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Die Flusspiraten des Mississippi 12

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

12. Der Mulatte

Der Mulatte, denn dieser war es, blieb nun vorsichtig stehen und lauschte, ob auch wirklich alle schliefen und nicht vielleicht jemand auf der Lauer liege und den nächtlichen Feind beobachtete. Lange verharrte er in dieser Stellung.

Undurchdringliche Finsternis herrschte in dem kleinen Raum, welcher die von des Tages Anstrengung und Hitze ermüdeten Männer umschloss. Das Feuer im Kamin war niedergebrannt, und nur zwischen den Balken des Daches fand das matte Dämmerlicht des Mondes einen Zugang. Nichts regte sich – kein Geräusch war zu hören außer dem regelmäßigen Atmen der Schlafenden. Der Mulatte glaubte das Schlagen seines eigenen Herzens so deutlich zu hören, dass er schon fürchtete, es müsse ihn verraten. Er presste die breite schwielige Hand fest darauf, diese augenblickliche Schwäche zu überwinden.

Endlich mochte er sich wohl überzeugt haben, dass ihm hier noch keine Gefahr drohe. Er griff jetzt leise hinauf über die Tür, wohin die Farmer stets auf dort eingeschlagene Pflöcke ihre langen Büchsen legen. Ein triumphierendes Lächeln durchzuckte sein Gesicht, als er den Lauf der Waffe fühlte. Schnell und ohne Zögern hob er sie herunter. Nun musste er aber auch noch die Kugeltasche haben. Dem Jägerbrauch nach hing diese an dem Pflock, der den Kolben getragen hatte.

»Pest!«, fluchte er leise, als er den leeren Platz dort fühlte. Sie war nicht da, und wo sollte er jetzt zwischen den sicher nur leicht schlafenden Männern die kleine Tasche finden? Musste ihn nicht das kleinste Geräusch verraten, und würde es ihm möglich sein zu entkommen, wenn er erst einmal entdeckt und verfolgt würde? Hier half aber kein Besinnen, denn er wusste, dass ihn sein weißer Begleiter nicht ohne Gewehr durch die Sklavenstaaten der Freiheit entgegenführen würde. Die Zähne fest aufeinandergepresst, die Rechte am Griff des Messers, erfühlte er sich den Weg links an der Wand hin und hoffte dabei die ersehnte Kugeltasche auf irgendeiner Stuhllehne oder auf jeden Fall neben dem Kamin aufgehängt zu finden.

Jetzt war er an dem Wandschrank, der das einfache Haus- und Küchengerät der Familie trug, und unten – er streifte mit dem Bein daran -steckte der Schlüssel. Das musste jedenfalls der Aufbewahrungsort für Lebensmittel sein. So stark quälte ihn in diesem Augenblick nagender Hunger, dass er alles andere vergaß, ja selbst die Gefahr nicht achtete, der er sich aussetzte, und so geräuschlos wie möglich die kleine Schranktür öffnete.

Er fühlte dort eine große Schüssel, die, wie er sich bald überzeugte, Milch enthielt. Gierig hob er sie an die trockenen Lippen und trank in langen, durstigen Zügen. Kaum konnte er sich entschließen, die Schüssel wieder abzusetzen. Dann tastete er weiter, um vielleicht etwas zu finden, das er auf seine Wanderschaft mitnehmen könnte. Er fand zwar nur wenige Stücke Maisbrot, schob diese jedoch schnell in sein Hemd, das der Gürtel zusammenhielt, und hob nun noch einmal das Gefäß an den Mund.

»Lasst mir auch noch was drinnen!«, sagte da plötzlich eine Stimme dicht neben ihm, und fast wäre ihm vor lähmendem Schreck das schwere Gefäß aus der Hand gefallen. Seine Glieder bebten, regungslos stand er da und wagte kaum zu atmen.

»Mr. Cook!«, sagte dieselbe Stimme jetzt wieder. »Mr. Cook!«

»Was gibt’s?«, fragte dieser schlaftrunken von seinem Bett her. »Treib ihn hinaus – er ist über die Fenz gesprungen.«

»Wer?«, fragte Hawes erstaunt.

»Der Rappe«, murmelte Cook.

»Unsinn – schwatzt der im Schlaf von Pferden und Fenzen. Ich glaubte, Ihr wäret aufgestanden und tränket einmal.«

»Ja, ja – was gibt’s«, rief jetzt Cook, der sich, munter werdend, im Bett aufrichtete.

»Ich bin fürchterlich durstig«, sagte Hawes, »und glaubte, ich hätte Euch trinken. Wo steht denn das Wasser?«

»Draußen vor der Tür, auf dem kleinen Brett – gleich links«, erwiderte ihm der jetzt völlig munter gewordene Cook. »Der Flaschenkürbis zum Schöpfen hängt darüber am Nagel. Wollt ihr aber nicht lieber Milch trinken? Im Schrank steht eine ganze Schüssel voll, sie wird doch bis morgen früh sauer.«

Der Mulatte setzte schnell und leise die Schale nieder und zog das Messer aus der Scheide. Seine Entdeckung schien jetzt unvermeidlich, denn in der Dunkelheit durfte er, ohne sich zu verraten, keinen Schritt wagen. Wusste er doch gar nicht, wohin und auf wen er treten konnte.

»Nein, ich danke«, erwiderte Hawes, »Wasser wäre mir lieber. Das ist aber eine Finsternis hier, man kann Hals und Beine brechen.«

»Blast die Kohlen im Kamin ein wenig an«, rief ihm Cook zu, »rechts in der Ecke liegen ein paar Kienspäne.«

Der Mulatte fasste sein Messer fester und hoffte jetzt nur noch, sobald das Feuer emporflackerte, auf die erste Überraschung der Männer, um das Freie glücklich zu erreichen. Vorher durfte er keinesfalls wagen, seinen Platz zu verlassen, da er im Dunkeln ja kaum die genaue Richtung kannte, die zur Tür führte, und ihm überdies dort, wo er sich gerade befand, noch allein die Hoffnung blieb, nicht entdeckt zu werden. Hawes blies jetzt mit aller Macht in die heiße Asche, vermochte aber keine Flamme zu erwecken, sondern blies sich nur die Asche ein paar Mal in die Augen. Endlich sprang er unwillig wieder auf und rief: »Der Teufel mag das Feuer holen. Nicht das kleinste Stückchen Glut ist mehr zu finden.«

»Ihr könnt ja nicht fehlen und braucht gar nicht aus dem Haus zu gehen«, bedeutete ihm Cook, »wenn Ihr auf die Schwelle tretet, habt Ihr den Wassereimer gleich linker Hand.«

»Wieviel Uhr ist es?«, fragte James, der ebenfalls erwacht war.

»Es kann noch nicht so spät sein!«, erwiderte Hawes, »aber, Donnerwetter, jetzt hab ich mir die Knochen an einem Büchsenschloss geschunden -und, was ist denn das? Die Tür steht ja offen, da wird wahrscheinlich einer von den verwünschten Kötern hereingekommen sein. Wer lässt aber auch die Büchse hier unten stehen!«

»Nun, meine Büchse kann es doch wahrhaftig nicht sein!«, rief Cook, »die habe ich gestern Abend selbst hinauf auf ihren Platz gelegt.«

»Dann ist sie von selber wieder heruntergekommen«, brummte Hawes, »denn hier steht sie, und das Zeichen davon trag ich am Schienbein.«

»So hat sie der verwünschte Junge gehabt – he, Bill!«

»O, lasst den um Gottes willen schlafen. Es wäre schade, das schöne Schnarchen zu stören. Der Herr sei uns gnädig, der bläst ja wie nach Noten!«

Hawes legte bei diesen Worten das Gewehr wieder an seine Stelle auf die Pflöcke, dann trat er in die Tür, fand den Eimer und trank das kühle Wasser mit mehreren Ausrufen unverkennbaren Wohlbehagens.

»Ach!«, sagte er, als er mit dem langstieligen Flaschenkürbis wieder den Nagel suchte, an dem er gehangen hatte, »das tat gut – es gibt doch nichts Herrlicheres, wenn einen recht durstet, als einen Schluck Wasser.«

»Besonders, wenn Whisky drin ist«, fiel hier Cook ein, der ebenfalls zum Eimer trat, seinen Durst zu löschen. »Wo sind denn aber die Hunde? He, Deik – he, Ned, Bohs, Watch, hallo! Wo steckt ihr Kanaillen alle?«

Die Tiere, die bis jetzt hinten am Haus gelegen hatten, kamen winselnd hervor, wedelten vor der Tür herum und wollten an ihrem Herrn hinaufspringen.

»Fort mit euch, nieder!«, rief aber Cook, »was liegt ihr alle miteinander dort hinten unter dem Hirschfleisch? Einer ist genug. Du, Watch, willst du hinaus? Bohs, so hol doch der Teufel die Hunde, willst du fort, Kanaille!«

»Was haben sie denn?«, fragte James.

»Ei, die Sappermenter wollen mit aller Gewalt hier herein«, rief Cook ärgerlich, »und schnüffeln, als ob sie eine wilde Katze auf dem Baum hätten. Hol sie der Henker!«

Erst mit vieler Mühe gelang es ihm, die Tür zu schließen, denn die beiden Größten der Hunde schienen sich ihren Weg in das Innere des Hauses erzwingen zu wollen. Endlich aber brachte Cook den hölzernen Pflock wieder an, tappte, während er Hawes führte, zu seinem Lager zurück und legte sich nieder, schimpfte jedoch dabei noch fortwährend auf die »Bestien«, wie er sie nannte, die nun draußen vor der Tür lagen und winselten.

Hawes schlief endlich wieder ein, Cook wälzte sich aber noch immer auf dem Bett herum, denn die Hunde wurden mit jedem Augenblick unruhiger und kratzten jetzt schon an der Pforte und an der Seite des Hauses, an welcher der Schrank stand. Einer heulte sogar auf schauderhafte Art.

»Nein!«, schrie Cook endlich, indem er wieder aufsprang, »das ist zum Rasendwerden. Wenn die Kanaillen jetzt nicht augenblicklich ruhig sind, dann soll sie der Teufel holen! Sie müssen aber doch wahrhaftig etwas wittern, sonst könnten sie sich ja gar nicht so toll und wunderlich anstellen.«

»Wittern?«, brummte Hawes, der durch den Lärm ebenfalls wieder munter geworden war, »was sollen sie denn hier wittern? Ich hatte, als ich in der Tür stand, die Büchse in der Hand, und nun glaubt das dumme Viehzeug wahrscheinlich, wir wollten Waschbären jagen gehen. Mir wär’s jetzt gerade danach.«

Cook stolperte indessen zur Tür, stieß diese auf und begrüßte die ihn hier fröhlich anbellenden Hunde mit einem Hagel von Schimpfwörtern und warf mehrere derbe Gegenstände, die ihm gerade in die Hand fielen, nach ihnen.

»Da!«, rief er dabei, »da, du Kanaille – und da – du Biest, du – und da, das ist für dich. Und nun rührt euch wieder, ihr Racker, muckst euch, wenn ihr es wagt. Fort mit euch, ans Fleisch, wo ihr hingehört!«

Die Hunde gehorchten endlich, wenn auch mit vielem Widerstreben, und Cook schloss die Tür zum zweiten Mal.

»Es ist doch eine Finsternis hier«, sagte er jetzt, während er sich umdrehte, um zu seinem Bett zurückzutappen, »dass man die Hand nicht vor Augen sehen kann. Wo bin ich denn eigentlich hier hingeraten? Wetter noch einmal, das ist hier der Schrank – da muss ich ja rechts hinüber.«

»Hier lieg ich«, sagte Hawes, der das Lager mit ihm teilte.

»Komme gleich!«, erwiderte Cook und stand in diesem Augenblick vor dem gezückten Jagdmesser des Mulatten, kaum zehn Zoll von diesem entfernt, der sich, so dicht es gehen wollte, an die Wand gedrückt hatte. Ein einziger Schritt – ein einziges Ausstrecken der Hand musste Cook mit ihm in Berührung bringen, und dass der zum Äußersten getriebene Mulatte sich dann auch nicht bedenken würde, den Farmer unschädlich zu machen, der für den Augenblick seiner Flucht hier hemmend im Weg stand, war vorauszusehen. Aber Cook wandte sich dicht vor der dunkeln Gestalt um, stieg über Bill und James hinweg und tastete sich zum eigenen Lager, auf das er sich ermüdet warf und auch bald wieder einschlief.

Tiefe Stille herrschte aufs Neue in dem Raum, nur das regelmäßige Atmen der Schläfer war zu hören. Vorsichtig hob der Mulatte jetzt noch einmal die Schale, trank auch den letzten Rest Milch und schlich nun so geräuschlos wie möglich zur Tür zurück. Da stieß er mit dem Fuß an einem von Cook in den Weg geschobenen Stuhl, und von zwei Menschen war das Atmen nicht mehr zu hören. Er wusste, sie waren erwacht oder wenigstens im Schlaf gestört. Bewegungslos verharrte er, merkte aber bald, dass nur das Letzte der Fall gewesen sein musste, denn kurz darauf fielen sie wieder in den allgemeinen Schnarch- und Atemchor ein.

Als aber Dan den Stuhl vorsichtig beiseiteschieben wollte, berührte sein Finger an der Stuhllehne einen Ledergurt. Rasch tastete er daran hinunter und fand hier die ersehnte Kugeltasche. Schnell hing er sie um seinen Nacken und wollte eben weiterschleichen, da fühlte er auf dem Sitz des Stuhles eine zweite Tasche. Welches war nun die Richtige? Und einen Moment stand er unschlüssig – aber um sicherzugehen, nahm er alle beide, trat geräuschlos an die Tür, fühlte nach der Büchse, die Hawes wieder hinaufgelegt hatte, hob sie leise herab und zog jetzt den Pflock heraus, der die Tür verschlossen hielt.

Waren die Hunde noch auf der Wacht?Dann würde er verloren sein. Laut pochte sein Herz, als er die Tür ein wenig öffnete. Glücklicher Zufall – keiner der Hunde war zu sehen. Der Befehl des Herrn hatte sie alle hinter das Haus gewiesen. Konnte er jetzt nur fünfzig Schritt Vorsprung gewinnen, so war er gerettet.

»Seid Ihr es, Mr. Hawes?«, fragte jetzt James, der in diesem Augenblick von dem kalten, über ihn hinstreichenden Luftzug erwachte, »wer ist an der Tür?«

Keine Antwort erfolgte, kein Laut ließ sich hören, und James glaubte schon geträumt zu haben. Der Dieb aber stand auf der Schwelle, im Freien, die kalte Nachtluft kühlte seine brennenden Wangen. Vorsichtig glitt er in der Dunkelheit dem nahen Dickicht zu. Schon hatte er die niedere Fenz erreicht, und zitternd überstieg er sie, als er mit dem linken Fuß den Stiel einer Hacke berührte, die jetzt umfiel.

Da schlug Bohs an, ihm folgte Watch, und im nächsten Augenblick rannten die Hunde um das Haus herum. Mit langen, mächtigen Sätzen floh aber der Mulatte, die Büche hoch emporhaltend, dem Wald zu, hatte gerade, als die Meute auf seiner Fährte heulend anschlug, das Dickicht erreicht und rief, da er den Gefährten nicht sehen konnte: »Ins Wasser -ins Wasser!« Dann sprang er selbst, ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren, in den kleinen Bach und watete, so schnell es ihm möglich war, stromabwärts.

Wenige Sekunden später kamen auch schon die Hunde, bellend und kläffend, mit den Nasen am Boden, dort an, sprangen ohne Weiteres durch den Bach und suchten auf der anderen Seite umher. Da schlug ein junger Bracke, wahrscheinlich auf einer Kaninchen- oder Waschbärenfährte, an. Obwohl Bohs und Watch im Anfang gar nicht gesonnen schienen, dem Lärmenden zu glauben, so wurden sie doch durch das wilde Toben der Meute verlockt und brachen jetzt in langen Sprüngen hinterher, um die Jagd nicht zu versäumen und in der Verfolgung, wie gewöhnlich, die Ersten zu sein.

»Ha ha ha«, lachte der Mulatte vor sich hin, als er dem sich weiter und weiter entfernenden Lärm lauschte, »wie sich das Hundezeug jetzt abquälen wird, etwas zu finden, was gar nicht da ist. Aber die Zeit vergeht – he, Cotton, wo seid Ihr?«

»Hier!«, flüsterte dieser und schlich leise in dem Bach heran. »Alle Wetter, das hätte schlecht ablaufen können! Und die Büchse hast du wohl auch nicht?«

»So? Meint Ihr? Hier ist sie – nehmt schnell -, da, die Taschen auch, eine von den beiden wird wohl die rechte sein. Aber nun fort! Hatten wir früher, als die Hunde noch am Haus lagen, vortrefflichen Wind, so wird er jetzt, wenn sie zurückkehren, um so schlechter.«

»Wir müssen in die Hügel. Dort entgehen wir am leichtesten jeder Verfolgung«, sagte Cotton.

»Ja, aber den Bach dürfen wir in der ersten halben Stunde noch nicht verlassen, und nachher heißt es erst recht, Fersengeld geben. Cook ist ein verdammt guter Spürer, und die anderen werden ihm wohl auch nicht nachstehen.«

»Also fort!«, flüsterte Cotton, während er mit dem Ladestock probierte, ob die Waffe geladen sei, »hier wird’s mit jeder Sekunde unsicher, und seit ich das Eisen in der Hand fühle, ist mir um hundert Prozent leichter ums Herz.«

Die beiden Männer schritten jetzt schnell in dem seichten Bach voran, der mehrere Hügel voneinander trennte, und verließen ihn erst dann, als er zu weit westlich führte, während sie dem Arkansas zustrebten. An dieser Stelle lief das rechte Ufer in eine ebene, wenn auch steinige Fläche aus, während das linke sich schroff und felsig erhob und bis zum Gipfel des Bergkammes aufstieg.

Cotton und Dan wollten nach Helena, hier hofften sie, sich eine Weile versteckt halten zu können. Drohte ihnen aber auch da Gefahr, nun, so ließ sich leicht ein Boot stehlen, um über den Fluss zu entkommen.

»Ei, so wollte ich denn doch, dass die verdammten Hunde beim Teufel wären!«, rief James aufspringend, »das ist ja ein Heidenlärm die ganze Nacht hindurch, kein Auge kann man zutun.«

»Hallo – was gibt es?«, fragte jetzt auch, gewaltsam den Schlaf abschüttelnd, Cook, »mit wem spracht Ihr, James – wer war an der Tür?«

»Was haben denn die Hunde?«, meldete sich ebenfalls der noch schlaftrunkene Hawes.

»Mit wem ich sprach?«, erwiderte James, sich die Augen reibend, »ja wie zum Henker soll ich denn das wissen? Die Tür ging auf, das wollte ich beschwören, und ich dachte, es wäre einer von euch. Ich war aber so im Schlaf, dass ich mich geirrt zu haben glaubte. Gleich darauf ging der Skandal mit den Hunden los, die jetzt in …«

»Bei Gott, die Tür ist offen und meine Büchse fort!«, schrie in diesem Augenblick Cook, der indessen auf die Schwelle getreten war, dort aber kaum den Pflock entfernt fand, als er auch schon, fast instinktiv, nach seiner Waffe griff.

»Kann man denn die Tür von außen öffnen?«, fragte jetzt Hawes.

»Gott bewahre!«, rief Cook, ingrimmig mit dem Fuß aufstampfend, »die Spalten sind alle sorgfältig mit Brettern vernagelt. Einer von euch muss den Pflock entfernt haben.«

»Es hat sich keiner von uns gerührt!«, rief James.

»Dann ist auch jemand hier drinnen gewesen«, schrie Cook. »Pest und Donner! Jetzt weiß ich auch, weshalb die Hunde so außer sich waren und unbedingt hier herein wollten, und ich Esel muss dem Schuft auch noch forthelfen.«

»Habt Ihr kein Feuerzeug hier im Haus?«, fragte Hawes, »es ist ja eine Dunkelheit, dass man Hals und Beine brechen könnte.«

»Wartet – lasst mich vor«, sagte James, »ich will gleich Feuer anmachen. Ich weiß hier Bescheid, Ihr findet es doch nicht.«

Cook tastete indes im Dunkeln nach den Kugeltaschen.

»Himmel und Hölle«, brummte er dabei vor sich hin, »sollte der gottvergessene Halunke – Bill – Bill! Hat der Bengel einen Schlaf! Bill, wo hast du die Kugeltasche hingehängt?«

Bill fuhr nun zwar hoch, als er seinen Namen hörte, begriff jedoch noch lange nicht, was man von ihm wollte.

James aber, emsig damit beschäftigt, im Kamin die Glut wieder anzublasen, sagte: »Auf dem Stuhl, links von der Tür, hängt die eine, und die andere -verdammte Asche, das beißt einem in den Augen -, und die andere muss auf dem Stuhl liegen, die gehört zu meiner Büchse.«

»Auf welchem Stuhl?«, fragte Cook.

»Auf dem dicht an der Tür, neben dem Schrank.«

»Dann sind sie fort!«, knirschte Cook, den Stuhl von sich schleudernd, dass er über den noch immer halb schlafenden Bill hinwegfiel und diesen schneller, als es sonst wohl der Fall gewesen war, auf die Beine brachte.

»Beide?«, rief James erschrocken und leuchtete mit einem eben entzündeten Kienspan überall im Zimmer umher. »Die meine auch? Bei Gott – auf den Stuhl da habe ich sie selbst gelegt. Die Büchse ist auch fort und die Tür offen. Über das Geschehene brauchen wir also gar nicht mehr im Zweifel zu sein. Der diebische Hund war hier im Zimmer und lacht sich jetzt ins Fäustchen.«

In wilder Hast kleideten sich nun die Männer an, während Bill das Feuer im Herd heller lodern machte und das Licht ebenfalls wieder anzündete, dass sie wenigstens den kleinen Raum übersehen konnten. Cooks Wut, als er das geleerte Milchgefäß fand, kannte keine Grenzen. Was aber jetzt tun? Nach dem Stand der Sterne war es kaum eins vorbei, und in solch dunkler Nacht ohne die Hunde eine Verfolgung zu beginnen, wäre Wahnsinn gewesen. Ließen sie aber die Flüchtigen bis Tagesanbruch unverfolgt, so gewannen diese einen solchen Vorsprung, dass ein Nachsetzen hoffnungslos werden musste.

»Dass man auch gar nichts mehr von den Hunden hört!«, rief James ärgerlich und horchte in die Nacht hinaus. »Das Beste wird doch am Ende sein, ich sattle mein Pferd und reite in den Wald. Vielleicht sind die Tiere der rechten Spur gefolgt, haben den Schuft auf irgendeinen Baum getrieben und liegen darunter und heulen.«

»Unsinn!«, erwiderte der alte Lively, der indessen ebenfalls mit dem Ankleiden fertig geworden war, »wenn der Bursche da aus der Tür sprang, als du ihn anriefst, so hat er auch höchstens zweihundert Schritt Vorsprung gehabt, ehe ihm die Hunde auf den Fersen waren, und dann blieb ihm keine Zeit mehr zu entkommen. Wenig später mussten sie ihn eingeholt haben, wären sie wirklich der richtigen Fährte gefolgt. Nein, sie sind ins Blaue hinein getobt, und wer weiß, wann sie wieder zurückkommen.«

»Wie wäre es denn, wenn wir einmal das Horn bliesen, Vater?«, sagte Bill, »vielleicht sind die Hunde nicht so weit fort und können es noch hören.«

»Wird wenig helfen, wir wollen es aber versuchen, Tod und Teufel, was für ein Hauptspaß wäre das geworden, wenn die Hunde den Schuft auf frischer Tat erwischt hätten!«

»Nun, zu spät ist’s noch immer nicht!«, brummte James, »ich habe wenigstens eine Kugel im Rohr, und die hoffe ich dem Halunken wohl auf den Pelz zu brennen. Wo aber, zum Donnerwetter, ist denn mein einer Schuh? Ich habe doch alle beide hier nebeneinander hingestellt?«

»Ich kann meine Stiefel auch nicht finden«, sagte Hawes, »nun, weiter fehlte nichts, als dass uns die Kanaille auch noch das Schuhwerk mitgenommen hätte.«

»Die werden draußen liegen«, brummte Cook ärgerlich, während er vor die Türe trat. »Ich habe, glaube ich, solche Dinger wie Schuhe oder Stiefel nach den verwünschten Kötern geworfen, als sie das Heulen gar nicht lassen wollten.«

»Sehr schön das«, meinte Hawes, als er jetzt draußen im Dunkeln mit bloßen Füßen zwischen den Spänen und Holzstücken nach den verlorenen Schuhen suchte. »Das geht hier prächtig, barfuß auf den scharfen Splittern. Herr Gott – ich glaube, ich habe mir die Zehen abgestoßen.«

James kam ihm jetzt mit einem brennenden Kienspan zu Hilfe, und sie fanden bald ihr umhergestreutes Schuhwerk, während Cook den Schall des Horns laut und gellend in die stille Nacht hinaustönen ließ. Lange musste der Farmer vergeblich blasen, und schon wollte er das Instrument unmutig beiseite werfen, als ein leises Winseln wenigstens eines der sich nähernden Rüden verkündete. Gleich darauf kam auch Bohs, den langen buschigen Schwanz fest zwischen die Läufe geklemmt, mit dem Bauch fast die Erde streichend, heran und schlich demütig zu seinem Herrn hin. Es war fast, als ob er diesem auf jede nur mögliche Art und Weise dartun wollte, wie tief zerknirscht er sich seines so ganz eines ordentlichen Hundes unwürdigen Betragens wegen fühle und wie leid ihm der begangene Fehler tue.

Cook war jedoch über die Rückkehr des treuen Tiers viel zu sehr erfreut, als dass er es lange hätte mit Vorwürfen überhäufen wollen. Er schleuderte ihm nur als Begrüßung einige Kernflüche entgegen, die Bohs auch ohne einen Laut einsteckte, und streichelte ihm dann mit unverkennbarer Freude den Kopf.

»So recht, mein Alter, lass die anderen Kanaillen laufen, wir beide wollen dem Burschen schon auf die Spur kommen. Wird’s nur erst wieder hell, so müsste er ja mit dem Bösen im Bunde stehen, wenn er nicht wenigstens eine Spur hinterließ, denn durch die Luft kann er doch wahrhaftig nicht davongesegelt sein.«

»Wo aber jetzt suchen?«, fragte James, »ich begreife gar nicht, dass die Hunde, die so dicht hinter ihm gewesen sein mussten, seine Spur sollten verloren haben.«

»Ich meine, er ist durch den Bach entkommen«, meinte der Alte. »Der Wind streicht von hier dort hinüber, wittern konnten sie ihn nicht gut, und wenn er von seiner Spur absprang, so ist nichts wahrscheinlicher, als dass die Hunde dadurch irregeführt wurden.«

»Dann wird er sich stromabwärts, dem Mississippi zugewandt haben«, rief James. »Wo der Bach wenigstens für ein Kanu schiffbar wird, hat er das vielleicht angebunden und ist, während wir in den Bergen auf kalter Fährte umherhetzten, längst auf dem Strom oder im anderen Staat drüben.«

»Dort hat gestern Abend kein Kanu gelegen«, wandte hiergegen der junge Cook ein, »das weiß ich gewiss. Noch vor Dunkelwerden war ich mit Turners Henry unten, um ein paar Fische zu fangen, und wir sind unter jedem Busch herumgekrochen.«

»Waren keine Spuren zu sehen?«, fragte sein Vater.

»Nicht eine, denn wir schauten uns auch noch besonders genau nach Otterzeichen um und hätten doch gewiss in dem weichen Boden die Fußstapfen eines Mannes erkennen müssen.«

»Dann ist er in die Hügel gelaufen«, rief Cook. »Hat übrigens hier, wie ich kaum noch zweifeln kann, der verdammte entsprungene Mulatte die Hand im Spiel, so sei Gott unseren Pferden gnädig, dann dürfen wir auch keinen Augenblick Zeit mehr verlieren.«

»In Nacht und Nebel wird Ihnen aber eine Verfolgung wenig nützen«, nahm hier Hawes das Wort, der bis dahin nachdenklich am Kamin gestanden hatte. »Wäre es nicht besser, Sie warteten das Tageslicht ab und ritten dann gleich zum nächsten Richter, die nötige Anzeige zu machen?«

»Und wie sollte der uns helfen?«, fragte der alte Lively verächtlich. »Wenn der was ausrichten wollte, müsste er uns doch wieder dazurufen. Nein, nachsetzen müssen wir, und das gleich. Bill mag die Pferde holen. Glücklicherweise sind sie drüben über dem Bach im Schilfbruch, wo der Mulatte nicht hingelaufen sein kann, sonst hätten ihn die Hunde schon.«

»Jawohl, Lively hat recht«, rief Cook, »wir können ja, solange es dunkel ist, die Pferde an den Zügeln nehmen und vorsichtig am Bachufer entlang suchen. Begreift Bohs erst einmal, was wir wollen, so hat’s weiter keine Not.«

»Mit dem einen Hund wird es freilich eine langweilige Ceschichte werden«, meinte James. »Bohs kann doch bloß an einem Ufer suchen und der Flüchtling indessen auf dem anderen den Bach verlassen haben, wenn er, was überhaupt noch erst bewiesen werden muss, diesem wirklich gefolgt ist.«

»Gefolgt muss er ihm sein«, meinte Cook, »sonst hätten ihn die Hunde aufgespürt. Wie dem aber auch sei, Glück gehört allerdings zu einer solchen Nachthetze. Bleiben wir jedoch ruhig im Haus, so können wir gar nicht erwarten, dass wir irgendetwas ausrichten, denn hierher kommt er nicht wieder. Also fort, Bill, hol uns die Pferde – die Sättel liegen dort in der Ecke. Kommen Sie mit, Mr. Hawes?«

»Ei, das versteht sich«, erwiderte dieser, »bin ich auch kein so vorzüglicher Spürhund wie ein alter Pionier, so hoffe ich doch meinen Mann zu stehen. Übrigens möchte ich Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, die Sache zuerst den Gerichten anzuzeigen. Wir können ja nachher immer noch …«

»Wir wollen um Gottes willen die Gerichte nicht bemühen«, sagte James unwillig, »jetzt haben wir auch wirklich keine Zeit mehr, an sie zu denken. Der Dieb ist noch dazu bewaffnet, und gut bewaffnet, denn Cooks Büchse schießt scharf, und da sind wir es sogar den Nachbarn schuldig, ihm, wenn wir ihn wirklich nicht einholen können, doch wenigstens so dicht auf den Fersen zu bleiben, dass er weiter keinen Schaden anrichten kann.«

»Ja, wahrlich, gut bewaffnet ist er«, knirschte Cook, indem er sich den breiten Ledergurt mit dem Jagdmesser umschnallte. »Gott sei ihm aber gnädig, wenn er mir in die Hände fällt. Das Eisen renne ich ihm in die Rippen.«

Er sprang jetzt hinaus, dem Sohn bei dem Heranbringen der Pferde zu helfen, die mit solch einem nächtlichen Ritt keineswegs einverstanden schienen. Auch die Hunde kehrten nun nach und nach zurück, doch hatten sie sich zu schlecht bewährt, um großes Vertrauen beanspruchen zu können. Sie erhielten deshalb mit Wort und Peitsche Befehl, beim Haus zu bleiben, denn die Jäger fürchteten, auch nicht ohne Grund, durch die vielen Nasen Unheil und Verwirrung anzurichten. Bohs blieb jetzt seines Herrn einzige Hoffnung, aber auch diese war schwach genug, wenn er bedachte, wie unsicher eine solche Verfolgung ist. Wusste ja doch der Hund nicht einmal, welches Wild er hetzen sollte.

Der alte Lively ging nun in das andere Haus, um seine Büchse von dort zu holen und Cook damit zu bewaffnen. Er selbst nahm ein leichtes Gewehr, das ebenfalls über dem Kamin lag und seines kleinen Kalibers wegen sonst nur zur Eichhörnchenjagd benutzt wurde. Hawes bekam eine alte Schrotflinte, ebenfalls Cooks Eigentum, die dieser einmal von einem deutschen Krämer erhandelt hatte. So bewaffnet gingen die Männer an die Verfolgung des Diebes.

Das Einzige, was ihnen jedoch nur eine Aussicht auf Erfolg versprach, war, gleich vom Haus an den klugen Hund auf die Fährte zu setzen. Dieser schien auch recht gut zu begreifen, was er tun sollte. Am Bach hörte aber jede Spur auf, und stromauf und -ab suchten sie nun eifrig, bis der Morgen schon seinen grauen Dämmerschein über die Niederung breitete. Doch ohne Erfolg.

Trotz Bills Beteuerung hatten sie auch noch einmal den Bach abgesucht, freilich ohne das geringste Zeichen von einem Boot zu finden. Sie mussten es sich nun eingestehen – Bach aufwärts lag die einzige Möglichkeit, den Flüchtling einzuholen.

»Es bleibt uns nichts weiter übrig«, sagte Cook endlich unmutig, »als noch einmal auf die Hügel zu steigen. Es wird jetzt hell, und wer weiß, ob der Bursche nicht doch vielleicht in der Dunkelheit seine Fährte irgendwo hinterlassen hat, sodass wir sie bei Tageslicht erkennen können. Du, Bill, magst die Pferde bis zu dem zweiten Hügeleinschnitt nehmen, reite nur voran und warte dort, wo wir vorgestern den Birnbaum fällten. Brauchen wir sie eher, was ich von Herzen wünschen will, so blase ich das Horn. Finden wir aber die Spur bis dahin nicht, so bleibt uns nichts anderes übrig, als verschiedene Richtungen einzuschlagen, um die Nachbarn von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen, und dann vereint eine Treibjagd anzustellen. Gefangen muss und soll der Bursche werden, denn einem Hinterwäldler in die Wohnung einzubrechen und seine Waffen zu stehlen, das ist ein Vergehen, das schon seiner unerhörten Frechheit wegen exemplarische Strafe verdient.«

So großen Eifer nun auch die Farmer bei dieser Verfolgung zeigten, so unbehaglich schien sich Hawes dabei zu befinden. Er wäre sicherlich, da ja auch seine Kleidung sich für diesen Zweck nicht eignete, zurückgeblieben, hätte ihn nicht die Furcht getrieben, jener Flüchtling könne mit zur Insel gehören und, wenn er gefangen würde, vielleicht etwas gestehen, was für sie von schlimmsten Folgen sein musste. War er gegenwärtig, so konnte er in solchem Fall ein Geständnis entweder verhindern oder doch die Folgen ablenken und möglicherweise auch die Flucht des Diebes, wer es immer sein mochte, begünstigen.