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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Nocroß im Kerker

Der-Freibeuter-Dritter-TeilDer Freibeuter
Dritter Teil
Kapitel 12

Der tapfere Kaperkapitän hatte schon mehrere Tage im Gefängnis gelegen, als er aus dem vergitterten Fenster wahrnahm, wie auf dem nicht weit entfernten Platz, den er übersehen konnte, ein Gerüst aufgebaut wurde. Er blieb nicht lange in Zweifel über den Zweck desselben. »Ha, das ist der Altar, der Opferherd der Rache, welchen die wutentflammten Priester dieser unterirdischen Göttin bauen, da soll das unschuldige Opfer geschlachtet werden, hier soll der Mann fallen, welcher gewagt hat, die angemaßten Vorrechte eines habgierigen Adels anzutasten, der es nicht dulden wollte, wie Einzelne sich für berufen ausgaben, von Gottes Gnaden den Schweiß und das Blut ihrer Brüder zu verschwelgen. Nun so opfert ihn denn, wie ihr Euren König gemordet habt, schlachtet auch mich, weil ich beide liebte und ihnen treu diente. Aber der Geist der Vergeltung wird früh oder spät über die Häupter eurer Enkel als der erzürnte Genius der Zeit dahinfahren und sie im Flug mit dem Schwert abmähen, welches ihm zur Versöhnung der von euch mit Füßen getretenen Menschheit der Allmächtige selbst in die Hände gegeben hat.«

Der Altar wurde geschmückt, mit Leichentüchern behangen. Der Tag kam, die geduldige Menschenmasse, das mit Blindheit und törichter Furcht geschlagene Volk umflutete das Schafott. Ernst und würdig trat der Mann hinauf, der, einer der größten seines Jahrhunderts, mit hohen Geistesgaben und vortrefflichem Herzen einen Staat auf die höchste Spitze seines Glücks zu führen imstande war, der den besten und heiligsten Willen gehabt hatte, Schwedens wohltätiger Genius zu werden. Er legte, ohne zu zittern, sein Haupt dem Beil des Henkers hin. Görz starb, und Norcroß weinte dem Los des Guten und Schönen auf Erden schmerzensbittere Tränen.

Die Rache war befriedigt, aber ein allgemeines Murren ging durch das ganze Land. Es wurden in Schweden sehr missbilligende Stimmen von außen vernommen. Die Stimme in der eignen Brust erwachte und man fürchtete sich im Reichsrat allgemein, die Sache des Kaperkapitäns vorzunehmen. Man scheute sich, jetzt unangenehme Dinge, von denen man lieber gar nicht gesprochen haben wollte, noch einmal in Erinnerung zu bringen. Die Herren fühlten, dass eine zweite Übereilung die erste nicht gutmachen könne. Sie begriffen aber auch eben so leicht, dass, wenn sie dem gefangenen Norcroß Gelegenheit zur öffentlichen Verteidigung geben würden, er sich völlig rechtfertigen und dadurch nur noch mehr gewinnen werde. Endlich lief es ihren Grundsätzen zuwider, den Kapitän auf freien Fuß zu setzen, weil sie sich dadurch eine große Blöße gegeben haben würden. Darüber verstrich eine Zeit um die andere. Der arme Kaperkapitän war endlich fast vergessen.

Norcroß schmachtete im Kerker. Frühling und Sommer gingen vorüber, er hatte mit keiner menschlichen Seele weiter als mit seinem Kerkermeister ein Wort gesprochen. Tage kamen und gingen, und Verzweiflung kam und ging. Sein Herz erbitterte sich täglich und stündlich mehr gegen die Menschen, er fraß all den heißen Gram in sich hinein und verschluckte seine Tränen. Aber diese Stürme des Grams, diese Blitze der Wut, diese Flut der Tränen vertilgten zuletzt alles menschliche Gefühl in seiner Brust und versteinerten sein Herz, sodass keine sanfte Regung mehr in ihm aufzukommen vermochte. Oft wenn er in den einsamen Mitternächten sich auf seinem Strohlager schlaflos wälzte, da stieß er zähneknirschend grässliche Flüche über die Menschen aus und schwur hoch und teuer bei den ewigen Sternen, die ihr Licht in sein Gefängnis gossen, Rache zu nehmen, furchtbare Rachen an allem, was sich zur bevorzugten Menschenrasse zählte. Dann malte sich seine wilde Fantasie die Bilder der Rache aus, und dieses ausgelassene Spiel seiner Fantasie war gewissermaßen der Nahrungsstoff seines Lebens. Ohne dasselbe wäre er entweder ein Raub des an seiner Gesundheit zehrenden Grams und der ungesunden Lebensart, oder der über seine Seele wie gespensterreiche Mitternacht mit Rabensittichen hinziehenden Verzweiflung geworden. Der Gedanke, sich den Kopf an der Mauer seines Kerkers oder an den Eifenstäben des Fensters einzustoßen, der ihn wohl zuweilen heimgesucht hatte, kam nicht mehr in seine Seele. Der Genius der Rache beleidigter Unschuld erhellte ihm mit flackernder Fackel die Nacht und verscheuchte alle Unbilden derselben.

Auch der Herbst neigte sich schon seinem Ende zu. Schon ganzer neun Monate hatte Norcroß im Gefängnis gelegen. Vergebens hatte er seinen Kerkermeister zu gewinnen, vergebens durch ein kühnes Durchbrechen zu entfliehen gesucht. Das Erstere war stets an der eisernen Gleichgültigkeit eines Menschen, der an gar nichts Interesse nimmt, weder am Guten noch am Bösen, weder an der Erde noch am Himmel, das Zweite an der Höhe des Turms gescheitert, auf welchem der Kapitän saß. Da trat eines Morgens – es war Ende Oktober – ein niedliches, ungefähr sechszehnjähriges Mädchen in das Gefängnis, um ihm den Krug mit frischem Wasser zu füllen und das Frühstück zu bringen. Sie grüßte freundlich und sagte: »Mein Vater ist krank geworden in dieser Nacht, deshalb nehmt’s nicht übel, Herr, dass ich komme und Euch bediene. Der Vater will nicht, dass ein Knecht herein soll zu Euch. Er sagte, das wäre ein Schimpf für Euch, denn Ihr wäret ein englischer Edelmann und ein gar berühmter Seefahrer und Freund des verstorbenen Königs. Deshalb müssen mir die Knechte nur aufschließen und draußen auf mich warten. Ihr seid doch nicht unwillig?«

»Ei, liebes Kind, von Herzen froh bin ich, dass ich einmal ein anderes Gesicht sehe und eine andere Stimme höre, als die deines Vaters. Wirst du mich denn so lange bedienen, wie dein Vater krank ist, und täglich zu mir kommen?«

»Ei, versteht sich! Aber ich denke doch nicht! Denn seht, es könnte wohl bald ein junges Bürschlein statt meiner kommen, ein blutjunges hübsches Kerlchen. Hi, hi! Ihr werdet mich schon verstehen.«

»Dein Schätzchen wohl, du blauäugiger Schelm?«, fragte der Kapitän, von einem ihm wohltuenden Gefühl durch die kindlich offenen, zutraulich freundlichen Reden des lieben Mädchens angeweht.

»Ei freilich!«, kicherte sie. »Der Vater war immer dawider und meinte, der Bursche sei noch viel zu jung und ich auch, aber er ist sechszehn Jahre alt und ich bin’s auch. Ist das nicht ein hübsches Alter, und wir lieben uns recht herzlich; ja ich fühle und bin der festesten Überzeugung, dass ich meinen Jungen nicht lieber haben könnte, wenn ich hundert Jahre alt würde. Er hat sich dem Vater schon vielmal angeboten als Knecht und will nicht einmal Lohn haben, nur mit der Bedingung, dass wenn er sechs Jahre redlich gedient, so solle der Vater mich ihm zum Lohn geben. Es wird ja wohl eher schon Rat dazu werden. Aber so lang der Vater den Dienst selbst versehen konnte, wollte er nichts davon wissen. Jetzt, da er krank darniederliegt, wird er mich schon eher anhören. Erst will ich sehen, wie es mit seiner Krankheit läuft. Aber nächster Tage sprech’ ich gewiss mit ihm. Diesen Abend will ich’s erst meinem Geliebten mitteilen und dessen Meinung darüber hören.«

»Tu das, mein Kind,« sagte Norcroß. »Dir blüht so des Lebens Mai in seiner schönsten Blüte. Liebt euch und seid glücklich. Dann bedient Ihr mich abwechselnd, denn ich möchte nicht, dass du deinen Anblick mir ganz entzögest.«

»Das will ich auch nicht, weil Ihr so gut seid, und mir alles Schöne wünscht.«

Am anderen Tag trat die Kleine munter und froh herein und rief gleich: »Der Alte hat nachgegeben und Ja gesagt. Wie bin ich froh und glücklich! Ich möchte vor Freuden tanzen und Euch umarmen. O, freut Euch doch auch mit mir! Ach, Ihr seht so ernst und finster drein. Denkt doch, mein Geliebter kommt ins Haus. Diesen Abend soll er Euch schon bedienen und Euer Abendbrot bringen. O, ich bin ganz närrisch in den allerliebsten schönsten Jungen verliebt! Es hätte mir kein größeres Glück widerfahren können, als dass mein Vater krank geworden ist und den Dienst nicht mehr versehen kann. Ihr sollt aber auch froh sein, Herr. Deshalb habe ich Euch eine Flasche guten Wein mitgebracht und auch ein viel besseres Frühstück, als Ihr, der Vorschrift nach, erhalten sollt. Da esst und trinkt, und freut Euch mit mir!«

»Das will ich, du herziges Mädchen! Komm, dein junger Geliebter soll leben! Er bringt so auch junges frisches Leben in meinen Kerker.« Und das lang entbehrte Labsal des Weins schlürfend, wurde dem Unglücklichen wohl. Bald erfüllte der lichte Weingott die Wände des Kerkers mit bunten Bildern, rief Harmonien aus den feuchten Steinen und bekränzte endlich das erheiterte Haupt des Gefangenen mit einem frischen Kranz von Weinlaub und Mohnblumen, die ihm die Schläfe kühlten und sanft in Schlummer wiegten, um ihm die Seligkeit baldiger Befreiung in schöner Vorahnung zu verkünden. Er sah einen lieben, befreundeten Engel in das düstere Kerkergemach treten, ihn an der Hand nehmen und hinwegführen über Land und Meer, weit von dannen und immer weiter. Und sie schritten über die Meere und ihre Füße wurden nicht nass. Der wohlbekannte Engel sprach aber immer freundliche Worte.

Als Norcroß aus seinem langen erquickenden, von himmlischen Traumbildern angefüllten Schlaf erwachte, neigte sich der Spätherbsttag bereits seinem Ende. Der Kapitän rief sich mit einer Wehmut, wie er sie noch nicht empfunden hatte, seit er im Gefängnis lag, die Einzelheiten des Traumes in die Seele zurück, da knarrte die Tür, und ein Jüngling trat herein. Norcroß konnte die Gesichtszüge wegen der schon eingetretenen Dämmerung nicht erkennen, aber er bemerkte, dass der junge Mensch die Tür hinter sich wieder sorgfältig verschloss und dann mit raschen Schritten auf ihn zueilte. Da richtete der Kapitän sein Auge schärfer auf den neuen Wärter, der eben stumm und zitternd die Arme ausbreitete und an des Gefangenen Brust sank.

»Juel!«, rief dieser überrascht. »Bist du es wirklich, Herzensjunge? Juel bist du es?« Er zitterte vor Freuden und drückte den Burschen an sein hoch aufwallendes Herz und küsste ihm Wangen und Mund. »Ich habe soeben von dir geträumt, Junge! Da warst du ein Engel.«

»Ihr ich bin es!«, rief der Bursche Freudentränen vergießend. »Ja, ich bin es, mein teurer Herr und Meister, und bin gekommen, Euch zu befreien, Euer Engel zu werden.«

»Du mich befreien, Junge? Bist du toll geworden? Wie willst du das anfangen?«

»Ach, lieber Herr, angefangen habe ich es schon vor sechs Monaten. Jetzt will ich es nur zu Ende bringen.«

»Nun, so lass hören, du schlauer Schelm! Welche Anstalten hast du getroffen? Ihr traue deiner Klugheit alles zu. Du bist in einer guten Schule gewesen und wirst gewiss in allen Dingen deinem Lehrmeister Ehre machen.«

»Wir erfuhren Euer trauriges Schicksal bald in Marstrand«, erzählte der Bursche. »Ach! Ich hatte es Euch vorausgesagt. Wir erhielten auch sofort einen anderen Kapitän auf dem Dänenfeind, das Schiff wurde umgetauft und Ulrike genannt, und wir unter die Marine gestellt. Ich konnte diese Dinge nicht ertragen. Mein Herz sehnte sich nach Euch, trauerte um Euch. Wie oft habe ich unsere letzte Reise verwünscht! Wenn Ihr des Königs Karl Anerbieten angenommen hättet, in die Admiralität zu treten, so wären wir jetzt alle geborgen.«

»Freilich!«, seufzte Norcroß. »Ihr hätte Güter und Ehren. Wer aber hätte auch so etwas glauben sollen?«

»Ich entwischte,« fuhr der Bursche fort, »und kam hierher zu Eurer Gemahlin. Aber sie konnte sich selbst nicht trösten, wie sollte sie mir Trost geben? Sie lebt von der Unterstützung ihres Vetters, des Grafen Mörner, und hat weiter keinen Freund. Sie weinte bitterlich, dass der Wollstrupp, der jetzt höher gestiegen ist, ihr immer böse Anträge mache und ihre Untreue zur Bedingung Eurer Befreiung stelle, aber sie schwur, dass sie ihn stets mit Abscheu zurückweise und Euch eher im Kerker verschmachten lassen wolle, als Euch mit solcher Schmach loskaufen. Aber einen anderen Anschlag zu Eurer Befreiung wusste sie nicht zu geben, alle rechtlichen Mittel und Wege waren von ihr und dem alten Grafen schon vergebens versucht worden. Da beschloss ich in meinem Herzen, auf meine eigene Hand zu handeln. Zuerst mittelte ich Euer Gefängnis aus, umschlich den Turm und maß dessen Höhe. Ich dachte auch schon an Leitern, Durchbrechen und dergleichen Dinge. Da bemerkte ich eines Tages bei einem solchen Katzenschlich ein junges Mädchengesicht aus einem Fenster des an dem Turm hängenden weißen Hauses nach mir schielen. Ich grüßte freundlich und erhielt freundlichen Dank. »Wie?«, dachte ich, »wenn vielleicht durch dies unschuldige Geschöpfchen ein Weg zu deinem lieben Herrn auszumitteln wäre? Wer mag sie sein? Ich ging mehr um das Haus. Das Kind kam, um Wasser am Brunnen in einem Krug zu holen. Es war Abend, ich ging ihr nach und redete sie an. Das Gespräch war bald im Gange, und nach einer Stunde wusste ich, dass sie die Tochter des Kerkermeisters sei, dass ihre älteren Brüder in die Welt gegangen seien, weil der Vater so streng gegen sie gewesen war, dass die Mutter schwach und kränklich sei, kurz, ich erfuhr die ganze kleine Geschichte des Hauswesens Eures Kerkermeisters. Ich sah wohl, dass ich dem Mädchen gefiel, und versprach alle Abende zu kommen; und ich kam alle Abende. Bald fing es auch unter meiner Matrosenjacke an, unruhig zu werden. Ich fühlte, dass ich Jane gut war. Sie aber war sterblich in mich verliebt. Was war natürlicher, als dass wir Pläne machten, wie wir hübsch zusammenleben möchten, und dass mir nichts erwünschter sein konnte, als in das Haus des Kerkermeisters und danach endlich zu Euch zu kommen. Ich ging selbst zu dem Alten. Ich steckt mich hinter Janes Mutter, schmeichelte ihr und war gegen beide die liebe Freundlichkeit selbst. Aber es half alles nichts, der Alte war ein unbearbeitbarer Klotz. Jane begehrte mich nun zum Mann, sie hatte die Mutter auf ihrer Seite. Auch dies schlug nicht an. Unterdessen verstrich die Zeit, und eine andere Verlegenheit begann mich zu drücken. Meine kleine Kasse ging nämlich zur Neige und ich musste, so sehr ich mich auch einzurichten verstand, doch täglich von der Schnur leben. Deshalb musste ich mich im Ernst verdingen. Ich fand einen Dienst als Laufbursche bei einem reichen Kaufmann in der Nähe Eures Kerkers. Jane hatte mir dieses Plätzchen verschafft. Ich sah Euch oft am Fenster aus der Ferne und versuchte mich Euch durch Zeichen bemerkbar zu machen; aber Ihr habt niemals darauf geachtet. Inzwischen ließ ich die Hoffnung nicht sinken und arbeitete immer still und vorsichtig an mancherlei Plänen zu Eurer Befreiung, die ich Euch ein anderes Mal, wann mir längere Zeit bei Euch zu verweilen vergönnt sein wird, erzählen will, d. h. auf einem stattlichen Schiff, auf welchem wir – so Gott seinen Segen gibt, und das wird er; ich vertraue auf ihn! – bald in das weite, freie, schöne Meer hinausschwimmen wollen. Ja, glaubt nur, Kapitän, es hat mir ungeheure Mühe gekostet, das verfluchte Landleben und nun vollends das zweimal verfluchte Stadtleben gewohnt zu werden. Nun der Umgang mit meiner lieben armen Mutter hat mir’s so doch ein bisschen versüßt. Aber fast wäre ich gestorben vor langer Weile und anderer Plage. Aber ich weiß so, Euretwegen hielt ich noch Schlimmeres, so das Allerschlimmste aus, was überhaupt ein Mensch auszuhalten vermag.«

»Lieber, lieber Junge!«, rief Norcroß und zog Juel wieder an seine Brust. »Doch weiter!«

»Nun, es wird nicht viel mehr sein. Ich lag der Jane und ihrer Mutter immer in den Ohren, mich ins Haus zu bringen, und diese beiden dem Alten, und da alles nichts half, praktizierte ich diesem vor einigen Tagen abends ein Stück Alaun aus meinem Kaufmannsladen in die Biersuppe. Daran hat er sich denn richtig, wie ich voraussetzte und zuversichtlich hoffte, krank gegessen und in selbiger Nacht noch schlimme Dinge angerichtet. Das hat nun gleich geholfen; die Frauen ließen nicht nach, bis ich im Haus war, und ich ließ nicht nach, bis ich bei Euch war, mein geliebter Kapitän.«

»Aber was soll nun werden, mein Junge?«

»Etwas sehr Einfaches. Morgen des Tags verschaffe ich mir durch Eure Gemahlin Geld für Euch. Ich miete sodann ein Boot, welches bis zu Mitternacht bereit ist. Dann öffne ich Euch zur rechten Zeit den Kerker, wir fliehen auf das Boot und rudern, dass uns die Hände bluten. Ehe es Tag wird, sind wir im Meer. Dann wird uns Gottes Vaterhand weiter führen.«

»Aber ohne meine Frau, mein Kind?«

»Ihr könnt sie nachkommen lassen, wenn Ihr erst einen festen Platz habt; sie hält niemand.«

»Und sie nicht einmal erst sehen? Mein Herz zieht mich zu ihnen.«

»Das Herz muss schweigen; auch das meine. Ihr könntet Euch verraten.«

»Du hast recht, lieber Juel. Aber was wird aus deiner Jane? Sie ist ein liebenswürdiges Kind! Willst du sie nicht mitnehmen?«

»Wo denkt Ihr hin? Sie könnte uns ja zur Stelle verraten. Was wird aus ihr?«, sagte der Bursche leise, seine Stimme wankte, und sein Auge füllte sich mit Tränen. »Sie muss hierbleiben und wird schon einen anderen Geliebten finden«, setzte er dann rasch sich selbst ermutigend hinzu.

»Armer Junge! Du willst mir auch noch deine erste Liebe opfern? O, die gilt so mehr als das Leben! Und das Mädchen liebt dich zu heftig. Das Herz wird ihr brechen.«

»So muss es brechen!«, weinte der Jüngling laut. »Ihr seid mir doch mehr wert als ihr Herz. Um Euch ließ ich die Welt zugrunde gehen.«

»Die erste Liebe ist mehr als die Welt. Jüngling, ich weiß dein Opfer zu schätzen! Du stehst groß vor mir da, wie ein nie gesehener Held. Komm an mein Herz, edler, vortrefflicher Mensch! Nenne mich Bruder. Ich bin’s!«

»Mein Bruder!«, stammelte Juel an des Kapitäns Brust. Ein heiliger Augenblick flog an ihnen vorüber, der ihre Herzen mit Zaubergewalt größer machte.

Am anderen Morgen besorgte Juel in heimlicher Stille alles, wie er es gelobt hatte. Die Nacht stieg herauf. Mit Vorsicht brachte er die Schlüssel des Kerkers und Hauses beiseite. Als die Schlafenszeit kam, drückte er Jane einen innigen Kuss auf die Lippen.

Sie bemerkte seine Bewegung und fragte teilnehmend: »Was fehlt dir, Juel?« Aber er blieb stark, obwohl ihm der Schmerz die Kehle zuschnürte.

»Mir ist wohl!«, sagte er endlich, als sie ihm mit weicher Hand die Haare aus der Stirn strich. »Geh schlafen, Jane!«

»Nein, du weinst und ich gehe nicht eher, bis du mir gesagt hast, warum?«

Nun musste er das gute Wesen belügen, so weh es ihm auch tat.

»Meine Mutter ist gestorben. Du hast sie ja gekannt.«

»Ei, sie war ja vorgestern noch bei dem Kaufmann drüben. Armer Junge! Nun, ich will dich um so lieber haben. Schlaf wohl!«

»Schlaf wohl, mein Engel! Und lebe wohl! Vielleicht auf ewig wohl! Du schöne Blume!«, flüsterte er heiß weinend hinter ihr her. Dann ging er auch in seine Kammer. Mit Herzklopfen zählte er hier die Stunden bis zu Mitternacht. Am Tag hatte er sich schon mit Norcroß verabredet. Die Stunde schlug. Leise, zitternd schlich der Jüngling die Stiege hinauf. Das Knarren der Tür konnte unten nicht mehr vernommen werden. Glücklich kamen sie ins Freie. Die Schlüssel warf Juel in den Hausflur. In schnellster Eile stürzten sie zu dem Ort, wo das Boot hielt. Die Riemen wurden aus allen Kräften gestrichen und die aufgehende Sonne sah die beiden Flüchtlinge schon weit, weit von Schwedens Hauptstadt, auf der glänzenden Fläche der Ostsee schwimmen. Rastlos ging die Fahrt.

»Wohin, mein teurer Bruder? Wohin nun?«, fragte Juel.

»Nach Frankreichs gesegnetem Land!«, versetzte Norcroß. »Dort winkt mir neues Glück. Wir segeln jetzt zu einem deutschen Hafen, und von dort reisen wir zu Lande nach Paris. Dort wird sich’s finden.«

»Und Gott wird uns segnen!«, rief der Jüngling.