Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Kommandant des Tower 28

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Drittes Buch
Der Lordgroßadmiral von England
Erstes Kapitel

Wie Edward seine Zeit zubringt, während er im Tower sich selbst überlassen ist

Die drei Tage, welche zur Feier von Heinrichs Leichenbegängnis bestimmt waren, wurden von seinem Sohn in tiefster Zurückgezogenheit im Tower verbracht. Es war dem jungen Monarchen besonders angenehm in dieser Zeit, infolge der Abwesenheit des Hofes von allem Zwang frei zu sein. Nicht nur hatte er um seinen Vater zu trauern, sondern sich auch durch Nachdenken und Gebet, wie er wünschte, zu der feierlichen Zeremonie vorzubereiten, in der er nun bald die Hauptrolle spielen sollte.

Die nahe bevorstehende Krönung, die auf den Sonntag nach der Beerdigung festgesetzt war, erfüllte ihn mit Bangen. Man hätte bei seiner Jugend glauben können, dass ihn die Pracht des Aufzuges nur geblendet und er die wirkliche Bedeutung desselben außer Acht gelassen hätte. Aber solches war bei dem frommen und ernst gesinnten Prinzen nicht der Fall. Er besaß, wie wir schon gezeigt haben, einen Ernst des Charakters, der weit über seine Jahre hinausging, und er war zu wohl unterrichtet, um nicht vollkommen die Bedeutung der Gelübde zu begreifen, die er dem Volk bei Übernahme der Krone zu leisten hatte.

Täglich flehte er zum Himmel, dass derselbe ihm beistehen möchte, seine hohen und wichtigen Pflichten zu erfüllen, auf dass er in keiner Weise die ihm verliehene Gewalt missbrauche, sondern sich deren mit Weisheit bediene zur Aufrechterhaltung und Verbreitung des wahren Glaubens und zum Glück und Wohlergehen aller seiner Untertanen. Besonders betete er darum, dass er das Werkzeug zur sicheren Gründung der protestantischen Kirche sein möge, dass ihm vergönnt sei, diese von ihren Feinden zu befreien und von den götzendienerischen und abergläubischen Formen, die noch an ihr hafteten, zu reinigen.

Der geschäftige Lärm und das wirre Durcheinander, welche jüngst im Tower geherrscht, hatten jetzt aufgehört. All die Edelleute und Vornehmen des Landes, die hierher geeilt waren, um dem jungen König zu huldigen, waren nun abgereist, und mit ihnen die Masse des Gefolges. Die Höfe waren leer von den Pagen und Dienern, die sie in letzter Zeit belebt hatten. Der Lärm war verstummt und hatte einer allgemeinen tiefen Ruhe Platz gemacht.

Der König hatte befohlen, dass die drei Tage während der Leichenfeier seines Vaters eine Zeit tiefster Trauer sein sollten, und demzufolge zeigte jegliches Antlitz den Ausdruck des Schmerzes – ob aufrichtig oder nicht, bedarf keiner Frage. Edward und seine ganze Umgebung waren in Trauer gekleidet. Diener und Zeremonienmeister glitten wie Geister dahin. Festlichkeiten gab es nicht, oder wenn dies der Fall war, so hielt man sie doch vor dem Auge des Königs geheim. Edward verbrachte seine Zeit fast nur mit frommen Übungen. Er betete im Verborgenen, hörte lange Predigten seines Kaplans an, sprach mit seinen Lehrern über religiöse Angelegenheiten und wohnte den Messen bei, welche in der St.-Johns-Kapelle für seines Vaters Seelenheil gelesen wurden.

Die dem Evangelisten St.-Johannes geweihte Kapelle steht gerade in der Mitte des White Tower. Sie ist eines der vollendetsten Werke normannischer Architektur und würde heute in ihrer ursprünglichen Schönheit Vewunderung erregen, wenn sie nicht mit Schränken und anderen mit Akten angefüllten Gegenständen dermaßen überfüllt wäre, dass selbst von einer teilweisen Prüfung ihrer architektonischen Schönheit nicht die Rede sein kann.

Das alte Gebände besteht aus einem nach Westen zu abgerundeten Schiff und zwei schmalen Seitenflügeln, die durch zwölf runde, massive Säulen voneinander getrennt sind. Die Seitenflügel sind mit Galerien versehen, aus welchen man durch halbrunde Öffnungen in das Schiff blicken kann. Die Decke ist gewölbt und das ganze Gebäude zeichnet sich durch außerordentliche Einfachheit und solide Bauart aus. Es ist seitdem längst seines geheiligten Schmuckwerks beraubt und zu profanen Zwecken benutzt worden, aber schon der Umstand, dass die meisten der früheren Könige hier ihre Andacht verrichteten, wenn sie im Tower waren, und der dem Ort ein großes historisches Interesse verleiht, sollte ihn vor Entweihung und Vernachlässigung geschützt haben.

Während der drei genannten Tage wurden beständig Messen in der Kapelle gelesen. Die Säulen waren mit schwarzem Tuch umwickelt und mit Fähnchen und Wappenschildern geschmückt, während aus den bogenförmigen Öffnungen der Galerie Banner herabhingen. Große Wachskerzen brannten auf dem Altar, der in reichem Schmuck von Juwelen, Bildnissen, Kruzifixen und heiligen Gefäßen prangte.

Edward versäumte die Messe nie und war immer von seinen Lehrern begleitet, die als eifrige Anhänger der Reformation an manchem dieser gottesdienstlichen Bräuche großen Anstoß nahmen. Aber da der König ausdrücklich in seinem Testament bestimmt hatte, dass Seelenmessen für ihn gelesen werden sollten, so konnte im Augenblick nichts dagegen gesagt werden, und die beiden Lehrer mussten sich mit stillschweigender Missbilligung begnügen. Obwohl er ihre Gefühle teilte, so hieß Ehrfurcht gegen seinen Vater Edward doch ebenfalls schweigen. Indes gaben einige Bemerkungen, die er zufällig am dritten Tag, als er aus der Messe kam, machte, Sir John Cheke Gelegenheit, die Bilderverehrung, die noch geduldet wurde, zu verdammen.

»Diese römischen Idole sind ein Gräuel in meinen Augen«, rief er aus, »und ich hoffe, unsere Tempel davon, so wie von allen in heidnischer Weise vergötterten Bildnissen gesäubert zu sehen. Das gute Werk ist begonnen, denn ich habe in diesen Tagen gehört, dass der Pfarrer von Saint-Martin in Ironmonger-Lane alle Bilder und Gemälde aus seiner Kirche hat entfernen und Bibelsprüche auf die Wände malen lassen. Vielleicht ist der Mann gar zu eifrig, aber ich kann ihn nicht tadeln.«

»Er ist nur unseren eigenen Absichten zuvorgekommen«, sagte Edward. »Unsere Tempel sollen nicht länger durch Götzendienst entweiht werden.«

»Ich freue mich, Eure Majestät so reden zu hören«, erwiderte Cheke. »Ich hoffe, unter Eurer gnädigen Regierung werden Messe und Messbuch ganz abgeschafft werden und an ihre Stelle eine Liturgie in der reinen Sprache des Evangeliums treten. Einheit der Lehre und des Kultus, Einheit der Gebräuche der Zeremonien, Aufgeben des abergläubischen und götzendienerischen römischen Kultus und Umkehr zu den ursprünglichen Bräuchen der christlichen Kirche. Das ist es, was wir Anhänger der Reformation wünschen, und das ist es, was wir unter einem wahrhaft protestantischen König, wie Eure Majestät, zu erlangen sicher sind.«

»Um die verderbten Lehren Roms gänzlich auszurotten, ist Einheit unter der Geistlichkeit vor allen Dingen notwendig«, bemerkte Cox. »Sonst wird dem Gedeihen der protestantischen Kirche stets Gefahr drohen. Ich will Eure Majestät nicht strenge Maßregeln empfehlen, aber Zwang wird notwendig sein.«

»Ich hoffe, er wird nicht notwendig sein, guter Doktor«, sagte Edward, »ich möchte meine Regierung nicht mit Verfolgungen beginnen.«

»Der Himmel verhüte, dass ich dazu rate, Sire!«, antwortete der Doktor. »Viel lieber wollte ich, dass Eure Regierung sich durch zu große Milde als durch zu große Strenge auszeichne. Aber ein großes Ziel soll erreicht werden, und wir müssen viel mehr den Zweck im Auge haben, als die Mittel. Der Bischof von Rom wird ohne Zweifel bedeutende Anstrengungen machen, um sein Übergewicht wieder zu erlangen, und weil die starke Hand fehlt, die sie niederhielt, werden die Anhänger der alten Lehre Mut fassen und wieder zu erlangen suchen, was sie verloren haben. Also droht der protestantischen Kirche, deren Haupt Eure Majestät ist, viele Gefahr, und solcher kann nur durch eine vollständige Unterdrückung der papistischen Partei vorgebeugt werden.«

»Aber Ihr seht doch keine Gefahr für die Kirche voraus?«, fragte Edward mit inniger Besorgnis.

»Gefahr ist im Aufschub«, antwortete Cox. »Die Geister der Menschen sind zügellos und die jetzige Krisis wird ohne Zweifel benutzt werden, um die Unwissenden und halb Unterrichteten von dem Wege der Wahrheit abzulenken. Seine Hochwürden von Canterbury, weiß ich, ist für allmähliche Reform, weil er meint, dass die Menschen sich erst an die neue Lehre gewöhnen müssen, bevor sie dieselbe aufrichtig annehmen. Das ist nicht meine Meinung. Ich möchte Schisma und Irrtum ausrotten, wie Unkraut und Giftpflanzen aus einem schönen Garten, und sie verbrennen, dass sie keinen ferneren Schaden tun können.«

»Und doch hat vielleicht Seine Hochwürden von Canterbury recht«, bemerkte Edward nachdenklich. »Ich möchte den Anhängern der römischen Kirche keine Unduldsamkeit zeigen, sondern, da mein Streben dahin geht, sie zu gewinnen und zum wahren Glauben herüberzuziehen, muss ich bedenken, wie ich einen solchen Zweck am besten erreichen kann.«

»Sanfte Mittel werden nicht helfen, Sire, und zwar aus Gründen, die ich Euch angeben werde«, sprach Sir John Cheke. »Dem Bischof von Rom gegenüber habt Ihr es mit einem mächtigen und gewissenlosen Feind zu tun, der nicht säumen wird, von einer scheinbaren Unentschlossenheit Eurerseits Vorteil zu ziehen. Mäßigung wird als Furchtsamkeit gedeutet, Versöhnlichkeit als Nachgeben und Schwäche. Darum müssen schnelle und energische Maßregeln ergriffen werden. Es muss ein Streich wider das Papsttum geführt werden, von dem es sich niemals wieder erholt. Ich billige die Absicht, die Ihr habt, wie ich weiß, die Absicht, die ausgezeichnetsten fremden Reformatoren an Euren Hof zu berufen. Fromme und gelehrte Männer, wie Peter Martyr, Martin Bucer, Paul Fagius, Ochinus und Bernarnus, deren Leben dem glorreichen Werk der Kirchenreformation gewidmet gewesen waren, würden Euch in diesem Augenblick von unberechenbarem Wert sein. Sie würden Euch nicht nur helfen, die Irrtümer und Missbräuche der Kirche zu beseitigen, sondern auch die Maßregeln, die Ihr zu ergreifen beabsichtigt, verteidigen und rechtfertigen. Überdies würden sie für die Universitäten von außerordentlichem Nutzen sein. An diesen Sitzen der Gelehrsamkeit sind begabte Männer, die imstande sind, den Sophisten zu widerlegen, den Zweifler zu überzeugen, und den Neubekehrten zu belehren, sehr notwendig.«

»Sir John hat recht«, sagte Doktor Cox. »Konferenzen und Disputation über religiöse Angelegenheiten sind jetzt unerlässlich, um den Irrtum zu widerlegen und das Verständnis der Menschen aufzuklären. Und nirgendwo können solche Diskussionen mit besserem Erfolg gehalten werden, als an Eurer Majestät Universitäten Oxford und Cambridge.«

»Unsere Sache ist eine so gute, dass sie weder der Rechtfertigung noch der Verteidigung bedürfen sollte«, entgegnete Edward. »Nichtsdestoweniger sollten zu Zeiten der Gefahr keine Vorsichtsmaßregeln versäumt werden. Um den Bestand der protestantischen Kirche zu sichern, müssen die tüchtigsten und kräftigsten Stützen derselben um sie versammelt werden. In vorderster Reihe unter ihnen stehen die trefflichen Männer, die Ihr eben genannt habt, deren Leben die Aufrichtigkeit ihrer Gesinnungen verbürgt. Die protestantischen Führer werden in Deutschland, wie ich höre, sehr verfolgt und sind deshalb vielleicht froh, hier ein Asyl zu finden. Ich werde mich freuen, sie zu sehen, aus ihren Lehren Nutzen zu ziehen und mich von ihrem Rat und Urteil leiten zu lassen. Seine Hochwürden von Canterbury soll sie nach England einladen, und wenn sie kommen, so soll ihnen ein Empfang zuteilwerden, der ihnen die Achtung beweist, in der sie stehen. Peter Martyr könnte in Oxford ebenso wie in Straßburg einen theologischen Lehrstuhl einnehmen, und für Bucer und die anderen werden sich ebenfalls passende Lehrstellen finden.«

Hier stockte die Unterhaltung, und da die Lehrer bemerkten, dass der König nicht zu ferneren Erörterungen geneigt war, so ließen sie den Gegenstand fallen. Edward zog sich bald darauf in sein Gemach zurück.