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Die Flusspiraten des Mississippi 29

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

29. Der blinde Passagier – Die Black Hawk

Lautlos trieb die Schildkröte stromabwärts. Bob-Roy hielt das schwankende Steuer fest, und die Männer, noch immer um Bill ge­drängt, machten es diesem unmöglich, seinen Komplizen auch nur das geringste Zeichen zu geben. Wohl eine Stunde mochte so in unruhiger Erwartung verflossen sein. Lange schon waren die Ruderschläge des Bootes verhallt, und weiter, immer weiter ließen sie die Stelle zurück, die ihnen bald so verderblich geworden wäre. Aber noch immer wussten sie nicht, wo sie sich eigentlich befanden und ob die Gefahr wirklich vorüber war.

Edgeworth lud indessen, so rasch und geräuschlos wie möglich, die beiden Büchsen, aber kein Auge wandte er dabei von dem Mörder seines Sohnes, der, jetzt in grimmigem Trotz, doch ohne weiteren, überdies nutzlosen Widerstand zu leisten, gefesselt an Deck lag. Bob-Roy dagegen beobachtete seinerseits kaum weniger aufmerksam und immer noch misstrauisch das Steuerruder, an dem unzweifelhaft irgendetwas hing. Was es aber war, konnte er unmöglich feststellen und hoffte nur auf das nicht mehr ferne Tageslicht. Bis dahin sollte er jedoch nicht über den Gegenstand seiner Neugierde und Besorgnis in Ungewissheit gelassen werden. Während er noch überlegte, vernahm er plötzlich ein leises Stöhnen. Es war kein Zweifel mehr möglich: An dem Steuer hing ein Mensch.

Wenn er übrigens ein Feind wäre, so hätte er sicherlich schon längst das getan, was der gefesselte Bill in verzweifelter Anstrengung vergeblich versucht: den nahen Kameraden ein Zeichen gegeben. War er aber kein Feind, weshalb hängte er sich so heimlich an ihr Boot? Bob-Roy, um die Ungewissheit loszuwerden, winkte dem alten Edgeworth. Dieser aber, hätte er seine Bewegungen auch in der dunklen Nacht erkennen können, achtete nicht auf ihn, und die übrigen Leute waren ebenfalls so mit sich selbst beschäftigt, dass er endlich beschloss, die Sache selbst zu erledigen.

»Hallo!«, rief er mit unterdrückter Stimme und beugte sich, so weit er konnte, über Bord. Keine Antwort erfolgte, und es war augenscheinlich, der »Passagier« wünschte inkognito weiterzureisen.

»Hallo!«, wiederholte Bob-Roy und rüttelte an dem Steuerruder, um dem anderen anzudeuten, dass er gemeint sei. Dieser Ruf erregte die Aufmerk­samkeit der übrigen Männer, und sie wandten die Köpfe, während Edge­worth leise, die Büchse im Anschlag, zu dem Bootsmann trat.

»Hm«, meinte der, als sein Ruf noch immer unbeantwortet blieb, »verstockter Geselle, wie es scheint, verdammt schweigsam, müssen ihn einmal ein wenig anfeuchten Er tauchte das Steuerbrett, auf dem er den geheimnisvollen Besucher vermutete, unter Wasser. Danach zog er es wieder heraus, lehnte sich über Bord und rief nun noch einmal, als ob in der Zwischenzeit gar nichts Besonderes vorgefallen wäre:

»Hallo!«

Lauteres Schnaufen und Atemholen war die Folge des Experiments, aber immer noch kam keine Antwort, wonach Bob-Roy ohne besondere Umstände die Taufe wiederholte, das Steuerbrett diesmal aber etwas länger unter Wasser hielt als vorher.

»So, mein Herzchen«, sagte er dann, »wenn du jetzt nicht redest, so lasse ich dich wieder hinunter und stemme dann hier den Stock unter die Finne. Danach wirst du …«

»Nehmt mich … nehmt mich … an … Bord!«, stöhnte da eine Stimme, und Edgeworth, der wohl einsah, dass ihnen von dieser Seite keine Gefahr drohte, legte seine Büchse an Deck nieder.

»Ja – nehmt mich an Bord!«, brummte Bob-Roy leise vor sich hin, »das ist leicht gesagt, aber wie? Die Jolle ist nicht da – kannst du nicht am Steuerruder hinaufklettern, mein Herzchen?«

»Nein … ich kann … nicht!«, lautete die Antwort, und die Sprache schon bewies, wie erschöpft der Fremde und kaum noch imstande war, sich dort festzuhalten, viel weniger denn mit den nassen, schweren Kleidern an der schlüpfrigen Stange hinaufzuklimmen.

»Wir wollen ihm ein Tau zuwerfen«, flüsterte Edgeworth.

»Wird auch nicht viel helfen«, meinte der Bootsmann, »er scheint fertig zu sein, ich werde wohl hinaus müssen.«

»Wenn es nun einer jener Buben wäre!«

»Glaube es kaum«, sagte Bob-Roy und warf Jacke und Hose an Deck, »aber wenn auch, er ist erschöpft und – auf solche Art möchte ich ihn doch nicht umkommen lassen. Ein paar von euch halten das Tau fest, ich will hinunter und es ihm um den Leib schlingen. Nachher kann er sich bequem an Deck ziehen lassen.«

Nun kletterte er rasch, das eine Ende des Taues in der Hand, an dem Steuerruder hinunter, bis er einen fest an das nasse Holz geklammerten Arm ergreifen konnte, ließ sich rasch neben ihm ins Wasser hinab, schlang das Tau um den Körper des Fremden, zog den Knoten fest und rief nun, während er selbst mit der Rechten in die Schlinge griff: »Holt an Bord!«

Wenige Minuten später lag der Gerettete an Deck, aber es bedurfte geraumer Zeit, ehe er sich so weit erholt hatte, einzelne Fragen verständ­lich zu beantworten. Kälte und Angst hatten ihn fast seiner Sinne beraubt, und er musste in wollene Decken eingeschlagen und tüchtig abgerieben werden. Sein erstes Wort nach all diesen Vorbereitungen war: »Whisky.«

Die Bootsleute, welche selbst die vorzüglichste Meinung von solcher Arznei hegten, waren rasch mit dem Labsal zur Hand. Als er sich aber so weit erholt hatte, einen etwas umständlicheren Bericht über sich geben zu können, und zugleich einsah, dass er sich unter guten, ehrlichen Men­schen befand, offenbarte er dem alten Edgeworth, wer er sei und was ihm begegnet wäre.

Es war O’Toole, der, als er das Ufer des Mississippi erreicht hatte, ohne Zögern in den Strom gesprungen und, so weit er konnte, hinaus­geschwommen war, um in dem Nebel jede Verfolgung unmöglich zu machen. Da der Mississippi stieg, so wusste er auch, sobald er die Strö­mung erreichte, dass er Treibholz genug finden würde, sich darauf auszu­ruhen. Zu diesem Zweck hielt er, soweit er das vermochte, auf die Flussmitte zu, bis er plötzlich das Flatboot vor sich sah und an dessen Steuerruder stieß. Wohl erfasste er es augenblicklich, aber der Lärm an Bord machte ihn schon unschlüssig, ob er es doch nicht lieber wieder fahren lassen und versuchen sollte, irgendeinen schwimmenden Baumstamm zu erreichen. Da vernahm er dicht hinter sich das Rudern des Bootes – er wusste, es waren seine Verfolger, und in Angst und Entsetzen klammerte er sich fester an das Holz, das ihn jetzt noch hielt und vielleicht allein retten konnte. Eben dieses feste Anklammern ließ aber das frei hängende Ruder auch knarren und bewog Bob-Roy, es festzuhalten. Der Ire fürchtete in­dessen immer noch, in die Hände der Verbrecher zu geraten, wenn er sich denen an Bord zu erkennen gäbe. Erst das gewaltsame Eintauchen des Ruders, bei dem er, hätte Bob-Roy seine Drohung wahr gemacht, er trinken musste, zwang ihn, sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. Seine Kräfte waren erschöpft – er konnte nicht mehr.

Aufmerksam lauschten jetzt die Männer dem Bericht über das, was O’Toole gesehen und erlebt hatte. Edgeworth schauderte, als er an die Ge­fahr dachte, der sie so glücklich entgangen waren. Wie weit verzweigt musste diese Bande sein, der er selbst, aus dem Norden Indianas kom­mend, durch einen ihrer Helfershelfer hatte in die Hände gespielt werden sollen. Was aber jetzt tun? In der nächsten Stadt eine Anzeige machen und die Bewohner aufrufen, das Asyl der Verbrecher zu zerstören? War es wahrscheinlich, dass sich gleich Männer genug zusammenfanden, einen solchen wohlbefestigten Ort mit Erfolg anzugreifen? Und würden die Piraten nicht im Falle eines Misserfolges gewarnt, sodass sie fliehen konn­ten? Ja, war das nicht vielleicht jetzt schon durch all das Vorhergegan­gene geschehen, und welches Elend konnte über das Land gebracht wer­den, wenn sich eine solche Verbrecherbande nach allen Richtungen hin zerstreute?

Rasch trieb das Flatboot indessen weiter, es mochte vielleicht, seit es die gefährliche Insel hinter sich gelassen hatte, zehn bis zwölf englische Meilen gemacht haben. Da rief der Mann, der vorn als Wache im Bug saß, dass sie an einem Lichtschein vorbeitrieben, der, wie sie bald fanden, von einem dort gelandeten Dampfboot herrührte. Die Ofentüren waren geöffnet, und so nahe glitten sie vorüber, dass sie deutlich zwei vor den halb niedergebrannten Kesselfeuern liegende Neger erkennen konnten.

»Greift zu den Finnen, meine Burschen!«, rief Edgeworth, »rasch, Boys, das Ufer kann hier kaum fünfzig Schritt entfernt sein. Komm, Bob-Roy, lass den Bug anluven – halt – ruhig noch mit den Backbordfinnen – so, nun greift zusammen aus, ein bisschen mehr hinauf, Bob, wir kommen sonst zu weit von dem Dampfer ab – so, das wird’s tun!«

Und mit raschen kräftigen Ruderschlägen trieben die Leute das schwere Boot dem Land zu, warfen um den ersten Baum, den sie erreichen konn­ten, das Tau und lagen bald ruhig und sicher verankert in der Nähe des Dampfbootes. O’Toole, der sich jetzt wieder völlig erholt und erwärmt hatte, sprang mit Edgeworth an Land, um auf der trockenen Uferbank das Boot zu erreichen und dessen Kapitän von den Ereignissen der letz­ten Nacht in Kenntnis zu setzen.

Das Dampfboot war die Black Hawk von Fort Jonesboro am Red­ River, für St. Louis bestimmt, und führte die von der indianischen Grenze abgelösten Truppen zur Missourigarnison hinauf. Der Nebel hatte es ebenfalls gestern Abend gezwungen, hier beizulegen, und es musste sich ohnedies als altes, schon ziemlich mitgenommenes Boot sehr in acht neh­men und schonen, um nicht durch ein zufälliges Aufrennen der größten Gefahr ausgesetzt zu werden.

Kaum hatte O’Toole dem Kapitän der Black Hawk, Mr. Colburn, Näheres von der Verbrecherkolonie berichtet, als er erklärte, unter jeder Bedingung dort zu landen und den Platz untersuchen zu wollen. Lag ein Irrtum vor, so konnten es ihm die Ansiedler nur danken, dass er wenig­stens den Willen gezeigt habe, ihnen beizustehen. Erwies sich die Sache als begründet, so war es vielleicht durch augenblickliche und nach­drückliche Maßnahmen möglich, die Flusspiraten zu überraschen und ge­fangen zu nehmen.

O’Toole warf zwar ein, dass er weder wisse, wo jene Bande hause, noch wo er sich im Augenblick befinde, da er im Nebel förmlich blind umhergefahren sei. Edgeworth aber bezeichnete dem Kapitän Colburn ziemlich genau die Stelle, wo sie am letzten Abend gelandet waren, und da von dort aus die Strömung gerade auf Nummer einundsechzig zu­führte. So blieb es denn auch keinem Zweifel unterworfen, dass diese bis dahin für öde gehaltene Insel der Zufluchtsort der Verbrecher sei.

Vor allen Dingen wurden einige Matrosen mit der Jolle zu dem Flat­boot gesandt, um den Steuermann Bill an Bord der Black Hawk zu bringen. Bill verharrte trotz Versprechungen und Drohungen in hart­näckigem Schweigen und ließ nur, als er die fremden Matrosen vor sich sah, den Blick von einem zum andern schweifen, ob er nicht vielleicht ein ihm freundlich gesinntes Gesicht darunter entdecke, aber die Männer be­trachteten ihn mit dunklem, Unheil verkündendem Ernst.

Ehe sich der Nebel teilte, war übrigens ein Vorgehen gegen die Pira­ten unmöglich, denn erstens hätten sie stromauf die Insel gar nicht aufs Ungewisse hin gefunden, und dann durften sie sich auch nicht der Gefahr aussetzen, auf Sand zu laufen, da sonst die Verbrecher ungehindert mit ihren Booten fliehen könnten.

Edgeworth wollte nun allerdings auf seinem Fahrzeug bleiben, um nicht nur seine Ladung stromab zu nehmen, sondern auch das Mrs. Eve­rett gegebene Versprechen zu halten. Dieses Vorhaben sah er aber bald durch zwei Umstände unmöglich gemacht: Kapitän Colburn verlangte unbedingt seine Gegenwart, um ihn für diese eigentlich willkürliche Hand­lung bei der nächsten Behörde als Zeugen vorweisen zu können. Vor allem aber erklärten seine Bootsleute fest und bestimmt, lieber den letzten Cent ihres Gehalts im Stich zu lassen, ehe sie darauf verzichten wür­den, das Räubernest mit auszuheben. Allein konnte Edgeworth das Boot unmöglich stromab führen. Der Kapitän beseitigte aber endlich auch seine letzten Bedenken dadurch, dass er, als, er erfahren hatte, welche Ladung der Alte führe, erklärte, die Waren für die Garnison am Missouri ankaufen zu wollen. Über den Preis verständigte er sich leicht mit Edge­worth. Da er selbst fast keine Fracht an Bord hatte, so ließ er sein Dampfboot langsam den Strom hinab bis neben das Flatboot treiben. Während nun die Mannschaft beider Fahrzeuge, von den Soldaten redlich dabei unterstützt, mit einem Eifer arbeitete, als hinge ihr künftiges Glück an dem schnellen Überladen der Fracht und als handle es sich hier nicht darum, einem Kampf mit Verzweifelten entgegenzugehen, schlossen die beiden Männer in der Kajüte ruhig den Handel ab. Das der Dame ge­gebene Versprechen durfte den alten Mann jetzt auch nicht länger hin­dern, denn diese erklärte, nach den Vorfällen der letzten Nacht viel lieber mit der Black Hawk nach Helena zurückzukehren und das nächste Dampfboot stromab benutzen zu wollen, als noch einmal der Gefahr aus­gesetzt zu sein. Überdies konnte man nicht wissen, ob die Verbrecher nicht vielleicht auf ihren Booten schon geflohen waren oder noch fliehen würden, und dann machten sie gewiss den Strom für die nächste Zeit un­sicher.

Nun musste man nur noch warten, dass sich der Nebel auflöste. Ein frischer Morgenwind, der sich gegen Sonnenaufgang erhob, ließ sie in dieser Hinsicht das Beste hoffen. Indessen verbrachten sie ihre Zeit nicht unnütz. Alle Vorbereitungen wurden getroffen, einem gefährlichen Feind zu begegnen, die Waffen in Ordnung gebracht und die Leute gemustert. Der Kapitän wollte anfangs Freiwillige die erste Landung wagen lassen, sah sich aber bald gezwungen, selbst eine Auswahl zu treffen, denn alle traten vor und verlangten, als Erste den Fuß an Land setzen zu dürfen. Außer ihren üblichen Waffen empfingen die Leute noch, um das von O’Toole beschriebene Dickicht zu durchdringen, Beile, Äxte und schwere Messer, soviel sich auftreiben ließ. Ihr erster Angriff sollte sich auf den Platz richten, von dem die Männer auf der Insel in Gegenwart des Iren gesprochen hatten: die untere Spitze, wo aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Boote versteckt lagen. Gelang es, sich dieser zu bemächtigen, so würde den Piraten der Fluchtweg abgeschnitten. Der Tapferkeit der An­greifenden blieb es in dem Fall allein überlassen, der gerechten Sache zum Sieg zu verhelfen.