Timetraveller – Episode 7
Prolog
I
Airuda kannte die Risiken. Er hatte gesehen, was die Zombies mit seinem Vater und seinem Bruder gemacht hatten. Er wusste, dass diese Wesen keinen Respekt vor dem Leben hatten, keine Angst kannten und jeglicher Menschlichkeit beraubt in den Ruinen von Fort Baker, einer einst blühenden Metropole inmitten der Wüste, vor sich hin vegetierten.
Und doch blieb dem Mann nichts anderes übrig, als auf die Jagd zu gehen. Gelang es ihm und seinen Freunden nicht, Nahrung und Medikamente herbeizuschaffen, würde es in New Hope zu einem Aufstand kommen. Schon jetzt litten die Menschen dort unter der Rationierung. Schon jetzt verstanden viele von ihnen nicht, warum sie sparen mussten – mit der Fülle vor Augen, die ihnen Fort Baker bot.
»Also, Leute – ihr wisst, wie es geht. Keine Extratouren, keine Heldentaten. Wir fahren rein, laden den Wagen voll und verschwinden wieder. Noch Fragen?«
Fuck, was für eine Scheiße, dachte Airuda. Natürlich haben sie noch Fragen. Er schaute in die Milchgesichter, die sich ihm angeschlossen hatten. Kaum einer war älter als zwanzig, keiner war je da draußen gewesen, um Nahrung zu beschaffen. Sie hielten ihre Waffen in Händen, als seien sie ihre Rettungsanker. Aber da draußen, das wusste der 35-Jährige, nutzte ihnen im Ernstfall gar nichts. Im Gegenteil; der fatale Glaube, eine Knarre in Händen würde Schutz bieten, hatte so manchen Mann das Leben gekostet.
Am liebsten hätte er die Jungs zu Hause gelassen, damit sie noch ein paar Monate in Mamas Schoß reiften. Aber diesen Luxus konnten sie sich nicht erlauben. Er war ein Veteran, doch dies konnte sein letzter Ausflug nach Fort Baker sein. Geschah dies, gab es kaum noch erwachsene Männer, die sich um die Versorgung kümmern konnten. Viele waren krank, manche würden den Jahreswechsel nicht mehr erleben. Er musste die Milchbärte jetzt zu Männern machen. Ehe es zu spät war, und die Kolonie endgültig unterging.
Als ob wir es verhindern könnten, dachte er bitter. Airuda öffnete die Fahrertür des Lkws und stieg ein. Kurz darauf dröhnte der Motor des Fahrzeugs laut in der großen, aber überwiegend leeren Halle.
Ein stabiles Rolltor glitt zur Seite, kaum dass Airuda Gas gegeben hatte. Kurz darauf fuhr er mitsamt seinen acht Begleitern über die Hauptstraße von New Hope, winkte einer Frau zu, die vor ihrer Hütte stand, und verließ keine fünf Minuten später die Kolonie.
Hinter ihm, auf der offenen Pritsche des Wagens, herrschte eine nahezu gespenstische Stille. Im Rückspiegel konnte er die acht Männer – Jungs, wie er sich in Gedanken korrigierte – sehen. Sie saßen auf ihren Plätzen, klammerten sich mit einer Hand an die Ladegurte und mit der anderen an ihre Gewehre. Im grellen Sonnenlicht der Wüste, die sich rings um die Kolonie und auch um Fort Baker erstreckte, wirkten sie erschreckend bleich. Doch das Wissen um die Gefahr war nicht genug. Keiner von ihnen hatte den Schrecken gesehen, der zwischen den hohen Mauern lauerte. Keiner von ihnen war je mit einem Zombie konfrontiert worden, hatte auf einen von ihnen schießen oder vor einer ganzen Horde fliehen müssen. Das, was die Kids auf der Pritsche besaßen, war leeres, substanzloses Wissen. Ihm fehlte der Gestank, den Fort Baker verströmte, ihm fehlte das Grauen, die Angst, die Abscheu.
Dinge, die sie in weniger als einer halben Stunde kennenlernen würden, dessen war sich Airuda sicher. Ebenso sicher war er sich, dass nicht alle von ihnen nach New Hope zurückkehrten. Einer oder zwei würden auf der Strecke bleiben, wenn es schlecht lief auch mehr. Nur ein einziges Mal war es ihnen gelungen, eine Jagd ohne eigene Verluste abzuhalten. Ein denkwürdiger Tag, der begossen worden war.
Airuda betete für eine Wiederholung, doch sollte es einen Gott geben, so hatte er sich schon lange von den Menschen abgewandt.
Nach knapp zwei Meilen wurde die Straße schlechter. Wind hatte Sand auf den Asphalt geweht, an manchen Stellen war der Teer aufgeplatzt. Die extremen Temperaturschwankungen in der Wüste machten eine ständige Pflege der Straßen notwendig. Aber es gab niemanden mehr, der diese Aufgabe übernommen hätte.
Mehrfach rumpelte der LKW durch Schlaglöcher. Die Milchbärte auf der Pritsche wurden durchgeschüttelt, aber keiner beschwerte sich. Wieder schaute Airuda in den Rückspiegel. Er kannte jeden einzelnen dieser jungen Burschen, vor allem aber kannte er deren Eltern. Manche sahen in dieser und den nachfolgenden Generationen die Zukunft der Kolonie, des Landes – vielleicht sogar der Welt.
Aber Airuda wusste es besser. Seine Schwester war Ärztin in New Hope und sie hatte ihm gesagt, dass kaum eine Hoffnung bestand. Die Zukunft stand für ihn festgeschrieben. Leere Häuser, verlassene Straßen, Schaukeln, die nur noch vom Wüstenwind bewegt wurden.
Das war die Zukunft von New Hope, dem Land, der Welt.
Das und nichts anderes.
Als Airuda wieder auf die Straße schaute, sah er am Horizont eine hellbraune Wand, welche die Straße abzuschneiden schien. Er drückte einen Knopf neben dem Lenkrad und schloss damit das Verdeck der Pritsche. Wenige Minuten später spürte er bereits den scharfen, heißen Wind gegen den Wagen fegen. Er musste nun deutlich langsamer fahren und zudem darauf achten, nicht von der Straße gedrückt zu werden.
Sand prasselte gegen das Blech des Wagens. Er schmirgelte die Farbe ab und gelangte auch ins Innere des Motors. Airuda hoffte, dass der Sandsturm keinen Defekt verursachen würde. Nicht vorzustellen, wenn sie in oder kurz vor Fort Baker einen Motorschaden erlitten. Die Folgen wären katastrophal.
Er schaltete die Lichter ein, da der Sand das Licht filterte. Es fiel Airuda schwer, die Straße zu erkennen. Dennoch fuhr er weiter. Anzuhalten bedeutete ein noch größeres Risiko. Wurde der Wagen unter dem Sand begraben, saßen sie in der Falle.
Erleichtert atmete der Mann auf, als sie den Sturm hinter sich ließen. Obwohl es keinen Grund gab, sich zu entspannen – denn vor ihm lag Fort Baker.
Die hohen Ruinen der Stadt wirkten auf Airuda wie ein Menetekel. Sie kamen näher mit jeder Sekunde, und je höher sie sich vor ihm auftürmten, umso deutlicher trat das Grauen zutage, welches sie symbolisierten. Diese Trümmer standen für das, was sie einst besessen und in ihrer unermesslichen Dummheit verloren hatten. Es stand für das Grauen, das sich die Menschen selbst bescherten. Für die Selbstzerstörung, der sie sich mit wehenden Fahnen hingaben.
Und für das Elend, in dem sie nun lebten.
Airuda öffnete die Klappe hinter ihm, um mit den Jungs auf der Pritsche zu sprechen. »Macht euch fertig«, rief er, »wir sind gleich da.
Waffen scharf, keine Risiken. Ich will, dass wir alle wieder nach Hause kommen.«
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Kurz darauf stolperte ein Zombie auf die Straße. Die fast nackte Gestalt stand plötzlich vor dem Wagen und glotzte ihm entgegen.
Airuda gab Gas. Er sah die dumpfen Augen, die eingefallenen Wangen und die von Wunden und Ausschlag übersäte Haut des Mannes, der nun träge seine Arme hob. Ob er sich schützen oder den LKW anhalten wollte, wusste Airuda nicht. Die meisten Zombies besaßen keinen Selbsterhaltungstrieb. Wahrscheinlicher war daher, dass er den Wagen stoppen und sich über die Insassen hermachen wollte.
Ein dumpfer Laut erklang, als der Wagen mit dem ausgemergelten Körper kollidierte. Der Zombie wurde nach vorne gestoßen. Er prallte hart auf den Asphalt auf, ehe ihn die Räder des Lkws zermalmten. Das, was am Ende auf der Straße liegen blieb, war ein rot-grauer Brei aus Knochen, Fleisch, Eingeweiden und Blut. Selbst der Kopf war zerstört worden. Er erinnerte Airuda an eine zermatschte Melone.
Einer der Milchbubis auf der Pritsche würgte. Dies war der erste Kontakt mit dem Grauen, aber es würde keinesfalls der letzte sein.
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