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Die Gespenster – Erster Teil – Einundvierzigste Erzählung – Teil 2

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Einundvierzigste Erzählung – Teil 2

Von dem wilden Jäger oder dem wütenden Heer
Dreizehn Erfahrungen

Nr. 7

Eine ähnliche rätselhafte Erfahrung machten die Einwohner von Ansacg in der nämlichen Gegend vier Monate später. In der von ihrem Pfarrer auch dieses Mal wieder zu Protokoll gebrachten Zeugenaussage versichern glaubwürdige Männer, die verwirrten Menschenstimmen hätten sich auch in der Nacht zum 10. Mai 1730 wieder in zahlloser Menge hören lassen. Auch wäre die Art des Geschreis wieder ganz die nämliche gewesen, wie vor vier Monaten. Gewisse durchdringende Wörter wären besonders hörbar, aber dennoch durchaus unverständlich gewesen. Die meisten Stimmen hätte man in der Luft – dem Anschein nach in einer Höhe von zwanzig bis dreißig Fuß, einige aber kaum mannshoch über sich vernommen. Von noch anderen wäre es ihnen vorgekommen, als würden sie aus der Erde hervorgerufen. Die Stimmen der wilden Gänse und Rohrdommel, der Füchse und Wölfe wären ihnen nicht unbekannt. Für dergleichen natürliche Töne hätten daher sie, die sie nicht nur nicht betrunken, sondern vielmehr hungrig und durstig gewesen wären, das wunderbare Geräusch nicht halten können. Übrigens sei der Lärm so stark gewesen, dass sie, ungeachtet sie laut miteinander gesprochen hätten, kaum imstande gewesen wären, sich einander zu verstehen. Er habe etwa eine halbe Stunde gedauert und mit einem lauten Gelächter vonseiten der Spukenden geendet. Die lachenden Töne hätten zum Teil den Silben hahaha geglichen; zum Teil wären sie wie hohoho und dann wieder wie hihihi erschollen. Mit dem allen stimmte auch dle Aussage von noch zehn anderen Personen vollkommen überein.

Nr. 8

Ein anderer Franzose, namens Combis, Pfarrer zu Villedieu in Bas-Vendomois, schreibt in seinem Brief vom 15. Dezember 1787, er habe mit seinen Pfarrkindern im späten Herbst 1786 zu verschiedenen Malen ein Getöse in der Luft bemerkt, wobei ihm sehr lebhaft die Sage von dem so verschrienen wilden Jäger oder wütenden Heer eingefallen sei.

»Man hörte«, schreibt er, »länger als drei Wochen alle Abende zwischen 7 und 8 Uhr in der Luft einen Lärm, welcher dem Gebell vieler jagenden Hunde glich. Die Stimmen waren sehr verschieden. Besonders aber schien es uns, als ob wir diejenige eines großen Leithundes, der mit seinem Gefolge dem Wild nachsetzt, voraus hörten. Die Übrigen waren mehr oder weniger stark, dumpf und hell. Die Jagd schien sich in der Luft immer von einem Ort zum anderen zu ziehen. Das Anschlagen der Jagdhunde war vollkommen nachgebildet, und die Mannigfaltigkeit desselben gewährte dem Ohr derer, welche das Jagdgetümmel lieben, eine nicht üble Musik. Nichts als die Hörner schienen zu fehlen.«

Nr. 9

Im Delphinat hörte man im Jahre 469 des Nachts zu verschiedenen Malen ein so betäubendes Geschrei und Lärmen in der Luft, dass nicht nur die Menschen über diesen wilden Jäger im höchsten Grade erschraken, sondern auch die Hirsche und andere Tiere vor Schreck aus den Wäldern zu den Städten liefen.

Nr. 10

Ein ähnliches erschreckliches Geschrei in der Lnft vernahmen mehrere Reisende des 13. Jahrhunderts in der tatarischen großen Wüste Lop Nor. Nirgends aber sind dergleichen Naturerscheinnngen weniger selten als in Italien.

Nr. 11

Nicht weniger scheint der wilde Jäger auch in den verschiedenen Gegenden Deutschlands seine den Menschen rätselhaften Jagdbelustigungen anzustellen. Am bekanntesten und gefürchtetsten aber ist er in den Gegenden des Odenwaldes, des Spessarts, in Thüringen und um den Harz herum. Freilich mögen auch wohl diese holz- und wildreichen Landstriche die Mühe des Jagens noch am meisten belohnen!

In Thüringen bezeichnet man besonders den Hörselberg als den Sitz des wütenden Heeres, von wo es sich durch das ganze Land verbreiten und heulend die Lüfte durchstreichen soll.

Nach Aussage einer deutschen Volksage, die zu mancherlei Betrachtungen über ihr Entstehen einlädt, sind in dem Gefolge des wilden Jägers, dieser Hauptperson des wütenden Heeres, alle diejenigen verstorbenen Jagdfreunde, welche während ihres irdischen Lebens dem zu Tode gemarterten Wild große Qual und den Landleuten vielen Schaden zugefügt haben.

Dem Zuge voran geht, mit einem Stab in der Hand, ein ehrwürdiger Alter, den man den treuen Eckart genannt hat, weil er die Leute vor der Ankunft des wilden Heeres benachrichtigt, warnt und aus dem Wege gehen heißt.

Die Gestalten des Jagdzuges beschreiben die durch das Jagdwesen geplagten Landleute, je nachdem sie ihre ehemaligen Bedrücker im Tode bestraft zu sehen wünschen. Einige sind ohne Kopf, andere haben das Gesicht hinten oder die Beine auf den Schultern. Die meisten aber sind zur Strafe in Säue, Hirsche und Hasen verwandelt und sind als solche nun selbst die gequälten Gegenstände der spukenden Parforcejagd.

Nr. 12

In der Nachbarschaft des Harzes, nicht gar weit von dem magdeburgischen Städtchen Wolmirstädt machte vor vielen Jahren ein sowohl gebildeter als auch beherzter Mann auf folgende überraschende Art die Bekanntschaft mit dem wilden Jäger. Er ritt in einer nicht ganz finsteren Sommernacht in Gesellschaft seines Reitknechts und Jagdhundes über eine große Ebene und dachte an nichts weniger, als an die ihm wohlbekannte Sage vom wütenden Heer. Aber plötzlich glaubte er, ganz in seiner Nähe ein gejagtes Wild daherrauschen zu hören. Er, sein Johann und die treue Diane – alle stutzten und spitzten die Ohren. Die Jagd kam näher, wie man aus dem zunehmenden Geräusch schloss, aber noch sah man nichts. Diane wurde von ihrem Herrn auf das, wie es schien, ganz nahe Wild gehetzt. Sie spürte auch fleißig umher, aber auch sie schien weder keinen eigentlichen Gegenstand ins Auge gefasst noch auch wirklich eine Fährte entdeckt zu haben; denn sie durchkreuzte nur in wilder Eile die Nachbarschaft und blieb immer um ihren Herrn.

Endlich glaubte dieser selbst, bei dem Schimmerlicht der Nacht etwa vierzig Schritte seitwärts einen ungeheuer großen Hirsch zu erblicken. Ohne sich zu besinnen, sprengte er darauf zu. Diane folgte ihm. So mochte er wohl einige Minuten mit verhängtem Zügel gejagt haben, als er erst bemerkte, dass er dem Ungeheuer nicht näher komme, ungeachtet dasselbe seiner ruhig zu erwarten schien, ohne sich vom Fleck zu bewegen.

Jetzt stutzte der Graf gewaltig und machte Halt. Er wollte seinen Johann zurate ziehen und bemerkte nun erst, dass der weislich zurückgeblieben war und sich wohl gehütet hatte, es mit dem wilden Jäger aufzunehmen. Auch Diane, mit welcher er schalt, dass sie nicht rascher und überhanpt ohne seine fernere Begleitung die Jagd fortsetzen wollte, schlich kriechend und anschmiegend um das Pferd herum, als ob sie von Gespensterfurcht überfallen werde und Schutz bei ihrem Gebieter suche.

Alle diese Umstände zusammengenommen, erregten ein unbegreifliches Schaudern in der Seele des Grafen. Er, der als erprobter Soldat im Schlachtgetümmel bei mehr als einer Gelegenheit dem Tod männlich und unerschrocken ins Auge sah, fühlte ein klopfendes Herz und floh. Die als Kind wissbegierig von ihm eingehorchten Sagen vom wilden Jäger, von Poltergeistern, Gespenstern und Teufeleien aller Art schwebten ihm urplötzlich mit allen ihren Schrecken vor und übten eine tyrannische Gewalt über ihn aus.

»Sagt mir doch, ist denn hier auch hohe Jagd, gibt es auch Hirsche auf eurer Feldmark?«, fragte der Graf den Wirt des nächsten Dorfes. »Hirsche? Hier?«, bekam er zur Antwort. »Doch ja, wie man’s nimmt. Ist Ihnen, mein Herr, die Nacht etwa einer aufgestoßen?«

»Allerdings, und zwar ein ungewöhnlich großer.«

»Das glaube ich gern«, erwiderte lächelnd der Wirt. »Haben Sie denn noch nichts von dem wilden Jäger gehört? Nichts davon, dass er unsere Gegend hier nur gar zu oft heimsucht?«

Nr. 13

Ich komme endlich auf die bei einer anderen Gelegenheit bereits von mir beurteilte merkwürdige Sage vom Ritter Lindenschmid (Rothenfels) oder, welches einerlei ist, von dem wilden Jäger des Odenwaldes am Rheinstrom. Nach dieser Volkssage lebte der Ritter vor einigen Hundert Jahren auf seinen beiden im Odenwald gelegenen Bergschlössern, deren Trümmer die Rheinbewohner Lindenschmids Kriegs- und Friedensburg nennen.

Er war im Leben ein rüstiger Klopffechter, dessen kriegatmende Seele einst manche Ungerechtigkeit und Räuberei verübte. Aber dafür muss sie nun auch, ohne Ruhe und Rast, im Odenwald spukend umherirren. Ihre Bestimmung ist, nach Art des wilden Jägers, im nächtlichen Dunkel mit furchtbarem Geräusch die Luft zu durchkreuzen und so mit Waffengeklirre und Kriegsmusik die Beschlüsse unserer Staatskabinette – so fern sie Krieg oder Frieden über die Rheingegenden bringen – verräterisch vorherzusagen. So oft nämlich die Kriegsflamme hier auszubrechen und über die armen Pfälzer und deren Nachbarn Schrecken und Elend zu verbreiten droht, zieht der Ritter mit einem die Luft durchdringenden Kriegsgeräusch aus seiner Friedens- in die Kriegsburg ein. Aber er wechselt auch wieder auf die entgegengesetzte Weise mit seinen Wohnungen und erfüllt die Herzen der Geängsteten wieder mit frohen Hoffnungen des Friedens, sobald die Götter der Erde,

den Durst nach Ehr’ und Ruhm
mit Strömen Bluts gestillt,

des Krieges satt und müde sind und ernstlich Frieden wollen.

Auch mit dem in so mancher Hinsicht einzigen Krieg gegen die Neufranken bedrohte Lindenschmid seine Landsleute, noch ehe jener zu Pillnitz beschlossen war und wirklich ausbrach. Ganze Dorfschaften in und an dem Odenwaldgebirge haben den furchtbaren Übergang des Ritters in die Kriegesburg des Nachts mit gesunden Ohren vernommen und können ihre Aussage mit heiligen Schwüren erhärten. Es kam ihnen vor, als ob sie ein ganzes Regiment schwerer Kavallerie galoppieren hörten. Wirklich sollen auch diees Mal wieder die Bauern darüber von Obrigkeits wegen vernommen und deren unbezweifelte Aussagen gerichtlich niedergelegt worden sein.

Ich schäme mich zwar, um des gegenwärtigen Jahrzehnts willen, dies zu glauben, aber gesetzt auch, dieses Verhör wäre in der Tat nie wirklich angestellt und diese Vereidigung nie geschehen, so würde man doch auch die unbeschworene Versicherung ganzer Dorfschaften nicht durchaus bezweifeln können, denn hundert ähnliche Erfahrungen in anderen bergigen Gegenden haben längst gelehrt, dass man, besonders des Nachts, dergleichen spukhaftes Geräusch zuweilen hört.

Desto größere Zweifel aber setze ich mit Recht in die Zuverlässigkeit der Prophezeiungen dieses staatsklug seinwollenden Gespenstes. Denn, man denke! Ende des Jahres 1793 zog der Ritter, zum Entzücken aller Menschenfreunde, unvermutet und feierlich wieder in die Friedensburg ein. Die Freude über den zweihundertjährigen Propheten war dieses Mal unbegrenzt. Man besang seine Tat in Liedern, aber man sah sich schrecklich getäuscht! Der Krieg, dessen baldiges Ende der lügenhafte Schmeichler im Dezember 1793 verkündete, eröffnete im Januar 1797 den Rheinbewohnern leider von Neuem die traurigsten Aussichten.

Ein Dichter, der sich die poetische Freiheit nahm, Lindenschmids Taten Franz von Sicking anzudichten, und des Ersteren Tummelplatz im Odenwald nach des Letzteren Burgruinen zu Landstuhl unweit Zweibrück zu versetzen, sagt unter anderen von ihm:

Dort, wo sein (des Sickings) ruiniertes Schloss
die Wolken embrassieren,
ist öfters nun der Teufel los,
hört man die Trommel rühren,
der Rosse Schnauben, Waffenklang,
der Wagen Rasseln, Schlachtgesang,
und Donner der Kanonen.

Ach, rufen die Sickinger dann,
Franz ist heut ausgezogen!
Er hat, so oft ein Krieg begann,
noch nie das Dorf betrogen.
Stets traf die Unglücksahndung ein,
denn wird es Krieg, hört Groß und Klein
dies fürchterliche Sausen.

Wird’s Friede, kehrt er froh zurück,
im sanften Ton der Flöten.
Man hört die schönste Feldmusik,
von Pauken uud Trompeten.
Die Pferde wiehern lustig drein,
Da heißt’s: Seid fröhlich, Franz steht ein.
Gottlob! Nun wird es Friede!

So – lang vorher eh’ Freiheitssinn
die Franken irreführte,
und König mit der Königin
man einst guillotinierte,
zog Franz aus seinem Ahnenschloss,
und groß war die Bestürzung – groß,
der ehrlichen Sickinger.

Da traf die Warnung leider zu:
Es wich vom deutschen Lande
des goldnen Friedens süße Ruh,
vertauscht mit Blut und Schande.
Die Franken drangen übern Rhein,
verheerten, tranken unsern Wein,
und – pflanzten Freiheitsbäume.

Doch jauchze, Deutschland, ob dem Glück!
Von höh’rer Macht bewogen,
ist Franz von Sicking nun zurück
ins Ritterschloss gezogen.
Die Bauern schworen alle drauf
und haben treulich den Verlauf
von Wort zu Wort erzählet.

Heil nun der Deutschen tapferm Heer!
Und allen Fürsten Segen!
Froh sieht des Sohnes Wiederkehr
die Mutter nun entgegen.
Bald lächelt die beglückte Braut,
mit neuer Hoffnung fest vertraut,
im Arme des Geliebten.

So kehret fröhlich Mann für Mann
in seine Heimat wieder,
und singet wonnetrunken dann
dem Gott des Friedens Lieder.
Und jeder tanzt, von Freude warm,
mit seinem Liebchen Arm in Arm,
rund um des Dorfes Linde.

O Fürsten! Wär’ in diesem Jahr
uns solch ein Glück beschieden!
Wir bitten, macht dies Märchen wahr
und schenkt uns Ruh uud Frieden!
Lasst unsern Franz im Grabe ruhn,
dann wird’s auf seinem Schlosse nun
nicht einmal wieder spuken!

Die hier erzählten dreizehn Erfahrungen über die verschiedenen Erscheinungsarten des wilden Jägers stimmen darin alle miteinander überein, dass man dabei ein zwar wirklich gehörtes, aber willkürlich und abenteuerlich gedeutetes Geräusch in der Luft vernahm. Es fragt sich nun: Woher entstanden dieses Geräusch und die darauf gegründete Sage von dem wilden Jäger? Ich halte dafür, dass die Letztere aus fünf verschiedenen Quellen entsprungen sein kann.