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Jack Lloyd Folge 52

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Der Morgen danach

Jack und Maria hatten einen Großteil der Nacht in dem kleinen Salon des Hauses vor dem Kamin verbracht. Dann waren sie in das ebenso kleine wie schmucklos eingerichtete Schlafzimmer gegangen. Vieles davon hatte sich für Jack neu und unbekannt angefühlt. Nicht, dass er das erste Mal mit einer Frau zusammen gewesen wäre, aber in dieser Situation erschien ihm das Zusammensein mit Maria so unglaublich vertraut. Es war zwar auch etwas Neues, ein großes Abenteuer, aber auf der anderen Seite hatte er mehrmals im Verlauf dieser Nacht den Gedanken, dass es sich so anfühlen musste, ein Leben als verheirateter Mann zu verbringen. Es war, als wäre dieses Haus ihr gemeinsamer Besitz, als wäre alles richtig und gut so, wie es in diesen wenigen Stunden der Nacht war. Dann waren sie Arm in Arm eingeschlafen. Während sie sich näher gekommen waren, hatten sie auch immer wieder kurze Phasen gehabt, in denen sie nur beieinander gewesen waren und miteinander geredet hatten. Maria hatte Jack von ihren Träumen und ihren Plänen erzählt und der junge Pirat erwischte sich dabei, dass er sich vorstellen konnte, wirklich die Rolle zu spielen, welche ihm diese anziehende Tochter eines spanischen Gouverneurs in ihrem Leben zugedacht hatte. Aber ihm war auch klar, dass das unmöglich war. Seine Kameraden warteten auf ihn. Und Elena. Sie würden sich bereits Sorgen machen.

Am Morgen war Jack bereits früh aufgewacht. Zuerst war er noch eine Weile liegen geblieben und hatte Marias Nähe genossen. Bisher war die Rede noch nicht auf das bevorstehende Fest und die Silberflotte gekommen. Der Kapitän tat sich schwer, die Informationen zu erfragen, die er brauchte. Durfte er das Vertrauen der jungen Frau wirklich derart missbrauchen? Aber andererseits, seine Männer vertrauten ihm ebenfalls. Er hatte einen Auftrag, den es zu erledigen galt.

Dann war er aufgestanden und hatte sich auf einen Stuhl neben dem Bett gesetzt. Hier war er sitzen geblieben, während die ersten Strahlen der Sonne sich ihren Weg in das Zimmer gebahnt und Marias Körper sanft umspielt hatten. Er beobachtete das Gesicht der jungen Frau, der er im Verlauf der letzten Nacht so nahe gekommen war. War es ein Fehler gewesen, sich darauf einzulassen? Würde sie irgendwelche seelischen Narben davontragen, wenn sie erfuhr, wer er wirklich war? Würde er diese Nacht und Maria jemals vergessen können?

Ein sanftes Lächeln huschte über seine Züge. Wollte er das überhaupt?

Die Gouverneurstochter begann, sich langsam zu bewegen. Sie wachte allmählich auf und Jack starrte sie wie gebannt an. Sie war schön. Nicht nur attraktiv, nein, sie war eine echte Schönheit. Ihre makellose Haut, ihr Körper, der unter den viel zu weiten Kleidern und Stoffen, wie sie die Edlen trugen, kaum wirklich zur Geltung kam. Alles an ihr war schön, zumindest war das in diesem Moment Jacks Eindruck. Und Elenas Bild, das am gestrigen Abend noch stark und lebhaft vor seinen Augen gestanden hatte, war im Laufe der Nacht merklich verblast. Aber es war immer noch da und Jack hatte das Gefühl, in den Augen seiner Stellvertreterin, die ihn immer zu beobachten schien, schwang ein wenig Trauer und Enttäuschung mit. Der junge Mann schüttelte kurz den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Maria seufzte leise. Dann murmelte sie: »Was treibt meinen Herrn zu dieser Stunde bereits aus meinem Bett?«

»Euer Anblick, meine Teuerste. Ich kann ihn vor hier aus am besten genießen.«

»Gibt es denn da etwas zu genießen?«, fragte Maria, die sich im Bett aufsetzte, ohne darauf zu achten, dass die dünne Decke an ihrem Oberkörper herabrutschte und Jack einen freien Blick auf ihre Rundungen erlaubte.

»Eine Menge«, flüsterte Jack lächelnd.

»Ihr könntet das immer haben«, erwiderte Maria mit einem ebensolchen Lächeln auf den Lippen.

»Was würde Euer Vater dazu sagen, Señorita?«

»Nun, er würde sagen, Ihr müsstet bis zur Hochzeit warten«, kam die kecke Antwort. Jack war klar gewesen, worauf diese Sache in Marias Augen hinauslaufen sollte. Doch dass sie diesen Punkt so offen ansprach, erstaunte ihn doch. Offenbar war sie nicht nur eine Frau, die wusste, was sie wollte, sie war auch bereit, eine Menge dafür zu tun, dass sie genau das bekam.

»Ein Vorgeschmack also.«

»Nennen wir es ein Versprechen, Señor«, hauchte Maria, während sie nun die Decke wieder bis zu ihren Schultern hochzog.

»Aber ich denke, wir sollten Euren Vater mit derartigen Ideen und Plänen nicht stören, bis die Feierlichkeiten, die ja in Caracas geplant sind, erfolgreich gestaltet werden konnten.«

Maria nickte, während das Lächeln auf ihren Zügen für einen Moment erstarb. Jack fragte sich schon, ob er etwas Falsches gesagt hatte.

»Ja, die Feierlichkeiten. Mein Vater lebt im Augenblick für nichts anderes. Er würde Euch vorher sowieso kein Ohr leihen, selbst wenn Ihr um meine Hand anhalten wolltet.«

»Warum ist ihm dieses Fest so wichtig?«

Maria schaute Jack einen Augenblick nachdenklich an. Dem jungen Kapitän war, als schätzte sie ab, wie weit sie ihm wirklich vertrauen konnte. Dann nickte sie langsam, als wäre sie für sich zu einem Entschluss gekommen.

»Dieses Fest als solches bedeutet ihm wenig. Viel mehr der Anlass. Die Silberflotte wird hier erwartet. Das ist an sich kein Geheimnis mehr, auch wenn es eigentlich eines sein sollte. Aber zu keiner Zeit, wenn die Silberflotte auf ihre Fahrt in die Heimat geht, kann die Route wirklich geheim gehalten werden.«

»Findet dieser Transport des Silbers nicht regelmäßig statt?«

»Natürlich. Es sind ständig Schatzschiffe auf dem Weg nach Spanien. Aber die Silberflotte segelt nur einmal alle paar Jahre. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein Schatzschiff. An Bord des Schiffes, das Silber und Gold aus den verschiedenen Mienen dieses Kontinents geladen hat, befinden sich darüber hinaus äußerst wichtige Dokumente. Und kein normales Schatzschiff würde mit einer solchen Menge an Reichtum die Fahrt über das Meer wagen.«

»Deshalb also die Militärbegleitung.«

»Genau. Vier Kriegsgaleonen begleiten das Schatzschiff und bewachen es auf hoher See. Lange ist es her, dass die letzte Silberflotte in Caracas haltgemacht hat. Vielleicht dachten die Mächtigen, dass unser Hafen zu schlecht gesichert wäre, vielleicht war ihnen unsere Garnison nicht stark genug besetzt, auf jeden Fall sind seit gut zehn Jahren alle Silberflotten an Caracas vorbeigesegelt.«

»Und in diesem Jahr erhält Euer Vater die Gelegenheit zu beweisen, dass er in der Lage ist, die Flotte in seinem Hafen zu schützen.«

»Genau.«

»Wann wird die Flotte eintreffen?«

Maria sah Jack wieder mit diesem eigentümlichen Blick an. Dann nickte sie erneut.

»Morgen. Dann wird sie erst etwas außerhalb vor Anker gehen. Sie wird die Nacht vor der Küste verbringen und dann mit den ersten Morgenstrahlen in den Hafen einfahren.«

»Wäre es nicht sicherer, schon die Nacht im Hafen zu verbringen?«

»Nein. Auf See, von den vier Kriegsschiffen umgeben und mit voller Besatzung ist die Silberflotte nicht zu bezwingen. Angreifbar ist sie nur, solange sie im Hafen liegt, wenn ein Großteil der Männer sich an Land aufhält und man sich auf die Wachsamkeit der Stadtgarnison verlassen muss.«

»Deshalb will man sich eine Nacht weniger dieser Gefahr aussetzen.«

»Genau.«

»Und morgen sollen die Feierlichkeiten bereits beginnen?«

»Morgen werden die ersten kleineren Feste stattfinden. Ein Empfang im Gouverneurspalast. Einige kleinere Feste in den Häusern einiger reicher Händler.«

»Wie geht es dann weiter?«

»Übermorgen wird bereits am frühen Morgen die Stadt geschmückt sein und den Einzug der Flotte erwarten. Dann beginnt ein Volksfest, wie Caracas es seit über einem Jahrzehnt nicht mehr erlebt hat. Am Abend schließlich wird sich alles, was Rang und Namen hat, im Goldenen Schwan versammeln.«

»Nicht im Gouverneurspalast? Wäre dieser nicht passender?«

»Das war auch zuerst der Plan. Aber die Kaufleute der Stadt haben meinen Vater umgestimmt. Sie wollen das Fest nicht weit weg vom normalen Volk feiern, sondern mitten unter ihnen.«

»Und da begeben sie sich in ein Gasthaus, die nur die Reichsten überhaupt betreten können und die in einer Gegend voller Villen gelegen ist?«

Maria lächelte. Leise antwortete sie: »Jeder Plan hat irgendeinen Fehler.«

»Offensichtlich«, erwiderte Jack ebenso lächelnd.

»Aber ich glaube nicht, dass das Volk sich daran stört. Die ganze Nacht über werden die Straßen der Stadt ein großer Festplatz sein. Die Männer der Silberflotte sollen sich ja wohlfühlen hier in Caracas.«

»Solange sie sich auf die Garnison verlassen können«, erklärte Jack lächelnd.

Maria nickte. In Jacks Geist begann ein Plan Gestalt anzunehmen. Noch mitten in seine Überlegungen hinein stellte Maria eine Frage, die alles auf den Kopf stellte.

»Werdet Ihr mich auf dieses Fest begleiten, Señor?«

Jack zog die Stirn für einen Augenblick in Falten. Er hätte damit rechnen müssen, aber es passte so gar nicht in seine Überlegungen, dass Maria ihn in Beschlag nehmen wollte. Doch die Frage, welche die junge Frau als Nächstes mit einem bezaubernden Augenaufschlag hauchte, brachte ihn völlig aus der Fassung.

»Als mein Verlobter?«

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2012 by Johann Peters