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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Norcroß’ Aussicht auf eine Königskrone

Der-Freibeuter-Dritter-TeilDer Freibeuter
Dritter Teil
Kapitel 16

»Im April des vorigen Jahres reiste ich nach Schweden ab. In Stockholm angekommen, stellte ich mich vor den König, der mich freundlich aufnahm und mir eröffnete, dass ich dem Zuge der Auswanderer nach Madagaskar vorstehen und dort eine bedeutende Charge bekleiden sollte. Dies war mir zu hören sehr erfreulich. Ich muss Ihnen aber auseinandersetzen, was es mit diesem Zuge für eine wunderliche Bewandtnis hatte.

Noch zu Lebzeiten des Königs Karl XII., und wenn ich nicht irre, zwei Jahre vor dem unglücklichen Ende dieses großen Monarchen, wandten sich die Besitzer von Madagascar an ihn, um ihm die Hoheit über diese große afrikanische Insel anzutragen und sich dafür seinen Schutz zu erbitten. Diese Besitzer aber waren nichts weiter, als eine Gesellschaft europäischer Freibeuter, Leute fast aus allen Nationen, welche Schifffart betreiben; die meisten Schweden und Dänen. König Karl verachtete ihren Antrag nicht ganz und dachte daran, ihnen ein von sich abhängiges Oberhaupt zu geben und sie bei demjenigen Eigentum zu schützen, welches sie durch ihre persönliche Tapferkeit erobert hatten. Der König hat sogar einmal flüchtig über die Madegassen mit mir gesprochen, gleich nachdem sie ihre Gesandtschaft an ihn geschickt hatten, und vielleicht war wohl gar in seiner nächsten Umgebung davon die Rede gewesen, dass ich zum Herrn und Fürsten von Madagascar geeignet sei. Etwas dergleichen lässt sich wohl aus dem mir gemachten Antrag seines Nachfolgers schließen. Als die Sache wieder aufgegriffen wurde, hatte sich gewiss dieser und jener von den Großen des Reiches an den Plan des Königs Karl erinnert. Dadurch war auch ich den Leuten wieder ins Gedächtnis gekommen, und aus diesem Umstand ist das gnädige Handschreiben des Königs Friedrich zu erklären. Durch seine anderen großen Pläne und letzten Kriege war König Karls Blick ganz von Madagaskar abgezogen worden, die hilflosen Leute hatten sich also an Dänemark, Schutz flehend, gewendet, und hier war es vorzüglich ein Mann, den sie für sich zu gewinnen wussten. Sie kennen ihn, mein Fräulein, es war der ehemalige französische Generalpächter Jean Henri Huguetan, der nunmehrige Graf Gyldenstern, Ritter des Danebrogordens und Günstling des Königs von Dänemark. Durch diesen Mann suchten sie auf den König zu wirken, welchem sie die Oberhoheit über Madagaskar und die ihnen ebenfalls gehörige Insel St. Maria antrugen, ihm Tribut zu geben versprachen und begehrten, dass er sie dafür mit zwei Fregatten verteidige. Allein der stolze König dieses Landes war nicht so klug und weitsehend wie der Schwede Karl. Er wollte mit Leuten nichts zu tun haben, die von allen europäischen Nationen verachtet würden, und schlug ihr Gesuch ab. Nach König Karls Tod wandten sie sich nun an den neuen Schwedenkönig. Die Gyldenborg’sche Partei stimmte für die Unternehmung. Sie hielt die Insel für einen herrlichen Ort, Leute dort aufzubewahren, die ihr zuwider seien. Sie vermochte auch den König, an mich zu schreiben. Die Horn’sche Partei war dagegen, und als ich nach Stockholm kam, wogte der Kumpf beider Parteien hin und her. Der schwache König war heute gyllenborgisch gesinnt und den andern Tag hornisch. Hunderterlei andere Dinge, die für Schweden weit wichtiger waren als Madagaskar, waren ebenfalls zwischen den Parteien streitig, und diese Nebensache wurde über den steten Streit vergessen. Die Horner mochten den König wohl auch wieder herumgekriegt haben. Kurz, ich lag bis Ende des vorigen Jahres, neun ganze Monate, in Stockholm und am Ende wurde doch nichts daraus. Gewiss würde ich viel eher wieder abgereist sein, wenn ich nicht die Idee eines Zugs nach Madagaskar mit ganzer Seele ergrissen hätte. Es war mein höchstes Verlangen, das Ziel aller meiner Wünsche, der König jener herrlichen Insel zu sein. Überdies hatte ich nicht die geringste Aussicht auf ein Unterkommen.

Alberonis Geld ging stark zur Neige, und ich erhielt von einigen Gönnern in Stockholm nichts als die schönsten Vertröstungen. Der Graf Gyllenborg selbst sprach mehrere Male mit mir darüber und bat mich, noch Geduld zu haben. Er werde den Zug doch durchsetzen; aber er setzte nichts durch. Dies machte mich höchst missmuthig. Auch hatte ich noch andere Verdrießlichkeiten mit meinen Feinden, an denen mir niemals Gelegenheit ward, mich so recht nach der glühenden Begierde meines Herzens zu rächen. Der alte wütende Menschenhass erwachte wieder in meiner Brust. Ich hätte das Weltmeer vergiften mögen.

Im Sommer kam auch der Schiffer Früß aus Kopenhagen zu mir nach Stockholm, der während meiner Gefangenschaft auf dem Holm in Kopenhagen mein gütiger Schließer und Oberprofoss gewesen war. Es war späterhin Gott weiß durch welchen Zufall oder Umstand, bekannt geworden, dass ich Norcroß gewesen sei. Früß war sehr hart bestraft und seines Dienstes entsetzt worden. Die gefällige Madame Kragenlund, die mir fortgeholfen, hatte ebenfalls eine bedeutende Geldstrafe erleiden müssen.«

»Ihr habe ihr dieselbe ersetzt«, fiel hier Friederike ein. »Ich konnte nicht zugeben, dass Euretwegen jemand zu Schaden komme. Auch der alte versoffene Früß hat Unterstützungen von mir erhalten. Freilich zu seinem Dienst konnte ich ihn nicht wieder verhelfen, den er auch mit Recht verloren hatte und zu welchem er gänzlich untauglich war. Die Kaffeewirtin hat mir für die Strafgelder Eure Kleider ausgeliefert, denn als sie hörte, dass Ihr schon beweibt seid, wollte sie nichts mehr von Euch wissen, selbst Eure Kleider nicht sehen. Auch kann ich Euch sagen, wie Euer wahrer Name bekannt geworden war. Einer Eurer Mitgefangenen hatte Euch gekannt und später, als Ihr entwischt wart, verraten, wer Ihr eigentlich gewesen seid.«

»Früß hielt sich an mich«, fuhr Norcroß fort, »und hatte guten Grund dazu, denn er hatte mich in meiner Gefangenschaft ausnehmend wohl behandelt und ich ihn durch meine Flucht von Dienst und Brot gebracht. Es ging mir zu Herzen, dass ich ihn in seinem Alter in einem so erbarmungswürdigen Zustand sehen musste. Damit ich ihm zu etwas behilflich sein möchte, denn ich selbst konnte ihm nicht viel geben, so ging ich mit ihm zum Obersten der königlichen Trabanten und bat denselben, dass er diesem unglücklichen alten Mann erlauben möchte, einmal früh morgens mit mir zum König zu gehen. Der Oberstlieutenant Bourmann, der anderen gern diente, wenn es in seiner Macht stand, gab hierzu die Erlaubnis, und ich nahm Früß mit mir in des Königs Gemach. Der König begegnete ihm freundlich und ließ sich sein Unglück erzählen. Indem trat der Graf Löwenhaupt, einer meiner Gegner, herein. Da war nun niemand weiter als genannter Oberstlieutenant Bourmann zugegen und ich. Der Graf nahm den König beim Arm und führte ihn ins nächste Zimmer, woraus ich nicht viel Gutes für Früß und mich ahnte. Wenige Minuten darauf kam er allein zurück und sagte zu mir mit zornigem Gesicht, wie ich mich unterstehen könne, solch einen Mann wie den Schiffer Früß vor die Augen eines Königs zu bringen. Ihr hatte eine derbe Antwort gleich bei der Hand, aber er wollte sie nicht hören und verließ uns augenblicklich. Früß war sehr niedergeschlagen über den schlechten Zustand seiner Sachen und ich verwirrt über des Grafen impertinentes Betragen. Ihr versuchte Früß zu trösten und versprach ihm, alles für ihn zu tun, was in meinen Kräften stehe. Ich lief also gleich zum General Arnold, dänischen Gesandten in Stockholm, und bat ihn dringend, dass er doch seinem unglücklichen Landsmann helfen möchte. Der General sagte, dass er nichts für ihn tun könne. Darauf erwiderte ich, dass ihm Unrecht geschehen sei, und gab mich selbst als den Flüchtling zu erkennen, um dessentwillen Früß ins Elend gekommen sei. Ihr erzählte den Verlauf der Sache, der Wahrheit gemäß, und vermeldete zugleich, dass ich jener Kapitän Nocroß wäre, welchen man, da der Krieg noch währte, in Verdacht gehabt habe, dass er den Kronprinzen von Dänemark habe rauben wollen. Ich hielt dafür, dass die Falschheit dieses Verdachtes nunmehr genugsam zutage liege. Da ich zeither von der heftigen Sehnsucht gequält wurde, in Ihrer Nähe zu leben, mein Fräulein, so fragte ich den sich mir sehr freundlich zeigenden General, ob ich wohl mit Sicherheit nach Dänemark reisen könne, um des Königs Majestät einen höchst wichtigen Vorschlag zu unterbreiten, welcher durch mich leicht ausgeführt werden könne, und zu welchem der König das Vermögen in Händen habe.

Er antwortete hierauf: ›Ich setze meines Königs und meine eigene Ehre zum Pfand, dass Sie in Dänemark sicher sein sollen. Niemand in unserem Land soll die Macht haben, Ihnen ein Leid zuzufügen.‹ Ich redete noch viel mit dem General darüber, und er munterte mich zu meinem Unternehmen auf. Ich fühlte auch in meinem Inneren, dass ich bald etwas Tüchtiges tun müsse, wenn ich nicht ganz mit mir selbst zerfallen sollte. Was es nun auch und mer sei, es musste einen großen Charakter haben. Meine Seele war in Nacht und Hass gehüllt.

Nach einiger Zeit hielt ich beim König von Schweden um einen Reisepass an, und gab vor, da aus dem Zug nach Madagaskar doch nichts würde, nach England hinüber zu gehen. Der König, um sein an mir begangenes Unrecht wieder gut zu machen, war so gnädig, mir außer dem Pass noch einen Brief an den König von Großbritannien mitzugeben, von welchem ich freilich keinen Gebrauch machen konnte. Meine Abreise verzog sich aber bis zu diesem Frühjahr. Der General Arnold, der mir unterdessen sehr gewogen geworden war, gab mir einen Brief an Ihren Bruder mit, mein Fräulein, an den Vizeadmiral und Kammerherrn von Gabel.«

»Da seid Inr freilich an den Rechten addressiert worden«, sagte Friederike mit Spott.

»Ihr kam nach Kopenhagen, es sind nun drei Wochen, und verfügte mich sogleich zum Kammerherrn und Vizeadmiral von Gabel. Er empfing mich freundlich und bekräftigte, was mir General Arnold versprochen hatte. Überdies fügte er noch das eigene Versprechen hinzu, dass er mir, meinem Gesuch zufolge, Gelegenheit verschaffen wollte, den König zu sprechen.«

»Traut ihm nicht, Norcroß!«, warnte Friederike. »Es giebt keinen falscheren Menschen als meinen Bruder. Er weiß, dass Ihr derselbe seid, der mich vor sieben Jahren raubte, und wird Euch das nie verzeihen, sondern vielmehr heimlich an Euerm Untergang arbeiten. Doch weiter!«

»Ich wartete dem Kammerherrn zu verschiedenen Malen auf und erwartete jedes Mal, das mir verheißene Glück zu genießen. Aber es kam nicht dazu, und er machte hunderterlei Ausflüchte. Vielmehr versuchte er von mir herauszulocken, welchen Vorschlag ich dem König gab; aber ich sagte ihm nichts. Auch andere versuchten an mir zu forschen, doch ebenso vergeblich. Zuletzt stellte ich dem Kammerherrn vor, dass ich wenig Geld mit nach Kopenhagen gebracht hatte, und nicht willens wäre, mich hier in Schulden zu setzen. Er möchte mir also rein heraussagen, ob ich Hoffnung haben könnte oder nicht. Er versetzte: ›Eure Unkosten sollen Euch nicht nur wieder erstattet werden, sondern Ihr sollt noch überdies eine ansehnliche Belohnnng für Euren guten Willen erhalten.‹ Hierauf stellte ich dem Kammerherrn vor, dass ich ganz zuverlässig wäre benachrichtigt worden, dass mich Spione umgingen, dass ich also nicht länger in Kopenhagen bleiben könne, indem es mir schaden würde, wenn zu jedermanns Wissen käme, ich führe etwas Großes im Schilde, ehe ich mit meinem Anschlag so weit gekommen wäre, dass es in niemandes Macht mehr stünde, denselben zunichtezumachen. Ich wäre also gesonnen, als ein Reisender nach Helsingoer zu gehen. Sollte etwas vorfallen, so möchte er mir es wissen lassen; wo nicht, so würde ich Dänemark wieder verlassen. Eigentlich lag mir weniger daran, nach Helsingoer zu gehen, als nur ohne Aussehen aus Kopenhagen und zu Ihnen zu kommen, Friederike. Ich hatte ausgekundschaftet, wo Sie lebten, als ich Sie zu meinem Schrecken nicht mehr in Kopenhagen fand. Es trieb mich mit Allgewalt fort. Ich musste Sie sehen, Sie sprechen. Mein heißester Wunsch ist erfüllt, mag nun werden, was da will. Ich habe den Wagen halben Wegs verlassen. Er fuhr nach Helsingoer, ich aber bin zu Fuß hierher gewandert. Hier bin ich und flehe um Gnade.«

»Ich fürchte, Norcroß, Ihr habt sehr unbesonnen gehandelt, dass Ihr Euch in ein Land gewagt habt, wo Euer nichts Gutes warten kann. Seid versichert, dass jeder Eurer Schritte belauert wird. Man hat auch mich in Verdacht gehabt, aber mit Blick und Wort habe ich sie niedergeschmettert, die Feiglinge. Jetzt wagt sich keiner mehr an mich. Aber Euch kann es um so eher Verderben bringen, wenn sie erfahren, dass Ihr in irgendeinem Verhältnis zu mir steht.«

»Ich fürchte nichts, wenn ich Ihnen nahe sein darf. Mein gefährlichster Feind ist der in meiner Brust. Und dieser ist geschlagen und besiegt, und liegt ohnmächtig, gefesselt von der Gewalt Ihrer Blicke.«

»Ihr habt nicht wohlgetan, Kapitän. Wir hatten auf ewig Abschied genommen. Wir hätten uns nicht wiedersehen sollen. Nun habt Ihr die unterirdischen Geister beschworen, wundert Euch nicht, wenn sie heraufsteigen und Euch mit Rabenflug umkreisen. Mir bangt vor Euch! Mein eigener Bruder wird Euch verderben. Hört meinen Rat. Flieht eilig aus diesem Land, wo Euch niemals ein Glück blühen kann.«

»Nur mit dir, Friederike!«, rief Norcroß und stürzte zu ihren Füßen.

»Seid Ihr rasend? Denkt an Frau und Kind!« »Mag mich der Tod hier treffen! In Ihrer Nähe sterben wird mir Wonne sein.«

»Armer Unglücklicher!«, sagte Friederike, beugte sich und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.