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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Den Berg hinunter

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Fünfzigstes Kapitel

Den Berg hinunter

Mitternacht war schon vorüber, als die Liebenden die schauerliche Einsamkeit des Teufelslochs verließen.

Aus verschiedenen Gründen war Herbert so lange an dem wilden Ort geblieben. Zuerst fürchtete er die traurige Enthüllung, die notwendigerweise stattfinden musste, wenn Käthchen nach Willkommenberg zurückkehrte. Was für ein entsetzlich niederschmetternder Schlag musste die gänzlich unerwartete Nachricht von dem Tod des geliebten Vaters für das jetzt im höchsten Entzücken irdischer Glückseligkeit schwelgende Jungfrauenherz sein! Und dennoch konnte ihr die trübe Wahrheit nicht lange vorenthalten werden, obwohl Herbert sehr wünschte, dass sie ihr so lange wie möglich verborgen bliebe, mindestens so lange, bis sich ihr Geist von all der Angst und dem Schrecken der letzten Nacht einigermaßen erholt hätte.

Mit Cubina ging er deshalb zu Rate, wie dies am besten zu erreichen sei. Nur ein einziger Weg schien offen zu stehen, nämlich die Cousine in das Haus des Aufsehers zu führen. Da konnte sie dann jedenfalls so lange Zeit ruhig verweilen, als man sie glauben machen könnte, dass notwendig sei, um ihren Vater von dem Brand zu benachrichtigen und um zurückkehren zu können.

Hier in dem Haus des Aufsehers konnte sie auch nicht den geringsten Verdacht über das Schreckliche, mit ihrem Vater Vorgegangene schöpfen.

Weder Herbert noch Cubina wussten, ob die Leiche des Custos bereits den Ort ihrer Bestimmung erreicht hatte. Quaco, als er sie schnell verlassen, hatte darüber weder den Trägern noch den mit der Bewachung der beiden Gefangenen betrauten Maronen irgendeine Anweisung erteilt. Deshalb mochte der Leichenzug auch immerhin noch auf der Landstraße halten, wo Herbert und Cubina ihn verlassen hatten. Wenn dies etwa der Fall war, dann war es nicht schwierig, an dem niedergebrannten Haus vorüberzukommen und das Haus des Aufsehers zu erreichen, ohne ihr irgendetwas von der Ermordung ihres Vaters mitteilen zu müssen. Einmal aber unter dem Dach des Herrn Trusty ließen sich leicht Maßregeln ergreifen, um alle, welche mit ihr in Berührung kämen, zum unverbrüchlichen Schweigen über dieses traurige Ereignis zu bringen.

Das war der hastig zwischen Herbert und Cubina entworfene Plan, den sie nun dadurch zur Ausführung bringen wollten, dass sie die junge Kreolin aus dem Teufelsloch herausführten und mit ihr zum Tal von Willkommenberg hinabstiegen.

Nur die beiden begleiteten sie, die Maronen blieben unter ihrem Leutnant Quaco mit der wichtigen Absicht im Teufelsloch zurück, den Koromantis zu fangen.

Wohl wäre Cubina gern selbst dageblieben, allein er fühlte Sehnsucht nach seiner geliebten Yola, die unter den übrigen Hausdienern des abgebrannten Hauses zurückgeblieben war. Übrigens setzte er vollkommenes Vertrauen sowohl in die Geschicklichkeit seines Leutnants als auch in den Mut seiner Leute. Deshalb, als er von dem Teufelsloch fortging, zweifelte er gar nicht daran, dass Chakra gegen Tagesanbruch oder vielleicht schon vorher von Quaco gefangen genommen sein würde.

Herbert und seine Cousine stiegen den Berg nur langsam hinab, obwohl der jetzt hell ihren Pfad beleuchtende Mond das Niedersteigen begünstigte. Cubina ging voran, um sie vor Überraschung und Gefahr zu sichern. Das junge Mädchen schritt an der Seite Herberts und stützte sich auf seinen Arm, denselben kräftigen Arm, der ihr einst von ihm so zuvorkommend und vertrauensvoll zugesagt war. Jetzt war die Zeit gekommen, wo das damalige Anerbieten angenommen und als eine Gunst des Geschicks begrüßt wurde, tatsächlich eine glückliche Zeit für den jungen Engländer, dessen liebestrunkene Seele, jetzt bei jeder Berührung ihres runden, sich auf den seinen stützenden Armes vor wonnigem Entzücken schauerte.

Auch die junge Kreolin fühlte sich überselig. Den schrecklichen von ihr erduldeten Leiden war ein stilles und tiefes Gefühl des höchsten Glücks gefolgt. So hatte sie bald die vorausgegangenen Schrecken vergessen, denn sie befand sich ja nun in der nächste Nähe des Geliebten, von dessen Liebe sie jetzt vollkommen überzeugt sein musste, da er ihr nach seinem ersten Geständnis noch oftmals in der kurzen Zeit die feste Versicherung derselben wiederholt hatte. Als Antwort auf alle Liebesgeständnisse hatte sie ihm einfach ohne alle Hintergedanken, ohne die geringste Koketterie, ihr reines unentweihtes Herz geschenkt.

Aber ihre Hand? War die noch frei?

Auf diese Frage suchte Herbert, während sie den Berg hinabstiegen, vor allem eine Antwort zu erhalten, freilich nur auf Umwegen und in so zarter Weise, als es die Verhältnisse ihm geboten.

War es wirklich wahr, was er gehört hatte, dass dem Smythje ein bündiges Versprechen gegeben worden?

Mit niedergeschlagenen Augen blieb das junge Mädchen einige Augenblicke, ohne eine Antwort hervorzubringen, schweigsam. Ihr zitternder Arm verriet dabei den schmerzlichen, in ihrem sanften Gemüt stattfindenden Kampf. Aber bald schien sich der innere Sturm etwas gelegt zu haben, ihre holden Gesichtszüge hatten einen gewissen Ernst, einen feierlichen Ausdruck der Entsagung angenommen, als hätte sie sich entschlossen, ihrem Geliebten ein offenes, rückhaltloses Geständnis abzulegen.

Mit leiser Stimme antwortete sie:  »Ein Versprechen? Ja Herbert, mir in einer der trübsten Stunden meines Lebens abgepresst zu jener Zeit, als ich glaubte, du kümmerst dich durchaus nicht um mich, und als ich erfahren habe, auch du hast ein gleiches Versprechen gemacht – einer anderen. O, Herbert! O, du teuerster Vetter! Glaube mir, es war gegen meinen Willen, es war von mir durch Drohungen, durch Anrufungen erzwungen.«

»Dann ist es auch nicht bindend«, unterbrach sie der Liebende mit ungestüm. »Fand kein Eid zwischen euch statt, kein eigentliches Verlöbnis? Doch selbst, wenn dies stattgefunden hätte, so …«

»Selbst wenn dies stattgefunden hätte!«, rief das junge Mädchen, seine Worte wiederholend, während ihr das heiße Kreolenblut plötzlich in die Wangen stieg und ihre Augen eine ernsthafte Entschlossenheit verkündeten. »Es wäre doch kein wirkliches Verlöbnis vorhanden, das mich fest zu binden vermöchte. Nein! Nach dem, was sich in dieser Nacht zugetragen hat, wo ich im Augenblick der Gefahr von ihm verlassen worden bin – nein, nein! Danach könnte ich nimmermehr einwilligen, die Frau des Herrn Smythje zu werden. Lieber wollte ich den Vorwurf der Untreue und des Meineides ertragen, von dem mich mein eigenes Gewissen aber freispräche, als dies mir abgerungene Versprechen erfüllen! Lieber will ich mich der Enterbung unterwerfen, mit der mich mein Vater bedroht und die er bei seiner Rückkehr jetzt unbezweifelt aussprechen wird. Ja, lieber will ich selbst den Tod erleiden, als die Frau einer solchen Memme werden.«

O, wie wenig Gefahr hat es doch mit der Enterbung, dachte Herbert. Wie soll ich ihr nur die schreckliche Neuigkeit beibringen? Wie ihr entdecken, dass sie schon jetzt die Herrin von Willkommenberg ist? Noch nicht, noch nicht!

Eine Weile schwieg der junge Mann still, da er nicht recht wusste, wie er das Gespräch in geeigneter Weise fortsetzen solle. Sie bemerkte ganz wohl seine sorgenvolle Zerstreutheit und dies führte sie zu ihr höchst unangenehmen Vermutungen.

»Vetter! Zürnst du mir wegen dem, was ich gesagt habe? Tadelst du mich?«

»Nein, nein!«, sagte Herbert mit Nachdruck, »ganz im Gegenteil! Durch das Verhalten dieses Mannes – Weibes, möchte ich geeigneter sagen – durch sein jämmerliches Betragen gegen dich, würdest du selbst des feierlichsten Eides entbunden sein, wie viel mehr eines bloßen, sogar gegen deinen eigenen Willen erteilten Versprechens. Das war es aber auch gar nicht, woran ich gedacht habe.«

»An was denn, Herbert?«

Als sie diese Frage erhob, lehnte sie sich zutraulich an ihn und sah ihm dabei forschend in die Augen. Herbert war wirklich um eine Antwort verlegen, denn sein nachdenkliches Stillschweigen hatte bei ihr eine sich mit jedem Augenblick mehrende Unruhe geweckt. Ihre Blicke verrieten deutlich einen sie peinigenden Verdacht. Sie wartete indes seine Antwort gar nicht ab, sondern fügte mit zitternder Stimme die Frage hinzu: »Hast du ein Versprechen gegeben?«

»Wem, meinst du?«

»O, Herbert! Zwinge mich nicht, den Namen auszusprechen, Du musst ja wissen, welche ich meine.«

Durch diese Frage fühlte sich Herbert sichtlich erleichtert. Sie veränderte seinen Gedankengang und gewährte ihm zugleich die Gelegenheit, etwas zu reden.

»Ha, ha, ha!«, lachte er. »Jetzt erst, Cousine, glaube ich, verstehe ich dich. Ein Versprechen, meinst du? Nichts von dem, ich versichere sir, obwohl, nachdem du ein Geständnis abgelegt hast, ich gewiss nicht verheimlichen würde, was sich zwischen mir und der, auf die du anspielst zugetragen hat. Liebe war nicht vorhanden, mindestens nicht von meiner Seite, das versichere ich dir, Cousine. Aber das muss ich offen gestehen, dass gekränkt durch deine vermeintliche Kälte gegen mich, irregeleitet durch mancherlei jetzt, glücklich genug, sich als gänzlich falsch erweisende Berichte, ich fast dazu getrieben worden wäre, ein verhängnisvolles Wort zu sprechen, das ich unbezweifelt während meines ganzen übrigen Lebens zu bereuen und zu beklagen gehabt hätte. Doch glücklicherweise, Dank der Vorsehung, haben die Umstände mich daran gehindert, und wir sind jetzt beide vollkommen frei. Nicht wahr?«

»O Seligkeit! Herbert, Herbert! So willst du nun mein sein, mein allein?« Überwältigt von den heißen Trieben der reinen rücksichtslosen Leidenschaft hatte die junge Kreolin diese entscheidende Frage gestellt.

»Teuerstes Käthchen!«, jauchzte der Liebende im höchsten Entzücken eines bisher nimmer geahnten, seine kühnsten Hoffnungen erfüllenden Wonnenrausches. »Mein Herz ist ganz dein, dein allein, dein für alle Ewigkeit! Aber meine Hand, Cousine! Die darf ich dir dennoch nicht anbieten. Du bist reich, vornehm, und ich! Ich bin arm, ohne alle Mittel, selbst ohne eine Heimat!«

»Ach Herbert! Du weißt es nicht. Doch wäre ich wirklich auch zehnmal reicher als du, glaube mir sicher, du würdest mir alles, alles sein! Aber nein, vielleicht werde ich arm sein, wie du dich selbst jetzt hältst. Ach, du weißt es nicht, doch du musst es wissen, ich will dir nichts verhehlen! So erfahre denn, teuerster Vetter, dass meine Mutter eine Quadrone war und dass ich nur eine Mestize bin. Ich kann meines Vaters Eigentum nicht erben, außer durch ein Testament, und selbst das nicht einmal, wenn nicht eine Regierungsakte vorliegt. Das ist der Grund, warum mein Vater jetzt verreist ist. Allein ob seine Reise von Erfolg oder nicht, das ist nun ganz gleich. Enterben wird er mich gewiss, denn niemals werde ich einwilligen, die Gattin des Mannes zu werden, den zu heiraten er mir anbefohlen, niemals!«

»O Cousine!«, rief Herbert, hingerissen von dem zuversichtlichen Ton edelmütiger Aufopferung, mit dem sie ihren Entschluss erklärte, »wenn du einwilligst, mein zu werden, was frage ich dann nach deinen Reichtümern! Dein Herz ist der einzige Schatz den ich begehre; der ist für mich genügend! Was kommt es darauf an, wenn wir auch beide ganz arm sind! Ich bin jung, ich kann arbeiten, ich will mich anstrengen und kämpfen! Auch mögen wir Freunde finden, und wenn das nicht der Fall ist, so kommen wir auch ohne sie fort. Sei mein! Sei mein!«

»Dein bin ich für immer, Herbert! Fürs ganze Leben, für alle Ewigkeit!«