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Jacob von Molay, der letzte Templer 22

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Zweiter Teil
Herr und Knecht
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Neuntes Kapitel

In der Tür des Hauses, wo der Greis und Selma wohnten, wurde der Dauphin nicht wie sonst empfangen. Die äußerste Vorsicht, ja Misstrauen lag in dem langsamen Öffnen der Tür, und nicht Selma empfing den Freund mit glühendem Kuss, nicht sie führte ihn in das kerzenerhellte Gemach, nicht ihr Mund strömte über von süß zierenden Liebesworten – sondern der Greis empfing den Ritter, führte ihn, nach kargem Grüßen in das längst bekannte Gemach. Der Dauphin erschien hier ein ganz anderer, als ob er im Konvent oder im Kapitel war. Der Ernst war von seiner Stirn gescheucht, und der gewöhnliche Anflug von religiöser Schwärmerei war in ein sehnsüchtiges Lächeln übergegangen. Nur das Befrem­den über den ungewohnten Empfang ließ vermuten, dass der Dauphin ehemals wohl noch freundlicher hier gewesen war, denn so oft er den Blick umherwandern ließ, so oft er nach dem leisesten Geräusch aufmerksam lauschte, wurde er stets ernster, ja unruhiger. Hier war er ohne Zweifel recht heimisch. Der Greis hatte ihn nicht zum Setzen nötigen dürfen. Wie einer drückenden Fessel entledigt, atmete er frei auf, als er ihn in dem wohlbekannten Gemach erblickte. Der Greis saß ihm lange schweigend gegenüber, doch sein scharf spähender Blick sprach mehr als alle Worte. Als der Dauphin nun seiner Ungeduld nicht mehr Herr werden konnte, nach Selma fragte, da hatte er das Siegel vom Mund des Greises gelöst.

»Herr«, antwortete dieser, »jedes Mädchens Herz wird von Zweifeln zerrissen …«

»Wie das? Woher stammen die Zweifel?«, fiel ihm jener erschrocken in die Rede.

»Lasst Euch sagen, Herr, man hat diesen Euren nächtlichen Weg auskundschaftet, ja, eines von des Ordens Häuptern war hier in meinem Haus.«

»Ihr nanntet meinen Namen doch nicht?«

»Wie könnt Ihr das denken, Herr? Doch schien Euch der Mann zu erraten. Selma nannte nur den Namen Guy.«

Der Dauphin verließ plötzlich seinen Sitz, schritt hastig und wie verwirrt im Gemach auf und nieder. Endlich schien er sich gefasst zu haben.

»Alter«, sprach er erschlossen, »das ist eine böse Mär, mit welcher Ihr mich empfangen habt. Beschreibt mir doch den Mann, auf dass ich mich vor ihm bewahren könne.«

Der Deutsche war leicht in der Beschreibung des Alten zu erkennen.

»Und gerade der!«, knirschte der Dauphin durch die Zähne. »Warum auch gerade der? Das ist böse! Sehr böse! Ein Dämon hat ihn nach Zypern hergeführt – starr, schroff und trotzig. Wie ein Fels am brandenden Meer steht er da zwischen uns allen, bietet jedem kühn die Stirn, selbst dem Meister. Wäre er Franzose wie wir, ließe sich wohl ein Wort mit ihm sprechen. Jetzt erst werden mir seine Fragen klar, seine Absicht, mit mir allein zu sprechen. Vorhalten wollte er mir das Vergehen gegen die Regel. Das ist es und nichts anderes.«

Tief sinnend, ohne sich um den Alten weiter zu bekümmern, schritt der Dauphin wieder auf und ab. Dann aber fragte er plötzlich: »Und Selma …?«

»Fragt sie selbst, Herr, ich kann Euch das so nicht erzählen. Sie wird bald hier sein. Noch schmückt sie sich, um würdig vor Euch zu erscheinen.«

»Ja – ich will sie selbst fragen. Ihr Herz würde sich empören, wenn der Mund um eines Atems Schwere ihm untreu würde, Unwahres sagte. Wohin sehe ich mich aber plötzlich geführt!«, fuhr er gegen sich selber sprechend fort. »Ich, der nach dem Höchsten am höchsten steht, weiß nicht, wie ich der Beschuldigung entgegen treten soll! Und bin ich mich denn wirklich einer Schuld bewusst? Nein, wahrlich nicht.«

»Das denke ich selbst, Herr. Mit Freuden habe ich Eure Liebe wachsen sehen, Selmas Liebe und die Eurige. Wo zwei Herzen in solchem Zusammenklang schlagen, der Pol des einen aus dem des anderen entnommen ist, sollte man da nicht den Wink des Himmels darin erkennen. Der Mann ist für das Weib, das Weib für den Mann; so spricht die Gottheit. Mir steht es freilich nicht an, das zu tadeln, zu dem Ihr Euch bekennt. Doch das Eure Weise nicht die rechte sei, das muss Euch jetzt wohl klar geworden sein. Sagt an, Herr Ritter, und Wahrheit bei dem Gott, an den wir alle glauben – könntet Ihr den Verlust des Mädchens ertragen?«

»Fragt nicht weiter«, entgegnete der Dauphin barsch. »Vom Verlieren ist hier nicht die Rede. So stark bin ich mindestens, durch Geburt und Rang, dass ich mit diesem Arm das Liebste mir auf Erden erhalten könne.«

»An diesen Worten erkenne ich den Rittersmann. Wahrhaftig, Herr, ich beneide Euch um dieser Charakterstärke willen. Schlagt Euch die Sorge darum aus dem Kopf. Die wenigen Stunden, welche Euch hier vergönnt sind, sollen durch keine böse Gedanken gestört werden. Wir haben uns recht nach Euch gesehnt. Selma verging beinahe in Angst um Euch, denn der Ritter sprach so drohend, dass sie das Äußerste fürchten musste.«

»Nun ja«, gab der Dauphin mit wegwerfender Miene zu, »er ist ein Deutscher; und das ist genug. Wäre er Franzose, er würde anders denken. An Würde ist er mir gleich, auch an edler Geburt, doch hängt er noch gar zu sehr am Vorurteil, ist noch nicht so weit vorgedrungen in den wahren Begriffen von Gott und Seligkeit wie wir anderen Häupter des Ordens. Wäre er einer von den Brüdern, die minder bedeutend sind, so würde ich es ihm verzeihen, denn diese müssen glauben. Der blinde Gehorsam, welchen sie den Glaubenslehren zollen, ist der beste Grundpfeiler des ganzen Gebäudes.«

»Da kommen wir wieder auf den längst besprochenen Satz. Es freut mich immer, wenn ich Euch so vernünftig sprechen höre – ganz meine Ansicht, ganz die meine. Glaube, wer dumm genug ist, nicht einsehen zu können; für den Erleuchteten gibt es keinen Glauben. Als ich herangewachsen war und mein Geist sich entfaltet hatte, da stiegen mir der Zweifel so manche auf. Ich grübelte und erkannte endlich die Wahrheit. Die Glaubensrichter nennen sie Deismus und verketzern den, der zu dieser Wahrheit gelangt ist. Leiste mir einer Bürgschaft, dass nicht einer von den Propheten, davon jeder Glaube einen oder mehrere hat, der wahre Prophet gewesen, der wahre Verkündiger des Himmelreichs. Und ich möchte wohl behaupten, dass all diese erleuchteten Männer in einem Zweck zusammentrafen – nur das Geschlecht, welches sie überlebte, verunstaltete ihre Absicht. Warum denn gerade einen auswählen von allen? Warum ihm allein den göttlichen Geist zutrauen, da doch außer ihm schon hundert andere vor ihm aufgetreten waren, hundert andere nach ihm auftraten? Waren diese Hunderte denn Betrüger? Wer bürgt mir denn für die Rechtschaffenheit des einen? Ich habe mein Glück in mir gefunden, dass ich keinem von allen glaube, und so will ich es fürder halten. Nur will mir nicht zu Kopf, Herr – vergebt, dass ich so frei spreche – dass Männer, so hohen Geistes, wie Ihr seid und die anderen Häupter des Ordens, einem Wahn anhängen, einem blinden Glauben, der nicht beseligen kann – denn was ist Seligkeit? Die Genüsse, welche das Leben bietet, das Leben hier auf Erden; unverbürgt ist jenes drüben. Ein Tor ist der, welcher das Gewisse dem Ungewissen opfert.«

»Man merkt«, entgegnete darauf der Dauphin lächelnd, »dass Ihr lange da gelebt, wo Mohammed gepredigt hat.«

»Ich will es Euch gelten lassen, Herr. Doch war seine Lehre den Einrichtungen des Schöpfers wohl angemessener als diejenige, welche so viele rüstige, von Kraft strotzende Männer dem Gesetz der Natur abwendig macht. Ist dem Menschen nur darum Vernunft gegeben, dass er der Natur Trotz biete? Sehen wir nicht leblose Geschöpfe in Liebe sich vereinigen? Trägt nicht der laue West den Blütenstaub von einer Blüte zur anderen, dass sie zur Frucht taugbar werde? Nein, Herr, wer das Gesetz der Keuschheit gegeben hat, der hat niemals den Schöpfer in seiner wunderbaren Natur erkannt, der hat nie ein Herz in seiner Brust gefühlt, der hat nie Liebe empfunden.«

»Soviel Wahres liegt in Euren Worten, und gerade jetzt finde ich, dass diese Wahrheit nicht zu meinem Glück sei. Wenn ich ihr auch huldigen wollte, ich dürfte es nicht, denn auf mich sind aller Augen gerichtet. Nicht eigene Wahl hat den Entschluss in mir erzeugt, um des Ordens himmlische Güter die des Erdenlebens aufzuopfern – als ein zwölfjähriger Knabe wurde ich dem Orden einverleibt. Warum musste ich auch Selma sehen! Ein hämisches Schicksal hat sie mir in den Weg geführt.«

»Ich würde es ein gutes Geschick nennen, Herr. Ihr kennt meine Ergebenheit, wisst, dass ich mein Leben für Euch hingeben würde, wenn es zu Eurem Nutzen und Frommen wäre. Weiß ich doch selbst nicht, was mich so gleich zu Euch gezogen, so fest mich an Euch geknüpft hat für immerdar. Eins nur weiß ich: Ich möchte Euch glücklich wissen. Ich bin ein alter Mann. So manches ist mir vorgekommen im Leben, und ich kann wohl sagen, dass mein Blick selten trügt. Ihr möchtet alles opfern, nicht wahr, um Selmas Besitz?«

»Alles«, gab der Dauphin zu, »nur nicht Ehre und Ruhm.«

»Das bleibt ewig und immer die Ausbeute«, sagte der Alte kopfschüttelnd, »aus dem Schacht eines von Vorurteil befangenen Herzens. Ehre und Ruhm – wo ist die Aussicht auf die? Seit Jahrhunderten haben sich zehn Millionen Menschen geschlachtet, um eines Hirngespinstes willen geschlachtet, und kein Fußbreit Landes in Palästina ist den Christen geblieben …«

»Das wird anders werden«, fiel ihm der Dauphin mit edlem Feuer ins Wort. »Es wird, sage ich Euch, und nicht gar zu lange noch wird Zypern die Grenzmark sein.«

»Was wird’s auch weiter werden!«, forschte der Alte. »Vielleicht wieder eine Landung, um die Beutegier zu befriedigen. Und dabei sollte Ruhm und Ehre zu erwerben sein? Nein, lieber Herr, das macht Ihr mich ebenso wenig glauben, wie Ihr wahrhaft Ruhm und Ehre darin findet. An die unbewachte Küste springen, sich herumbalgen mit einigen Ankömmlingen, den Unberufenen, und nur davonschleppen, was man zu tragen vermag – das, Herr, vergebt das Wort, kann auch der Räuber, ja, noch mehr, es ist sein Gewerbe.«

»Viel gesagt, Alter, viel.« Des Dauphins Blick sprühte Vernichtung auf den Alten. »Aber«, mäßigte er den Blick, »leider nur zu wahr.«

Dieses Eingeständnis ermutigte den Alten noch mehr, und ohne Rückhalt sprach er weiter: »Welchen höheren Zweck haben denn jetzt die Orden? Reichtum häufen sie auf Reichtum, leben ein ruhiges Schlemmerleben und entkleiden die verschiedenen Nationen ihrer besten Mannheit. Ist das auch ein gottgefälliges Werk? Kirchen bauen sie und Kapellen; was kümmert den Schöpfer des Weltalls, dieses ungeheuren, unermesslichen, unbegreiflichen Domes ein armes Häuslein! Meint Ihr, Herr, es könne ihm gefallen, wenn die sogenannten Gläubigen darin eingepfercht auf die Knie fallen, sich an die Brust schlagen und bei jedem Stoßseufzer ›Gott sei mir armen Sünder gnädig‹ beten? Tretet hin unter den freien Himmelsdom, staunt das unermessliche Heer der Sterne an, die majestätische Sonne und den goldenen Mond. Euer schweigsames Staunen wird dem Schöpfer angenehmer sein als all Eure ambrosianischen Lobgesänge.«

»Ihr seid ein Freigeist, Alter …«

»Und kommt Ihr jetzt erst zu der Erkenntnis? Ihr möchtet mir gern verbergen, dass Ihr selbst einer seid. Und doch habe ich Euch schon längst dafür erkannt. Eben darum, Herr, seid Ihr mir so lieb und wert, eben darum schätze ich Euch so hoch und will Euch glücklich wissen. Ich habe mir sagen lassen, es sei so süß, wenn man im Kampf rühmlich bestanden hat und heimkehrt, und Weib und Kind an der Schwelle des Hauses harren. Was habt Ihr und Eure Brüder, wenn Ihr noch so rühmlich kämpft – den Anspruch auf Seligkeit drüben? Es ist doch zum Lachen, dass so viel kluge Männer dieser einzigen Torheit anhängen. Wäre ich wie Ihr, und sollte müßig sitzen, wer weiß wie lange noch, ich würde das Kleid je eher desto lieber von mir tun und im Genuss leben.«

»Nichts mehr davon, nichts mehr. Dieses müßige Leben wird bald ein Ende erreicht haben. Doch gehört das nicht hierher.«

»Vermutlich wieder ein neuer Kreuzzug im Werke? Ja, ja, gesteht es nur. Doch daraus wird nichts, Herr. Man hat jetzt andere Sorgen, als dass man sich um nichts etwas zu schaffen machen sollte.«

»Wo aber bleibt Selma?«, fragte der Dauphin, um diesem Gespräch plötzlich ein Ende zu machen. »Muss sie sich denn so lange schmücken? Hat ihre Schönheit in den wenigen Tagen so viel eingebüßt?«

»Ich werde nachsehen«, war des Alten ganze Antwort, mit welcher er den Dauphin allein ließ.

Tausend und wieder tausend Empfindungen wirbelten und wogten in des Mannes Brust. Allein hier, um Mitternacht, auf sündigem Weg, auskundschaftet von dem Deutschen, befand er sich in einer Lage, die, wenn sein Stolz es zugelassen, ihn mit Angst erfüllt hätte. Die Anklage im Kapitel über einen so offenbaren Verstoß gegen eine der Hauptgrundregeln des Ordens würde eine entehrende Strafe nach sich gezogen haben. Doch der Dauphin verließ sich auf des Meisters Zuneigung, um so mehr, da ein Geheimnis unter ihnen beiden waltete, von welchem die anderen Ordenshäupter sämtlich ausgeschlossen waren. Mit diesem Geheimnis hatte der Großprior von Normandie den größten Vorzug erlangt, und es war doch kein Zufall, dass der Zögling Jacobs von Molay diesen in seinen Absichten begegnete. Dennoch stiegen Zweifel über seine Straflosigkeit bei dem Dauphin auf, denn der Meister war nicht der alleinige Richter im Kapitel. Jeder Bruder konnte seine Stimme behaupten. Dass es dem Bevorzugten nicht allein an Neidern, sondern sogar an Feinden fehlte, lag in der Sache selbst, und sicherlich würde jeder Bruder, das leuchtete dem Dauphin ein, von seiner Stimme möglichst Gebrauch machen. An diesem Gedanken scheiterte des Dauphins Trotz, die Einsamkeit vergrößerte seine Unruhe, aber ein Gedanke an Selma steigerte wieder die Kühnheit des kühnen Ritters.

Der Greis trat wieder zu ihm ein. »Herr«, sprach er, indem er das alte Haupt besorglich schüttelte, »weiß ich doch nicht, was dem Mädchen ist. Als ich zu Selma eintrat, fand ich sie auf dem Polster liegen, abgewandten Gesichtes von der Tür, und sie verbarg mir das Gesicht. Als sie meine Stimme hörte, wandte sie das schöne Haupt, ihr tränenschweres Auge stand mit dem Glanz ihres Schmuckes im offenbarsten Widerspruch. ›Ihr seid es, Vater?‹, hauchte sie, und mir war es, als ob ein Seufzer ihre Brust er­leichterte. ›Es ist gut, dass Ihr es seid, und nicht er. Ich könnte seinen Anblick jetzt nicht ertragen; und doch zieht mich mein Herz zu ihm, als ob eine Houri des Paradieses den längst Geliebten, nun Seligen, empfangen soll!‹ Ich sage Euch, Herr, es lag ein Ton in diesen Worten, der selbst mein altes starres Herz rührte, und, um meiner Bewegung Herr zu bleiben, zog ich mich schnell zurück, Euch das zu überbringen.«

Wie gedankenlos ruhten des Dauphins dunkle Augen auf des Alten schweigendem Mund. Plötzlich aber eilte er hinweg, Entschluss in Gang und Worten. »Sehen muss ich sie!«, rief er, »und sollte mein Herz an einem Blick von ihr verbluten!«

Der Alte sah ihm mit langem triumphierenden Blick nach.

Das Gemach im Erdgeschoss des Hauses, wenn auch nicht ärmlich zwar, hielt keinen Vergleich gegen dasjenige aus, in welchem sich Selma befand. Was der Orient an Bequemlichkeit von jeher erfunden hatte, das war hier angewandt. Große Spiegel schmückten die Wände, zwischen ihnen fiel grüne Seide, goldbefranzt, im schönsten Faltenwurf herunter. An goldenen Ketten hing eine Kugel von geschliffenem Stahl, in welcher sich alles in verjüngtem Maßstab spiegelte, nach oben hin war die Kugel offen, eine Flamme schlug aus ihr empor, Ambradüfte im Gemach verbreitend. Auf einem Tisch von geschliffenem Porphyr standen kristallene Gefäße, blendend schöne Blumen bietend. Und alles dies noch übertraf die Ruhestatt der schönen Selma. Schwellende Polster von weißem Seidenzeug mit köstlicher Stickerei versehen, in welcher Perlen und Edelsteine glänzten, schmiegten sich wollüstig an die Wellenlinien des reizbegabten Körpers. Und was nur Frauenschöne erheischt, das bot sich hier im schönsten Ebenmaß dar. Ein durchsichtiger weißer Stoff in nachlässigem Faltenwurf hüllte nicht allzu neidisch des Körpers herrliche Formen ein. Den kleinen Fuß zierte ein Schuh von grüner Seide mit goldener Stickerei. Der Gürtel von demselben Stoff und auch die Spangen, welche die Arme umschlossen. Durch das dunkle, ungezwungen herabwallende Haar schlangen sich die blendend weißen Perlenschnüre, und die rosigen Fingerspitzen der rechten Hand des Mädchens ruhten auf einem strahlenden Diadem.

Dieses Heiligtum hatte der Dauphin noch nie betreten; und so fand er Selma verführerisch reizend wie niemals zuvor. Starr und regungslos blieb der Dauphin am Eingang stehen, gierig sog sein Blick das Übermaß der Reize ein. Selma hatte das Haupt nach ihm hingewandt, schnell aber verbarg sie das Gesicht wieder, und weinte leise.

»Was ist dir, Mädchen«, trat der Dauphin näher, » warum scheust du meinen Anblick? Bin ich deinem Herzen etwa entfremdet worden? Oder ist meine Liebe dir lästig?«

Die letzte Frage riss das Mädchen mächtig auf. In halb liegender Stellung, auf den einen Arm gestützt, gab Selma die Worte zurück: »Was sagst du, Guy? Was war das? Weißt du nicht mehr, dass Selma nur in der Liebe zu dir atmet, dass Selma nicht mehr leben könnte, wenn diese Liebe aufhörte? Doch man hat mir gesagt, dass unsere Liebe sündig wäre – was kümmert es mich! Aber du, Guy, du bist in Gefahr. Das hat man mir gesagt.«

»Leichtgläubige, wie konntest du nur einen Augenblick an solche Mär verschwenden? Du hast damit einen Diebstahl an unserer Liebe begangen.«

»Ach, Guy, hättest du ihn den ernsten schönen Mann gesehen, hättest du gehört, wie drohend jedes Wort aus seinem Mund fiel, du würdest deiner Selma nicht zürnen.«

»Er drohte?«

»Freilich tat er das. Und gerade sein offener, freier Blick gab diesen Drohungen vollkommne Kraft. Ich soll dein entbehren, Guy! Womit habe ich versündigt, dass mir die einzige, höchste Lebensfreude gestört? Auf meiner Seele lastet kein Verbrechen, und doch stürmt es jetzt so feindlich auf mich ein, dass ich lieber dem Leben entsagen möchte, als ohne deine Liebe es ferner noch hinzuschleppen.«

Dies alles aber ging an des Dauphins Ohr ungehört vorüber. Seine Sinne waren gefesselt von dem unaussprechlichen Liebreiz des Mädchen, und in sich selbst verloren, den Blick zu öfteren Malen über die ganze Gestalt sendend, sprach er leise für sich: »Diesem Meisterstück des Schöpfers könne ich nicht entsagen, und wenn ich mehr als tausend Leben darum büßen sollte.«

Selma aber hatte seine Worte wohl verstanden, reichte ihm die kleine Hand. Mit einem Ton, der sich in jedermanns Herz so gern hineinstiehlt, fragte sie: »Ist das dein fester Entschluss, Guy?«

»Du fragst noch!«, presste er des Mädchens Hand an seine Brust. »Selma kann noch Zweifel hegen, wenn es sich um meine Liebe handelt? Höre, Mädchen, mich schreckt keine Drohung. Wer Mut und Kraft besitzt, den schreckt man nicht so leicht. Ader ein anderes tritt unserer Liebe entgegen. Ich muss fort weit, weit über das Meer …«

»Ich Unglückselige!« Mit dem Ausruf war Selma von dem Polster aufgefahren, und wie in unauflöslicher Umarmung hing sie an des Dauphins Hals. Er umfing den schlanken Leib, küsste die zu ihm hinauf gerichtete Stirn des Mädchens, küsste die schwellenden Lippen und versuchte es zu beruhigen. Aber die Leidenschaft der glühenden Zone ihres Vaterlandes loderte bei Selma auf: »Ich sollte dich missen, Guy? Dich sollte ich missen, meines Lebens Stern? Des Meeres grüne Hügel und Berge sollten zwischen uns beiden dahinrollen? Wir sollten uns nicht mehr in einem und demselben Mondstrahl baden? Nein, du kannst nicht von mir gehen, oder … wehe mir … welcher Dämon bringt mir den Gedanken!«

»Welchen Gedanken, Selma?«

»Du sagst, du liebst mich und fragst noch welchen Gedanken, da du von mir gehen willst? O, wie sehr bin ich zu beklagen! Klar, klar … du hast mir nur Liebe geheuchelt.«

»Selma …!«

»Drohe, wie du willst, mich schreckt nicht das Runzeln deiner Stirn, mich schreckt nicht deine Stimme. Könnte ich dich in Flammen jagen, könnte ich deinen Zorn bis zur höchsten Stufe treiben, dass du mir den Dolch in das lieb erfüllte Herz bohrtest – welche Seligkeit gegen eine Trennung von dir im Leben!«

Sie war von ihm hinweggeeilt, und abgewandt von ihm hielt sie beide Hände auf die Augen gedrückt. Sie konnten aber die dicken Tropfen nicht hindern, dass sie unter ihnen hervorquollen.

Gab es wohl jemals einen Liebenden, der nicht die Kraft einer Träne von dem Auge der Geliebten geweint, empfunden? Zauberkraft ist es, eine unerklärbare, welche Empfindung auch diese Träne hervorgepresst hatte. Sei es der wollüstige Tau, der feuchte Schleier, welcher sich bei der Hochentzücken Ahnenden meldet, sei es der bittere Tropfen, der das Herz vor dem Verschrumpfen bewahrt, wenn es der glühende Schmerz durchdrungen hatte. Seine Kraft bleibt dieselbe, wundersam wirkend, und Mannheit zernichtend.

Der Dauphin war dem Schicksal aller Männer unterworfen. Mit langem und flüchtigem Schritt folgte er dem schönen Mädchen; und die Leidenschaft bekundete sich riesengroß in seinen Worten.

»Selma! Du weinst? Du weinst, Selma? Vergönne mir, dass ich sie trockne, diese Tränen. Fremd sollen sie fürder bleiben deinem schönen Auge. Wer will mich hindern, das zu tun, was ich will? Mein Fürstenwille soll gelten und wird gelten. Keine Trennung von dir, Selma … so wahr ich an einen Gott der Liebe glaube! Ehe mag der Welten Lauf sich verkehren, ehe mögen Liebe und Hass in friedlicher Umarmung miteinander kosen, ehe ich mich von dir trenne, Mädchen, oder du dich trennst von mir!«

»Daran erkenne ich meinen Guy«, jubelte Selma auf, in fester unauflöslicher Umarmung seinen Hals umschlingend. »Aber sag mir, Geliebter«, fügte sie bebenden Tones hinzu, »wie willst du dem Verhängnis entgegentreten?«

»Hör an, Selma – komm, lass uns setzen, ich will dir nichts verhehlen.«

Die schwellenden Polster empfingen die beiden Liebenden, und seines Mädchens Hand in der seinen haltend, fuhr der Tempelherr fort: »Es wird nicht lange dauern, und wir verlassen Zypern. Hinüber weit über das Meer führt uns Ruder und Segel, und da, wohin wir gelangen, ist meine Heimat. Verwandte und Freunde werden die Arme bewillkommend gegen mich ausstrecken. Frankreich wird mich wieder empfangen, seinen ritterlichen Sohn, aus Fürstenstamm entsprossen. Nur dann erst, wenn ich dem kriegerischen Ruf folgen muss, werden Frankreichs Gestade wieder im Nebel hinter mir zerfließen, früher werde ich es nicht verlassen müssen. Dein Vater und du, Ihr werdet mir nach Frankreich folgen. Des Reiches Hauptstadt Paris, in ihrer Menschenmenge verliert sich leicht derjenige, der, so wie Ihr auf Zypern, sich zurückzieht vor dem unberufenen Auge. Dort wird niemand unsere Liebe stören, denn meines Volkes Neigung heißt dasjenige gut, was man hier verdammt. Dort, Selma, wirst du glücklich sein in meinen Armen, ich ein Gott in den deinen.«

»Ha, welche Seligkeit, wenn ich es denke!«, rief sie entzückt. »Geliebter Mann, ich folge dir. Was kümmert mich das feindliche Element, mag es trotzig seine Berge wälzen, meine Liebe wird Öl in die Brandung gießen, und der Sturm, welcher vernichtend daherfährt, er wird mich in deine Arme schleudern.«

Selmas liebeglühenden Worte rissen den Dauphin zur schwindelnden Höhe der Leidenschaft hin. Der Kuss glühte zwischen beider Münder. Beinahe erstickt von ihm, hauchte es, wie girrender Täubchenton: »In meine Arme.«

Wie Donnerhallen fiel ein dreimaliges Klopfen an der Tür in des Ritters Ohr.

»Eilt von dannen!«, rief der Alte draußen. »Schon streiten Tag und Nacht um die Oberhand, Herr. Es ist höchste Zeit.«