Der Alte vom Berge – Kapitel 19
C. F. Fröhlich
Der Alte vom Berge
Oder: Taten und Schicksale des tapferen Templers Hogo von Maltitz und seiner geliebten Mirza
Ein Gemälde aus den Zeiten der Kreuzzüge
Nordhausen, bei Ernst Friedrich Fürst, 1828
XIX.
Die Warnung des Alten nicht beachtend, schlenderte eines Abends der Marschall Hugo mit Erlaubnis des wachhabenden Pannerers aus dem Tempelhof. Brömser von Pleissenburg folgte ihm auf dem Fuß und bot sich als Begleiter an.
Nur zuweilen blickte der silberne Mond durch die schnell vorübereilenden Wolken und erfüllte mit Trauer Hugos Gemüt. So gern hätte er seinem Herzen Luft gemacht und ausgerufen: »Mirza, Mirza, wo bist du?«, wenn ihn die Gegenwart Brömsers daran nicht gehindert hätte. Dieser war sehr gesprächig, worauf Hugo aber nur wenig achtete. In Gedanken verloren, folgte er ihm zum Ölberg, wo der Herr und Heiland den verräterischen Judas Ischariot erwartet hatte. Jede Stelle, wo sie standen, war geheiligt. Unwillkürlich falteten sich Hugos Hände zum Gebet, während sich Brömser etwas entfernte und drei Mal in die Hände klatschte.
Noch betete Hugo leise und innig, als er plötzlich von starken Armen von hinten ergriffen und zur Erde gerissen wurde.
»Brömser! Hilfe! Hilfe!«, schrie er.
Aber dieser stand lachend ganz in der Nähe und erwiderte: »Endlich ist es mir also gelungen, dem berühmten und geachteten Herrn Marschall einen Streich zu spielen, woran er stets gedenken soll. Meine glühende Rache ist befriedigt.«
Lachend, wie der ärgste Bösewicht, schlenderte er nach Jerusalem zurück und verbreitete dort die Sage, dass ein Haufe Sarazenen den Marschall Hugo überfallen, auf ein Ross gebunden und mit ihm davongesprengt wären. Er sei zwar zu seiner Rettung herbeigeeilt, allein er habe sich zurückgezogen, als die Feinde sich auch gegen ihn gewendet hätten, weil er sicher auch in Gefangenschaft geraten wäre.
Augenblicklich wurde Befehl zur Verfolgung der Sarazenen gegeben. Hunfred von Gassert sprengte in Begleitung Brömsers und vieler anderer Brüder der vom Verräter angezeigten Spur nach. Dass er jedoch die rechte nicht zeigte, bedarf wohl kaum der Bemerkung. Unmutig kehrten sie, ohne die geringste Spur entdeckt zu haben, wieder nach Jerusalem zurück. Allgemein bedauerte man das Schicksal des braven Marschalls.
Nur Brömser freute sich seines gelungenen Bubenstücks und sprach öfters selbstzufrieden zu sich: »Meine Rache schleicht zwar, trifft aber sicher.«
Unter mancherlei Misshandlungen wurde Hugo quer über ein Pferd gebunden und von wilden Sarazenen tief in das Land gebracht. Auf seine Fragen erhielt er keine Antwort, sondern Hiebe mit einer Rute auf die Fußsohlen. Verlangte er etwas zu essen, so gab man ihm zu trinken und verlangte er Letzteres, so gab man ihm das erste. So trieb man es täglich mit ihm. In der fürchterlichsten Sonnenhitze ließ man ihn sogar hungern und dursten, während seine Begleiter sich stets erquickten. Vergebens bat er sie, ihn von der Rüstung zu befreien, unter der er in der Sonnenhitze schmachten müsse. Kaum hatte er sie darum gebeten, so wurde er an jedes Plätzchen gebracht, wo die Sonne heftig brannte.
»Großer Gott«, flehte er, »schenke mir den Tod, als einzige Wohltat! Habe ich denn so furchtbar durch meine Liebe zur Mirza gesündigt, dass ich diese schreckliche Strafe verdiene? Der Verräter Brömser erhält gewiss hier oder jenseits auch seine Strafe!«
Zwar nahmen Hugos Kräfte sichtbar ab, doch ertrug er die Beschwerden einer solchen dreiwöchentlichen Reise, ohne zu erkranken.
Das Ziel seiner Reise war die Stadt Said, wo der Pascha Ibrahim gewaltig herrschte, der in genauer Verbindung mit dem schändlichen Brömser stand. Dort ankommend, befreite man ihn von der Rüstung und schloss die Füße eng zusammen. Da erschien ein Eunuch des Paschas und überbrachte den Befehl, den gefangenen Ritter sogleich zu ihm zu führen. Die Sarazenen befreiten ihn daher von seinen Fesseln an den Füßen und banden ihm nur leicht die Hände. So wurde er zum Pascha geführt.
Ibrahim war ein alter herrschsüchtiger Barbar. Ohne ihn zu grüßen, trat Hugo mit stolzer Miene ein.
»Zittre Sklave und knie nieder«, herrschte ihn der Pascha an.
»Ich zittre vor keinen Menschen«, entgegnete Hugo der sich den Tod wünschte, »doch am wenigsten vor dir!« Da ergrimmte der Pascha und sprach: »Christ, du musst sterben!«
»Dies ist mein Wunsch«, erwiderte er kurz.
Der Pascha wurde über diese unerwartete Antwort unschlüssig. »Man erzählt sich«, begann er nach einer Pause, »ein Märchen vom ersten König der Kreuzfahrer, Gottfried von Bouillon, der so stark gewesen sein soll, dass er mit einem Hieb den Hals eines Kamels durchhauen habe. Wenn du daher dieses Wunderwerk auch kannst, so will ich dir das Leben schenken.«
»Lieber Tod, als Sklaverei«, polterte Hugo.
»Das Leben ist ein hohes teures Gut«, meinte jener, »und lässt sich durch nichts wieder zurückrufen. Doch«, setzte er mit teuflischem Lächeln hinzu, »da Du ein Leben in Sklaverei verachtest, so will ich dir auch sogar die Freiheit schenken, wenn Du einem Kamel mit einem Hieb den Hals durchhaust!«
Die Lust zur Freiheit, zum Leben, den verräterischen Brömser zu züchtigen, kehrte bei dem Templer wieder. »Ja, ich will es tun, erleuchteter Pascha«, sprach er, »doch gestatte, dass ich mich erst einige Tage wieder erhole.«
Der Pascha genehmigte dies, worauf er abgeführt wurde.
Er erhielt ein besonderes Gemach, nahe bei dem, wo die übrigen Sklaven aufbewahrt wurden. Man befreite ihn ganz von seinen Fesseln, stellte aber zwei bewaffnete Sarazenen vor die Tür seines Gemachs. Da er gute ausgesuchte Speisen erhielt, so kehrten auch die entschwundenen Kräfte bald wieder. Kraftvoll hob er die unbewaffnete Faust. Jede Minute bis zur Zeit seiner Freiheit zählend, ließ er schon in der nächsten Woche dem Pascha sagen, dass er sich hinlänglich gestärkt fühlte, um auch das zu leisten, was Gottfried von Bouillon gekonnt habe.
Es war ein trüber Tag, als Hugo von einer starken Sarazenenwache umgeben zum Hof schritt. Hier saßen auf weichen seidenen Polstern verschiedene vornehme Sarazenen. An Glanz und Pracht überstrahlte aber alle an der Kleidung der Pascha Ibrahim. Einige hundert Sarazenen hatten einen Kreis geschlossen, in dessen Mitte das Kamel stand.
»Wenn ich also diesem Tier den Hals mit einem Hiebe durchhaue, so erhalte ich die Freiheit?«, fragte er dem Pascha, der mit einem lauten Ja antwortete.
Lange suchte der Templer in einen Haufen Schwerter umher, wo ihm bald eine Klinge zu stark oder zu dünn war. Endlich glaubte er die rechte gefunden haben. Er trat auf die für ihn errichtete Erhöhung und erwartete ein Zeichen des Gebieters. Der gewöhnliche Führer des Tieres hielt es, während seine Augen recht gutherzig auf den Templer ruhten. Der Pascha ließ ein Zeichen geben. Hugo raffte alle Kräfte zusammen, denn es galt dem höchsten Gut der Menschen – der Freiheit, zielte und hieb so kräftig, dass er wirklich den Hals des Kamels durchhieb, dabei aber das Gleichgewicht verlor und zur Erde stürzte, wobei er mit einer leichten Quetschung davonkam.
Die Sarazenen standen und saßen, über eine solche Stärke erstaunt, wie Bildsäulen umher. Hugo kniete nieder, dankte dem Höchsten für die ihm verliehene Stärke und schritt dann freudig auf den Pascha zu.
»Von mir hast du die Freiheit«, sagte er mit Bedeutung.
»Gut, so ist er mein Gefangener«, schrie ein Aga.
Hugo erblasste, griff an die Seite zum Schwert, aber es lag beim Kamel. Er wollte dahineilen, allein auf einen Wink des Agas umringten ihn die Sarazenen.
Trotz seinem Sträuben wurde er doch zu Boden geworfen und gefesselt. »Schändlicher, abscheulicher Pascha«, schrie er in seiner ohnmächtigen Wut und sank erschöpft von diesen Ereignissen in eine feste Ohnmacht.
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