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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jack Lloyd Folge 51

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Besorgte Freunde

Elena betrat die Kirche durch die große Vordertür. Sie war sich sicher, dass der Mann, den sie hier zu treffen hoffte, irgendeinen Seiteneingang gewählt hatte. Aber es wäre auffällig gewesen, wenn eine junge Dame zu dieser frühen Morgenstunde heimlich versucht hätte, in eine Kirche zu gelangen. Die Sonne war gerade aufgegangen, als Elena das Haus, das ihnen für die kurze noch verbleibende Zeit in Caracas als Unterschlupf dienen sollte, verlassen hatte, um sich zu diesem Treffpunkt zu begeben. In der Kirche blieb Elena zuerst einen Moment stehen und schaute sich in dem riesigen Bau um. Nichts an diesem Gotteshaus erinnerte an eine der größeren Kirchen in Havanna, in Vera Cruz oder Maracaibo. Ärmlich war das richtige Wort für diesen Bau, in dem die Einwohner des Handelsstützpunktes ihre Gebete verrichteten. Elena fragte sich, woran es wohl lag, dass in einer Stadt, die zwar nicht mehr zu den reichsten der Karibik gehörte, wohl aber immer noch als wohlhabend bezeichnet werden konnte, nicht etwas mehr Prunk in ihren Gottesdienst bringen konnte. War es wirklich der stetige Niedergang der alten Handelshäuser in Caracas oder war es eher der Umstand, dass den Menschen hier so weit weg von der strikt katholischen Heimat den Glauben an ihren Gott verloren hatten? Elena zuckte die Schultern. Eine Antwort auf diese Frage würde hier nicht finden, und wenn sie ehrlich war, dann interessierte sie sich auch nicht weiter für die Belange dieses Städtchens. Caracas war für sie ein Mittel zum Zweck. Sie wollte Rache für den Mord an ihrem Vater und für all das, was dieser spanische Piratenjäger ihr angetan hatte. Ihr Leben vor der Gefangennahme durch Jack und die Seinen war wenig aufregend, aber es war so, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie hätte noch viele Jahre zusammen mit ihrem Vater die Karibik bereisen und seine Geschäfte verfolgen können. Und wie sie ihren Vater gekannt hatte, hätte er dem Freibeuter gegeben, was dieser wollte, um das Leben seiner Tochter zu retten. Jack war ein Ehrenmann und er hätte sie mit Sicherheit freigelassen, wenn er die Dokumente erhalten hätte, auf die er es abgesehen hatte. Sie hätte ein Abenteuer erlebt, wäre wahrscheinlich mit heiler Haut aus diesem hervorgegangen und hätte ihren Kindern noch davon erzählen können. So aber war ihr Leben in eine völlig andere Bahn geraten. Nicht, dass sie Jack in ihrem Leben missen wollte, aber trotz allem sehnte sie sich zurück nach der Zeit, in der sie ihren Vater in ihrem Leben gehabt hatte.

Ein leises Räuspern riss Elena aus ihren Gedanken, die immer weiter abzuschweifen drohten. Sie sah sich suchend in der Kirche um. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass sie völlig allein war. Sie hatte schon viele Gotteshäuser besucht auf ihren Reisen durch diese Gegend der Welt. Und oft war sie in Begleitung ihres Vaters in den frühen Morgenstunden zum Gebet in eine dieser Kirchen gekommen, bevor sie zusammen mit ihrer Crew ihre Reise fortgesetzt hatten. Selten waren sie dabei auf Leere Hallen getroffen. Doch hier schien zu dieser Zeit niemand ein Interesse daran zu haben, den Herrn zu lobpreisen. Das Räuspern erklang erneut und diesmal war Elena sich sicher, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Es drang aus einem der Beichtstühle. Lächelnd schüttelte die junge Spanierin den Kopf, begab sich zu dem Beichtstuhl und betrat die Kabine, die für die reuigen Sünder gedacht war. Es dauerte nicht lange und die Klappe, die zwischen ihrer Kabine und dem kleinen Raum für den Beichtvater war, wurde zurückgeschoben.

»Guten Morgen meine Tochter. Was führt dich zu dieser Stunde in das Haus des Gottes der Vergebung und der Liebe?«

Elenas Lächeln vertiefte sich. Joe hatte sich offenbar sehr gut mit seiner Rolle angefreundet. Sie hätte am Anfang nicht gedacht, dass es so kommen würde, aber der alte Seebär war ihr in der Zeit, in der er nun schon unter ihrem Kommando als erster Maat diente, ans Herz gewachsen. Seine Art ihr Ratschläge zu erteilen, ohne sie vor der Mannschaft bloßzustellen und seine Bereitwilligkeit, auch Befehle entgegenzunehmen, mit denen er vielleicht nicht einverstanden war, imponierte ihr. Letztlich hatte Jack auch in diesem Punkt wieder Recht behalten. Joe war das Beste, was Elena in ihrer unmittelbaren Umgebung hatte passieren können. Sie konnte nur hoffen, dass Jack bei Maria einen ähnlichen Weitblick beweisen würde.

»Es sind die Sorgen des Lebens, Padre, die mich hierher treiben.«

»Die Sorgen des Lebens, meine Tochter? Welche Wolken haben dein Gemüt umwölbt, dass du von Sorgen sprichst. Bedenke das Bibelwort: Wirf die Bürden auf den Herrn, denn er wird für dein Entrinnen sorgen.«

»Möge es nach Euren Worten kommen, Padre.«

Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen den beiden. Es schien als würden beide abwarten, dass der andere sich zu erkennen gab, um endlich über die Dinge sprechen zu können, die ihnen wirklich auf dem Herzen lagen.

Joe war es, der schließlich die Stille durchbrach.

»Es war durchaus mutig, mir beim Empfang des Gouverneurs dieses kleine Stück Papier mit deiner Botschaft zuzustecken.«

»Du sagst mutig, meinst aber leichtsinnig«, erwiderte Elena lächelnd. Joe hatte Ähnlichkeiten mit ihrem Vater. Auch er hatte Tadel gern so versteckt, dass sie im ersten Augenblick wie etwas Gutes klangen.

»Das sind deine Worte, Kapitän«, brummte Joe nachdenklich.

»Wie dem auch sei, es ist gut, dass wir uns treffen. Weißt du etwas über Marias Pläne?«

»Maria? Du meinst die Tochter des geschätzten Gouverneurs?«

»Wen sonst?«

»Ich bin noch dabei, mir ein Bild von ihr zu machen. Sie wirkt sehr eigenständig, stolz und dickköpfig. Ich glaube, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, wird sie das auch umsetzen.«

»Das hatte ich befürchtet«, murmelte Elena leise.

»Das heißt?«

»Maria und Jack haben für den gestrigen Tag verabredet, dass die junge Dame ihm die Stadt zeigt.«

»Das habe ich gehört. Es erschien mir sinnvoll. So konnte Jack ihr Vertrauen noch etwas mehr gewinnen.«

»Wenn es nur das wäre.«

»Du sprichst in Rätseln. Wir haben nicht so viel Zeit, dass wir uns bis zum Mittag hier austauschen könnten«, erklärte Joe mit Nachdruck in der Stimme.

»Maria und Jack haben de gestrigen Tag gemeinsam verbracht. Pablo war ihr Kutscher. Aber zum Abend ließ Maria Pablo in einem Wohnviertel hier in Caracas halten und stieg zusammen mit Jack aus der Kutsche. Sie schickte Pablo nach Hause mit der Aussage, dass er nicht mehr gebraucht werde. Jack ist bis heute Morgen nicht wieder in unserem Haus erschienen.«

»Du meinst …«

»Ich weiß nicht, wo sie die Nacht verbracht haben. Ob sie sie gemeinsam verbracht haben oder ob Jack in eine Falle getappt ist. Ich weiß nur, er war bei Maria und kam nicht zurück.« Nicht zu mir zurück setzte sie in Gedanken hinzu und hoffte, dass sie den letzten Nebensatz wirklich nur gedacht hatte. Der etwas spöttische Unterton in Joes Stimme zeigte ihr, dass sie ihre Gefühle vor dem alten Mann nicht verbergen konnte.

»Höre ich da eine Prise Eifersucht in der Stimme meines Kapitäns?«

»Es geht nicht um Eifersucht oder Gefühle oder was weiß ich. Es geht um die Sicherheit von uns allen. Wenn Jack meint, wegen der Augen einer schönen Spanierin unser gesamtes Vorhaben gefährden zu müssen, sollten wir gewappnet sein.«

»Glaubst du, was du da sagst?«, fragte Joe ernst. »Ich glaube eher, dass Jack alle Möglichkeiten ausnutzt, um zu unser aller Vorteil das vollste Vertrauen Marias zu erlangen.«

»Ich bete, dass du recht hast.«

»Glaube mir. Wenn es jemanden auf dieser Welt gibt, dem ich in jedem Augenblick mein Leben anvertrauen würde und von dem ich genau wüsste, das Treue für ihn über allem anderen steht, dann ist das unser Kapitän. Kehr zurück in den Unterschlupf, warte auf ihn und dann schmiedet eure Pläne, wie wir diese verdammte Angelegenheit zu Ende bringen, sie einen von uns den Kopf kostet.«

»Amen, Padre.«

Elena erhob sich von dem unbequemen Schemel, der in dieser kleinen Kabine für die Büßer stand, und verließ schnellen Schrittes die Kirche. Vielleicht hatte Joe recht. Vielleicht sollte sie Jack mehr vertrauen. Aber da war mehr als die Angst, dass er sie alle verraten könnte. Da war das Gefühl, dass sie ihn verloren haben könnte. Und das, noch bevor sie ihn wirklich gewonnen hatte.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2012 by Johann Peters