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Die Geschichte vom Werwolf Teil 24

Die-Geschichte-vom-WerwolfDie Geschichte vom Werwolf
Eine Volkssage, erzählt von Alexandre Dumas
Nach dem französischen Manuskript von Dr. G. F. W. Rödiger

Kapitel 24
Der Jahrestag

Als Thibaut das wütende Geschrei seiner Verfolger nicht mehr hörte, blieb er stehen, sah sich nach allen Seiten um und setzte sich auf einen Steinhaufen.

Er war so verwirrt, dass er den Ort, wo er sich befand, nur an den geschwärzten Steinen wiedererkannte. Dieser Steinhaufen war sein ehemaliger Herd. Der Zufall hatte ihn an den Ort geführt, wo einige Monate zuvor seine Hütte gestanden hatte.

Thibaut mochte wohl seine ruhige glückliche Vergangenheit mit der furchtbaren Gegenwart vergleichen, denn dicke Tränen rollten über seine Wangen und fielen in die Asche zu seinen Füßen.

In den umliegenden Dörfern schlug es zwölf. Dies war die Stunde, wo Agnelette die letzten Tröstungen empfing.

»O, verwünscht sei der Tag, wo ich nach unerreichbaren Dingen zu streben begann! Verwünscht sei der Tag, wo der schwarze Wolf mir die Gewalt, Böses zu tun, verkaufte, denn diese Gewalt hat mein Lebensglück auf immer zerstört.«

Ein lautes Gelächter erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah sich um und erblickte den schwarzen Wolf, der in der Dunkelheit kaum sichtbar gewesen wäre, wenn nicht seine feurigen Augen geleuchtet hätten.

Er ging um den Herd und setzte sich vor Thibaut nieder.

»Was!«, sagte er, »du bist nicht zufrieden? Bei Belzebubs Hörnern, du bist sehr schwer zu befriedigen!«

»Wie kann ich zufrieden sein?«, sagte Thibaut, »deine Bekanntschaft hat mir ja nur Täuschungen und Elend bereitet. Ich strebte nach Reichtum und bin in Verzweiflung, dass ich mein Strohdach verloren habe, unter welchem ich ruhig und sorglos schlief. Ich strebte nach eitler Ehre, und die gemeinsten Bauern im Tal, die ich ehedem verachtete, machen jetzt Jagd auf mich wie auf ein wildes Tier. Ich sehnte mich nach Liebesglück, und die Einzige, die mich liebte und die ich liebe, ist mir entschlüpft, um einem anderen anzugehören. Sie stirbt jetzt, ohne dass ich imstande bin, ihr zu helfen.«

»Klage dich selbst an, Thibaut. Mir darfst du die Schuld nicht geben, denn ehe du mich kennenlerntest, hattest du schon lüsterne Blicke auf fremdes Gut geworfen.«

»O! Mich gelüstete nur nach einem erbärmlichen Damhirsch, deren es Hunderte in diesem Wald gibt.«

»Du glaubtest nur den Damhirsch zu wünschen, Thibaut, aber die Wünsche folgen einander wie die Tage und Nächte. Mit dem Damhirsch wünschtest du dir zugleich die silberne Schüssel, auf welcher das Wildbret aufgetragen werden sollte. Dazu gehörte natürlich auch der Diener, welcher die Speisen aufträgt, und der Koch, der sie zubereitet. Der Ehrgeiz ist mit dem Himmelsgewölbe zu vergleichen, er scheint nur bis an den Horizont zu reichen und umfasst die ganze Erde. Du verschmähtest die unschuldige Agnelette, weil dich nach der Mühle zu Cayolles gelüstete. Wenn du die Mühle besessen hättest, so würdest du dir das Haus der Dame Susanne gewünscht haben, und auch dieses würde keinen Reiz mehr für dich gehabt haben, sobald du das Schloss des Grafen Mongobert gesehen hättest. O, durch deinen Neid gehörtest du dem gefallenen Engel an, aber es fehlte dir die Klugheit, aus dem Bösen, welches du dir wünschtest, allen möglichen Nutzen zu ziehen, es wäre daher besser gewesen, du wärest fromm geblieben.«

»Kann ich denn nicht mehr umkehren?«, fragte Thibaut.

Der Wolf lachte höhnisch.

»Nein«, sagte er, »mit einem einzigen Haar kann der Teufel einen Menschen zur Hölle führen. Dir bleibt setzt nur noch ein einziges Haar übrig. Du siehst also, dass die Zeit der Reue vorüber ist.«

»Aber als ich mit dir handeleins wurde, glaubte ich keinen unwiderruflichen Vertrag abzuschließen.«

»O, daran erkenne ich die Arglist der Menschen. Dummkopf! Du hast mir deine Haare gegeben und glaubst keinen Vertrag geschlossen zu haben? Deine Haare sitzen fest, du hast dich davon überzeugt, sie werden uns nicht in den Klauen bleiben, wenn wir dich beim Schopf fassen. Nein, nein, du bist unser seit dem Augenblick, wo du auf der Schwelle der Tür, die sich an dieser Stelle befand, auf Betrug und Raub ansgingest.«

»Also«, sagte Thibaut, wütend aufspringend, »also würde ich in jener Welt verloren sein, ohne die Freuden dieser Welt genossen zu haben?«

»Du kannst sie noch kennenlernen, Thibaut.«

»Wieso?«

»Wenn du kühn und entschlossen auf dem einmal betretenen Pfad weitergehst und dich aufrichtig für uns erklärst.«

»Was habe ich zu tun?«

»Meine Stelle einzunehmen und zugleich meine Macht zu erlangen, dann bleibt dir nichts mehr zu wünschen.«

»Aber wenn deine Macht so groß ist, wenn sie dir den Reichtum gibt, nach welchem ich strebe, warum verzichtest du darauf?«

»Kümmere dich nicht um mich. Der Herr, dem ich einen Diener zugebracht habe, wird mich reich belohnen.«

»Und wenn ich deinen Platz einnehme, bekomme ich auch deine Gestalt?«

»Ja, in der Nacht, aber am Tage wirst du wieder Mensch.«

»Aber die Nächte sind lang und voll Gefahren. Ich kann von der Kugel eines Waldhüters getroffen werdend oder mit der Pfote in eine Falle geraten. Dann ist es aus mit Reichtum und Herrlichkeit.«

»Nein, mein Pelz ist undurchdringlich für Eisen und Blei. Solange er deinen Körper bedeckt, bist du unverwundbar, sogar unsterblich. Nur einmal im Jahr wirst du, wie alle Werwölfe, auf vierundzwanzig Stunden ein gemeiner Wolf, und in diesen vierundzwanzig Stunden hast du den Tod zu fürchten wie die anderen Wölfe. Als wir uns heute vor einem Jahr sahen, war gerade mein Unglückstag.«

»Ja, jetzt erkläre ich mir«, sagte Thibaut, »warum du die Hunde des Oberjägermeisters so fürchtetest.«

»Wenn wir mit den Menschen zu tun haben, müssen wir die reine Wahrheit sagen, ohne ihnen etwas zu verhehlen. Es steht ihnen frei, anzunehmen oder zurückzuweisen.«

»Du rühmtest mir die Wacht, die ich erlangen könne. Von welcher Art wird diese Macht sein?«

»Sie ist unbegrenzt. Du wirst nicht nur alles erreichen können, was die Menschen durch Gold erlangen, sondern auch, was durch Beschwörungen und Zauber zu bewirken ist.«

»Ich kann mich also an meinen Feinden rächen?«

»Wo es gilt, Unheil zu stiften, wird deine Macht schrankenlos sein.«

»Es ist also alles meinem Willen unterworfen?«

»Ja, ausgenommen der Tod, welcher stärker als alles ist. Du hast ihn aber nur an einem Tag im Jahr zu fürchten.«

»Gut, was habe ich zu tun? Ich bin bereit.«

»Pflücke ein Stechpalmenblatt ab, zerreiße es in drei Stücke mit den Zähnen und wirf es weg.«

Thibaut folgte der Weisung, er pflückte das Blatt und warf die Stücke weg. Da erhob sich plötzlich ein heftiger Sturm und der Donner krachte.

»Jetzt nimm meinen Platz ein, Bruder Thibaut, und viel Glück. Versuche den verhängnisvollen Tag so glücklich zu überwinden, wie ich ihn überwunden habe, und du wirst sehen, dass alles, was ich versprochen hatte, in Erfüllung geht.«

Thibaut glaubte zu bemerken, dass sich der schwarze Wolf aufrichtete und die Gestalt eines Menschen annahm. Seine Gedanken waren indes keineswegs klar, er fühlte eine Art Erstarrung, welche seine Geistestätigkeit lähmte.

Als er endlich wieder zu sich kam, war er allein, seine Gliedmaßen waren in einer seltsamen, ungewohnten Form gefangen, kurz, er war dem großen schwarzen Wolf, der soeben gesprochen hatte, in allen Stücken gleich.

Ehe er Zeit hatte, sich zu besinnen, glaubte er die Gebüsche rauschen und ein dumpfes Gebell zu hören. Er dachte sogleich an die Meute des Junkers Jean. Es war freilich nur ein Schweißhund, der eine Fährte suchte. Er nahm nun eilig die Flucht und erkannte dabei zu seiner Freude, dass er in seiner Verwandlung unendlich mehr Kraft und Gewandtheit erlangt hatte.

»Tausend Donnerwetter!«, sagte der Baron Jean zu seinem neuen Jäger l’Eveillé. »Du hast dem Schweißhund zu viel Freiheit gelassen. Er wird laut und wir finden den Wolf nicht.«

»Ich sehe mein Versehen ein, gnädiger Herr«, antwortete l’Eveillé, »aber ich sah ihn gestern Abend hundert Schritte von hier wechseln und konnte unmöglich glauben, dass er hier die Nacht sitzen würde.«

»Weißt du auch gewiss, dass es derselbe ist?«

»Das Brot, das ich im Dienste Ew. Gnaden esse, möge zu Gift werden, wenn es nicht der schwarze Wolf ist, den wir voriges Jahr hetzten, als der arme Marcotte ertrank.«

»Ich möchte ihn wohl hetzen«, sagte der Junker Jean mit einem Seufzer.

»Ew. Gnaden haben zu befehlen, aber ich erlaube mir die Bemerkung, dass wir noch zwei gute Stunden Nacht haben, und wir können samt unseren Pferden den Hals brechen.«

»Aber wenn wir bis Tagesanbruch warten, wird der Wolf vielleicht fünf Meilen von hier sein. Ich habe es einmal auf den schwarzen Wolf abgesehen. Wenn ich den Balg nicht bekomme, werde ich gewiss krank.«

»Nun, dann wollen wir die Hetze beginnen, ohne eine Minute zu verlieren.«

»Du hast recht, »hole die Hunde.«

L’Eveillé bestieg sein Pferd, das er an einen Baum gebunden hatte, und ritt im Galopp davon.

Nach zehn Minuten erschien er mit der ganzen Jagdmeute. Die Hunde wurden sogleich losgekoppelt.

»Nur langsam, Kinder!«, mahnte der Junker Jean. »Ihr müsst bedenken, dass wir nicht mehr unsere alten tüchtigen Hunde haben. Diese sind größtenteils Rekruten, die einen Höllenlärm machen werden, wenn Ihr ihnen zu viel Freiheit lasst.«

Sobald die Hunde losgekoppelt waren, witterten einige derselben sogleich die Fährte des Werwolfs und begannen zu bellen. Die Übrigen gesellten sich zu ihnen. So ging es fort in rasendem Lauf, in der Richtung des Hochwaldes von Yvors.

»Jetzt gilt es!«, rief der Waidmann seinen Rüdenknechten zu. »Wir haben mehr als eine Scharte auszuwetzen, und wenn einer von euch durch seine Schuld die Jagd vereitelt, so soll er statt des Wolfes von meinen Hunden gefressen werden.«

Nach dieser Ermahnung setzte der Wolfsjägermeister sein Pferd in Galopp, um trotz der Dunkelheit die schon weit vorausgeeilte Meute einzuholen.