Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Wolfmensch – Kapitel 6

Elie Berthet
Der Wolfmensch
oder: Die Bestie des Gévaudan
Aus dem Französischen von A. Kretzschmar
Hartleben’s Verlags-Exedition. Pest, Wien und Leipzig, 1858.

Erster Teil
Kapitel VI

Die Ankunft

Der Abend begann eben anzubrechen und zahlreiche Kerzen erleuchteten im Verein mit dem Feuer des ungeheuren Kamins den Saal, in welchem sich die Gäste des Schlosses Mercoire befanden. Einige saßen noch essend und trinkend um den Tisch herum, welchen die Diener unaufhörlich mit neuen Gerichten beluden, andere erholten sich am Kamin von den Strapatzen der Reise und noch andere bildeten hier und da heitere, belebte Gruppen.

Als jedoch Fräulein von Barsac erschien, gingen alle Anwesenden ihr sofort entgegen. Christine hätte lieber gewünscht, allein und gleichsam unbemerkt einzutreten, aber damit war Herr von Magnac nicht einverstanden. Der Ehrenkavalier wollte nicht diese ausgezeichnete Gelegenheit versäumen, seine Pflicht in Anwesenheit einer so glänzenden Versammlung zu erfüllen.

An der Tür des Saales hatte er sich daher der Hand seiner jungen Herrin bemächtigt. Die Arme weit vom Körper hinweghaltend, mit lächelndem Mund, die Fußspitze vorsetzend, führte er Christine mit einem Ernst, einer Langsamkeit und einem geflissentlichen Respekt, welcher das reizbare verzogene Kind sehr ungeduldig machen musste.

Dennoch aber ertrug sie besser, als man erwartet hätte, die Komplimente, Schmeicheleien und Liebkosungen, womit man sie von allen Seiten überhäufte.

Sie ließ sich von den Damen, welche sie mein Liebling und meine Schöne nannten, umarmen und liebkosen. Sie schnitt nicht die Fadheiten kurz ab, welche ihr die alten Herren aus den Zeiten der Regentschaft und die galanten Kavaliere aus der Schule von Marly und Versailles zum Besten gaben.

Sie fand sogar anmutige Worte für gewisse Gäste und dankte allen Anwesenden in höflicher Weise für den Dienst, den sie im Begriff standen, ihr zu leisten, indem sie ihr Gebiet von der furchtbaren Bestie des Gévaudan säuberten.

Mit einem Wort, sie war so ganz anders als sonst, dass mehrere ihrer Gäste das wunderliche junge Mädchen, von welchem man so viel außerordentliche Dinge erzählte, gar nicht wiedererkannten.

Niemand aber war von dieser unerwarteten Veränderung mehr betroffen, als der Chevalier von Magnac und Schwester Magloire. Sie standen einige Schritte hinter ihrer Herrin und betrachteten sie mit einem Gemisch von Bewunderung und Entzücken.

»Vollkommen, meine Schwester«, murmelte der Chevalier, indem er eine Prise spanischen Tabak einsog.

»Ein Engel, Monsieur!«, sagte die Nonne, indem sie ihre Blicke gegen Himmel richtete.

Mit dem, was folgte, waren sie jedoch weniger zufrieden. Laroche-Boisseau hatte sich als einer der Eifrigsten bei Fräulein von Barsac gezeigt, die ihn mit freundschaftlicher Vertraulichkeit empfangen. Es dauerte nicht lange, so nahm sie mit zerstreuter Miene Platz und setzte sich zwischen den Baron und einen jungen elegant gekleideten Mann von lebhafter Miene und gewinnenden Manieren, welcher für den Vertrauten des Barons von Laroche-Boisseau galt und ihm überall hin folgte.

Dieser junge Mann, welcher in dieser Geschichte eine ziemlich wichtige Nolle spielen wird, hieß Legris. Er war der Sohn eines alten, sehr reichen Prokurators, der seit mehreren Jahren sich die Gunst des Barons dadurch zu erwerben gewusst hatte, dass er ihm Geld lieh. Ohne Zweifel fand Legris der Ältere seine Rechnung dabei und das Gerücht behauptete, er habe sich schon den schönsten Teil der Erbgüter des verschwenderischen Edelmannes verpfänden lassen. Dennoch aber bestanden anscheinend die freundschaftlichsten Beziehungen zwischen Laroche-Boisseau und den beiden Legris, Vater und Sohn.

Dieser Letztere, obwohln von gemeiner und sogar sehr gemeiner Herkunft, hatte sich durchaus mit unter den Adel mischen wollen. Laroche-Boisseau hatte sich bereitwillig zur Er­füllung dieses Wunsches herabgelassen und den jungen Bürgerssohn in die Gesellschaft gewisser adeliger Wüstlinge, wie er selbst war, eingeführt, welche es mit der Wahl ihres Umganges nicht sehr genau nahmen.

In Folge dieser Begünstigung stand Legris der Jüngere auf sehr vertraulichem Fuß mit mehreren herabgekommenen jungen Edelleuten. Da er stets einige Louisdor im Spiel zu verlieren hatte, da er sich kostbar kleidete, da er endlich sich einige mehr oder weniger feine Scherze über seine bürgerliche Herkunft nicht sehr zu Herzen nahm, so duldete man ihn in diesen aristokratischen Zirkeln.

Übrigens gab der Baron, das Haupt und der Führer dieser Zirkel, obwohl er zuweilen selbst über seinen Schützling spottete, durchaus nicht zu, dass andere sich dieselbe Freiheit nahmen. Niemand war keck genug, sich einer Feindschaft auszusetzen, welche, wie man wusste, eine furchtbare war.

War aber wohl das Interesse, welches Laroche-Boisseau für den Sohn seines Wucherers an den Tag legte, ein wirklich aufrichtiges?

Daran zweifelte man allgemein. Manche versicherten, Legris sei für den Baron eine Art Spion, der ihm beigegeben worden war, um alle seine Schritte zu überwachen. Audere versicherten dagegen, Laroche-Boisseau habe, idem er so handle, weiter keinen Zweck, als dem alten Prokurator einen Gefallen zu tun. Er bediene sich des Sohnes, um dem Vater so große Summen wie möglich abzulocken.

Übrigens spielte der kleine Bürgerssohn seine Rolle als Freund so, dass er den sehr reizbaren Stolz seines Gönners nicht verletzte und zeigte gegen ihn eine Nachgiebigkeit, die fast an Kriecherei grenzte.

Laroche-Boisseau konnte kein Wort sagen und nicht die unbedeutendste Handlung ausführen, ohne dass der andere ihn nicht übertrieben lobte und mit Schmeicheleien überhäufte.

Ferner war Legris auch ein sicherer und gewandter Agent in Bezug auf allerlei Aufträge, welche dem Zartgefühl eines weniger ergebenen Freundes widerstrebt hätten.

Es war daher gar nicht unglaublich, dass einem Mann vom Charakter des Barons ein solcher Freund allmählich notwendig geworden war. Vielleicht besaß Laroche-Boisseau wirklich eine gewisse Zuneigung zu ihm, wenn nämlich Laroche- Boisseau überhaupt etwas anderes lieben konnte als sich selbst.

Die beiden Freunde waren seit einigen Tagen getrennt gewesen, aber Legris hätte sich entehrt geglaubt, wenn er der Versammlung in Mercoire nicht hätte beiwohnen können. Der Edelmann, welcher den Beistand seines treuen Achates nötig zu haben glaubte, hatte nicht verfehlt, ihm eine Einladung zusenden zu lassen.

Demgemäß fanden sie sich also auf dem Schloss wieder und Christine von Barsac, die gegen den Baron so freundlich war, konnte nicht umhin, Legris, der sich unter seinen Auspizien präsentierte, ebenfalls auf günstige Weise zu empfangen.

Die Unterhaltung wurde zwischen diesen drei Personen immer lebhafter.

Nun aber freute sich hierüber der Chevalier ebenso wenig wie Schwester Magloire. Laroche-Boisseau besonders, mit seiner stolzen Miene, seinem dreisten Manieren und seiner eleganten mit Silber gestickten Uniform von blauem Samt missfiel ihm sehr. Das lange Gesicht des Chevalier schien noch länger zu werden und die Schwester, die soeben erst begonnen hatte, sich zu schönen Träumen hinzugeben, fing mit ihren kläglichen Seufzern wieder an.

Beide näherten sich unmerklich, um zu hören, was in dieser bevorrechteten Gruppe besprochen wurde.

»Morbleu, mein Fräulein«, fuhr der Baron fort, indem er einen noch schrofferen Ton annahm als gewöhnlich. »Ich schäme mich, wenn ich bedenke, dass ich, der ich in Vergleich mit den früheren Herren von Mercoire ein so schlechter Jäger bin, auf ihrem Gebiet eine Wolfsjagd kommandieren soll! Es kommt mir dies vor wie eine Entweihung, und wenn nicht Euer Wunsch ebenso wie meine Pflicht mich nötigte, diese Aufgabe zu erfüllen, so hätte ich sie schon aus Respekt vor den früheren Jägern abgelehnt, von welchen noch gegenwärtig so viel erzählt wird.«

Diese dem Andenken ihrer Verwandten erwiesene Huldigung machte einen lebhaften Eindruck auf Fräulein von Barjac, und ihre Augen erstrahlten von ungewohntem Glanz.

»Ach, Ihr beurteilt meinen vortrefflichen Vater und meinen geliebten Onkel Hilaire sehr richtig«, rief sie. »Zu ihrer Zeit hätte sich ein wildes Tier in unseren Wäldern niemals so furchtbar machen können, wie das, welches uns jetzt so viel Schaden zufügt. Es wäre binnen vierundzwanzig Stunden nach seiner ersten Räuberei gefangen oder erlegt worden. Aber«, fuhr sie ihre Rührung bemeisternd fort, »da die, von welchen wir sprechen, einmal nicht mehr da sind, um ihr Eigentum selbst zu beschützen, so könnten sie durch keinen unerschrockeneren und gewandteren Jäger ersetzt werden als den Herrn von Laroche-Boisseau.«

Trotz der Artigkeit dieser Antwort schienen der Chevalier und die Schwester mit den Fortschritten ihres Zöglings im­mer weniger zufrieden zu sein. Es wurde aber noch viel schlimmer, als sie hinzusetzte: »Übrigens werde ich, die Tochter und Nichte dieser berühmten Jäger, nicht müßig bleiben, wenn so viele Personen von Distinktion sich meinem Dienst widmen. Zählt daher darauf, meine Herren, dass Ihr mich morgen an Eurer Seite sehen werdet, um Eure Anstrengungen und Gefahren zu teilen, wenn es nämlich Gefahren gibt«, setzte sie mit verächtlichem Lächeln hinzu.

»Dies nenne ich als würdige Tochter des Grafen von Barjac gesprochen«, rief der Baron. »Wohlan, Fräulein, da Ihr eine der Unseren sein wollt, so werdet Ihr dem Anführer der Jagd wohl erlauben, sich Euch für die ganze Dauer des morgenden Tages zu Eurem Kavalier anzubieten und Euch keinen Augenblick zu verlassen.«

»Sehr gern, Herr Baron«, entgegnete Christine naiv, »denn der beste Posten wird, glaube ich, in Eurer Nähe sein.«

»Und auch ich«, sagte Legris in süßlichem Ton, »bitte um die Ehre, unter Fräulein von Barjacs Leibwache figurieren zu dürfen.«

»Wie Ihr wollt, Monsieur Legris«, entgegnete Christine in gleichgültigem Ton.

Magnac biss sich, als er das Arrangement vernahm, welches ihn für den folgenden Tag seiner gewöhnlichen Funktionen entsetzen sollte, auf die Lippen, schüttelte den Kopf und murmelte zwischen den Zähnen, sodass er nur von der Gouvernante verstanden wurde: »Hm, meine Herren Damenritter, wir werden ja sehen!«

Mittlerweile war die Konversation allgemein geworden.

»Also lieber Baron«, fragte Herr von Laffrenas, »Ihr glaubt, dass wir mit dieser verwünschten Bestie, die sich erlaubt hat, sich ohne zu fragen in dem Wald unserer schönen Wirtin einzunisten, sehr bald fertig werden?«

»Ich bin davon überzeugt, mein lieber Graf.«

»Und wenn mein edler Freund, der Baron, es versichert«, entgegnete Legris selbstgefällig, »so darf man weiter nicht daran zweifeln.«

»In Dingen der Jagd ist man niemals einer Sache ganz gewiss«, hob Christine an, »und mein Vater, der in diesem Punkt eine Autorität war, pflegte zu sagen …«

»Das Fräulein hat recht«, unterbrach sie Laroche- Boissenu. »Niemand weiß im Voraus, wie eine Jagd enden wird. Indessen werden wir nichts versäumen, dass die, welche wir vorhaben, von dem wünschenswerten Erfolg begleitet sei. Ich habe Badineau, meinen besten Spürhund, mitgebracht, und ich gedenke selbst morgen früh mit dem ersten Morgenschimmer in den Wald einzudringen, um das Tier womöglich aufzuscheuchen. Hat man vielleicht seit dem Unfall von gestern Abend wieder etwas Neues von diesem boshaften Tier gehört?«

»Soviel mir bekannt ist, nicht«, entgegnete Fräulein von Barjac. »Es steckt immer noch in der Schlucht der Monadière eine oder zwei Meilen von hier. Aber«, setzte sie mit einem leichten Anflug von Unruhe hinzu, »jetzt ist die Stunde, wo es sich wieder gefährlich zeigen könnte, und ich sehe immer noch nicht gewisse Freunde ankommen, welche wir erwarten.«

Der Chevalier und Schwester Maglvire wechselten lebhaft einige Worte mit leiser Stimme. Ehe sie aber noch ihre Bemerkungen Christine hatten mitteilen können, rief Laroche-Boisseau plötzlich mit spöttischem Gelächter: »Palsambleu! Ihr erinnert mich daran! Ich sehe hier noch nicht die armen Leute aus der Abtei Frontenac, welche ich zu Langogne in der Herberge der Witwe Richard zurückließ. Dennoch müssen sie uns auf dem Fuß gefolgt sein. Sollte sie vielleicht der Wolf wirklich gefressen haben, wie sie so sehr fürchteten?«

»Heilige Jungfrau! Was sagt er?«, murmelte Schwester Magloire, indem sie die Hände faltete.

»Herr Baron«, fragte Magnac in gemessenem Ton, »sprecht Ihr von den achtbaren Mönchen von Frontenac, welche sich vielleicht unterwegs verspätet haben?«

»Jawohl, versteht sich«, autwortete Laroche-Boisseau in leicht hingeworfenem Ton. »Es waren ihrer zwei, ein junger und ein alter, wie gewöhnlich, und sie müssen Langogne nicht lange nach mir verlassen haben. Es wäre, meiner Treu, spaßhaft, wenn sie stch in dem dichten Nebel des Tales verirrt hätten und genötigt wären, im Wald zu übernachten. Wenn dies der Fall ist, welch eine Nacht werden die armen Wichte zubringen! Sie werden genug Paternoster und Ave Marias beten, um den Wald von allen Flüchen zu reinigen, mit welchen ihn die jetzigen und früheren Jäger vielleicht besudelt haben. Ich wette, dass man sie motgen trotz ihrer Kutten auf dem höchsten Gipfel eines Baumes neben den Nestern der Elstern und Eichhörnchen findet.«

Legris schlug ein lautes Gelächter auf.

»Und«, hob er spottend wieder an, »wenn sie von den Wölfen auf ihrem Baum belagert werden, wie der Musikant von Quinsac, so wird ihnen nicht wie diesem das Auskunftsmittel zu Gebote stehen, einen aufgeblähten Dudelsack unter sie hineinzuschleudern und sie auf diese Weise in die Flucht zu jagen.«

Die Zuhörer lachten ihrerseits über diese Anspielung auf eine in der dortigen Gegend sehr bekannte Anekdote, aber man schwieg sofort, als man die junge Schlossherrin die Stirn runzeln sah.

»Baron«, fragte sie mit schlecht verhehlter Aufregung, »kennt Ihr jene beiden Mönche, welche Ihr in Langogne gesehen habt, und könnt Ihr sie nennen?«

»Ich glaube«, hob Laroche-Boisseau mit gleichgültiger Miene wieder an, »der eine war der Pater Bonaventura, der Prior der Abtei, und der andere – meiner Treu! Der andere war, wenn ich nicht irre, der Verwandte, der Diener oder der Sekretär des Priors, oder so etwas.«

»Kein Zweifel mehr«, rief Christine, »es ist Leonce!«

»Leonce, so, in der Tat, ich glaube, so nannte er den jungen Menschen in meiner Gegenwart.«

Die Schlossherrin hatte sich ungestüm erhoben.

»Chevalier von Magnac, Schwester Magloire«, rief sie, »erteilt sogleich Befehl, dass meine Leute sich sofort zur Suche unserer verirrten Gäste aufmachen. Man durchstreife den Wald mit Fackeln – man rufe, man blase das Horn. Doch, wenn ich es mir recht überlege, so wird es am besten sein, wenn ich selbst zu Pferd steige. Befehlt Maurissot, dass er den Braunen nehme und mich begleite.«

»So ist es recht, mein Kind. Ihr habt ein gutes Herz«, murmelte Schwester Magloire.

Die Anwesenden wurden durch die plötzliche Veränderung in dem Benehmen der jungen Schlossherrin nicht wenig überrascht.

»In der Tat, Fräulein«, hob Laroche-Boisseau in heiterem Ton wieder an, »ich verstehe dieses Übermaß von Großmut nicht recht. Was hat es weiter zu sagen, wenn diese frommen Leute die Nacht in einem Gesträuch versteckt oder auf einem Baum sitzend zubringen müssten? Es wäre dies für sie eine gute Gelegenheit zum Nachdenken und Beten, ohne dass sie etwas weiter riskierten, als einen Schnupfen zu bekommen.«

»Ruhig, Herr Baron«, unterbrach ihn Christine kurz, »dergleichen Scherze kann ich nicht dulden. Der Pater Bonaventura ist der beste und weiseste von allen Mönchen der Abtei und hat sich stets sehr gütig gegen mich gezeigt. Sein Neffe, Monsieur Leonce, ist mein Jugendgespiele. Ich könnte mich nimmermehr wieder zufriedengeben, wenn einem oder dem anderen ein Unglück geschähe. Nun, Herr von Magnac, seid Ihr immer noch da?«, fuhr sie fort, indem sie sich zu ihrem Ehrenkavalier wendete.

»Ich gehe, Fräulein, aber erlaubt mir, Euch vorstellig zu machen, dass Ihr doch unmöglich zu dieser Stunde eine so schöne und so ehrenwerte Gesellschaft verlassen könnt, um mit uns im Wald herumzustreifen. Es wäre nicht schicklich …«

»Schicklich! Schicklich!«, wiederholte die stolze junge Dame. »Da habt Ihr Euer großes Wort losgelassen, Monsieur. Also man macht meine Befehle streitig? Bin ich vielleicht nicht mehr Herrin und Gebieterin hier? Nun, wenn man sich weigert, mir zu gehorchen, so werde ich zu Pferde steigen und allein fortreiten, wenn es sein muss …«

»Mein Fräulein«, rief der Baron, »erlaubt, dass ich Euch begleite! Morbleu!«, setzte er in gedämpftem Ton hinzu. »Ich habe wohl oft die Spur von Hirschen und Rehen verfolgt, aber niemals von Mönchen. Es ist das eine Jagd ganz neuer Art.«

»Ich bitte ebenfalls um die Ehre, Fräulein von Barjac zu begleiten!«, rief Legris, indem er seiner Gewohnheit treu seinen Patron Laroche-Boisseau zum Muster und Beispiel nahm.

»Und ich auch! Und ich auch!«, riefen die Jäger von allen Punkten des Saales.

»Nach eurem Belieben, meine Herren«, sagte die junge Edeldame. »Auf diese Weise wird man mir nicht den Vorwurf machen, dass ich die Gesellschaft verlasse. Doch beeilen wir uns, es wird spät – die Nacht ist finster und ich fürchte …«

»Der Friede des Herrn sei mit Euch!«, sagte plötzlich eine schwache Stimme von der Tür her.

Fräulein von Barjac und die Personen, welche ihr folgten, blieden überrascht stehen.

Im nächsten Augenblick sah man den Pater Bonaventura in ziemlich kläglicher Haltung eintreten. Mit dem einen Arm stützte er den armen Leonce, der in einen Hirtenmantel gehüllt kaum gehen konnte.

Die Gäste von Mercoire stießen Rufe des Erstaunens und einige auch der Freude aus, denn der nächtliche Spaziergang sagte ihnen im Grunde genommen durchaus nicht zu. Fräulein von Barjac verriet lebhafte Befriedigung.

»Ach mein ehrwürdiger Vater, seid Ihr es endlich?«, rief sie, indem sie den Reisenden entgegeneilte. »Seid willkommen in Mercoire, Ihr und Monsieur Leonce! Wir begannen schon sehr ängstlich zu werden und standen eben im Begriff, uns auf den Weg zu machen, um … Aber guter Gott, was ist Euch denn begegnet?«

Christine hatte soeben erst die Verstörtheit des armen Mönches und die Blässe und Mattigkeit Leonces bemerkt.

»Ihr sollt es sogleich erfahren, meine Tochter«, sagte der Prior, »aber erlaubt zuvor, dass ich diesen armen Knaben Platz nehmen lasse. Ich weiß nicht, warum man uns hierhergeführt hat, wo wir diese fröhliche Versammlung stören, anstatt uns unser Zimmer anzuweisen. Indessen, der Himmel sei gepriesen, denn er hat uns im Augenblick der Gefahr sichtlich beigestanden.«

Während er dies sagte, führte er seinen Neffen zu einem Sessel, den Schwester Magloire stch beeilt hatte, herbeizubringen.

Der junge Mann schien noch mehr verlegen als leidend zu sein, und die allgemeine Aufmerksamkeit, deren Gegenstand er war, hatte auf seinen Wangen eine flüchtige Röte hervorgerufen. Diese Nöte wurde noch merkbarer, als seine Augen denen Christines von Barjac begegneten.

»Monsieur Leonce«, rief Christine, nicht imstande, ihre Ungeduld zu mäßigen. »Was fehlt Euch denn? Seid Ihr verwundet? – Ja, ja, mein Gott! Eure Kleider sind zerrissen, Ihr seid mit Blut bedeckt.«

»Es ist nichts, mein Fräulein, beinahe nichts«, entgegnete Leonce, indem er sich bemühte, zu lächeln. »Eine einfache Wunde von der Klaue der Bestie des Gévaudan …«

»Die Bestie! Abermals die Bestie!«, rief Christine, indem sie verzweiflungsvoll mit dem Fuß stampfte.

»Es ist ein Wunder, meine Tochter, dass wir noch leben«, sagte der Prior, der sich ebenfalls ächzend in einen Sessel hatte sinken lassen. »Dieser arme Knabe ist von dem grimmigen Tier beinahe zerrissen worden.«

»Leonce, mein armer Leonce, ist das wahr?«, fragte Fräulein von Barjac.

Und man bemerkte die eigentümliche Betonung, mit der dieses seltsame Mädchen, welches seine Eindrücke nicht gut zu verstellen wusste, die Worte ausgesprochen hatte: »Mein armer Leonce!«

Der junge Mann fuhr fort, matt zu lächeln.

»Mein Onkel übertreibt den Unfall«, stammelte er, »und morgen wird ohne Zweifel nichts mehr davon zu sehen sein.«

»Wirklich!«, sagte der Baron in verächtlichem Ton, »dieses Tier, von welchem man so viel spricht, richtet entschieden mehr Furcht als Schaden an, und die Leute, welche es frisst, scheinen sich ziemlich wohl zu befinden.«

Leonce antwortete nicht auf diese Bemerkung und wendete das Gesicht ab. Der Prior aber richtete sich rasch in die Höhe.

»Ah, Herr von Laroche-Boisseau«, sagte er, »seid Ihr es? Wohlan, Eure Hoffnung, indem Ihr uns allein und unbewaffnet den Wald von Mercoire passieren ließet, ist teilweise in Erfüllung gegangen. Gott verzeihe Euch, Herr, Euren Mangel an Menschenliebe.«

»Dies soll ohne Zweifel heißen, hochwürdiger Vater«, entgegnete der Baron spöttisch, »dass Ihr mir ihn nicht verzeiht, wie? Gut, gut. Ich bin gewohnt, mich vor nichts zu fürchten.«

Auf Fräulein von Barjacs Bitten erzählte nun Bonaventura kurz, wie der Nebel die Ursache gewesen war, dass sie sich in dem Wald verirrt hatten, wie die durch das plötzliche Geheul erschreckten Maultiere durchgegangen, wie endlich Leonce von seinem Tier heruntergeschleudert worden war und ohne die Ankunft Jean Godarts und seines Hundes unzweifelhaft verloren gewesen wäre.

»Jean Godart soll belohnt werden!«, rief Fräulein von Barjac. »Hört Ihr, Chevalier? Ich ernenne ihn von diesem Augenblick zum ersten Hirten aller meiner Besitzungen. Doch lasst Eure Wunde sehen, Leonce. Schwester Magloire und ich verstehen uns ein wenig auf Chirurgie. Wir werden einen ersten Verband anlegen können, bis der Arzt kommt, den man sogleich aus der Stadt herbeirufen wird.«

»Wie, Fräulein, Ihr wolltet selbst … in Gegenwart so vieler Leute …«

»Nur keine Kinderei! Mort.Dieu! Haltet Ihr mich für eine jener lächerlichen Zierpuppen? Ich verlange es!« Gleichzeitig entfernte sie mit unwiderstehlicher Autorität den groben Mantel, in welchen Leonce gehüllt war. Der samtene Rock war, wie wir wissen, zerrissen worden und durch den Riss hindurch wurde die weiße, zarte Schulter des Jünglings sichtbar. Als die blutigen Tücher fielen, deren man sich zum ersten Verband bedient hatte, drang das Blut von Neuem aus der Wunde hervor, die wohl breit und tief, aber vielleicht nicht wirklich gefährlich war.

»Das ist eine fürchterliche Wunde«, sagte Christine ganz bleich, während sie sich gegen ihre eigene Bewegung zu stählen suchte. »Schwester Magloire, rasch Leinwand und frisches Wasser! Dann wirst Du mir Charpie und unseren Hausbalsam bringen. Wo sind denn unsere dummen Mägde? Die Schulter ist auf fürchterliche Weise zerrissen.«

»Dies«, rief in peremptorischem Ton der Baron, der sich unter die Neugierigen gedrängt und die Wunde seinerseits betrachtete, »dies wäre ein Biss von einem großen alten Wolf? Auf meine Ehre als Edelmann, das kann ich nicht zugeben! Ein Tier wie die Bestie des Gévaudan zermalmt die Knochen durch einen einzigen Biss mit seinem gewaltigen Kinnladen und zieht mit seinen Klauen zwei Zoll tiefe Furchen in dem Fleisch. Nun zeige man mir hier aber die Spur von jenen ungeheuren Hauzähnen, von jenen stählernen Klauen, welche in dieser Gegend schon so viele Opfer gefordert haben? Ich appelliere an alle Jäger, welche mich hören, an alle, welche die furchtbaren Wunden gesehen haben, mit welchen die Hunde infolge einer Wolfsjagd bedeckt sind, wenn das Tier Stand gehalten hat.«

Das Misstrauen, welches in diesen Worten lag, versetzte Leonce trotz seiner Schwäche und seiner Schmerzen in eine gewisse Aufregung.

»Ich gestehe«, antwortete er, »dass ich durch meinen Sturz betäubt und in dem Gesträuch und Dorngestrüpp verwickelt, mich nicht umdrehen konne, um zu sehen …«

»Ha! Ha! Ha!«, rief Laroche-Boisseau, »Ihr seid schon Eurer selbst weit weniger sicher. Und dann, was ist denn das für ein Wolf, der sich am hellerlichten Tag durch Geheul ankündigt, ehe er angreift? Die Bestie des Gévaudan kann es nicht sein, denn diese pflegt nach allen Berichten sich schweigend auf ihre Beute zu stürzen und sie fortzuschleppen. Noch einmal appelliere ich an alle hier anwesenden erfahrenen Jäger und frage, ob es wahrscheinlich ist, dass ein wildes Tier …«

»Aber dann, Herr Baron«, hob der Prior ungeduldig wieder an, »dann werdet Ihr, der Ihr in solchen Dingen so erfahren seid, uns wenigstens sagen, welches unbekannte Tier unsere Maultiere erschreckt und diesen unglücklichen Knaben verwundet hat? Die Wunde ist da und kann unmöglich für einen Traum gehalten werden.«

»Wer weiß?«, sagte Laroche in spöttischem Ton: »Die Furcht lässt gar so viele Dinge sehen! Ein zerbrochener Ast hat sehr wohl der zarten Schulter dieses Jünglings diese Wunde zufügen können, und wenn man sie durchaus irgendeinem Tier des Waldes zuschreiben will, so glaube ich, sie rührt vielleicht von einer wilden Katze oder höchstens von einem jungen noch saugenden Wolf her, aber nimmermehr von einem alten großen Burschen wie die Bestie des Gévaudan.«

Diese so bestimmt ausgesprochene Meinung veranlasste eine Diskussion unter den Anwesenden, welche eifrig miteinander zu flüstern begannen. Der Pater Bonaventura war selbst in seiner Überzeugung wankend gemacht.

»Wahr ist es«, hob er wieder an, »dass weder ich noch sonst jemand das Tier gesehen hat, aber es scheint mir unmöglich …«

»Ihr hört es, meine Herren«, unterbrach ihn der Baron mit triumphierender Miene. »Man gibt endlich zu, dass in dem allgemeinen Schrecken niemand das Tier leibhaft gesehen hat. Mehr verlange ich nicht. Ganz gewiss haben sich der ehrwürdige Vater und sein zarter Neffe viel zu sehr beeilt, sich als Märtyrer zu präsentieren, und diese ganze schöne Geschichte reduziert sich, wie Ihr seht, auf einen gewöhnlichen Sturz vom Pferd.«

Diese feindseligen obschon anscheinend nur leichtfertigen Worte verdienten vonseiten des Priors eine strenge Antwort. Bonaventura aber begnügte sich, die Achseln zu zucken, indem er Laroche-Boisseau mit verächtlichem Lächeln ansah.

Fräulein von Barjac hatte unterdessen keinen Anteil an diesem Streit genommen. Ganz durch die Mühewaltung in Auspruch genommen, welche sie dem Verwundeten widmete, schien sie nicht einmal zu hören. Nachdem sie die Wuude selbst gewaschen hatte, legte sie den von der Schwester Magloire, die in dergleichen Dingen sehr erfahren war, bereit gemachten Verband darum.

Leonce wollte der schönen jungen Schlossherrin danken, sei es nun aber, dass eine geheime Regung ihn zu stark bewegte, sei es, dass der Blutverlust eine unheilvolle Störung in seinem Organismus herbeigeführt hatte, kurz, seine Zunge war schon bei den ersten Worten wie gelähmt, seine Augen schlossen sich wieder und er verlor das Bewusstsein.

Dieses Ereignis versetzte die Versammlung in große Aufregung, aber niemand verriet mehr Schrecken als Christine, die doch sonst so mutig und über die Schwächen ihres Geschlechtes erhaben war.

»Gerechter Himmel, er stirbt!«, rief sie. »Sollte er vielleicht noch eine andere gefährlichere Wunde haben? Schwester Magloire … hochwürdiger Vater … Zu Hilfe! Zu Hilfe! Er wird sterben!«

Die Dienstleute liefen bestürzt durcheinander, ohne zu wissen, was sie taten.

»Ach, es ist nichts weiter als eine Ohnmacht«, sagte Laroche-Boisseau ruhig. »Gießt ihm ein Glas Waffer ins Gesicht. Dies ist gewöhnlich hinreichend, um kleine Mädchen wieder zur Besinnung zu bringen.«

Trotz aller angewendeten Mittel aber wollte die Ohnmacht nicht weichen.

»Leonce, mein armer Leonce!«, rief der Prior mit tränenvollen Augen.

»Leonce! Freund meiner Kindheit, mein geliebter Bruder!«, rief Christine, indem sie sich über ihn neigte.

Endlich schienen diese befreundeten Stimmen eine heilsame Reaktion zu bewirken. Der junge Mann stieß einen leichten Seufzer aus und öffnete halb die Augen.

»Er lebt!«, rief Christine.

Leonce begann in der Tat die Personen zu erkennen, von welchen er umgeben war.

»Nun«, sagte Schwester Magloire, »sollte man ihn in das Zimmer schaffen, welches man für ihn vorbereitet hat. Ruhe und Schlaf werden ihn vollends wieder herstellen.«

»Ja, ja«, hob Fräulein von Barjac wieder an, »dieser Lärm, diese Bewegungen müssen ihm lästig sein. Pierre«, setzte sie zu einem stämmigen Knecht gewendet hinzu, der hinter der Tür stand, »nimm Leonce in deine Arme und trage ihn in das grüne Zimmer. Leonard wird mit einem Licht vorangehen. Geh vorsichtig und behutsam. Du siehst, dass er verwundet ist.«

Pierre gehorchte. Als er Leonce vorsichtig aufhob, stieß dieser einen Schmerzensruf aus. Christine tat einen Satz wie ein Panther und hob die Hand, um den ungeschickten Diener zu schlagen.

»Dummkopf! Tölpel!«, rief sie. »Hatte ich dir nicht gesagt – warte! Ich werde dir helfen und wehe dir, wenn du noch eine Dummheit begehst! Geh uns voran, Leonard.«

Während sie dies sagte, hatte sie den Verwundeten um den Leib gefasst und das bleiche Haupt Leonces an ihre Schulter gelehnt. Es war, als ob eine Mutter ihr schlafendes Kind trüge.

Diese Handlung überraschte Schwester Magloire und den Ritter, deren Begriff von Etikette sie so zuwiderlief, nicht wenig. In dem Augenblick, wo ihre Herrin den Saal verlassen wollte, eilte Magnac mit dem Mut der Verzweiflung auf sie zu.

»Fräulein«, sagte er hastig, »bedenkt, ich bitte Euch, dass es nicht wohlanständig ist … erlaubt, dass ich selbst …«

Christine würdigte ihn keiner Antwort, sondern wendete bloß die Augen nach ihrem allzu eifrigen Ratgeber herum und warf ihm einen so gebieterischen, so drohenden Blick zu, dass der arme Mann wie versteinert stehen blieb.

»Sarpejeu! Das ist eine förmliche Entführung!«, sagte Laroche-Boisseau, der seinen Ärger hinter erzwungener Heiterkeit zu verbergen versuchte. »Ja, es ist wirklich eine Entführung. Wohlan, Pater Prior, was denkt Ihr von Eurer schüchternen Mündel?«

»Habt keine üblen Gedanken, Ihr Herren«, sagte der Mönch, indem er stich zu den Anwesenden wendete. »Diese armen Kinder sind unschuldig wie Adam und Eva, als sie aus der Hand Gottes hervorgingen.«

Er gab der Schwesier Magloire ein Zeichen und beide beeilten sich, den jungen Leuten zu folgen.

 

***

 

Eine Stunde später hatten die Gäste des Schlosses Mercoire sich getrennt und der Baron von Laroche-Boisseau ging gedankenvoll in seinem Zimmer auf und ab, indem er über die Ereignisse des Tages nachdachte.

»Ja, ja«, murmelte er, »dieser juuge Gimpel, dieser verpfuschte Mensch liebt Fräuleiu von Barjac. Ich ahnte es schon heute Morgen, als ich sah, mit welchem Feuer er von ihr sprach. Sie haben einander in ihrer Kindheit gesehen und die Liebe, welche von Widersprüchen und Gegensätzen lebt. Aber sie, könnte auch sie ihn lieben? Darin liegt die Schwierigkeit. Sie hat sich um seinetwillen heute Abend beinahe kompromittiert und vonseiten einer anderen wäre dieses unkluge Benehmen sehr bedeutsam gewesen. Kann man aber wohl bei diesem wilden Geschöpf, welches in seinen Eindrücken ebenso extrem ist wie in seinen Wünschen, wohl jemals irgendeiner Sache ge­wiss sein? Wenn sie ihn nun aber doch liebte? Es ist abgeschmackt und könnte daher sein. In diesem Fall hätte eine solche Liebe dem Scharfblick des schlauen Priors nicht entgehen können. Nun aber betrachtet der Prior diese entstehende Vertraulichkeit durchaus nicht mit ungünstigem Auge und Gott verdamme mich! Man sollte glauben, er beschütze sie. Sollte er vielleicht mit dem Gedanken umgehen – Teufel! Vielleicht bin ich auf dem Wege, Entdeckungen zu machen!«

Er beschleuuigte seinen Schritt, wie um die Arbeit seines Nachdenkens zu fördern.

»Kein Zweifel mehr«, hob er endlich sich vor die Stirn schlagend wieder an. »Das ist Klosterpolitik – geduldig und schmiegsam wie die Schlange. Dieser ehrgeizige Mönch hat den Plan gefasst, das Glück seines Verwandten zu machen, indem er ihm die Hand der reichen Erbin gibt. Er ist in Frontenac allmächtig. Er besitzt Menschenkenntnis und eine wunderbare Schlauheit. Er wird manövrieren, um dieses Resultat zu erreichen, und er schürt so viel wie an ihm ist, die wechselseitige Zuneigung dieser beiden Kinder. Morbleu, wenn dem so wäre, und es ist dem so, dann hätte ich es mit einem starken Gegner zu tun und ich könnte nur durch einen Meisterstreich siegen – durch einen kühnen raschen Streich, welcher treffen müsste wie der Blitz!«

Er ging noch einige Male schweigend auf und ab. Es dauerte nicht lange, so umspielte ein bitteres Lächeln seine Lippen.

»Wohlan«, fuhr er fort, »ich kann auch an die Reihe kommen. Christine hat mich heute Abend mit einer Freude, einer Herzlichkeit und einer Auszeichnung empfangen, welche niemanden entgangen sind und die mir viel Neider zugezogen haben. Warum sollte sich die Waagschale nicht nochmals zu mei nen Gunsten senken? Es komme nur eine günstige Gelegenheit! Diese wird sich darbieten, wenn ich es will. Ja, ich darf nicht länger zögern. Ich werde ihnen dieses reizende Wesen entführen, welches selbst in seinen Launen und Torheiten so verführerisch ist. Sie zeigt mir unbedingtes Vertrauen. Sie liebt mich auch vielleicht. Übrigens habe ich es gesagt, sie muss mein werden!«