Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 19

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Ilse

Mächtiger denn je ragte in alten Zeiten der Gipfel des Ilsesteins empor, damals, als er mit dem gegenüberliegenden Westernberg noch ein Ganzes bildet bildete. Auf seiner Höhe aber thronte König Ilsungs Schloss. Eine liebliche Tochter, Ilse genannt, war die Freude und der Stolz des greisen Fürsten. Manch edler Ritter zog auf die Burg, um der schönen Ilse zu huldigen.

Mit Neid sah das eine Frau, deren Haus nicht fern vom königlichen Schloss lag, dort, wo einst die Felsenburg ins Tal hinabschaute. Auch sie besaß eine Tochter, so alt wie Ilse, aber weder so schön noch so gut. Kein Mensch hatte die rothaarige Trude mit den bösen Augen und den gehässigen Reden gern. Obwohl ihre Mutter reich an Schätzen war, ja reicher vielleicht als der König, so mochte doch keiner der Jünglinge die Trude zur Frau haben.

Auch die Alte wurde von den Bewohnern der Umgegend gemieden, denn man sagte von ihr, dass sie eine böse Zauberin sei, und der Reichtum, den ihr Mann bei seinem Tod hinterlassen hatte, wäre nicht auf rechtmäßige Weise erworben worden. Der Verstorbene sollte mit finsteren Berggeistern im engsten Verkehr gestanden, außerdem aber die Schwarze Kunst gekannt und die Macht gehabt haben, vermittelst einer Wünschelrute kostbare Erze zu erlangen.

Die Witwe dieses Schwarzkünstlers war stolz auf ihre Reichtümer und glaubte, dass Trude, der sie so köstliche Schätze hinterlassen würde, durch dieselben wohl einen vornehmen Ritter zum Gemahl erhalten und zu hohen Ehren gelangen könne. Darum verdross es die Alte, dass die vornehmen Ritter immer an ihrer Tür vorüber und hinauf zum holden Königskind ritten. Einst nun wollte ein Wanderer, dem die Ilsenburg verheißend auf seinem Weg entgegenlachte, hinauf, um Obdach in den gastlichen Mauern des Schlosses zu suchen. Indessen war er vom weiten Weg so erschöpft, dass er vor Erreichung seines Zieles eine kurze Rast zu machen beschloss und bei der Witwe vorsprach, um etwas Speise und Trank zu erbitten. Freudig erfüllte die Alte dem Wunsch des Reisenden; denn der sah gar vornehm und prächtig aus. Als nun Trude kam und den Fremdling erblickte, war sie so entzückt von der Schönheit und dem freundlichen Wesen des Junkers, dass ihr Herz für ihn in Liebe entbrannte.

Dringend bat sie die Mutter, all ihre Künste anzuwenden, um den Fremdling zu fesseln, damit er ihr Gemahl werde. Gern gab die Mutter dem Bitten des Kindes nach; denn auch sie fand Wohlgefallen an dem schönen heiteren Jüngling und wünschte von Herzen, Trude als die Gattin des vornehmen Ritters zu sehen. Zwar schwieg derselbe über seine Herkunft. Er konnte kein Stammschloss sein Eigen nennen, hatte auch weder Hab noch Gut. Aber das schadete nicht; denn Trude war reich genug. Mit der Zeit würden sich schon die edle Abstammung des Jünglings erkunden. Denn das derselbe aus edlem Geschlecht sei, daran zweifelten Mutter und Tochter keinen Augenblick.

Junker Rolf blieb wirklich im Haus der Witwe, und, was keiner vor ihm getan hatte, er huldigte der unliebenswürdigen Trude und schien sich heiter und zufrieden in ihrer Gesellschaft zu fühlen.

Einst aber schlenderte er allein und ohne Zweck durch den Wald, kam in die Nähe des Schlosses und erblickte die Prinzessin Ilse, welche mit ihrem Liebreiz sofort das Herz des Junkers umstrickte. Als er spät in Trudes Wohnung zurückkehrte, kam ihm diese auf einmal so unleidlich und widerwärtig vor, dass er nicht begreifen konnte, wie sie ihm so lange gefallen hatte. Trude merkte alsbald die Veränderung, welche mit dem Junker vorgegangen war. Da sie glaubte, dass er ihr, dank dem angewandten Zauber der Mutter, nicht mehr entrinnen könne, schalt sie ihn heftig über sein Betragen aus, zankte und trotzte tagelang. Aber durch dieses Benehmen wurde sie dem Junker Rolf nur noch unleidlicher. Er fühlte sich unzufrieden, seine stete Heiterkeit schwankt und trübe schaute er hinüber zur Burg König Ilsungs.

Obwohl Trude kaum von seiner Seite wich, wusste er ihr doch häufig zu entwischen und eilte dann sich einen Ort zu suchen, wo er das liebliche Königskind erblicken konnte. Je häufiger er dasselbe sah, umso tiefer wurzelte die Liebe in seinem Herzen. Sie wurde bald so mächtig, dass der Zauber der Witwe davor schwinden musste.

Rolf entriss sich den Banden, in denen die bösen Frauen ihn hielten, eilte hinüber zur Burg und bat den König, ihm Gastfreundschaft zu gewähren. Freundlich bewillkommnete der alte Ilsung und seine Tochter den fremden Junker. Beide baten ihn, so lange in den Mauern ihrer Burg zu verweilen, wie es ihm selbst gefalle. Die verlassene Trude schrie und jammerte tagaus, tagein und schalt ihre Mutter, dass sie allein schuld an Rolfs Untreue sei, da sie nicht den richtigen Zauber angewandt habe.

Die Witwe versuchte ihr ungebärdiges Kind zu beruhigen; aber nichts half. Als nun gar die Kunde zu den Ohren Trudes drang, dass König Ilsung seine Tochter mit dem Junker Rolf verlobt habe, da kannte ihre Wut keine Grenzen.

Die Mutter litt entsetzlich unter dem Gebaren ihrer Tochter, dem sie nicht Einhalt zu tun vermochte. Da kam ihr endlich der Gedanke, Rolf aufzusuchen und zur Rückkehr zu bewegen. Sie verbarg sich im Wald und harrte dort des Junkers. Endlich nahte er. Doch als die Alte ihm ihren Wunsch vortrug, lachte er und gab ihr abschlägigen Bescheid. Da wurde sie heftig und nannte ihn einen treulosen Burschen. Das verletzte den Junker. Stolz entgegnete er der Witwe, dass er zwar arm und seinem Vater entlaufen sei, dass er aber darum doch ein Königssohn sein Leben lang bleibe und unmöglich eine Magd wie Trude heiraten könne. Art lasse nicht von Art, und ihn zöge es zur Königstochter hin.

Die Alte schwieg. Drohend erhob sie die Hand gen Himmel. Furchtbare Verwünschungen murmelnd eilte sie fort.

Trude, die von der Mutter auf diesen Tag vertröstet worden war, kam ihr hastig entgegen und fragte, was sie ausgerichtet habe. Schweigend fasste jenen die Hand der Tochter und blickte mit unheimlich racheglühenden Augen ihr ins Antlitz.

»Haare der Mainacht, armes Kind«, sprach die Alte dann im dumpfen Ton. »Denn so wahr dein Vater am Kinn einen Bart getragen hatte, so wahr wirst du alsdann den Bräutigam dein Eigen nennen, den du begehrst und der dich schmählich betrogen hat.«

Hierauf verließ sie Trude und bestieg das Gewölbe, in welchem ihr Mann einst die Schwarze Kunst betrieben hatte. Welch schauriger Aufenthalt! Rings umher lagen Gebeine und Totenköpfe grinsten mit ihren hohlen Augen unheimlich aus den Ecken. Die Zauberin kannte keine Furcht. Ruhig holte sie die vergilbten Pergamentrollen und die mit Schlangenhaut umwickelte Rute aus den verstaubten Winkeln und begann ein geheimnisvolles Treiben. Oft sahen nun Köhler um Mitternacht die Zauberin den Wald durchwandern, Molche und Schlangen fangen und nach Wurzeln und Kräutern zu suchen.

»Harre der Mainacht!«, hatte die Alte zu ihrer Tochter gesagt. Nun endlich nahte die vom Trude so heiß ersehnte Zeit. Aber nirgends ein Zeichen, dass der Frühling schon ins Land gezogen war. Gewaltige Schneemassen bedeckten noch Tal und Höhen. In der Mainacht herrschte wie alljährlich reges Leben. Da ritten die Hexen auf Böcken oder Besenstiel durch die Luft zum Brocken, feierten ihr Fest und tanzten zum Schluss den Schnee vom Gipfel. Sonst war auch Trudes Mutter unter dieser unheimlichen Gesellschaft. Aber dieses Mal nahm sie am Fest nicht teil. Wichtige Geschäfte hielten sie zurück.

Als die Nacht des ersten Maitages hereingebrochen war, begab sich die Alte auf eine Höhe, von der aus der Ilsenstein zu übersehen war. Dort zündete sie ein helles Feuer an und hob einen großen Kessel darüber. Kurz darauf brodelte und prasselte es gewaltig darin. Die Zauberin ging geschäftig auf und ab, bald giftiges Ungeziefer, bald böse Kräuter in die kochende Masse werfend. Dann wieder murmelte sie dunkle Sprüche und Verwünschungen.

Die Nacht war rabenschwarz. Die Wolken hingen so schwer vom Himmel hernieder, als wollten sie die Erde erdrücken. In die Finsternis hinein malte die Hexe mit ihrem Zauberstab geheimnisvolle Zeichen, beschwor die Geister des Wassers der Luft und der Berge. Immer düsterer umzog sich der Himmel, immer schwüler wurde die Luft. Da plötzlich, wie eine feurige Schlange zuckte ein Blitz durch die Finsternis und gleich darauf folgte ein furchtbarer Donnerschlag, der die Berge erbeben ließ. Nun fuhr Blitz auf Blitz hernieder, der Himmel war anzuschauen wie ein Feuermeer und das Getöse des Donners fand kein Ende. Dazu strömten aus den Wolken unaufhaltsame Regengüsse hernieder, auf den Bergen und in den Tälern schmolz der Schnee. Große Wassermassen wälzten sich von den Höhen durch die Täler, immer reißender, immer verheerender werdend. Bäume und Klippen wurden von der Wucht der stürzenden Wasser fortgerissen und mit donnernden Getöse gegen die Felswände geschleudert, sodass diese in ihren Grundfesten erzitterten.

Erschreckt vom Unwetter waren die Bewohner des Ilsensteins erwacht und hinausgestürzt. Finsternis verhüllten ihren Augen noch die furchtbare Lage, in der sie sich befanden, aber das Donnern der stürzenden Klippen und das Rauschen des entfesselten Wassers sagte ihnen, was sie zu fürchten hätten. Allein schlimmer noch, als es irgendeiner der Schlossbewohner geahnt hatte, stand es um den Ilsenstein. Mit Schaudern sahen sie erst bei Tagesanbruch, wie sich Klippe um Klippe vom Anprall der vom Brocken stürzenden Fluten löste und ihrer Burg der nahe Untergang drohe. Der König, Rolf und Ilse flüchteten sich höher den Berg hinauf. Von dort aus sahen sie bald ihren geliebten Ilsenstein mit furchtbarem Getöse in die Fluten hinabstürzen.

Und immer noch wütender raste das Wetter, immer näher traten den Flüchtlingen die alles überschwimmenden Wassermassen. Da – ein erneuter Anprall der entfesselten Elemente, und der Felsen mit dem König und der Prinzessin Ilse sank in die Tiefe.

Auf einer Höhe, die vom Untergang verschont geblieben war, hatten mehrere Köhler gestanden und mit Entsetzen dem grausigen Schauspiel zugesehen. Sie sahen die Schlossbewohner in den Fluten versinken, bemerken aber auch, als Ilse langsam hinabsank, eine mächtige Gestalt, welche die Prinzessin aufhob und forttrug. Vermutlich war es ein Berggeist, der die holde junge Frau rettete und in sein Bergschloss führte.

Die Zauberin und Trude hatten triumphierend und schadenfroh auf die Not der Bergbewohner geblickt. Sie standen vor ihrem Häuschen, dass keine Gefahr bedrohte, und wandten kein Auge von den zusammenstürzenden Ilsenstein. Nun versank die gehasste Ilse in den Fluten. Trude jauchzte bei diesem Anblick auf. Nun würde Rolf zu ihr zurückkehren. Nur um den König und sein Kind zu verderben, waren die Wassermassen entfesselt worden. Aber Trude hatte zu früh gejubelt; denn plötzlich stürzte vor ihren Augen auch Rolf in die Tiefe und verschwand in den brausenden Wassern.

Anfangs stand sie starr und konnte das Unbegreifliche nicht fassen. Hatte doch ihre Mutter gesagt, ihm würde kein Leid geschehen. Als sie aber sah, dass alles verloren sei, dass Rolf nimmer zu ihr zurückkehren werde, da stieß sie einen gellenden, verzweifelnden Schrei aus und stürzte sich selbst dem Junker nach hinab in die Flut.

Die Mutter hatte dem wahnsinnigen Tun ihres Kindes nicht wehren können, zu schnell war alles gekommen. Nun sank sie zu Boden und raufte ihr graues Haar, sich anklagend, dass sie allein die Schuld am Tod ihres geliebten Kindes trage.

Keiner hatte die alte Zauberin je wiedergesehen. Ihr Haus zerfiel in Schutt und Moder.

Als die Schneemassen geschmolzen und mit dem Toben des Wetters auch die Wasser verschwunden waren, ergab es sich, dass die Fluten den Ilsenstein auseinander gespalten hatten. Ein Bach, fortan nach der Prinzessin Ilse genannt, schlängelt sich durch die Felsentrümmer, deren einer der Ilsenstein heißt, während der jenseitige andere der Westernberg genannt wird.

Die holde Königstochter aber wohnt noch immer im Ilsenstein. Vor Zeiten hatte sie mancher gesehen, wenn sie im schimmernden Gewand, die Krone auf dem blonden Haaren, aus dem Felsspalt hervorgetreten war. Dann hatte sie sich im Wasser der Ilse gebadet und war mit Sonnenaufgang wieder verschwunden. Alle aber, welche sich der Prinzessin keuschen Herzens näherten, überschüttete sie mit Wohltaten. Denjenigen dagegen, der unreinen Herzens die Badende überraschen wollten, spritzte sie Wasser in die Augen und verwandelte ihn in eine alte zottige Tanne.

Es stehen der Tannen gar viele
in ihres Bades Nähe,
es hat sie alle verzaubert,
die keusche Wasserfee.