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Der Detektiv – Die Augen der Jolante – 2. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Die Augen der Jolante
2. Kapitel

Neben mir ruhte, in einen koketten Bademantel gehüllt, Fräulein Gerda Gerd, Filmschauspielerin dritter Güte aus Berlin, eine Zufallsbekanntschaft.

Harst begrüßte uns kurz und meinte dann: »Mackelsohn, der Chef hat soeben telegrafiert. Wir sollen schleunigst nach Holland, wo es große Seifenabschlüsse für die niederländische Kolonialarmee gibt. Unser Zug geht 2 Uhr 40 Minuten. Ich habe schon gepackt.«

Dann stieg er ins Wasser, kam sofort wieder heraus, verabschiedete sich von Gerda Plauk, die sich als Künstlerin Gerda Gerd nannte und sich den Wind des Lebens offenbar schon recht kräftig um die schmale, zierliche Nase hatte wehen lassen, und verschwand in seiner Zelle. Auch ich sagte dem angehenden Filmstar Lebewohl. Zehn Minuten später wanderten Harst und ich die steile Gasse zu unserem hochgelegenen Pensionat empor.

Auf meine Frage, weshalb er morgens so plötzlich davongelaufen sei und was er bis jetzt getan habe, bekam ich zunächst keine Antwort.

Dann, mitten auf der steilen Gasse, blieb er stehen, schaute sich um und flüsterte: »Die Geschichte fängt an, interessant zu werden, Mackelsohn. Natürlich war der Habicht-München ein Spion. Das haben Sie doch auch gemerkt, nicht wahr?«

»Leider nicht«, erwiderte ich.

»So so, also nicht, lieber Mackelsohn. Und doch, eigentlich war es doch so einfach, den Kerl zu durchschauen. Ich roch sofort Lunte, als er bei der Vorstellung seinen Titel Kommerzienrat vergaß. Das tut kein echter Kommerzienrat und der Münchener Habicht ist Kommerzienrat. Ja, man muss in unserem Beruf auch Menschenkenner sein. Also, der Mann erschien mir etwas unecht. Daher stellte ich ihm die Falle mit Habicht-Minden. Gewiss, ich hatte absichtlich auf den Meldeschein München ganz undeutlich geschrieben – aus Vorsicht. Als ich nun darauf dem Wachtmeister und dem Spitzbärtigen gegenüber Minden machte, da hätte der falsche Habicht sofort rufen müssen: ›Schwindel, in Minden existiert keine solche Firma!‹ Aber er tat es nicht. Da wusste ich Bescheid! Wäre er echt gewesen, hätte er unbedingt, jedes Konkurrenzgeschäft gebannt, hätte also sofort erkannt, dass ich mich herauszulügen versuchte, da es ja tatsächlich in Minden keinen Parfüm-Habicht gibt und ich eben nur hatte auf den Strauch schlagen wollen. Nicht nur dies war belastend für den Kerl. Besinnen Sie sich: Er läuft zum Gemeindevorsteher, schlägt dort Lärm, aber er lässt niemand sonst zu Worte kommen, nennt auch nicht seine hiesige Wohnung! Nun, ich kenne diese Wohnung jetzt, lieber Mackelsohn. Ich bin drei Stunden unterwegs gewesen, immer zu Fuß. Und nun reisen wir ab, weil … na, weshalb wohl?«

»Weil wir erkannt sind?«

»Sehr richtig. Vorwärts aber, viel Zeit haben wir nicht mehr. Wundern Sie sich nicht zu sehr, wenn auch Gerda Gerd plötzlich den Staub dieses schönen Terrassenortes von ihren Strandschuhen schüttelt.«

Auf dem Bahnsteig trafen wir sie wirklich. Harst belegte für uns drei Plätze, Raucherabteil, wir fuhren allein. Zu meinem maßlosen Erstaunen vertraute Harst ihr dann sehr bald an, wer wir in Wahrheit wären, erzählte ihr auch von unserer schwierigen neuen Aufgabe, die er nun leider nun sofort nicht bewältigen könne, da seine Mutter schwer erkrankt sei, zeigte ihr auch die Depesche und bat Gerda Gerd, doch ja strengste Verschwiegenheit über unsere kurze Anwesenheit in Sassnitz zu bewahren, wohin er in etwa drei Wochen bestimmt zurückzukehren hoffe.

Gerda drückte Harst ihre wärmste Anteilnahme wegen der Krankheit Frau Harsts aus und bemerkte dann plötzlich zu ihrem Entsetzen, dass sie ihr im Bett verstecktes Brillantenhalsband vergessen hatte. Zum Glück kreuzten sich in Bergen die Züge. Sie fuhr also sofort nach Sassnitz zurück.

Nun waren wir allein.

Harst gab den Mackelsohn und den Hugo Himpel völlig auf und begann: »Mein lieber Schraut, ich sagte ja bereits: die Geschichte wird interessant! Zunächst die Gerda Gerd. Sie wohnte in Sassnitz seit dem 10. April, nicht, wie sie uns vorlog, seit dem 10. Mai. Sie wohnte bei einem verheirateten Oberbootsmannsmaat der Torpedohalbflottille, den sie leicht aushorchen konnte, wann die Boote wieder patrouillieren wollten. Unser Herr Habicht war bei ihr, nachdem er uns heute früh hatte verlassen müssen infolge meines energischen Hinaus!«

Er machte seine Pause. Ich saß stumm und steif da. Dass die Gerd nicht harmlos war, hatte ich ja bereits aus seiner Bemerkung über Staub von den Strandschuhen schütteln herausgehört. Doch das Weitere?

Da fuhr er schon lebhafter fort: »Die Gerd erschien mir sofort nicht ganz einwandfrei, als sie sich gestern an uns heranschlängelte. Deshalb spürte ich ihr auch so ein wenig nach. Eine telefonische Anfrage bei unserem Freund, Kommissar Bechern in Berlin hatte den Erfolg, dass ich erfuhr, es gäbe dort keine Filmschauspielerin Gerda Gerd. Da war aus dem nicht ganz einwandfrei ein stark verdächtig geworden. Und nun zu Habicht-München. Beinahe hätte ich ihn nicht mehr erwischt. Ich will mir weitere Einzelheiten sparen. Schließlich fand ich ihn in der Post. Er hat dort eine Depesche aufgegeben. Dann ging er zu der Gerd. Das Haus kannte ich ja bereits. Die Gerd begleitete ihn bis zur Kreidefabrik hoch oben über Sassnitz. Inzwischen hatte ich mir einen Jungen geheuert, so einen kleinen Lumpen, aus dem die Badegäste ein Erwerbsgenie gemacht haben. Der Knirps hat dann zwischen dem Langen und mir den Verbindungsmann gespielt, sodass ich weit zurückbleiben konnte. Eine Stunde verfolgte Habicht-München den an der Steilküste zur Stubbenkammer zu entlangführenden Weg. Dann kam mein kleiner Kundschafter auf mich zugelaufen und meldete, der Herr wäre nun dort vor uns in der kleinen Villa verschwunden. Er meldete noch mehr, was ich als Hintermann nicht hatte wahrnehmen können: Der Herr hätte sich in einem Gebüsch eine Mütze aufgesetzt und plötzlich einen Bart mehr gehabt. Ich gab dem Knirps zehn Mark. Er sollte noch zehn Mark erhalten, wenn er über dieses Nachschleichen niemandem etwas sagte. Er wird schweigen. Ich weiß, wo er wohnt, und vielleicht kann er mit unseren Karl zusammenwirken, den ich nach Stralsund beordern werde.«

Karl ist ein fünfzehnjähriger, sehr heller Berliner Junge, dessen Mutter, eine Witwe bei Harst in einem Gartenhäuschen wohnt.

»Nachdem der Knirps sich getrollt hatte, schlich ich auf die Villa zu, blieb aber in vorsichtiger Entfernung, konnte nichts Besonderes erspähen, kehrte um und erkundigte mich in Sassnitz bei ein paar Leuten auf der Straße, wem jene Villa dort so weit draußen gehöre. Erst der vierte Mann, ein Zollbeamter, konnte mir Auskunft geben. Die Villa hätte seit Anfang April ein Schriftsteller gemietet, ein Herr Klimke aus Berlin; er hause dort zusammen mit seiner Frau und einem Freund. Das war alles. Also Klimke, Schriftsteller, lieber Schraut, das wollen wir uns merken. Wir fahren jetzt bis Stralsund. Dort verwandeln wir uns, dort erwarten wir Karl. Meiner Mutter depeschiere ich, dass sie sofort für einige Zeit in ein Sanatorium muss – Brief folgt. Sie muss auch verbreiten, ich würde ihr im Sanatorium Gesellschaft leisten, und Sie, Schraut, wären zu Ihren Eltern, sagen wir, nach Schlesien gereist. Wenn wir je Grund zur Vorsicht bis ins Kleinste gehabt haben, so ist es hier der Fall! Wir kämpfen hier gegen Leute, die irgendetwas ganz Großzügiges betreiben oder planen, die über allerlei Hilfskräfte verfügen, die ihre Fühler bis in den Universums-Klub ausgestreckt haben müssen, denn woher sonst wohl Habichts-München Besuch bei uns, der doch nur den Zweck hatte, festzustellen, ob wir vielleicht Harst und Schraut seien! Nur diesen Zweck – das steht außer Zweifel! Ja, Schraut, diese Leute wussten, dass wir es mit der geheimnisvollen Jacht aufnehmen wollten, diese Leute haben uns erwartet! Mithin ist abermals unsere Aufgabe irgendwie verraten worden, obwohl doch nur noch der Drei-Männer-Ausschuss der Wettgegner die Aufgaben festlegen und darüber tiefes Schweigen bewahren sollte! Wie nur hat dieser Verrat geschehen können? Nun, das festzustellen, ist eine spätere Sorge. Jetzt heißt es: nach Stralsund – und dann zurück nach Sassnitz, aber in einer Verkleidung, die uns ganz sicher vor dem Erkanntwerden schützt!«

Ich begriff Harsts Eifer nicht recht. Die Beweise dafür, dass der lange Spitzbärtige, dass Gerda Gerd und die Villa an der Steilküste mit der Jacht irgendwie zusammenhingen, erschienen mir doch recht lückenhaft. Ich sprach nun auch ganz ehrlich aus.

Da legte mir Harst die Hand schwer aufs Knie und sagte: »Schraut, vor der Villa, weithin sichtbar, steht eine Fahnenstange von solcher Höhe, wie sie niemand zum Schmuck seines Vorgartens errichten lässt. Die Stange ist ganz neu, ist noch ungestrichen, aber sie hat nicht weniger als drei Zugleinen, die zur Spitze führen. Signale zur See hin, Schraut, Signale! Am Tag durch Flaggen, nachts durch Laternen. Und die Gerd, das ist die Spionin bei dem Torpedomaat! Verstehen Sie nun? Soll es denn ein bloßer Zufall sein, dass die Villa Anfang April gemietet wird, dass die Gerd am 10. April in Sassnitz auftaucht und am 15. April die Jacht zum ersten Mal?«