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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sammlung bergmännischer Sagen Teil 27

Das arme Bergmannsleben ist wunderbar reich an Poesie. Seine Sagen und Lieder, seine Sprache, seine Weistümer reichen in die älteste Zeit zurück. Die Lieder, die wohlbekannten Bergreihen, die Sprachüberreste, die Weistümer sind teilweise gesammelt. Die Sagen erscheinen hier zum ersten Mal von kundiger Hand ausgewählt und im ganzen Zauber der bergmännischen Sprache wiedergegeben. Das vermag nur zu bieten, wer ein warmes Herz für Land und Leute mitbringt, wo diese uralten Schätze zu heben sind; wer Verständnis für unser altdeutsches religiöses Leben hat, wer – es sei gerade herausgesagt – selbst poetisch angehaucht ist. Was vom Herzen kommt, geht wieder zum Herzen, ist eine alte und ewig neue Wahrheit. Hat der Verfasser auch nur aus der Literatur der Bergmannssagen uns bekannte Gebiete begangen, verdient er schon vollauf unseren Dank. Seine Liebe zur Sache lässt uns hoffen, er werde mit Unterstützung Gleichstrebender noch jene Schaetze heben, die nicht an der großen Straße liegen, sondern an weniger befahrenen Wegen und Stegen zu heiligen Zeiten schimmern und zutage gefördert sein wollen.


IV. Vermischte Sagen

5. Unverhofftes Wiedersehen

In Falun in Schweden küsste vor gut hundert Jahren und mehr ein junger Bergmann seine hübsche junge Braut und sagte zu ihr: »Auf Sankt Lucia wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Frau und bauen uns ein eigenes Nestlein.«

»Und Friede und Liebe soll darin wohnen«, sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, »dann bist du mein Einziges und mein Alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein als an einem anderen Ort.

Als sie aber an Sankt Lucia der Pfarrer zum zweiten Mal in der Kirche ausgerufen hatte: »So nun jemand Hindernis wüsste anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen«, da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den anderen Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, – der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, – da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr einen Guten Morgen, aber keinen Guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie säumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeitstag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte um ihn und vergaß ihn nie.

Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, der Siebenjährige Krieg ging vorüber, Kaiser Franz I. starb, der Jesuitenorden wurde aufgehoben, Polen geteilt, die Kaiserin Maria Theresia starb, der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen General Stein in der Veterani-Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, die Französische Revolution und der lange Krieg fingen an, und der Kaiser Leopold II. ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, die Engländer bombardierten Kopenhagen und die Ackerleute säten und schnitten. Der Müller mahlte und die Schmiede hämmerten und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schächten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war, sodass man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als ob er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen wäre bei der Arbeit. Als man ihn aber zutage gefördert hatte, Vater und Mutter, Freunde und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam. Mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder.

Erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, sagte sie endlich: »Es ist mein Verlobter, um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen lässt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube gegangen und nimmer gekommen.»

Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie jetzt die ehemalige Braut sahen in der Gestalt des hingewelkten, kraftlosen Alters, und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte. Aber er öffnete seinen Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen. Als sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr kleines Stüblein tragen ließ, als die Einzige, die ihm angehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf dem Kirchhof. Den anderen Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit rotem Streifen um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als ob es ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: »Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder noch zehn im kühlen Hochzeitsbett und lass dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch ein wenig zu tun und komme bald, und bald wird es Tag. Was die Erde wiedergegeben hat, wird sie zum zweiten Mal auch nicht behalten«, sagte sie, als sie fortging und sich noch einmal umschaute.