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Jack Lloyd Folge 62

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Unliebsame Begegnung

Erst als Jack einige Straßenecken zwischen sich und dem Goldenen Schwan gebracht hatte, beschleunigte er seine Schritte etwas. Er hatte noch eine Menge Zeit, bis er am Treffpunkt mit seinen Männern sein musste. Aber er wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Abgesehen davon war es ohnehin besser, ihr Vorhaben früher als später abgeschlossen zu haben. Je eher sie Caracas hinter sich hatten, desto eher konnte Jack wieder ruhig durchatmen.
Endlich kam er ins Hafenviertel. Hier, mitten zwischen den feiernden und grölenden Menschen, spürte Jack langsam, dass sein Gefühl der Sicherheit wiederkehrte. Als er sich dem eigentlichen Hafen mit seinem breit angelegten Hafenbecken und den verschiedenen Holzkaien näherte, wurde es langsam wieder ruhiger. Die spanischen Soldaten hatten dafür gesorgt, dass in dieser Nacht nur eine Handvoll Schiffe im Hafen vor Anker lagen. Und dort draußen, mitten im Hafenbecken, lag das Schatzschiff, flankiert von zwei Kriegsgaleonen der Spanischen Marine. Jack blieb am Kai stehen und schaute einen Moment zu dem beeindruckenden Bild hinüber. Der Himmel war sternenklar und so war das Licht der Himmelskörper mehr als ausreichend, um das gesamte Hafenbecken zu überblicken. Einen Augenblick überlegte der junge Kapitän, ob das für sie ein Vor- oder ein Nachteil war. Aber sie beabsichtigten ohnehin, sich dem Schiff offen zu nähern. Da war es egal, ob die Wachmannschaft sie sehen konnte.
Elena, Pablo und zwei andere Männer traten aus dem Schatten eines der nahe gelegenen Häuser und gesellten sich zu ihrem Anführer.
»Ihr seid früher hier, als ich dachte, Käpt´n«, erklärte Elena leise. Jack meinte, eine Spur Erleichterung in ihrer Stimme zu hören.
»Ich konnte meine Aufgabe schneller erfüllen, als ich erwartete«, erwiderte Jack leichthin. Es bereitete ihm immer noch ein ziemlich flaues Gefühl in der Magengegend, von Maria nur als von einer Aufgabe zu sprechen. Aber letztlich hatte er den Plan mit der jungen Gouverneurstochter entwickelt und sie war einverstanden gewesen, als Lockvogel zu dienen. Nun hatte er diesen wichtigen Teil der Mission geschafft, da gab es keinen Grund zurückzublicken.
»Das Ruderboot steht bereit, Käpt´n«, erklärte Pablo leise.
»Jeder kennt seine Aufgaben?«
»Aye Käpt´n«, erklang es aus vier Mündern gleichzeitig. Das leise Klicken, wenn der Spannhahn einer Pistole gespannt wird, ließ Jack sich umblicken. Erstaunt starrte er die Person an, die da aus dem Schatten einer kleinen Gasse auf den Hafenplatz hinaustrat.
»Was geht hier vor, Señor de Mendoza? Wollt Ihr so nett sein und mich über den Grund Eures Hierseins informieren? Und warum nennen diese Männer Euch Käpt´n?«
Jack starrte Maria, denn niemand anders war da mit einer geladenen Waffe in der Hand auf die kleine Gruppe zugetreten, an und schien nicht fähig, ein passendes Wort zu finden. Der Freibeuter spürte, wie sich jede Faser seines Körpers anspannte. Er konnte wegen der Dunkelheit und der Entfernung zwischen ihm und Maria nicht ihre Gesichtszüge erkennen. Aber ihre Stimme hatte verwundert geklungen, verletzt und vielleicht sogar ein wenig zornig.
»Maria, ich bitte Euch …«, setzte Elena zu einer Erklärung an, aber Maria fuhr ihr wütend ins Wort: »Ich habe nicht Euch gefragt, Elena.« Nach einem Augenblick des Schweigens murmelte Maria leise: »War denn alles nur eine große Lüge?«
Alles in Jack brannte. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf. Am liebsten wäre er auf Maria zugegangen, hätte sie in die Arme genommen, ihr alles erklärt und sie gefragt, ob sie ihn nicht begleiten wollte. Aber ihre Antwort kannte er bereits im Voraus. Maria war Spanierin, durch und durch. Sie hätte nie im Leben etwas getan, was ihrer geliebten Stadt geschadet hätte. Und deshalb stand sie nun hier, eine Waffe in der Hand, mit der sie einen Schuss abgeben konnte, vier Gegner vor sich. Ihr musste klar sein, dass sie nicht den Hauch einer Chance hatte. Dennoch wusste Jack, dass diese junge Frau abdrücken würde, wenn sie für nötig hielt. Allein der Lärm des Schusses würde die Wachen auf dem Schatzschiff alarmieren. Und auch wenn Maria selbst sich dabei opfern müsste, ihre geliebte Stadt würde nicht die Schmach erleiden, dass die Silberflotte im Hafen von Caracas ausgeraubt worden wäre.
»Der Comte hat uns vor einem Piraten namens Jack Lloyd gewarnt, der versuchen würde, die Silberflotte hier zu kapern. Sagt mir, bei allem, was Euch heilig ist, seid Ihr dieser Jack Lloyd?«
»Maria, ich …«
»Seid Ihr Jack Lloyd?!«
Elena und Pablo tauschten einen kurzen Blick aus. Die junge Frau wurde zu laut. Sie mussten dringend etwas unternehmen. Der Hafen war zwar leer, aber nicht völlig entvölkert. Auf jedem der Schiffe waren einige Männer als Nachtwachen abgestellt. Wenn nur eine dieser Wachmannschaften auf sie aufmerksam wurde, war ihr Vorhaben fehlgeschlagen. Dann hatten sich Wochen und Monate der Vorbereitung innerhalb weniger Momente zu wertlosem Zeitvertreib entwickelt. Das durfte einfach nicht passieren. In diesem Augenblick sackte Maria wie vom Blitz getroffen ächzend in sich zusammen.
»Maria!«, ächzte Jack und stürzte auf die junge Frau zu. Joe, der, einen kleinen Knüppel in der Hand, hinter der Gouverneurstochter stand, funkelte seinen Kapitän wütend an.
»Du solltest aufpassen, dass du nicht verfolgt wirst, Jack.«
»Ich … aber ich war mir sicher.«
»Sieh jetzt zu, dass du mit den anderen in das Ruderboot und dann auf das Schatzschiff kommst. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Ich kümmere mich um die junge Dame.«
»Versprich mir, dass ihr kein Leid widerfährt.«
Joe sah seinen Kapitän einen Augenblick nachdenklich an.
»Ich passe auf sie auf. Und jetzt geht. Sonst war alles umsonst.«
Jack, der seine liebe Mühe hatte, seine Gedanken zu ordnen, folgte Pablo, Elena und den anderen beiden Matrosen zu dem Ruderboot. Dieses war bereits mit etwas Brot, noch immer dampfendem Bratenfleisch und einem Fass Wein beladen. Die kleine Gruppe stieß sich vom Steg ab und ruderte in das Hafenbecken hinaus. Während die Männer ruderten, versuchte Jack, einen Blick in Elenas Gesicht zu erhaschen. Doch die junge Frau hatte den Kopf gesenkt, sodass ihr Gesicht im Dunkeln lag. Jack konnte nur erahnen, was in seiner Stellvertreterin vor sich ging. Er hatte das Leben aller Beteiligten gefährdet. Und nur dem glücklichen Umstand, dass Joe das Problem bemerkt und aus der Welt geschafft hatte, war es zu verdanken, dass ihre Mission weitergehen konnte. Es wurde Zeit, dass er sich zusammenriss und konzentrierte. Andernfalls würden sie wirklich in einem spanischen Kerker verrotten.

Fortsetzung folgt …

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