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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel III, Teil 2

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel III, Teil 2

Asmodi und Michel aber erhoben sich mitten unter diesem chaoti­schen Treiben der Fliehenden lachend in die Lüfte und ließen sich in der Nähe der Ebene von Wakefield im Westbezirk von Yorkshire nieder, wo gerade ein großes Meeting gehalten wurde.

Als sie durch die Straßen von Wakefield gingen, sahen sie unzählige Fahnen, und in deren Ermanglung Schnupf-, Hals­- oder Taschentücher von blauer oder gelber Farbe wehen, welche die Wakefielder Ladys und Mätressen wacker schwangen. Die blauen verkündeten den blauen Dunst der Torys und die gelben den Schwefeldampf der Whigs. Lange Züge, schreckliche Musik machende Bands an der Spitze, mit blauen oder gelben Bändern geschmückt, und mit Stöcken und Prügeln bewaffnet, abwechselnd mit Hurras und Hohngeschrei empfangen, zogen durch die Straßen von Wakefield zu der Ebene zu, auf der sich schon mehr als 50.000 Menschen eingefunden hatten. Auf der einen Seite der Hustings hatten sich die Gelben, auf der anderen die Blauen in Schlachtordnung aufgestellt und ließen Hunderte von blauen und gelben Fahnen, mit allen möglichen Aufschriften versehen, hoch wehen. Auf den Hüten hatten sie Karten von diesen beiden Farben aufgesteckt, auf welchen die Namen der Kandidaten, für die sie stimmten, aufgesteckt waren. Vor einem der ankommenden Züge tanzte ein ganz in schwefelgelbe Farbe gekleideter Hampelmann, dessen Schuhe, Strümpfe und Haare sogar gelb waren, nur seine Nasenspitze war glänzend vergoldet.

Dort kam gar ein Whig auf einem Esel angeritten, und während von des Reiters Hut die schönsten goldgelben Bänder flatterten, waren das Tier und besonders dessen Ohren mit blauen geschmückt.

Als man ihn fragte, weshalb dies sei, gab er zur Antwort: »Jedes von uns trägt die Farbe seiner Partei.«

Jetzt näherte sich ein mehrere Tausend Menschen starker grü­ner Zug, mit infernalischer Musik an der Spitze. Alle die zu demselben gehörigen Musikanten sahen Laubfröschen ähnlich, waren bis auf die Zehen in grasgrüne Farbe gehüllt und hüpf­ten und quakten der Bande voran. Es waren lauter Chartisten, welche die Wahlreform begehrten, und auf deren Fahnen allge­meines Wahlrecht und geheime Abstimmung geschrieben stand.

Nun kamen nacheinander die Kandidaten der Blauen, Gelben und Grünen zum Teil in vierspännigen Kaleschen von der Farbe ihrer Partei angefahren. Kutscher und Jokeys waren in Seidenzeug von derselben Farbe gekleidet. Unter ihnen befan­den sich mehrere Lords, Earls, Viscounts etc., Robert Peel, Palmerston, ein Sohn des Generalsekretärs für Irland, ein torystischer Lord, der nicht weniger als 50.000 Acres Land und ein halbes Tausend Pächter hatte und wie toll gegen die Kornbill wütete.

Die Kandidaten bestiegen nun die Hustings, auf denen die Banner und Standarten der Parteien lustig flatterten.

Der Sheriff begann nun den Befehl zur Vornahme der Wahl sowie die Aufruhrakte zu lesen und schrie sodann dreimal mit lauter, vernehmbarer Stimme: »Oyez, oyez, oyez!«1

Die auf der Ebene wogende Menschenmasse mochte jetzt zu 200.000 Seelen herangewachsen sein. Als nun die Kandidaten der verschiedenen Parteien vorgeschlagen wurden, da erhob sich ein furchtbares Gebrüll, ein Hohngelächter, Zischen, Husten, Hurrageschrei, Pfeifen, Klatschen und Jubelgetöse durcheinander, sodass viele der Anwesenden taub zu werden glaubten. Bald liefen Tausende von Weibern mit einem Zetergeschrei davon und ergriffen die Flucht.

Wurde der Name eines blauen Kandidaten aus­gerufen, so ließen die Gelben ein Zischen, Höhnen und Brüllen erschallen, und man glaubte der Welt Ende vor der Tür, und so umgekehrt, wenn ein Gelber oder Grüner genannt wurde. Alle versuchten sich wechselseitig zu übertönen. Von den Reden der Kandidaten konnte man kein Wort verstehen. Bald sah man Hundert­tausende von Stöcken, Prügeln und Knitteln in der Luft schwingen, zu deren Bewegungen hundertfünfzigtausend Mäuler ein furchtbares Akkompagnement brüllten. Dabei wehten die grünen, gelben und blauen Tücher der Weiber, und fünfzigtausend Mützen und Hüte wurden unaufhörlich in die Luft geworfen und wieder aufgefangen. Jetzt wurde das Zeichen zum Aufheben der Hände gegeben, um dadurch die Wahl der Parlamentsglieder zu erkennen. Im Nu sanken die hunderttausend Prügel und Knittel nieder, und über zweimalhunderttausend Arme streckten ihre Hände gen Himmel, die Willensmeinung ihrer Eigentümer kund zu geben. Aber jetzt streckte auch, auf Michels Verlangen, Asmodi seine Krücke empor und machte eine kaum merkbare Bewegung mit derselben. Und siehe da, alle Anwesende, Lords, Counts, Earls, Viscounts, Gentlemens, Gutsbesitzer, Kaufleute, Bandmänner, Musiker, Blaue, Grüne und Gelbe, samt dem Sheriff und den Kandidaten, Frauen und Mädchen usw., unsere beiden dämonischen Reisenden ausgenommen, machten in ein und derselben Sekunde auf einen Schlag jedes einen Purzelbaum, und alle blieben auf den Köpfen stehen, quecksilberartig mit den Beinen in der Luft zappelnd, sodass man statt der Hände 300.000 bis 400.000 Füße gewahrte, was besonders bei den Frauen einen so komischen Anblick darbot, dass sich sogar der Teufel vor Lachen den Bauch halten musste.

Asmodi und sein Reisegefährte schwebten nun, sich aber dieses Mal nicht übereilend, über den Füßen des ungeheuren Meetings, die Reihen des sonderbaren Heeres musternd, allmählich in die Höhen.

Erst bei einbrechender Dämmerung verließen sie das seltsame Schlachtfeld, dessen Helden und Streiter Asmodi bei seinem endlichen Abzug wieder in seine natürliche Stellung versetzte. Ob nun gleich die Köpfe wieder oben waren, so schienen die Menschen solche dennoch gänzlich verloren zu haben, und trollten sich, nicht wissend, wie ihnen geschehen war, recht betucht, mäuschenstill und stumm nach Hause, ohne dass für dieses Mal irgendeine Wahl zustande gekommen wäre.

»Wo nun hin?«, fragte Asmodi im Auffliegen.

»Ich dächte nach London.«

»Für heute Abend mag sein«, erwiderte der Hinkende, »doch für morgen rate ich mit dem Frühesten nach Paris.«

»Warum?«

»Rosa-Maria ist in Gefahr.«

»Alle Teufel! So lass uns gleich dahin.«

»Nicht doch, noch hat es keine solche Eile, wenigstens ist für diese Nacht noch nichts zu fürchten. Morgen müssen wir aber vorbauen.«

»Und was ist es, was ihr droht?«

»Man stellt ihrer Tugend nach.«

»Verdammt, wer wagt es?«

»Ein alter Bankier, der die Eltern mit Eisenbahnaktien bestechen will oder schon bestochen hat.«

»Den soll ja das Donnerwetter! Fort nach Paris.«

»Sei doch ruhig, Freund, ich sage dir, dass du dich nicht zu übereilen brauchst, und wir können diesen Abend ganz bequem einer königlichen Vorstellung in der italienischen Oper in London beiwohnen, ohne dass es dir etwas verschlägt, noch ist Rosa- Maria sicher in ihrem Kloster.«

»Ist das gewiss?«

»Gewiss.«

»Also auf deine Gefahr.«

»Sei unbesorgt.«

Bald nach dieser luftigen Unterredung saßen die beiden Weltreisenden in einer Loge des italienischen Operntheaters, nachdem Michel vorher noch seinen Magen mit echt englischem Plumpudding und Rostbeef gestärkt hatte.

Der Saal bot einen, wenn auch nicht imponierenden, doch merkwürdigen Anblick dar. Da sah man den alten etwas zusammengeschrumpften Wellington, dessen Ruhm mit ihm veraltert, und der noch immer die Peitsche für den wirksamsten Kommandostab hält. Unweit von ihm stand der etwas schwerfällige Robert Peel.

»Wie gewaltig irrt man sich auf dem Festland«, sagte Asmodi zu seinem Gefährten, ihm diesen Minister bezeichnend, »wenn man glaubt, dass die von demselben vorgeschlagenen Reformen, die so großen Enthusiasmus erregten und ihm so unverdientes Lob brachten, aus einer wohlwollenden und menschenfreundlichen Gesinnung  entsprangen. Peel ist und bleibt ein eingefleischter, eitler englischer Egoist, dem die engherzige Politik Großbritanniens und dessen merkantilisches Interesse als das Höchste gilt. Er gibt nur der eisernen Notwendigkeit nach und behängt sich mit dem Mantel des Menschenwohls, um seine weiteren Pläne desto besser unter demselben verbergen und ausbrüten zu können. Er kommt nie den Reformen entgegen, sondern er wird von der Notwendigkeit derselben mit fortgerissen und hat gerade so viel Verstand, um einzusehen, dass man nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen kann. Dies ist bei einem Minister schon etwas, schon viel. Gar manche, hierzu zu kurzsichtig, haben à la Polignac das Unglück der Regierung und des Thrones herbeigeführt. Neben Robert Peel», fuhr der Hinkende fort, »steht der hochmütige und alberne Bucelengh, der heftige und aufbrausende Kanzler Lyndhurt, weiter links der falsche und heuchlerische Goulburn, ein ministerieller Notbehelf, sodann der etwas unverschämte Sir Graham und Stanlay, dieser politische Apostat, der so gerne der Henker der armen Irländer sein möchte. Drei Schritte hinter Robert Peel siehst du den unter den Sportmen so berühmten J. Beel. Dort weiter links sind die edlen englischen Pairs, Lord Brougham, Lord Beaumont, einer der wackeren Verfechter des unglücklichen Irlands; der durch seine ungeheuren Schulden berühmte Herzog von Buckingham; Lord Haddington; der Marquess von Camden, zwei Biedermänner, der Hampelmann Lord Dincorben, der Graf von Denon nebst Clanruarde, zwei noch immer stocksteif geharnischte englische Edelmänner. Lord Palmerston, der den Thiers so schön bei der Nase herumzuführen verstand. Auf der anderen Seite sitzen fast in einer Reihe die Notabilitäten du haut commerce, unter ihnen der wahrhaft ehrenwerte Baring, was Rechtlichkeit und großmütiges Wohlwollen anbelangt, der englische Lasitte; Goldsmid, dessen auf ererbte Treu und Glauben gegründeten Kredit auch keine politischen Umwälzungen erschüttern konnten; ferner Child, Baring, einer der Rothschilde, die wahren Überall und Nirgends unserer Tage, die Komtore und Tempel in der ganzen Welt haben, die Merkure und Plutusse der neuen Götterlehre; Scott, Borard etc.«

Doch jetzt hörte man den Donner der Kanonen erschallen.

»Dies bedeutet die Abfahrt der Königin vom S. James- Palast«, belehrte der Hinkende seinen Begleiter. »Seltsamer Gebrauch, dass man die Abreise und Ankunft eines Herrschers immer mit Zerstörungswerkzeugen verkündet, als brächte ihre Annäherung Unheil! Indessen ist es hohe Zeit, dass sie kommt, sonst könnte es ihr leicht ergehen wie eines Tages Georg III., als er die Stunde versäumte, zu welcher seine Ankunft angekündigt worden war.«

»Wieso?«, fragte Michel.

»Das Kommen Georgs III. war in den Zeitungen Punkt sieben Uhr angesagt. Die Stunde war vorüber, und der König erschien nicht. Das überfüllte Haus wurde ungeduldig. Endlich, eine gute Viertelstunde später öffneten sich die Türen der königlichen Loge, und statt mit dem gewöhnlichen God save the King wird seine Majestät mit einem so gellenden Pfeifen und Zischen empfangen, dass die Mauern davon zu erbeben scheinen. Der erstaunte König erhebt die Hand zum Zeichen, dass er um einen Augenblick Ruhe bittet. Es tritt eine plötzliche Stille ein, und er befragt Logen und Parterre, was ihnen missfällig sei?

›Eure Majestät haben sich verspätet‹, ruft ihm eine starke durchdringende Stimme zu.

Der König zieht seine Uhr, findet, dass die Stimme wahrgesprochen hatte, verbeugt sich entschuldigend, das Pfeifen und Zischen verwandelt sich in ein donnerndes Bravo, dem unmittelbar das God save the King, von allen Kehlen angestimmt, folgt.«

Doch jetzt öffneten sich die Türen der königlichen Loge, und Asmodi verstummte. Die Königin Viktoria trat in Begleitung des Prinzen Albert und der wunderschönen Herzogin von Sutherland und einem ansehnlichen Gefolge in dieselbe und wurde gleichfalls mit donnerndem Beifall und stehend empfangen. Die Künstler, welche auf der Vorderbühne standen, stimmten die Nationalhymne an und das Publikum fiel mit ein, wodurch freilich der Gesang an Harmonie nicht, jedoch desto mehr an Stärke gewann.

Show 1 footnote

  1. Hört, hört, hört!