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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Der Schlafzauber

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Fünfundvierzigstes Kapitel

Der Schlafzauber

Wo war nur Chakra während der ganzen Zeit?

Sobald er das Herrenhaus zu Willkommenberg vollständig in Flammen gesehen hatte, eilte der Koromantis mit der jungen Herrin in seinen Armen schleunigst hinweg. Außerhalb des Gartenpförtchens blieb er stehen, aber nur wenige Augenblicke, lediglich um sich hastig mit dem Führer der schwarzen Räuber zu beraten.

In dem kurzen hier stattgefundenen Gespräch wurde Adam angewiesen, die ganze Beute zu seiner Gebirgswohnung zu bringen, wo Chakra ihn zu rechter Zeit zu treffen versprach. Der Koromantis dachte nicht daran, seinem Anteil an der Beute in irgendeiner Weise zu entsagen, allein gerade jetzt hatte er gar keine Lust, die Teilung vorzunehmen, denn jetzt stand er vollständig unter dem Einfluss einer Leidenschaft, die viel stärker war als die Lust zum Rauben und Plündern.

Adam ging willfähig auf Chakras Vorschlag ein, und die beiden Verbündeten schieden im besten Einverständnis voneinander. Der Räuber und seine Spießgesellen beluden sich sofort mit ihrer Beute und eilten zu ihrer Waldwohnung in den Trelawneybergen.

Gleich dem Tiger, der seine Beute gepackt hatte, es aber nicht wagt, dieselbe auf der Stelle zu verzehren, sondern sie ins Walddickicht schleppt, so stürmte auch Chakra mit Käthchen Vaughan den Bergpfad hinauf zum Teufelsloch, indem er die unglückliche halb schleifte und zog, halb trug. Leblos wie das Schlachtopfer eines wilden Tieres schien auch die Gestalt der kleinen Quasheba zu sein, denn sie hing willen- und bewusstlos in den gewaltigen Armen des mit menschenähnlichem Aussehen ganz wie der Tiger wilden und grausamen Ungeheuers.

Ihr Schreien hatte längst aufgehört, der Schrecken hatte ihr alle Kraft dazu genommen, und eine totengleiche Ohnmacht war eingetreten. Diese hielt auch glücklicherweise für sie während des ganzen Bergsteigens an. Der wilde Waldpfad konnte sie daher ebenso wenig erschrecken wie das Hinabsteigen in das dumpfe und abgelegene Tal des Teufelsloches. Beim Überfahren über den düsteren See wurde sie ebenfalls nicht durch das Geschrei der auffahrenden Nachtvögel, noch durch das bedrohliche Tosen des nahen Wasserfalls geängstigt. Gleich von dem Augenblick an, wo sie in den Armen des grässlichen Unmenschen bei dem Brand des Hauses, wo sie geboren und erzogen, weggeschleppt worden war, fühlte sie nichts mehr, als bis sie wieder zum Bewusstsein in einer rohen niedrigen Hütte erwachte, die von einer schwachen Lampe erhellt wurde, deren Dämmerschein auf ein ihr früher nicht unbekanntes Gesicht fiel, das Schreckensgesicht Chakras, des Myalmannes.

Die Maske war jetzt abgelegt und der Koromantis stand vor ihr in der ganzen widerlichen Abscheulichkeit seiner Seele wie seines Körpers.

Weiter konnte der Schrecken bei Käthchen schwerlich gehen, denn jetzt hatte er seinen höchsten Punkt erreicht. Obwohl Käthchens Bewusstsein noch keineswegs vollkommen klar war, so begriff sie doch so viel, dass kein Traum sie in diesem Augenblick umnebeln könne. Und dennoch schien es auch fast unglaublich, dass eine solche Schreckensszene in Wirklichkeit vorhanden sein sollte.

Allein sie war wirklich vorhanden. Chakra stand in seiner ganzen Scheußlichkeit unbezweifelt vor ihr, und sie hörte deutlich seine barsche Stimme, deren Ton jetzt höhnend und frohlockend war.

Käthchen lag auf dem Bambusruhebett, wo der Myalmann sie hingelegt hatte, ganz ruhig, bis ihr Bewusstsein zurückkehrte und sie entdeckte, wer sich bei ihr befand. Dann wollte sie aufspringen, allein der Koromantis hinderte sie, eine aufrechte Stellung anzunehmen und hielt sie in einer etwas zurückgebogenen Lage fest, in der sie teils aus Furcht, teils aus Verzweiflung an der Möglichkeit irgendeines Entkommens ohne alle Gegenwehr verblieb.

Der Koromantis stand aufrecht vor ihr. Auf seinem fürchterlichen Gesicht war nichts von Drohung zu gewahren und auch in seinen Reden lag nichts Drohendes. Nein, im Gegenteil, er war ganz mild, ganz sanftmütig und unterwürfig, denn er war, der Schreckliche von allem, jetzt ein zärtlich um Liebe Werbender.

So kniete er vor ihr und gelobte ihr wiederholt Liebe, glühende Liebe! Ein für Käthchen noch viel fürchterlicheres Gelübde, als es alle Drohungen der Rache und Wut hätten sein können!

O, es war ein entsetzliches haarsträubendes Bild, diese kniende Liebeswerbung einer vom Blut der von ihm Ermordeten triefenden Bestie um das schöne und unschuldige weibliche Geschöpf!

Das junge Mädchen war viel zu sehr erschrocken, um antworten zu können. Sie vermochte nicht einmal vollkommen die ekelhaften Reden Chakras zu hören und zu verstehen, denn eigentlich besaß sie kaum mehr Bewusstsein und Nachdenken, als sie wirklich in Ohnmacht gelegen hatte.

Nach einiger Zeit schien der Koromantis die Geduld verloren zu haben. Seine unnatürliche Leidenschaft reizte ihn zur Wut über den unerwarteten Widerstand, denn er begann die Hoffnungslosigkeit seiner zärtlichen Werbung einzusehen. Es wurde ihm klar, dass es vergeblich sei, dem lange von ihm gehegten fiebrigen Liebestraum nachzuhängen, der ihn hoffen ließ, dass seiner Liebe erwidert würde, eine Hoffnung, die selbst der abschreckendste Satyr im Stillen hegen soll. Die zurückstoßende abwehrende Haltung des Gegenstandes seiner dämonischen Neigung, der offenbare, vollkommen in dem ängstlichen Ausdruck ihres bleichen Gesichts sich abspiegelnde Ekel bewiesen Chakra hinlänglich die gänzliche Nutzlosigkeit seiner Liebeswerbung.

Plötzlich, wie von einem mächtigen Entschluss getrieben, erhob er sich und nahm eine entschieden drohende Haltung an, die deutlich eine fürchterliche Absicht verkündete. Allein ein schrilles von außen herkommendes Pfeifen verhinderte die Ausführung, hielt ihn wenigstens für den Augenblick davon ab!

»Das verdammte Zeichen des alten Juden!«, brummte Chakra, offenbar zornig über die Unterbrechung. »Was will er nur jetzt, während der Nacht? Gewiss hat er etwas über seinen verlorenen Buchhalter erfahren! Aber ich weiß nichts von ihm! Da ist das Pfeifen noch einmal und zwar schon zum dritten Mal! Das bedeutet, dass er in Eile ist! Was ist das? Zum vierten Mal! Dann muss Gefahr sein, dringende Gefahr! Muss zu ihm hingehen, muss sogleich gehen! Er gibt nicht viermal das Zeichen, wenn nicht große Gefahr vorhanden ist. Aber neugierig bin ich doch, zu erfahren, was er will.«

»Nun, meine kleine Quasheba, das macht nichts aus!«, fügte er hinzu, indem er lauter zu der gänzlich Verstummten sprach. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Die Angelegenheit zwischen mir und dir muss warten, bis ich zurückkehre, und dann finde ich dich vielleicht nicht mehr so halsstarrig. Aber nun komm, hier musst du fort, hier darfst du nicht gesehen werden; von keinem Menschen auf der Welt.« Mit diesen Worten fasste er das zu allem Widerstreben unfähige Mädchen bei der Hand und wollte sie aus der Hütte führen.

»Ha!«, rief er plötzlich und blieb stehen, um nachzusinnen, »das geht nicht an, nein! Der alte Jude braucht gar nicht zu wissen, dass sie hier ist, um keinen Preis! Sie wird fortrennen wollen, deshalb muss sie gebunden werden, und schreien wird sie auch, sodass er es hört, und deshalb muss ihr der Mund geknebelt werden.«

Jetzt sah der schreckliche Mensch, während er die Hand der Bedauernswürdigen festhielt, sich rings in der Hütte um, als suche er nach den Werkzeugen, seine grässlichen Absichten auszuführen.

»Ha!«, rief er dann, als sei ihm plötzlich etwas anderes eingefallen. »Was zerbreche ich mir den Kopf? Das ist viel besser als alles Binden und Knebeln. Der Schlaftrunk! Das ist jedenfalls das Beste, um sie ruhig zu machen. Wo ist die Flasche? Den Schlaftrunk will ich ihr geben!«

So für sich redend, streckte er die freie Hand aus und zog etwas aus einer Art Tasche, die sich in dem Palmblattdach befand. Es war ein langes enges, fest verkorktes und mit einer dunklen Flüssigkeit angefülltes Fläschchen.

»Nun Fräulein!«, sagte er höhnisch, zog den Pfropfen mit den Zähnen raus und machte Anstalten, der aufs Neue Geängstigten den Trank aus der Flasche einzugeben. »Nimm einen kleinen Trunk hier aus dem Fläschchen. Habe nur keine Angst. Es tut dir keinen Schaden, bekommt dir gewiss gut und wird dich in eine ruhige Stimmung bringen. Trinke nur!«

Das arme Mädchen fuhr unwillkürlich zurück. Allein das Ungeheuer, das kein Erbarmen kannte, ließ ihre Hand los, ergriff sie bei den Haaren, wickelte ihre reichen Locken um seine knochigen Finger und hielt ihren Kopf so fest wie in einem Schraubstock. Dann drängte er mit der anderen Hand den Hals des Fläschchens zwischen ihre Lippen, klemmte ihr ihn zwischen die Zähne und goss ihr einen Teil der Flüssigkeit in den Hals.

Die junge Kreolin machte keinen Versuch zu schreien, ja, sie leistete eigentlich kaum einigen Widerstand und schluckte reichlich von dem Trank. Ihr Geist war so niedergedrückt und entmutigt, dass sie sich schwerlich ernstlich widersetzt haben würde, hätte sie selbst gewusst, dass in dem Fläschchen Gift war.

Auch war die Wirkung in der vollkommenen Lähmung der Sinne, dem Gift wirklich gleich, denn was Chakra ihr eingegeben, war der Saft des Calalue, eines der stärksten und betäubenden Einschläferungsmittel.

In wenigen Sekunden, nachdem die Flüssigkeit ihre Lippen berührt hatte, überzog Totenblässe das Gesicht des schönen Mädchens und durch ihren ganzen Körper verbreitete sich ein sanftes Schaudern, das von einem sofortigen Abspannen und Erschlaffen aller Muskeln begleitet wurde. Ihre Glieder und Muskeln gaben nach, und sie würde zusammengeknickt und auf den Boden gefallen sein, hätte sie nicht der Arm desselben erfahrenen Zauberers gehalten, der diesen eigentümlichen Scheintod hervorbrachte.

Sie sank bewusst- und regungslos in seine Arme, während sie mehr einer Toten als einer Schlafenden ähnlich sah.

»Nun denn«, murmelte der Myalmann und zeigte durchaus keine Verwunderung über die Wirkung seines Trankes, da dies derselbe Schlafzauber war, dem er hauptsächlich seinen Ruf verdankte. »Nun denn, meine liebe Kleine, magst du ruhig schlafen, bis ich dich wieder aufwecke. Aber hier kannst du nicht bleiben, Du musst dich schon bequemen, in frischer Luft zu schlafen. Ich muss dich irgendwo hinbringen, wo der alte Jude dich nicht sehen kann, denn am Ende würde er selbst dich gar noch haben wollen. Komm nur mit mir!«

So sein bewusstloses Opfer anredend, hob er sie mit beiden Armen auf und trug sie aus der Hütte fort. Draußen blieb er eine Weile stehen und sah sich um, als suche er nach einem Platz, wo er seine Bürde hinlegen könne.

Der Mond stand nun am Himmel und seine Strahlen begannen selbst das einsame Dunkel des Teufelsloches zu erhellen. Einige außerhalb des Schattens des Baumwollbaumes gelegene Büsche schienen ein passendes Versteck darzubieten, und Chakra schritt schon auf sie zu, als er den Wasserfall sah. Da änderte er seinen Entschluss, drehte sich und ging zu dem Wasserfall.

Als er den Felsenrand erreicht hatte, über den der Wasserstrom stürzte, blieb er einen Augenblick am Rand des tosenden Wasserbeckens stehen. Hier fasste der die bleiche, hilflos in seinen Armen liegende Gestalt aufs Neue, trat dann hinter die vom schäumenden Wasser gebildete Wand und entschwand dem Blick, einem Flussgeist alter Zeit nicht unähnlich, dem es gelungen war, ein schönes Menschenbild zu verlocken, das er in seine feuchte Höhle hinabzieht.

Nach einer kurzen Weile kehrte der hässliche Bucklige aus seinem geheimen Schlupfwinkel zurück, wo er sich seiner Bürde entledigt hatte. Jetzt hörte er noch einmal das Gekreische der Pfeife auf den oberen Felsen und eilte deshalb so rasch als möglich ohne weiteren Aufenthalt zu seinem Nachen.