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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Siebenundfünfzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Siebenundfünfzigste Erzählung

Beiträge zur Bestätigung der Volkssage, dass die Verstorbenen zuweilen spuken

Erste Erfahrung

Zu Wien ereignete sich im Jahre 1797 folgende merkwürdige und fast unerhörte Geschichte. Es starb einer der dortigen Fabrikarbeiter. Seine Leiche wurde dem Begräbnisplatz überliefert, nachdem sie nicht nur zweimal vierundzwanzig Stunden ausgesetzt, sondern auch der Gewohnheit gemäß von der Totenschau für wirklich tot erklärt worden war. Auf den Begräbnisplätzen vor den Linien befinden sich Totenkammern, in welche die Särge solange gesetzt werden, bis mehrere zusammenkommen, die dann sämtlich in eine große Grube eingesenkt werden. Der Totengräber hatte diese beinahe vollendet, als er ein Klopfen hörte. Er kehrte sich um und horchte. Als er nichts sah, fuhr er wieder fort zu arbeiten. Es klopfte abermals. Nun schien ihm der Schall aus der Totenkammer zu kommen, in welcher drei Särge standen. Er ging hinein und sah niemanden. Es klopfte zum dritten Mal, und nun bemerkte er, dass der Ton aus dem Sarg rechts kam. Er holte in größer Eile zwei andere Totengräber herbei. Man öffnete den Sarg, und der Tote richtete sich auf. Man labte ihn, brachte ihn ins Spital, wo er im Juli 1797 noch krank lag. Der Totenbeschauer wurde seines Amts enthoben.

Zweite Erfahrung

Herr Prediger Menzel wurde am Sonntag nach Pfingsten im Jahre 1778 zu einer gefährlich kranken Hausfrau nach Neidhardt, einem, eine Stunde von dem niederschlesischen Städtchen Prinkenau gelegenen Dorf gerufen. Die Kranke hieß Anne Rosine, verehelichte Siegmund, war damals sechsundvierzig Jahre alt und wünschte, bevor sie stürbe, noch das Heilige Abendmahl zu empfangen. Zufolge aller Wahrnehmungen fand man sie selbst dem Tode nahe und ihren Puls stark unterbrochen.

»Ich selbst war es so gewiss, dass sie sterben würde«, erzählte Herr Prediger Menzel, »dass sie es mit Tränen klagte.«

»Bloß darum«, meinte sie, »wäre sie noch einige Tage länger erhalten werden, weil sie sich vergeblich nach Trost gesehnt und die ihren eher nicht, als nun, hätte bewegen können, mich holen zu lassen.«

Ich fand sie äußerst schwach, leichenblass, aber bei einem so guten Verstand und in einer so christlichen Fassung, dass mir ihr Andenken noch heute unvergesslich ist. Nach geendigter Abendmahlshandlung nahm sie von der Welt Abschied, verlangte aus dem Bett auf eine Streu auf die Erde gelegt zu werden und schlief mit Sonnenuntergang ein. Man behandelte sie wie eine Tote, deckte sie bloß mit einem Tuch zu und machte Anstalt zu ihrem Begräbnis. Den Morgen darauf kommt es ihrem Mann vor, als ob das Tuch sich fast unmerklich bewege. Er rief seine Tochter, die lange vergeblich diese Erscheinung wahrnehmen sollte, bis auch sie sich endlich davon überzeugt war.

Ich ging, weil kein Begräbnis bestellt wurde, am Montag darauf selbst hin, sie zu besuchen, und fand sie wie eine Leiche, mit fest verschossenem Mund, tief eingefallenen Augen, mit Totenblässe überzogen, starr und kalt.

»Sie kann nicht sterben«, sagte die Tochter.

»Sie hat ein schweres Sterben«, der Mann.

Und ich: »Sie ist ja tot!«

»Sie ist nicht tot«, fingen beide an, »nehmen Sie sich nur die Zeit und geben Sie genau auf das Tuch Acht. Sie werden endlich eine fast unmerkliche Bewegung desselben wahrnehmen, die oft erst in einer Stunde sichtbar wird.«

»Das ist nicht nötig«, fing ich an, »haltet ihr eine leichte Feder vor die Nase!«

Sie taten es, aber diese bewegte sich nicht.

»Legt ihr einen Spiegel über das Gesicht!«

Auch das geschah, aber der Spiegel lief nicht an. Andere Versuche waren mir damals noch unbekannt. Ich blieb dabei, sie wäre tot. Aber ganz wider meine Erwartung bewegte sich, von der einen großen Zehe aus am meisten sichtbar, das über sie gedeckte Tuch. Nun musste ich einstimmen: Sie lebt noch! Doch hörte sie nichts. Ich verließ sie also zu Mittag und erwartete nichts weiter als ihr gänzliches Hinscheiden. Nach 24 Stunden richtete sie sich mit einem Mal auf ihrer Streu auf, sah sich um, wusste von allem nichts, erzählte, wie unaussprechlich wohl ihr die Zeit über gewesen sei, sprach »Nun sterbe ich nicht!«, forderte Speise und wurde gesund. Sie hatte nach dieser Zeit noch zehn Jahre gelebt und starb am 30. November 1788 an der Auszehrung in einem Alter von 56 Jahren.

Wie, wenn dieser Vorfall mit ihr nicht im Sommer, sondern im Winter geschah? Würde Kälte und Frost diesen ihren Lebensrest nicht in Fesseln gelegt und unmerklich gemacht haben? Hätte sie nicht dann von ihrem Leben 10 volle Jahre verloren? Und wie, wenn sie in der Erde wieder aufgelebt und zu sich gekommen wäre?

Also noch einmal: Gönnt dem Toten das Bettlager und die Bedeckung noch eine Zeitlang! Seht zuweilen nach ihm und bringt ihn nicht bald auf die Seite! Denn auch dieser Vorfall zeigt es: Es gibt Scheintote!