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Der Kommandant des Tower 35

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Drittes Buch
Der Lordgroßadmiral von England
Achtes Kapitel

Wie der Lordkanzler in Ungnade fällt

Obwohl die Krone auf des jungen Edwards Stirn gesetzt worden war, so blieb doch die Hauptgewalt in den Händen des Lordprotektors. Sein einziger gefürchteter Gegner war Southampton, und die Beseitigung des Letzteren wurde, wie schon angedeutet, beschlossen. Ein Plan, um seiner sicher los zu werden, war von Paget ausgesonnen worden, und zum Unglück für den Lordkanzler lieferte seine eigene Unklugheit den Vorwand, ihn beiseitezuschieben.

Southampton war sich der kritischen Lage, in der er sich befand, durchaus nicht bewusst. Er wohnte der ersten Conseilversammlung, die im Palast gehalten wurde, bei und begann damit, Somerset wegen Usurpierung der Gewalt und wegen Verletzung des königlichen Willens anzugreifen.

Er war noch nicht weit gekommen, als Paget ihn unterbrach mit den Worten: »Halt, Mylord, bevor Ihr Seine Hoheit, den Lordprotektor, anklagt, habt Ihr Euch selbst wegen gewisser ernster Beschuldigungen, womit ich Euch belaste, zu verteidigen.«

»Welches sind die Beschuldigungen?«, fragte der Lordkanzler stolz.

»Mylord, ich beschuldige Euch grober Pflichtverletzung,«, entgegnete Paget, »weil Ihr das Siegel einer Kommission übergeben und gewissen Herren in der Kanzlei Vollmacht verliehen habt, Klagen entgegen zu nehmen und Urteile zu sprechen, Pflichten, die Ihr niemandem übertragen durftet. Solches habt Ihr getan ohne Erlaubnis oder Zustimmung des Königs oder des Lotdprotektors oder der Mitglieder des Conseils.«

»Ich brauche mich nicht zu verteidigen wegen dessen, was ich getan habe«, erwiderte Southampton stolzen Tones. »Ich kann meine Aufmerksamkeit nicht zu gleicher Zeit den Staatsgeschäften und den Hof- und Kanzleigeschäften widmen, und deshalb habe ich beschlossen, mich vorzugsweise mit den Ersteren zu befassen. Aber die Entscheidung aller Angelegenheiten wird meiner Genehmigung unterbreitet.«

»Ihr habt in dem, was Ihr getan habt, Eure Befugnis überschritten, Mylord«, sprach Somerset streng. »Die Richter sind in der Angelegenheit befragt worden, und ihre wohlerwogene Antwort ist, dass Ihr, Mylord Kanzler, nicht ohne Genehmigung des Conseils das Siegel einer solchen Kommission  hättet übergeben dürfen. Sie erkennen darin einen Vorfall, der die bösesten Folgen haben wird, und einen Beweis, dass Ihr eine Änderung in den Gesetzen des Landes beabsichtigt.«

»Pah! Pah! Ihre Furcht ist grundlos«, bemerkte Southampton verächtlich.

»Hört mich zu Ende, ich bitte, Mylord«, fuhr Somerset fort. »Die Richter erklären einstimmig, dass Ihr durch die unverantwortliche und ungesetzmäßige Handlung, die Ihr begangen, Eure Stelle verwirkt habt und je nach des Königs Belieben in Geld- oder Gefängnisstrafe verfallen seid.«

»Was sagt Ihr dazu, Mylord?«, rief Paget in herausforderndem Ton.

»Ich sage, die Richter sind im Irrtum oder sind in gemeiner Weise bestochen worden, wenn sie eine solche Meinung abgeben können!«, rief Southampton wütend. »Aber der Plan ist zu klar, um nicht auf den ersten Blick durchschaut zu werden. Es ist schwacher Versuch des Lordprotektors, mich zu beseitigen. Aber ich will ihm ins Gesicht sagen, dass ich mein Amt kraft besserer Antorität habe, als er das seine.«

»Wieso, kraft besserer Autorität, Mylord?«, rief Somerset.

»Weil es mir von meinem verstorbenen königlichen Herrn verliehen wurde, entgegnete Southampton, »der mich nicht nnr zu dem machte, was ich bin, zum Lordkanzler, sondern auch zu einem der Gouverneure des Reiches während seines Sohnes Minderjährigkeit, welches Amtes mich Eure Hoheit zu berauben sucht. Aber Ihr könnt es nicht, denn des Königs Wille muss respektiert werden, und infolge dieses Willens hat keiner von Ench, wie Ihr wohl wisst, Macht über die anderen oder kann deren Entlassung bewirken. Erklärt die Kommission für aufgehoben, ich habe nichts dagegen. Aber denkt nicht daran, mich meines Amtes ohne eine Schuld meinerseits zu berauben oder mich von der Regierung zu entfernen, denn Ihr könnt es nicht.«

»Die Argumente, die Ihr vorbringt, Mylord, sind von keinem Gewicht«, sagte Lord Rich. »Jeder Exekutor von des verstorbenen Königs Testament ist seinen Kollegen untergeben und kann nichts auf eigene Verantwortung hin tun. So, wenn einer unter uns sich des Hochverrates oder der Empörung schuldig machte, würde er natürlich strafbar sein und könnte sich nicht hinter das Vorgeben verstecken, dass er ein Mitglied des Conseils sei und als solches freigesprochen werden müsse. Wenn Ihr beweisen könnt, dass Ihr irgendeinen Auftrag gehabt, so zu handeln, wie Ihr getan, so seid Ihr entschuldigt, sonst nicht!«

»Nun, zeigt Euren Auftrag, Mylord, wenn Ihr könnt«, sagte Paget sarkastisch.

Der Lordkanzler antwortete nicht. Er sah, dass er in die Netze seiner Feinde gefallen war.

»Könnt Ihr irgendetwas anderes zu Eurer Verteidigung vorbringen?«, fragte der König, der bisher nicht gesprochen hatte. »Wenn dem so ist, so sind wir bereit, Euch zu hören.«

»Ich würde vergebens reden, Sire, denn meine Feinde sind zu stark für mich«, entgegnete Southampton mit Würde. »Aber ich rufe den Himmel zum Zeugen, dass ich nach bestem Ermessen handelte.«

»Zeigt Euch lieber unterwürfig, Mylord«, bemerkte Lord Seymour, »dieser stolze Ton wird Eure Sache nur schlimmer machen.«

»Ihr seid es, der Unterwürfigkeit rät, Mylord Admiral?«, rief Southampton fast wütend. »Ich habe erklärt, dass in dem, was ich tat, keine böse Absicht lag. Ihr alle aber erklärt das Gegenteil. Ich unterwerfe mich also demütig der Gnade des Königs. Mein Amt wird mir genommen werden. Ich bitte, dass man in Anbetracht früherer Dienste gelinde mit mir verfahre.«

»Strenge Gerechtigkeit soll Euch werden, zweifelt nicht daran«, sagte Edward. »Ich bitte Euch, Euch zurückzuziehen, während wir die Angelegenheit beraten.«

Auf diese Andeutung hin verließ der Lordkanzler die Ratskammer.

Nachdem das Conseil einige Zeit beraten hatte, sprach Lord Rich Folgendes zum König: »In Anbetracht der üblen Meinung, welche es erregen würde, wenn die Siegel in den Händen eines so anmaßenden Mannes wie Lord Southampton blieben, sind wir der Meinung, dass er seines Amtes entlassen werde, in Geldstrafe verfalle und zugleich ein Gefangener in seinem eigenen Haus verbleibe, wenn Eure Majestät solches genehmigt.«

»Ist das die Meinung des ganzen Conseils?«, fragte Edward.

»Sie ist es, mein gnädiger Herr«, erwiderte Somerset. »Ihr könnt ihm nicht verzeihen«, fügte er leise hinzu.

»Auf wen sollen die Siegel übertragen werden?«, fragte der König.

»Niemand eignet sich besser zu dem Amt als Lord St.-John«, antwortete Somerset.

»So sei es, wie Ihr sagt. Man rufe Lord Southampton zurück.

Als der Lordkanzler das Conseilzimmer wieder betrat, las er in den Gesichtern aller Anwesenden, dass gegen ihn entschieden sei. Er versuchte deshalb keine Verteidigung, sondern hörte mit übereinandergeschlagenen Armen ruhig zu, als ihm das Urteil vorgelesen wurde. Ein tiefes Rot aber überflog seine finsteren Züge, als er hörte, dass das große Siegel an Lord St.-John ausgeliefert werden solle.

»Seine Majestät wird nicht viel bei dem Wechsel gewinnen«, murmelte er, »wohl aber der Lordprotektor. Er wird den neuen Lordkanzler vollkommen gefügig finden. Ich bitte Eure Majestät um Erlaubnis, dass ich mich gleich entfernen darf.«

Seinem Verlangen wurde entsprochen, und eine Wache begleitete ihn zu seiner Wohnung in Ely House, wo er in strenger Haft gehalten wurde.