, herzukommen«, sagte sie, »und den Rest überlasse mir«.
Als die Maus, die noch etwas unsicher war, hinausging, um zu telefonieren, ging Sada in den kleinen Salon.
Es war fast zehn Uhr an diesem Abend, als es an der Wohnungstür dreimal klingelte, die Maus tief durchatmete und Bender und zwei gut gekleidete Männer eintraten und sich in den Salon setzten, während der ehemalige Taschendieb seine Frau verständigte.
Sie erschien sofort, wurde dem Trio vorgestellt und bat ihren Mann, eine Flasche Wein zu holen.
»Wir sind ein wenig in Eile«, sagte Bender. »Unser Zug fährt in einer Stunde und wir wollen ihn nicht verpassen. Können Sie uns das Zeug jetzt geben?«
Sada schaute ihn kühl an. »Ja. Wie viel wollen Sie haben?«
»Für mich selbst«, murmelte einer von Benders Freunden, ein kleiner stämmiger Mann mit scharfen Augen, »würde ich gerne Ware für ein paar hundert Dollar mitnehmen«. Er zwinkerte seiner Begleitung zu. »Genug, bis wir wieder reinschneien, was, Joey?«
Der andere nickte mit dem Kopf. » Genau! Und das Gleiche für mich.«
Bender blickte auf seine Uhr. »Und meine übliche Menge hat sich verdreifacht.«
Die Frau von Mike, die Maus ließ ihren kühlen, unpersönlichen Blick auf ihnen verweilen. »Ich werde es holen«, sagte sie leise.
Als sie den Raum verließ, wurde der Mann, der als Joey angesprochen worden war, von Bender angeschaut und nickte leicht. Das dritte Mitglied des Trios erhob sich von seinem Stuhl, um ein gerahmtes Foto in der Nähe der Tür zu untersuchen.
Ein oder zwei Minuten vergingen, dann kehrte Sada mit drei kleinen Paketen zurück, die sie auf den Tisch in der Mitte des Raumes legte.
»Hier ist das Zeug«, sagte sie. »Überprüfen Sie bitte den Inhalt.«
Der Mann auf der anderen Seite des Tisches nahm eines der Päckchen, öffnete es und brachte eine kleine Dose zum Vorschein, die bis zum Überlaufen mit einem weißen Pulver gefüllt war. Als er den Blick von dem Paket abwandte, warf er mit einer Hand das Revers seines Mantels zurück und zeigte auf eine Marke und gleichzeitig auf einen Revolver, der wie aus dem Nichts zu kommen schien.
»In Ordnung, Jungs!«, rief er. » Schnappt sie euch beide mit der Ware!«
Mike, die Maus eilte vor Schreck wie erstarrt zur Tür, blieb aber abrupt stehen, als er in den Lauf einer Pistole blickte, die von dem Mann auf ihn gerichtet wurde, der vor Kurzem das Bild an der Wand untersucht hatte.
»Großer Schotte!«, rief die Maus. »Das ist eine Falle!«
Sein Gegenüber lachte. »Sieht so aus, nicht wahr«, sagte er leicht. »Wir sind dir schon lange, recht lange auf der Spur, aber wir wollten die Frau weiter oben haben, und ich schätze, wir haben sie!«
In der Mitte des Raumes ruhte Sada mit gekrümmten Ellbogen auf der Tischplatte und starrte nachdenklich auf das Trio und ihren zitternden Ehemann.
»Was soll die ganze Aufregung?«, sagte sie träge.
Der Mann namens Joey schaute sie mit einem verwundernden Blick an.
»Ziemlich cool, Mädel, aber wir haben dich mit der Ware erwischt.«
Anstatt zu antworten, schaute sie in das Gesicht des Mannes, der sich Austin Bender nannte.
»Also hatte ich von Anfang an recht«, sagte sie langsam! »Du bist der Lockvogel!«
Er nickte, mit einem Hohn auf den Lippen. »Ja, ich wollte euch beide erwischen, und ich schätze, das habe ich auch.«
Es klimperten Handschellen und die Maus kreischte, als sie über seine Handgelenke glitten. Beim Klang der Stimme ihres Mannes richtete sich Sada auf.
»Seien Sie nicht so voreilig«, sagte sie wohlgesinnt, »es gibt im Moment keinen Zug zu erreichen. Versuchen Sie nicht, das Spiel zu überstürzen, indem Sie Handschellen anlegen, bevor Sie die Lage richtig einschätzen können!
Der Mann namens Joey machte einen Schritt nach vorn. »Was meinen Sie damit?«, fragte er mit Nachdruck.
Sie lachte und in ihrem Lachen lag ein sanfter Triumph. » Hören Sie zu und Sie werden es herausfinden. Zunächst einmal wusste ich, dass Mr. Bender hier, alias Mr. Red Saunders, diesen kleinen Job machte, um seinem Bekannten, einem ehemaligen Freund von mir und Mike, bekannt als Slim Hanley, einen Gefallen zu tun. Ich erkannte ihn in der Minute, als ich ihn sah. Und was Sie beide Herren angeht, wenn Sie lernen wollen, sich wie Anfänger zu benehmen, müssen Sie zunächst alle zwei oder drei Minuten das Gefühl für Ihre Kanonen aufgeben.«
Sie hielt inne, um wieder lachen zu können, als Austin Bender, alias Red Saunders, sich ein oder zwei Schritte entfernte.
Der Detektiv, der ihr gegenüberstand, hakte nach. »Verflixt! Was ist mit dem Zeug hier?«
Sada gähnte. »Wenn Sie ehrlich gewesen wären«, sagte sie offen, »hätten Sie es bekommen. Da es ein abgekartetes Spiel ist, ist alles aus! Sie können hier alles durchsuchen, und Sie werden kein Gramm Rauschgift finden, nicht ein einziges Korn!«
Der ihr gegenüberstehende Detektiv schnappte sich das Paket auf dem Tisch und untersuchte es in Ruhe. Mit einem Fluch ließ er es fallen.
»Backpulver!«, rief er.
Die Frau lachte in aller Ruhe. »Ja, Backpulver ist es!«