Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Paraforce Band 51

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Pfeil

Vom frischen Quell
Sagen, Legenden und Geschichten aus der Eifel
Jung und Alt in neuer Fassung dargeboten von Rektor Jos. Schiffels
Verlag Georg Fischer. Wittlich. 1912
Erstes Bändchen

Der Pfeil1

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts lebte in der Nähe der Stadt Laon ein reicher Ritter namens Nithard. Seine edle Gemahlin hieß Erkanfrieda. In seinen weit ausgedehnten Besitzungen herrschte Nithard sehr segensreich, und sein Glück wäre vollkommen gewesen, wenn ihm Gott ein Kind geschenkt hätte, das später seinen Reichtum und seine Stellung geerbt hätte. Als Nithard seiner Tage Ende allmählich nahen sah, schmerzte es ihn doppelt, keinen Erben zu besitzen. Er entschloss sich, seine Güter einem Kloster zu schenken, damit sie Gott dem Herrn geweiht und zu frommen und wohltätigen Zwecken verwendet würden. Aber es war schwer, unter den vielen Klöstern der Gegend eins auszuwählen. Um die richtige Wahl zu treffen, zog er einen Geistlichen zurate. Der sprach zu ihm: »Nimm einen Pfeil aus deinem Köcher und schieße ihn in die Höhe ab. Die Lüfte werden ihn weitertragen über Berg und Tal. Dem Kloster, in dessen Bering er niederfällt, schenke deinen Reichtum.«

Dem Ritter gefiel dieser Vorschlag. Er veranstaltete ein großes Fest auf seiner Burg, das sieben Tage dauerte. Zahlreiche Gäste aus edlem Geschlecht waren dazu erschienen. Am letzten Festtag sollte der Pfeil abgeschossen werden. Die Festgäste versammelten sich in dem prächtig geschmückten Rittersaal und harrten Nithards Ankunft. Endlich erschien er mit seiner Gemahlin, deren engelmilde Züge von ihres Herzens Reinheit und von ihrer Frömmigkeit zeugten. Mit dem ganzen Gefolge stieg der Ritter von der Burg ins Tal hernieder. Dort machte er vor einem hohen, sagenreichen Stein Halt. Nithard befestigte die Schenkungsurkunde an einem Pfeil.

Doch bevor er ihn in die Lüfte sandte, sprach der Geistliche laut zu der harrenden Menge: »Nithard übt ein schönes Werk. Lasset uns zum Himmel beten, dass es auch gelingen mag!« Alle knieten nieder und beteten andächtig und inbrünstig das Vaterunser. Dann erhob sich Nithard. Er bestieg den hohen Stein, steckte den Pfeil in seinen Bogen und schoss ihn ab. Kaum war dies geschehen, da öffnete sich der Himmel. Ein wunderbarer Wohlgeruch erfüllte die Luft und himmlischer Gesang ertönte. Engel fingen den Pfeil auf und verschwanden damit. Lange noch vernahmen die in Ehrfurcht niedergesunkenen Gäste die entzückenden Klänge. Noch kein Jahr war verflossen, da tönten der Nachtigall Klagelieder über Nithards stillem Grab.

Zu derselben Stunde, als Nithard den Pfeil abschoss, feierte der fromme Ansbald, der Fünfte in der Reihe der Äbte in dem fernen Prüm in der Klosterkirche vor einer andächtig lauschenden Menge das heilige Messopfer. Plötzlich tönte ein leises Geräusch wie sanfter Wellenschlag hernieder, und süße Klänge wie von Engelsstimmen erfüllten das Gotteshaus, in dem eine ehrfurchtsvolle Stille herrschte. Ein Engel in hehrem Glanz schwebte leise zu dem Altar und überreichte Nithards Pfeil mit der Urkunde dem staunenden Abt. Nachdem der Engel sich vor dem Allerheiligsten geneigt hatte, verschwand er wie leichter Rauch. Der Abt machte den Anwesenden die Schenkung bekannt und nahm mit Dank die reichen Güter Nithards für das Kloster in Besitz. Lange wurde der Pfeil als ein kostbares Kleinod in dem Kloster aufbewahrt,

Bis er in den Völkerstürmen
mit den frommen Klosterbrüdern

gleicher Zeit verschwunden.2

Show 2 footnotes

  1. Die nachstehende Legende liegt zwei Gemälden in der Abteikirche in Prüm zugrunde. Das eine stellt einen Ritter dar, der, auf einem Stein stehend und umgeben von einem zahlreichen Gefolge, einen Pfeil abschießt, das andere, wie der Abt Ansbald, der das Hochamt hält, aus der Hand eines Engels einen Pfeil entgegennimmt.
  2. nach einer Dichtung von Eduard Wolff