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Der Welt-Detektiv Band 6

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Atlantis Teil 32

Wibehafen … das neue Bild! Wie anders war es noch vor Wochen!

Gewiss! Auch jetzt drängte sich Schiff an Schiff an den Kais. Sie kamen an wie früher, mit Lebensmitteln, mit Ballast. Kehrten zurück mit dem, was die Gruben geliefert hatten. Kohle früher! Jetzt Menschen!

Leer die Riesenschächte! Leer die gewaltigen Fabrikgebäude! Stumm die Maschinen! Alles Lebende auf der Flucht nach Süden. Nichts von den kostspieligen Anlagen, von den Riesenwerften durfte abmontiert, durfte weggeschafft werden.

Menschenleben retten! Die letzten Transporte waren zu machen. Ein paar Tausend … Die Letzten von den Hunderttausenden, die bis vor Kurzem hier gelebt hatten. Die Stadt mit ihren schönen breiten Straßen, den großen, wohlgebauten Häusern bot ein trauriges Bild in ihrer Öde und Verlassenheit.

Das Flugzeug, das, von Süden her kommend, auf dem Flugplatz landete, fand keine Helfer. Die Riesenhalle leer, verlassen.

Uhlenkort sprang hinaus und nahm den Weg zum alten Leuchtturm. Die Augen geradeaus gerichtet … nicht links, nicht rechts schauend, als könne er den trostlosen Anblick nicht ertragen, ging er seinen Weg. Und wieder war es ihm wie so oft. Als er nun am Fuß des Turmes stand und die Hand an die kalten grauen Quadern legte, ging ein Strom von Zuversicht, von Hoffnung durch sein Herz, verscheuchte alles, was es bedrückte.

Und dann stand er dem Freund gegenüber, oben in der Laterne des Turmes. Der begrüßte ihn kurz, wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

War es die Nähe des Mannes, war es die Ruhe im Gemach? Uhlenkort ließ sich in einen Sessel nieder. Seine Hand strich über die Stirn, verscheuchte alle Sorgen und Qualen der Tage und Nächte.

Er zog eine amerikanische Zeitung aus seiner Tasche und begann zu lesen. Hier ein ausführlicher authentischer Bericht über das Unglück am Augustus-Schacht in Mineapolis.

Tredrup … sein Werk!

Wo war er jetzt? Hatte er sich gerettet?

Die Zeitung schilderte die Vorgänge der Katastrophe in den grellsten Farben.

Uhlenkort las, zuckte die Achseln.

Wie verblasste das alles gegenüber dem, was über Europa gekommen war. Noch einmal überlegte er im Geist die Tat Tredrups, ihre Notwendigkeit. Ein Herostrat … das Wort stand in den Spalten der Zeitung immer wieder.

War es das? War das richtig? Nein! Nein!, schrie es in ihm auf. Es musste geschehen in berechtigter Notwehr.

Und als wollte er sich freimachen von alledem, schlug er die Seite um, las weiter. Flüchtig gingen seine Augen über die gesperrt gedruckten Überschriften.

Da! Ein freches Piratenstück im Golf von Mexiko!

Er las …

Der Überfall war anscheinend schon vor Tagen passiert. Der Bericht der Augenzeugen war es. Der letzte Satz: Ein Passagier, Miss Christie Harlessen, Kontoristin aus New York, wird seit der Stunde des Überfalls vermisst. Man vermutet, dass sie von den Piraten mitgeschleppt wurde, wobei allerdings auffällt, dass niemand die gewaltsame Entführung gesehen hat.

Uhlenkort las … immer wieder lasen seine Augen diese Worte. Der Atem stockte ihm, seine Hände umkrampften das Blatt.

Christie geraubt! Unmöglich! Von wem? Warum? Lösegeld?

Von einer kleinen Kontoristin … und doch! Doch konnte es sein … ihr Name: Harlessen … Vielleicht war er den Piraten aufgefallen. Sie hatten erfahren, dass sie mit dem Präsidenten der Europäischen Union nahe verwandt sei.

Im Geist versetzte er sich auf das Schiff, sah, wie Christie, von rauen Fäusten aus ihrer Kabine gerissen, in das Räuberschiff gebracht wurde.

Jäh sprang er auf, eilte zum Arbeitstisch. Johannes musste helfen … Er konnte es! Was konnte der Freund nicht?

Er rüttelte an dessen Schultern, sprach zu ihm.

Dieser schien nichts zu fühlen, nichts zu hören. Seine Hände arbeiteten an einem mechanischen Werk, seine Augen waren darüber geneigt, jede Bewegung verfolgend, prüfend.

Uhlenkort trat zurück. Er durfte ihn nicht stören. Er stellte sich zur Seite, wartete in fieberhafter Ungeduld. Die Sekunden wurden ihm zu Minuten, die zu Stunden … unerträglich …

Da, endlich! Der andere richtete sich auf, wandte sich zu ihm.

»Was ist? Was wolltest du?«

Uhlenkort wies ihm die Zeitungsnotiz. Mit fliegendem Atem stammelte er ein paar erläuternde Worte.

»Hilf mir, Johannes? Hilf mir! Du kannst es! Ich weiß es.«

Der schüttelte den Kopf.

»Nein! Du irrst. Ich kann dir nicht helfen, ich kann dir nichts sagen, ich darf es nicht …«

Die letzten Worte, in leisem Flüsterton gesprochen, Uhlenkort hatte sie doch vernommen.

»Du darfst es nicht?«, schrie er. »Du kannst es und willst es nicht?«

Der Freund wandte sich ab zu dem breiten Südfenster, starrte lange hinaus.

»Ich könnte es … vielleicht …«, murmelten seine Lippen. »Nein!« Mit dem Wort hatte er sich umgewandt, trat auf Uhlenkort zu.

»Nein! Ein Missbrauch wäre es! Ich will nicht! Du, der du tiefer in mein Innerstes geschaut hast als irgendein anderer Sterblicher … du, der du weißt, was das Schicksal mir auferlegte, weißt, dass meine schwachen Schultern die Bürde kaum zu ertragen vermögen … weißt, dass ich alles, was ich tue … tue … weil das Schicksal es will, der du weißt, dass die Macht, die in meine Hände gelegt ist, von ihm kommt … Das Walten des Geschickes … rätselhaft … unbegreiflich, dir … mir, dem Diener, den er sich auserkoren … Missbrauch, Frevel wäre es! Ich kann es nicht! Ich will es nicht!«

Uhlenkort starrte in das Gesicht des Freundes. Von Jugend an kannten sie sich. Nie hatte er es so gesehen. Die tiefe Blässe, die stets darauf geruht, war verschwunden, einer leichten Röte gewichen. Die blauen Augen – ein leichter Schleier hatte stets darüber gelegen – leuchteten, wie wenn ein heiliges Feuer sie entzündete. Statt der sanft geschwungenen Lippen des zarten Mundes ein messerscharfer roter Strich an ihrer Stelle. Die schmächtige, leicht vornübergeneigte Gestalt stand hoch aufgerichtet da.

Uhlenkort war zurückgetreten, sah zu ihm hinüber.

War das Johannes Harte? War das der Freund seiner Jugend?

»Du wirst sie wiedersehen, die Verlorene, sei es dir ein Trost! Doch vergiss es nicht, dass auch dir das Schicksal zu tragen gegeben hat, schwer, schwerer als vielen anderen Sterblichen. Dass auch du sein Diener bist, bestimmt zu Großem, bestimmt, vielen Tausenden zu helfen, ihre Not zu lindern … Sie …« Der starre Ausdruck seines Gesichts milderte sich, »… sie ist in Not, einer Not, klein gegenüber der der Tausende. Du tust dein Werk, wie das Schicksal es will. Ich will das meine tun. Als du kamst, tat ich den ersten Schritt …«

Und dann war es wieder der alte Freund, der Johannes Harte, wie er ihn von Jugend auf kannte.

»Wir wollen einen Gang über die Insel machen. Komm mit mir.«

Sie standen an einer vorspringenden Klippe. Unter ihnen die brausende, rauschende Flut. Zur Seite der Hafen.

Ein ankommendes Schiff. Die Landungsbrücke war herunten, ein Strom von Menschen eilte über sie hinweg, auf das Schiff.

Uhlenkort sah es. Gleichgültig glitt sein Auge über das Bild. Nichts in ihm regte sich dabei. Sein Herz, es schlug im Widerhall der Worte, die sein Freund gesprochen:

»Ich habe den ersten Schritt getan.«

Von Süden her näherte sich ein Flugzeug. Schon konnte man die Formen unterscheiden.

Ein schnelles Privatflugzeug musste es sein. Wer konnte das sein?

Tredrup!, schoss es Uhlenkort durch den Kopf.

Eine jähe Freude stieg in ihm auf, ihn wiederzusehen! Lebend! Hier!

Auch er war ein Diener des Schicksals. Mit ihm zusammengestellt, manche Wege gemeinsam zu gehen, Freund dem Freunde, jetzt und auch weiterhin. Christie … Tredrup … der offene klare Charakter … ein Kind konnte in seinen Zügen lesen! Und doch, was hatte ihm die Natur noch gegeben, mehr als anderen … den schlauen, findigen Geist, allen Lebenslagen gewachsen, überall einen Ausweg sehend.

»Gehen wir zum Flugplatz!«

Er sprach es und ging mit schnellen Schritten darauf zu, achtete nicht, dass der andere ihm nur langsam folgte.

Ja, es war Klaus Tredrup, der ihm am Tor des Hafens entgegentrat. Sie gingen der Stadt zu. Tredrup erzählte, kaum konnte ihn Uhlenkort mit einer Frage unterbrechen. Die Hauptsache kannte er ja aus den Zeitungsberichten, aber die Flucht, die abenteuerliche Flucht, bis er wieder europäischen Boden unter sich hatte.

Und damit hatte Tredrup seinen Bericht beendet.

»Nun bin ich hier! Wieder bei Ihnen. Und nur die eine Frage ist es, die mir auf dem Herzen liegt, sich darauf gelegt hat, vom ersten Schritt, den ich tat … die, von der ich mich nicht freimachen konnte, bis zu diesem Augenblick: War es recht, was ich tat?«

Uhlenkort hatte seine Hand ergriffen, sie gedrückt, dann an sich gezogen.

»Ja! Und tausendmal ja, es war recht!«

Sie standen am Leuchtturm. Der Turmbewohner … Die Erinnerung hatte auf Tredrup gelastet seit dem Morgen nach der nächtlichen Fahrt. Sein beweglicher Geist hatte am hellen Tag die Gespenster der Erinnerung zu verscheuchen gewusst. Aber die Nächte …

Sie standen am Fuß des Turms. Tredrup ging voran. Fast nahm sein Fuß zwei Stufen auf einmal. Und dann stand er vor dem Rätselhaften, ergriff dessen Hand, drückte sie. Der hielt sie fest. Reichte die andere Uhlenkort, bis sie standen Hand in Hand … Diener des Schicksals!

Sie saßen gemeinsam am Tisch. Tredrup erzählte den Freunden, wie er es getan hatte. Und wieder hatte Uhlenkort, als er endete, das Wort wiederholt: »Recht war es!«

Tredrup sah zu dem anderen hinüber. Dieser nickte, und leise kam es von seinen Lippen: »Das Schicksal wollte es!«

Uhlenkort nahm die Zeitung. »Christie Harlessen von Seeräubern geraubt …«

Tredrup fuhr kurz zusammen. Seine Augen blickten zu dem anderen, schienen es nicht zu fassen.

»Wir müssen sie retten«, entfuhr es ihm. »Retten, so schnell wie möglich. Christie Harlessen geraubt.« Immer wieder murmelte er es vor sich hin. »Unmöglich! Unmöglich!«

Er wiederholte die gleichen Worte, die Uhlenkort gesprochen.

»Warum? Weshalb? Lösegeld? Kontoristin aus New York? Schulleiterin?«

Die Augen weit geöffnet, sprang er auf.

»Kapstadt! Juanita! Rouse!« Diese Worte gellten durch den Raum.

»Juanita! Du! Ah! Jetzt weiß ich es … Jetzt verstehe ich es … Du belogst mich doch!«

Er sank auf den Stuhl zurück und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Du belogst mich doch!«

Immer wieder stieß er es aus. Die anderen sahen auf ihn. Diese Kraftnatur, geschüttelt in schwerstem Seelenkampf. Was war das?

Da sprang er auf.

»Guy Rouse!«, zischte er. »Kein anderer! Juanita! Warum?«

Er drückte die Fäuste vor die Stirn. »Ich weiß es nicht. Nur das eine weiß ich, er steht hinter all diesem.«

»Guy Rouse?« Auch Uhlenkort sprang auf. »Wie kommst du zu diesem Namen? Was hat er mit Christie zu tun?«

Er trat auf Tredrup zu und schüttelte ihn. »Was ist mit Guy Rouse und Christie? Sag es! Was weißt du?«

Und wie sie noch standen, war der Dritte zu ihnen getreten, hatte zu ihnen gesprochen, dass sie voneinander ließen, sich setzten, dass Tredrup sagte, was er dachte. Lange, lange sprachen sie, Tredrup und Uhlenkort. Immer wieder ging ihr Blick zu dem anderen hinüber. Der saß, das Gesicht nach Süden gerichtet, regungslos. Kein Zug … Kein Zucken in seinem Gesicht. Keine Antwort auf ihr stummes Fragen.

Tausend Pläne wurden erwogen, verworfen. Kein Ausweg. Bis sie erschöpft schwiegen. Ratlos, hilflos.

Da wandte sich der andere um.

»Schicksal! Wisst ihr es noch nicht? Es geht seinen Gang. Es wird geschehen, es wird erfüllt werden, wenn die Zeit gekommen ist. Ihr habt zu warten, zu tun, was euch das Schicksal gebietet.«