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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jack Lloyd Folge 38

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Ein Plan nimmt Gestalt an

Jack und Elena fuhren in einer Kutsche den Weg zurück in ihre Unterkunft. Der Goldene Schwan war keine Herberge wie Jack sie aus anderen Städten kannte. Das heißt, wahrscheinlich gab es auch in anderen karibischen Hafenstädten Häuser wie den Goldenen Schwan. Nur wäre Jack nie auf den Gedanken gekommen, sich in einem solchen Haus einzumieten. Der Raum im Untergeschoss war leer, als die beiden mitten in der Nacht das Haus betraten. Nur eine einzelne Bedienung stand noch hinter einem hölzernen Tresen und wartete, ob jemand kam, der noch einen Trunk zu sich nehmen wollte. Jack hatte schon bei ihrer Ankunft bemerkt, dass die Kundschaft des Schwans eine völlig andere war, als in den Spelunken und Tavernen des Hafenviertels. Es war nicht so, dass er sich unwohl gefühlt hätte, in dem Haus, das aus allen Ritzen und Ecken nach Reichtum roch. Nur die Menschen, die man hier zu Gesicht bekam, bildeten nicht unbedingt die Gesellschaft, in welcher der junge Kapitän sich wohlgefühlt hätte.

An diesem Abend spielte das jedoch alles keine Rolle. Jack und Elena ließen sich für einen Moment an einem Tisch im hinteren Teil des Raumes nieder. Sie wollten noch einen Becher Wein trinken, ehe sie sich in ihre Gemächer zurückzogen, um sich für den nächsten Tag auszuruhen. Dann würden sie ihre Freunde außerhalb der Stadt wieder aufsuchen, um ihnen von ihren Fortschritten zu berichten.

»Der Abend verlief erfolgreicher, als ich dachte«, brummte Elena, als sie ihre Bestellung aufgegeben hatten.

»Auf jeden Fall haben wir den Gouverneurspalast lebendiger verlassen, als erwartet«, erwiderte Jack grinsend. Elena nickte langsam.

»Woher wusstet Ihr die Dinge, die Ihr dem Comte heute gesagt habt? Über Euren angeblichen Onkel?«

»Glück.« Jack zuckte mit den Schultern und mied Elenas forschenden Blick. Sie spürte, dass er ihr nicht die Wahrheit sagte. Aber sie kannte den Kapitän mittlerweile lange genug, um zu wissen, dass es nichts brachte, ihn zu irgendetwas drängen zu wollen.

»Wie dem auch sei«, murmelte sie, ein Gähnen nur mühsam unterdrückend. »Wir haben es auf jeden Fall geschafft, den Comte von unserer Redlichkeit zu überzeugen.«

»Ich hätte nicht erwartet, dass es so leicht sein würde, den Gouverneur für ein Gespräch zu treffen.«

»Und dass er die Schriftstücke, die Ihr ihm unter die Nase gehalten habt, kaum überflogen hat, war für uns auch nicht gerade zum Nachteil.«

Jack nickte. Der Gouverneur hatte sich an diesem Abend tatsächlich die Zeit genommen, kurz mit ihm zu sprechen. Der Comte selbst hatte das Treffen organisiert. Als der Gouverneur hörte, dass Jack ein junger Adliger aus dem alten Spanien war, der sich mit einer gehörigen Portion Gold in Caracas einkaufen wollte, war er direkt Feuer und Flamme für den jungen Mann gewesen. Sie hatten sich einen Moment lang unterhalten und waren übereingekommen, dass Jack und seine Begleiterin am nächsten Abend zum Abendessen in den Palast kommen sollten. Hier wollte der Gouverneur in kleinerem Rahmen mit Jack besprechen, welche Handelszweige der junge Mann genau bedienen wollte und wie seine finanziellen Zuwendungen an die Stadt selbst, von denen Jack gesprochen hatte, verwendet werden sollten. Bei diesem Essen wollten der Comte und die Familie des Gouverneurs zugegen sein. Elena hatte Jack bereits von der Tochter des Stadtfürsten berichtet. Sie könnte eine Möglichkeit sein, an die gewünschten Informationen zu kommen. Doch die Bekanntschaft mit dem Comte brachte ebenfalls ungeahnte Möglichkeiten mit sich. Wahrscheinlich wusste dieser Mann auch alles, was notwendig war, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Die Frage war nur, ob man die Informationen irgendwie aus ihm herausbekommen konnte.

Elena und Jack unterhielten sich noch kurz über das, was sie am nächsten Tag erwartete. Dann, nachdem sie ihren Wein geleert hatten, zogen sie sich in ihre Gemächer zurück. Elena, die für einen kleinen Moment mit dem Gedanken spielte, noch einmal an Jacks Tür zu klopfen, nachdem sie sich des Kleides entledigt und ihr Nachtkleid angelegt hatte, verwarf die Idee schnell wieder. Wenn Jack in irgendeiner Form etwas anderes als seinen ersten Offizier in ihr gesehen hätte, er hätte bereits genug Möglichkeiten gehabt, das zu zeigen. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und schluckte das Gefühl der Einsamkeit, das sie begleitete, seit sie ihren Vater verloren hatte, herunter. Dann legte sie sich in das ausladende Bett, das ihr Zimmer beherrschte. Es war eine Weile her, dass sie in einem richtigen Bett geschlafen hatte. Und sie genoss jede Minute, die sie in ihren weichen Kissen liegen konnte. Mit dem Bild ihres Kapitäns vor den Augen schlief die junge Frau ein.

Francesco Comte de Canero saß mit seinem Diener und engsten Vertrauten in dem Gemach des Gouverneurspalastes, das ihm für die Zeit seines Aufenthaltes zugewiesen worden war. Die Zeiten hatten sich geändert. Noch vor wenigen Jahren wäre einem Mann wie ihm nicht nur ein kleines Gemach freigeräumt worden. Man hätte ihm ein ganzes Anwesen zur Verfügung gestellt. In anderen Hafenstädten hatte sich die Situation ähnlich verschlechtert. Die alten Herrenhäuser, die außerhalb der schützenden Stadtmauern standen, wurden nicht mehr unterhalten und verfielen zusehends. Die Zeiten, in denen ein Gouverneur mehrere Villen besaß, die er seinen Freunden, Gästen und Günstlingen nach freiem Gutdünken zur Verfügung stellen konnte, waren Vergangenheit. Der Fall des Monopols der Spanier auf den Handel in der Karibik war nur der Beginn des Abstiegs der Vorherrschaft dieser stolzen Weltmacht gewesen. Und Männer wie der Comte hatten auf dem Weg nach unten fast alles verloren, was sie besaßen. De Canero, einst einer der reichsten Männer der Karibik, hatte einige falsche Entscheidungen in seinem Leben getroffen. Einen Teil des unerhörten Reichtums, den er mittlerweile zu einem Großteil verloren hatte, hatte er schlichtweg geerbt. Seine Familie gehörte zu den Adelsfamilien Spaniens, die in der Vergangenheit immer die richtigen Entscheidungen getroffen hatten. Wo immer gerade eine Partei an die Macht kam, die de Caneros hatten es vorhergesehen und die richtigen Herrscher zur richtigen Zeit unterstützt. Und so waren sie im Laufe der Zeit zu einer der einflussreichsten Familien des Landes geworden. Als es dann darum ging, die Besitztümer in der neuen Welt aufzuteilen, da waren die de Caneros wiederum als Erste dabei. Doch diese Zeit war für Francesco mittlerweile in weite Ferne gerückt. Als das Monopol der spanischen Händler gefallen war, als die spanischen Häfen begonnen hatten, mit den Engländern, Franzosen und Niederländern, die zuvor nur ihre eigenen Häfen anfahren konnten, Handel zu treiben, war der Stern seines glorreichen Geschlechts gesunken. Einen nicht geringen Teil seines Vermögens hatte de Canero mittlerweile in mehrere Handelsflotten investiert. Und in den ersten Jahren hatten diese große Gewinne abgeworfen. Doch die Märkte wurden immer umkämpfter, die großen Geschäfte blieben aus. Vielleicht auch, weil dem alten Adligen ein wenig die Nase fürs große Geschäft fehlte. Als dann zwei seiner Flotten voll beladen mit wertvollen Waren von Freibeutern überfallen und aufgebracht wurden, geriet de Canero zum ersten Mal in seinem Leben in Zahlungsschwierigkeiten. Er hatte sich für einige Geschäftsniederlassungen in Maracaibo eine erhebliche Summe Geld von einem örtlichen Bankier geliehen. Als die Zeit kam, die Schuld mit hohen Zinsen zu begleichen, musste er einige seiner Anwesen und eine ganze Reihe wertvoller Familienerbstücke verkaufen, um nicht in Verzug zu geraten. Nur der Diskretion des Bankiers hatte der Comte es zu verdanken, dass sein guter Ruf in den spanischen Häfen noch Bestand hatte.

Dann war er auf eine Idee gekommen, die seinen Abstieg noch beschleunigt hatte: Er rüstete einen Freibeuter aus, der die Karibik unsicher machen und einen Teil seiner Beute bei ihm abliefern sollte. Doch schon nach wenigen Wochen hatte er erfahren, dass sein Günstling aufgebracht und festgenommen worden war. Es kostete ihn eine gute Summe, den Mann freizukaufen, bevor er verriet, wer ihn beauftragt hatte. Dass er den Freibeuter anschließend den Fischen zum Fraß vorwarf, war nur eine geringe Genugtuung für die Verluste, die der Comte erneut erlitten hatte. Dann hatte er Berichte über einen jungen Kapitän gehört, der einen unerhörten Plan ausgeheckt hatte. Der Mann sollte in Begleitung einer jungen Spanierin sein. Und diese dürstete nach Rache für den Tod ihres Vaters. Francesco kannte die Geschichte Elenas und er wusste genau, was sich tatsächlich zwischen Santiago und Port Royal zugetragen hatte. Es war pures Glück, dass er zeitgleich mit den beiden in Caracas angekommen war und sie direkt am ersten Abend auf einem Fest des Gouverneurs getroffen hatte. Nur das Wissen des jungen Mannes über die Eigenarten der Familie de Mendoza machten den alten Comte etwas stutzig. Aber woher der Pirat sein Wissen auch haben mochte, es war gleichgültig. Francesco würde warten, bis Elena und ihr Begleiter die Silberflotte überfallen, und die Reichtümer an sich gebracht hatten. Und dann würde er zur Stelle sein, um ihnen die Beute abzujagen. Die Spanier würden ihn als Letzten verdächtigen, etwas damit zu tun zu haben. Und er konnte seine Sorgen mit einem Schlag begraben. Ein Lächeln zog über seine Züge, als sein Diener ihm berichtete, dass der Mann, den er Jack und Elena hinterhergeschickt hatte, sie im Goldenen Schwan hatte verschwinden sehen.

»Sollen sie ihre Zweisamkeit noch ein wenig genießen. Vielleicht genehmige ich mir die junge Elena als Zugabe. Wenn nicht, werden sie in einer Kiste vereint auf dem Meeresgrund ruhen.«

»Es wäre eine Verschwendung«, erwiderte der Diener mit einem Grinsen auf den Zügen.

Das Lachen des Comte zeigte seinem Vertrauten, dass der Adlige die Sache genauso sah wie er.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters