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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Kommandant des Tower 29

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Drittes Buch
Der Lordgroßadmiral von England
Zweites Kapitel

Woraus man sehen wird, dass die Prinzessin Elisabeth nicht so ganz von ihrer Leidenschaft geheilt war

Die Prinzessin Elisabeth war während ihres Vaters Leichen­begängnisses ebenfalls im Tower geblieben, aber da sie – Unwohlseins halber, wie es hieß – das Zimmer hütete, so sah Edward sie nicht bis am Abend des dritten Tages, wo sie den König bitten ließ, zu ihr zu kommen.

Der liebenswürdige junge Fürst sagte sogleich zu. Als er in das Zimmer seiner Schwesier trat, fand er Mistress Ashley daselbst, die sich aber bei seinem Erscheinen sogleich entfernte. Die beiden Geschwister blieben darauf allein, denn Edward hatte sein Gefolge im Vorsaal zurückgelassen. Elisa­beth sah leidend aus und hatte augenscheinlich geweint. Betroffen über ihr Aussehen, eilte Edward auf sie zu, umarmte sie zärtlich und fragte auf das Angelegentlichste, was ihr fehle.

»Ich glaube nicht, dass mir die Luft im Tower wohltut«, antwortete sie mit mattem Lächeln. »Ich bin nicht wohl gewesen, solange ich hier bin. Drum wollte ich Eure Majestät um Erlaubnis bitten, morgen nach Hatfield ab­zureisen.«

»Es wird mir leidtun, dich zu verlieren, liebste Bess«, erwiderte der König liebevoll. »Aber wirklich, du siehst nicht gut aus, und ich denke, ein Luftwechsel wird dir wohltun. Versuche es wenigstens. Ich hoffte freilich, du würdest mich nach Whitehall begleiten, um meiner Krönung beizuwohnen. Ich verspreche dir, dass es ein prachtvoller Aufzug wer­den soll.«

»Ich bezweifle es nicht«, sagte sie, »aber ich bin jetzt nicht zu großen Festlichkeiten aufgelegt, ja, ich bebe davor zurück. Deshalb will ich, mit Euer Majestät Erlaubnis, mor­gen abreisen. Die meisten, die zum Hof gehören, kehren diesen Abend von Windsor zurück, wie man sagt, und um ihnen auszuweichen, will ich zeitig aufbrechen.«

»Wie du willst, liebe Bess. Ich will dich nicht zwin­gen, gegen deine Neigung zu handeln, obwohl ich selbst da­bei verliere. Reise, so früh du willst. Ein passendes Ge­folge soll dich begleiten. Sir Thomas Seymour wird mit dem Hof heute Abend von Windsor wieder hier sein. Soll ich ihn bitten, mit Dir zu gehen?«

»Um keinen Preis«, entgegnete Elisabeth hastig und tief errötend.

»Womit hat Sir Thomas dich beleidigt, Bess? Früher hattest du ihn lieber als irgendeinen anderen. Woher kommt dieser plötzliche Wechsel deines Gefühls? Kann ich die Sache zwischen euch nicht wieder ausgleichen?«

»Dass ich meine Meinung über Sir Thomas vollständig geändert habe, das will ich nicht leugnen. Dass etwas vor­gefallen, ist auch wahr – aber jetzt ist er mir vollkommen gleichgültig.«

»Hm! Ich bin dessen nicht so gewiss, Bess! Aber wenn du mir die Veranlassung eures Streites nicht sagen willst, so kann ich auch nicht entscheiden, ob du Recht oder Un­recht hast.«

»Eure Majestät wird niemals Sir Thomas schuldig glauben – das weiß ich. Aber Ihr werdet ihn schon kennenlernen. Er hat andere betrogen, nehmt Euch in acht, dass er Euch nicht betrüge.«

»Wen hat er betrogen, Bess? Nicht dich, hoffe ich!«, fragte Edward, indem er sie prüfend ansah.

»Nein, mich nicht«, antwortete sie mit einiger Verwirrung. »Aber was ich von ihm gehört habe, ist geeignet, Misstrauen zu erregen. Desshalb scheint mir es recht, Eure Majestät zu warnen.«

»Du bist gereizt gegen ihn, das ist klar, sei es nun aus wirklichen oder aus imaginären Gründen. Komm, komm! Mach dem Streit ein Ende, Bess. Du und Sir Thomas seid mir beide teuer, und ich wollte, Ihr wäret Freunde. Wenn er dich beleidigt hat, so soll er sich entschuldigen – so demütig, wie du es nur verlangst. Ist das genug?«

»Ich danke Eurer Majestät für Eure gnädige Vermittlung und weiß deren Motive vollkommen zu schätzen, aber Eure freundlichen Absichten sind vergebens. Ich verlange keine Entschuldigungen von Sir Thomas. Ich will keine.«

»Bei meiner Treu, Elisabeth, du bist sehr eigensinnig, und ich muss gestehen, dass dein seltsames Benehmen mich glauben macht, dass du in der Angelegenheit zu ta­deln bist.«

»Ich will es weder versuchen, mich zu rechtfertigen«, ent­gegnete sie, »noch die gute Meinung zu erschüttern, die Eure Majestät von Sir Thomas hegt.«

»Letzteres würde dir kaum gelingen. Aber reden wir nicht mehr davon, weil es dir nicht angenehm zu sein scheint.«

»Lasst mich vorher noch eine Frage stellen. Wie würde es Euch gefallen, wenn die Königinwitwe Eurem Lieblings­oheim ihre Hand reichte?«

»Ist ein solches Ereignis wahrscheinlich?«, fragte Edward erstaunt.

»Nehmt an, es sei so«, antwortete sie.

»Einer solchen Heirat steht nichts im Wege, das ich wüsste«, sprach Edward nach einer Pause. »Wenn die Kö­nigin wieder heiraten will, so könnte sie niemand wählen, der mir besser anstände als Sir Thomas Seymour.«

»Aber sie sollte nicht wieder heirathen!«, rief Elisabeth ärgerlich. »Sie hat schon drei Männer gehabt. Der Letzte war ein großer König, um dessenwillen sie für immer Witwe blei­ben sollte. Das wenigstens schuldete sie dem Andenken unseres Vaters.«

»Wenn sie zwei Männer vergaß, bevor sie den König, unseren Vater, heiratete, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie auch ihn vergisst«, bemerkte Edward. »Die Frauen machen es so, Bess, und Ihre Majesiät wird darob nicht mehr zu tadeln sein wie das übrige Geschlecht.«

»Aber Eure Majesiät wird doch nicht eine so unpassende Heirat gestatten, wenn es darauf ankommt?«

»Ich finde die Heirat nicht so unpassend, Bess, und sehe nicht ein, wie ich sie verhindern kann.«

»Nicht verhindern! Ihr seid bei Weitem nachsichtiger, als ich es sein würde an Eurer Majestät Stelle. Ich würde Sir Thomas eher verbannen, ehe ich das zuließe.«

»Ihn verbannen, hieße mich selbst der allerangenehmsten Gesellschaft berauben. Nein, ich muss mildere Maßregeln ergreifen, wenn ich bei reiferem Nachdenken mein Dazwischentreten für nötig halten sollte.«

Als sie sah, dass der König fest blieb und auch, dass sie Sir Thomas Seymour unabsichtlich einen Dienst geleistet hatte, indem sie die Wahrscheinlichkeit seiner Heirat mit der Königinwitwe, von der Edward vorher keine Ahnnng ge­habt hatte, andeutete, ließ Elisabeth den Gegenstand fallen, und nach einiger ferneren Unterhaltung nahm der junge Mo­narch zärtlichen Abschied von seiner Schwester, indem er aber­mals sein Bedauern darüber äußerte, sie so bald zu verlieren, und versprach, dass der Towerkommandant für ein Gefolge sorgen solle, das, so früh es ihr beliebe, morgen mit ihr aufbreche.