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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Schluss

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Fünfundfünfzigstes Kapitel

Schluss

An dem allen jenen tragischen Ereignissen nachfolgenden Morgen würde ein durch das große Tor des Gutes Willkommenberg Eintretender, wenn er die lange Palmenallee hinauf gesehen hätte, nur einen Haufen geschwärzter rauchender Trümmer erblickt haben.

Wäre ein solcher aber an einem anderen Morgen zwölf Monate später gekommen, er würde durch einen von jenem ganz verschiedenen Anblick überrascht und erfreut worden sein. Denn abermals strahlte am Ende jener Prachtallee das stolze wiedererstandene Herrenhaus von Willkommenberg im vollem Glanz. Wiedererstanden war es tatsächlich in der höchsten Vollendung, denn die noch von früher stehen gebliebene steinerne Treppe, die weißen Umfassungsmauern, die mit grünen Jalousien versehenen Fenster sowie überhaupt der ganze mit dem früheren Gebäude übereinstimmende, phönixgleich aus den Flammen hervorgegangene Bau ließen selbst einem alten Bekannten nicht die geringste Veränderung entdecken.

Von Außen war alles ganz wie es zuvor gewesen war. Nur wenn man ins Haus selbst eintrat, vermochte man einige Veränderung wahrzunehmen, die sich vorzüglich auf seinen jetzigen Bewohner und Inhaber bezog. Anstatt eines ziemlich dicken Herrn von ungefähr fünfzig Jahren mit etwas gerötetem Gesicht war der gegenwärtige Eigentümer von Willkommenberg ein Jüngling von edlem Anstand, dem Alter freilich nach kaum ein Mann, allein der Haltung wie dem Betragen nach vollkommen geeignet, der Herr des aristokratischen Hauses zu sein.

Ihm zunächst und sicher ganz nahe bei ihm weilt ein holdes, gewiss jedes Auge fesselndes Frauenbild, das schon das alte Haus geziert, dem neuen aber noch zu größerer Zierde gereicht, die Tochter des früheren Eigentümers, die Gattin des jetzigen.

Sie hat nicht einmal eigentlich ihren Namen verändert, nur ihren Stand, denn die kleine Quasheba ist jetzt nicht mehr Fräulein Vaughan, sondern Frau Vaughan.

Beide sitzen jetzt in der großen Halle mit dem glatten Fußboden und dem wie früher glänzenden Hausgerät.

Es ist bald nach dem Einnehmen des Frühstücks und, ganz wie vormals, gerade die Zeit, wo die Ankunft der Post erwartet wird. Wohl waren sie hierauf keineswegs besonders begierig, denn die beiden glücklichen Leute waren gegen die Außenwelt ziemlich gleichgültig und kümmerten sich wenig um Neuigkeiten. Ihre Liebe, noch in der vollen Blüte süßer von einer erst kürzlich geschlossenen Ehe geweihter zärtlicher Empfindungen, war ihnen ihre ganze Welt. Welch besonderes Interesse hätten sie daher an der Ankunft der Post nehmen sollen.

Allein der Post ist es vollkommen einerlei, ob sie ersehnt oder mit Gleichgültigkeit aufgenommen wird.

Sie übermacht ihre Botschaften dem Ernsten wie dem Fröhlichen, sie bringt dem Kummer beladenen Herzen Freude und versetzt das noch wenige Augenblicke vor ihrem Eintreffen von Wonne und Freude erfüllte Gemüt in trübe Angst und schwere Sorgen.

Die in der großen Halle von Willkommenberg sich Befindenden waren sicher von seligen Gefühlen erfüllt, das kündeten ihre träumerischen Augen, die sich gegenseitig mit traulichen Blicken inniger Liebe ansahen und so tief ineinander versunken waren, dass sie die dunkle kleine Gnomengestalt nicht beachteten, die sich in der Allee näherte und die der wohlbekannte Postbube auf dem zottigen Klepper war, der noch immer als Bote nach der Montegobay benutzte Quashie.

Obwohl Briefe von den beiden Glücklichen gewöhnlich nur sehr wenig beachtet wurden, so war dies heute doch anders. Der von Quashie überlieferte Briefbeutel enthielt einen ganz besonderen Brief, dessen Absendungsort zur alsbaldigen Öffnung trieb. Der Brief war nämlich ein afrikanischer und mit dem Namen eines der Mündung des Gambia naheliegenden Hafens gestempelt. Die Adresse des Briefes lautete: Herbert Vaughan, Gutsbesitzer zu Willkommenberg, Jamaika.

Der junge Pflanzer öffnete den Brief und durchflog ihn rasch.

»Von deinem Bruder Cubina!«, sagte er, obwohl er wusste, dass er hierdurch nichts Neues mitteilte. »Er schreibt, um uns anzukünden, dass er wieder nach Jamaika zurückkehren will.«

»O, darüber bin ich sehr erfreut. Ich wusste wohl, er könne nicht zufrieden unter einem solchen wilden Volk leben, obwohl er da zum Fürsten erhoben worden ist. Allein Yola …«

»Sie kommt mit ihm, natürlich. Er wird sie nicht zurücklassen können. Sie sehnt sich nach ihrer Inselheimat und das verwundert mich auch gar nicht, teuerstes Käthchen! Auf der Erde gibt es immer eine vor allen anderen Plätzen geheiligte Stelle, das ist die Stelle, wo das Herz ein anderes Herz im offenen Geständnis gegenseitiger Liebe angetroffen hat. Kein Wunder daher, dass sich das afrikanische Mädchen dahin zurückzukehren sehnt. Die menschliche Natur ist überall ganz dieselbe. Für mich ist diese Insel ein Elysium auf der Erde!«

»Ah, und für mich auch!«

Bei diesem gegenseitigen Geständnis näherten der junge Gatte und seine Frau sich unwillkürlich einander und küssten sich so inbrünstig, als wären sie noch gar nicht miteinander verheiratet. Nach dieser zärtlichen Umarmung fuhr Herbert mit dem Lesen des Briefes fort.

»O!«, rief er aus, als er etwas mehr von dem Brief gelesen hatte. »Dein Bruder will wissen, ob er wohl mein Pächter werden oder auch das Stück Land kaufen kann, das neben dem Jumbéfelsen liegt. Der alte König hat ihm ein Kapital mit auf die Reise gegeben und nun will er Kaffeepflanzer werden.«

»Ich freue mich sehr, dass er solche Absichten hat. Da will er sich niederlassen und nahe bei uns sein.«

»Er darf das Land nicht kaufen. Wir müssen es ihm schenken, da wir ja ohnedies genug haben. Was sagst du dazu, Käthchen? Du hast es zu vergeben, nicht ich.«

»Ach!«, erwiderte die junge Frau mit mutwilligem Vorwurf, »quäle mich doch nicht mit solchen Dingen. Du weißt sehr gut, dass ich es dir geben würde, wenn ich mich als die rechtmäßige Eignerin hätte betrachten können und dass …«

»Halt, halt, teueres Wesen! Quäle mich auch nicht mit solchen Bemerkungen! Du warst die rechtmäßige Eigentümerin, hättest es wenigstens sein sollen. Selbst wenn wir nicht gemeinschaftliche Eigentümer geworden wären, ich hätte nie daran denken können, dich aus dem Besitz zu vertreiben. Aber nun sage nur, soll Cubina das Land haben?«

Eine Wiederholung jener früheren sanften Umarmung besiegelte die beider seitige Einwilligung zu dem Vorschlag Cubinas.

Herbert begann nun wieder den Brief weiter zu lesen.

»Guter Gott!«, rief er, als er ihn zu Ende gelesen hatte, »was für eine merkwürdige Geschichte! Der Sklavenschiffer, der Yolas Bruder nach Jamaika gebracht hat, ist wieder an der Küste dagewesen. Was für eine schreckliche Vergeltung!«

»Was denn, lieber Herbert?«

»Denke dir nur, sie haben ihn gefressen!«

»O, du himmlischer Vater!«

»So fürchterlich es auch sein mag, es ist doch wahr. Sonst würde Cubina es sicher nicht geschrieben haben.

Höre nur, was er sagt: Jowler – das war der Name des Sklavenschiffers – kam zu dem alten Futatoro, um von ihm eine neue Ladung Sklaven zu erhalten. Der Fürst, der bereits von des Schiffers Verrat gegen den Prinzen Cingües wusste, befahl sofort seine Gefangennahme und ließ ihn ohne irgendeine Untersuchung oder irgendeine andere Formalität auf der Stelle in Stücke zerschneiden. Dann wurde er gekocht und bei dem großen Nationalfest gegessen, das zur Feier meiner Hochzeit mit der Prinzessin Yola gegeben wurde. Carambo! Es war ein peinigender Anblick und man hätte wirklich Mitgefühl für den armen Unglücklichen haben können, wäre er nur etwas anderes als ein Menschenfleischhändler gewesen. Allein da dies der Fall war, so konnte ich zusehen, ohne große Lust zu empfinden, mich für ihn zu verwenden. Übrigens war mein Fellatah-Schwiegervater tatsächlich so erzürnt und wütend über ihn, dass ich den Elenden nicht von einem Schicksal hätte retten können, das er nach allen Untaten eigentlich ganz wohl verdient hatte, und dem ihn überwiesen zu sehen die sämtlichen von ihm übers atlantische Meer geführten armen Opfer unbezweifelt sehr vergnügt gewesen wären.«

»Es ist nur gut«, sagte Käthchen darauf, »dass Cubina sich entschlossen hat, ein Land zu verlassen, wo wie ich fürchte, solche Auftritte ganz gewöhnlich sind. Ich werde sehr glücklich sein, sie beide wieder hier auf unserer schönen Insel zu sehen. Und du, Herbert, des bin ich gewiss, wirst dich auch auf ihre Rückkehr freuen …«

»Ganz gewiss werde ich das. O Käthchen! Ist es dir wohl je eingefallen, wie sehr wir den beiden eigentlich verpflichtet sind?«

»Oft, Herbert, oft. Und glaubte ich nicht fest an eine Vorherbestimmung, ich möchte fast annehmen, dass sie allein …«

»O Unsinn, Käthchen!«, erwiderte der junge Ehemann scherzend. »Nur nichts von deinem Kreolenaberglauben. Es gibt gar keine Vorherbestimmung. Die war es gewiss nicht, die mein Herz zu dem Glauben trieb, dass du das lieblichste Geschöpf auf der Welt, sondern weil es wirklich so ist. Sei nicht undankbar gegen Cubina und Yola und gestehe es offen ein, Geliebte, dass du ohne sie wahrscheinlich Frau Smythje geworden wärst und dass ich – ich …«

»O Herbert! Sprich nicht von der Vergangenheit. Lass die in Vergessenheit begraben sein, da unsere Gegenwart jetzt so ganz nach Wunsch ist!«

»Ganz recht, Teuerste! Aber lass uns deswegen nicht die Dankbarkeit aus den Augen verlieren, die wir Cubina und seiner treuherzigen Geliebten schulden. Um ihnen dies tatsächlich zu beweisen, schlage ich noch etwas mehr vor, als ihnen bloß dies Stückchen Land zu schenken. Lass uns ein hübsches Haus darauf bauen, sodass sie bei ihrer Ankunft gleich ein eigenes Dach haben, unter dem sie wohnen können.«

»O, das würde ihnen gewiss eine höchst angenehme Überraschung bereiten!«

»Dann lass uns dies bald ausführen. Was für ein lieblicher Morgen! Meinst du nicht auch so, liebes Käthchen?«

Als Herbert diese letzte Frage stellte, sah er durch die offenen Jalousien. Der Morgen war gerade nicht vorzugsweise schön wenigstens nicht für Jamaika, allein Käthchen sah mit Herberts Augen und in diesem Augenblick erschien die ganze Welt beiden in ihrer Liebe glücklichen Leuten rosenfarben.

»In der Tat, ein sehr schöner Morgen«, antwortete die junge Frau und blickte forschend auf ihren Gatten.

»Was sagst du denn zu einem kleinen Ausflug zu Fuß?«

»Mir würde ein solcher ganz recht sein. Wo wolltest du denn hingehen?«

»Das musst du raten!«

»Nein, Du musst es mir sagen.«

»Du vergisst ganz Käthchen! Nach Kreolengebrauch dauern unsere Flitterwochen zwölf Monate. Bis diese beendet sind, bist du der Herr, liebes Weibchen! Deshalb frage ich dich, wo möchtest du am liebsten hingehen?«

»Ich weiß wirklich nicht, Herbert. Wohin du willst. In deiner Gesellschaft ist es mir ganz einerlei. Du musst entscheiden.«

»Nun denn, Teuerste, da du es mir durchaus überlassen willst, so entscheide ich mich für den Jumbéfelsen. Von da oben kann man das Stück Land übersehen, das wir unserem Bruder Cubina verleihen wollen. Da können wir auch gleich den Platz für sein Haus aussuchen. Ist dir das so recht?«

»O liebster Herbert!«, erwiderte die junge Frau, schlang ihren Arm um ihren Gatten und blickte ihm zärtlich in die Augen, »das ist ja gerade der Ort, wo ich hinzugehen wünschte.«

»Warum das? Sag es mir, Käthchen!«

»Geh, Herbert! Weshalb soll ich es dir noch einmal sagen? Du weißt ganz wohl, dass ich es dir schon früher gesagt.«

»O sag es noch einmal, ich höre dich so gern von jener schönsten Stunde meines Lebens reden.«

»Stunde, Herbert? Kaum eine Minute war es ja nur und doch eine Minute, die mein ganzes übriges Leben aufwiegt! Eine Minute, in der ich erfuhr, die Sprache deiner Augen sei viel aufrichtiger und wahrer als die deines Mundes! O hätte ich das nicht tief empfunden und hätte ich daran nicht beständig fest geglaubt, ich hätte verzweifeln müssen! Die Erinnerung an jenen holden, mir ewig unvergesslichen Blick tröstete mich und hielt mich stets aufrecht. Er ließ mich trotz allen Missgeschicks immer wieder hoffen.«

»Und mich auch Käthchen. Die Erinnerung daran ist mir gewiss ebenso teuer, wie sie dir sein kann. Lass uns darum den von unserer Liebe geweihten Platz aufsuchen.«

 

*

 

Eine Stunde später standen beide miteinander auf dem Jumbéfelsen, auf der ihren Herzen über alles teuren Stelle.

Herbert schien seine früher geäußerte Absicht ganz vergessen zu haben. Nicht ein Wort wurde jetzt von ihm über Cubina oder über die Lage seines künftigen Hauses geäußert, nicht ein Wort über das glückliche Tal oder die durch dessen Anblick geweckten unfreundlichen Erinnerungen. Die ganze Vergangenheit schien für jetzt vergessen, ausgenommen jener beiden Liebenden unvergessliche süße Augenblick, in dessen ungetrübtem Andenken ihre Seelen wie ihre Gespräche sich vereinten.

»Und du liebtest mich damals wirklich?«, fragte er, lediglich um den Genuss zu haben, die Bejahung dieser sonst gewiss überflüssigen Frage zu hören. »Du liebtest mich damals?«

»O Herbert, wie hätte ich dich nicht lieben sollen? Waren doch deine Augen damals so schön!«

»Nun, sind sie es jetzt nicht mehr?«

»Wie grausam doch eine solche Frage ist! Gewiss sind sie jetzt noch viel schöner! Damals sah ich in sie nur in der Vorempfindung künftigen Glücks, jetzt aber sehe ich in sie im vollen Bewusstsein des wirklichen Besitzes. Jener Augenblick damals versprach Wonne und Glück, die Gegenwart aber ist ganz Glückseligkeit!«

Diese Bezeichnung war durchaus angemessen, nicht im Geringen zu viel sagend, um die wonnigen von Herbert Vaughan und seiner holden Frau in süßer Gegenseitigkeit empfunden zärtlichen Gefühle passend auszudrücken. Wie sie sich jetzt glühend umarmten und ihre ganz von Liebe und Treue erfüllten Herzen zärtlich aneinanderschlugen, stand bei beiden die Überzeugung fest, dass es selbst auf dieser trüben Welt noch Glückseligkeit gibt.

Ende