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Der Kommandant des Tower 19

Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Elftes Kapitel

Von Sir Thomas Seymours Brautwerbung

Gegen Abend desselben Tages kam die Prinzessin Elisabeth mit ihrem Gefolge im Tower an. Es begleiteten sie ihre Erzieherin, Mistress Catharine von Ashley und die Lehrer des jungen Königs, Sir John Cheke und Doktor Cox. Sir Thomas Seymour, der seit länger als einer Stunde auf der Lauer gestanden und dessen Ungeduld sich während der Zeit zu fast fieberhafter Hitze gesteigert hatte, sah kaum den Haufen Arkebusiere, die Prinzessin an ihrer Spitze, über Tower Hill kommen, als er ihr entgegeneilte und sich dicht zur Seite ihres Zelters hielt, während sie durch die Tore der Festung ritt.

Elisabeth errötete tief, als sie ihren schönen Verehrer sich nähern sah und geriet in eine Verwirrung, die Seymour für eine der günstigsten Vorbedeutungen nahm. Außerdem wurden seine Hoffnungen auf einen glücklichen Erfolg noch gesteigert durch einen bedeutungsvollen Blick seines Dieners, der hinter der Prinzessin mit Mistress Ashley und den Lehrern des jungen Königs ritt, ein Blick, der deutlich sagte, dass alles nach Wunsch gegangen wäre.

Nie vielleicht sah Seymour bezaubernder für ein weibliches Auge aus als in diesem Augenblick. Wenn es ihm beliebte, die ganze Macht seiner anziehenden Persönlichkeit wirken zu lassen, so war er fast – wie sein Diener gesagt hatte – unwiderstehlich. Elisabeth fand ihn so.

Schon vor einigen Monaten, als der vorige König noch lebte, hatte Seymour, der ebenso verwegen wie schön war, keinen Anstand genommen, der Prinzessin seine Liebe zu erklären, weil er bemerkt zu haben glaubte, dass sie ein Auge auf ihn geworfen habe. Die Erklärung war indes nur kühl aufgenommen und er war deshalb nur den Lockungen des Ehrgeizes gefolgt und hatte an eine Heirat mit der Königinwitwe gedacht. Im letzten Augenblick aber, als er fast schon an Catharine gebunden war, erwachte seine Leidenschaft für Elisabeth mächtiger als je, und so beschloss er, wie wir gesehen haben, auf die Gefahr hin, den sicheren Preis zu verlieren, noch einen letzten Versuch zu machen, die Prinzessin zu gewinnen.

Welch kluge Vorsätze nun auch Elisabeth gefasst haben mochte, und wie entschieden sie war, eine abschlägige Antwort zu geben, so ward doch beim Anblick des unwiderstehlichen Freiers ihr Entschluss wankend, und sie lauschte seinen honigsüßen Worten mit einem Wohlgefallen, das ihn zu dem Schluss berechtigte, hoffen zu dürfen.

»Euer Diener, Signore Ugo, ist ein Italiener, wie es scheint, Sir Thomas? Wenigstens sprach er meist italienisch mit mir«, sagte Elisabeth, als sie durch den Torweg des Byward Tower ritten.

»Mezzo-Italiano, Altezza«, antwortete Seymour lächelnd. »Ein Toskaner von mütterlicher Seite.«

»Bei meiner Treu, ein aufgeweckter Bursche!«, entgegnete sie, »und Euch sehr ergeben, scheint mir. Er konnte kaum von etwas anderem reden als von den Verdiensten und edlen Eigenschaften seines Herrn, und leierte so viel über dasselbe Thema, dass ich ihm endlich heißen musste, damit zu wechseln oder ganz zu schweigen.«

»Es tut mir leid, wenn er Eure Hoheit beleidigt hat. Und wenn er sich in Zukunft nicht besser beträgt, so werde ich ihn aus meinen Diensten entlassen. Aber er hat mich so oft von Euch in solchen Ausdrücken reden hören, dass er sich wahrscheinlich für verpachtet hielt, nun auch mein Lob vor Eurer Hoheit zu singen. Ich hätte ihm mehr Takt zugetraut.«

»Nein, ich hätte mir Euer Lob wohl gefallen lassen«, entgegnete Elisabeth mit leisem Erröten, »aber als er berichtete, was Ihr über mich gesagt habt, da hielt ich es für an der Zeit, ihm das Wort abzuschneiden. Mich dünkt, Ihr schenkt diesem Burschen zu viel Vertrauen. Die Italiener sind sprichwörtlich treulos.«

»Aber Ugo ist nur ein halber Italiener, wie ich sagte, und er ist durch Dankbarkeit an mich gekettet. Ich habe allen Grund, ihn für treu zu halten. Aber Eure Hoheit mag sich darauf verlassen, ich werde in Zukunft zurückhaltender mit meinem Vertrauen sein. Und einige Geheimnisse gibt es, die ich aufs Strengste vor ihm bewahren werde.«

»Zu einem habt Ihr ihm den Schlüssel gegeben, wovon er keine Ahnung hätte haben müssen«, bemerkte Elisabeth in etwas vorwurfsvollem Ton.

»Nein, wenn Eure Hoheit die Sache so ernst ansieht, so ärgere ich mich über den Menschen«, entgegnete Seymour. »Übrigens aber beunruhigt Euch nicht. Was er auch ahnen mag, er weiß nichts.«

»Was das betrifft, so lasse ich mich nicht täuschen«, erwiderte Elisabeth. »Kein Mensch spricht ohne Auftrag, so wie dieser Bursche es tat.«

»Hm! Der unverschämte Bengel muss viel zu weit gegangen sein«, sprach Seymour zu sich selbst. »Er soll nie wieder jemand in ähnlicher Weise beleidigen«, setzte er laut hinzu.

»Schelten ändert nichts«, sprach die Prinzessin. »Wenn jemand Tadel verdient, so seid Ihr es, Sir Thomas. Signore Ugo ist nur das Werkzeug seines Herrn.«

»Signore Ugo soll es teuer bezahlen, wenn ich durch seine Schuld auch nur das Geringste von Eurer Hoheit guter Meinung, die mir teurer als mein Leben ist, verliere«, sagte Seymour. »Wenn ich zu kühn war, so muss die Gewalt meiner Leidenschaft mich entschuldigen. Seit ich Eure Hoheit zuletzt in Enfield sah, haben Eure Reize mich dermaßen bezaubert, dass ich meine Vernunft nicht mehr beherrschen konnte. Jeder Gedanke, jede Regung gehört Euch. Mein Leben hängt an Eurem Odem. In Eurer Hand liegt es, mich zum Stolzesten und Glücklichsten aller Menschen zu machen oder mich in den Abgrund der Verzweiflung zu stürzen.«

»Nichts mehr davon, ich bitte Euch, Sir Thomas«, antwortete die Prinzessin klopfenden Herzens, denn sie war nicht unempfindlich gegen seine Leidenschaft. »Ihr werdet die Augen der Umstehenden auf uns ziehen, und irgendein scharfes und neugieriges Ohr könnte Eure Worte vernehmen.«

»Nein, verdammt mich nicht zum Schweigen, bevor ich mein Schicksal kenne!«, rief Seymour, und seine Stimme bebte vor Erregung, die auf die Prinzessin überzugehen schien, als er sich ihrem Sattel näherte. Idolo del mio cuore! Was antwortet Ihr auf meinen Brief? Sprecht, ich flehe Euch an! Erlöst mich von meinen Zweifeln.«

»Morgen will ich entscheiden«, sprach Elisabeth, mit fast ebenso zitternder Stimme wie die seine.

»Nein! Jetzt – jetzt, adorata!«, rief Seymour, indem er sich noch dichter an sie drängte und ihre Hand zu fassen versuchte.

In diesem kritischen Augenblick ließ sich die warnende Stimme seines Dieners vernehmen. Sie waren bereits nahe am Eingang des Palastes.

»Zitto! Zitto! Monsignore!«, rief Ugo. Eccola li! Alla finestra del palazzo – la regina Catarine!«

Aufgeschreckt durch diese Warnung blickte Seymour auf, und sah zu seinem unsäglichen Ärger und Verdruss die Königin Catharine mit dem Earl von Hertford, der Marquise von Dorset, Lady Jane Grey und einige andere Damen des Hofes, die aus dem offenen Fenster des Palastes auf sie hernieder blickten.

Obgleich es unmöglich schien, dass die Königinwitwe gehört hätte, was zwischen dem Paar vorgefallen war, so ließ doch Seymours verliebtes Wesen, sein Annähern an die Prinzessin, das Erröten und Augenniederschlagen der Letzteren kaum über den Gegenstand ihrer Unterhaltung einen Zweifel. Der verächtliche und finstere Blick, den die Königin Sir Thomas zuwarf, überzeugte ihn, dass ihre Eifersucht erregt worden war. Elisabeth sah im selben Augenblick hinauf und geriet in große Verwirrung, als sie so viele Augen auf sich gerichtet sah.

»Zieht Euch gleich zurück, Sir Thomas, ich bitte Euch«, sprach sie hastig. »Ihr habt mich in eine gefährliche Situation gebracht.«

»Lasst sie, schöne Prinzessin!«, erwiderte er, indem er jedoch tat, wie sie wünschte, und sich von ihrer Seite entfernte. »Sie werden nur denken, dass wir irgendeine leichte und unbedeutende Unterhaltung geführt haben.«

»Die Königin, meine Stiefmutter, sah aus, als ob sie ungefähr die Wahrheit vermute«, entgegnete Elisabeth. »Vielleicht ist es gut, ihren Argwohn einzuschläfern«, sprach Seymour. »Behandelt die Sache leicht und lacht darüber, wenn sie Eure Hoheit zufälligerweise darüber befragen sollte. Gehört kann sie nichts haben, in dieser Beziehung seid Ihr sicher.«

Gleich darauf erreichten sie den Eingang zum Palast, wo die drei Riesenwächter standen, da Edward ausdrücklich befohlen hatte, dass sie während seines Aufenthalts im Tower immer diesen Posten inne behalten sollten. Als die Ankunft der Prinzessin in der Festung gemeldet wurde, war eine Menge von Dienern, Pagen, Stallknechten herbeigeeilt und standen nun am Fuß des Perrous, um sie zu empfangen. Unter Sir Thomas Seymours Beistand stieg Elisabeth von ihrem Zelter herunter, betrat mit Mistress Ashley den Palast und wurde vom Haushofmeister in die für sie bestimmten Gemächer geführt. Nachdem sie ein wenig Toilette gemacht hatte, verfügte sie sich in eines der Staatszimmer, wo sie, nach Fowlers Meldung, ihren königlichen Bruder finden sollte. Edward erwartete sie in voller Ungeduld. Als er sie sah, lief er ihr entgegen, umarmte sie zärtlich und hieß sie von Herzen willkommen. Kaum war das Entzücken des jungen Fürsten, seine zärtlich geliebte Schwester wiederzusehen, in eine ruhige Freude übergegangen, als das Erscheinen seiner beiden Lehrer ihn aufs Neue in eine freudige Aufregung versetzte. Zum größten Erstaunen Fowlers, der seine untertänigste Unzufriedenheit über das Verfahren würde ausgesprochen haben, wenn er es nur gewagt hätte, lief der König den beiden gerade so entgegen wie vorher, als Elisabeth kam, und bewillkommnete sie auf die zärtlichste und einfachste Weise. Indem er sie gütig bei der Hand nahm, verhinderte er sie am Niederknien und sprach wohlwollend: »Ich habe Euch privatim empfangen, meine geehrten Lehrer, weil ich Freunden gegenüber, die ich so liebe und schätze wie Euch, aller Zeremonien überhoben zu sein wünsche. Soviel wie möglich wünsche ich, dass unsere alten Beziehungen nicht aufhören. Bei erster Gelegenheit werde ich meine Studien mit Euch wieder beginnen, und unterdessen setze ich den König beiseite und bin wieder Euer Schüler.«

»Solche Worte, Sire, sind selten von königlichen Lippen gekommen«, erwiderte Sir John Cheke, »und machen Eurem Kopf und Eurem Herzen gleich viel Ehre.«

»Schmeichelt mir nicht, würdiger Sir John«, antwortete Edward lächelnd. »Nun, da ich Euch bei mir habe und meine Schwester Elisabeth«, fügte er mit einem liebevollen Blick nach ihr hinzu, »werde ich mich vollkommen glücklich fühlen und kümmere mich nicht darum, wie lange ich noch im Tower bleibe. Seit meinem Aufenthalt hier, Elisabeth«, fuhr er zu der Prinzessin gewendet fort, »habe ich große Freundschaft mit unserer Cousine, Lady Jane Grey, geschlossen. Ihre Neigungen stimmen merkwürdig mit den meinen überein. Sie liest gern und ist sehr fromm. Du wirst sie gewiss lieb gewinnen.«

»Ohne Zweifel, wenn Eure Hoheit sie gern hat«, entgegnete die Prinzessin.

»Du kannst dir sogleich ein Urteil über sie bilden, denn da kommt sie«, bemerkte Edward, als der Gegenstand ihrer Unterhaltung mit der Königinwitwe, der Marquise von Dorset, der Gräfin von Hertford und einer Menge anderer Hofdamen, welche die Ankunft der Prinzessin vom Fenster aus gesehen hatten, hereintraten.

Catharines Benehmen gegen ihre Stieftochter war kalt und gezwungen und ihre Begrüßung nichts weniger als herzlich. Elisabeth war ihrerseits nicht weniger zurückhaltend. Ihr Stolz ward durch das Benehmen der Königinwitwe sofort wach gerufen und sie fühlte sich gereizt. Überdies erkannte sie instinktiv eine Nebenbuhlerin, was nicht geeignet war, sie milder zu stimmen.

Catharine hatte noch nicht Zeit gehabt, durch Wort oder Blick ihren treulosen Verehrer zu strafen, – da trat er plötzlich mitten in die eben beschriebene Szene hinein. Vielleicht hätte es klüger scheinen können, sich jetzt nicht blicken zu lassen, aber Sir Thomas wusste das besser. Er unterschätzte die Macht seines Einflusses auf beide Teile nicht. Auf ein beruhigendes Lächeln von ihm schwanden wie durch Zauber die Wolken von Catharines Stirn, und sie sah heiter aus wie immer. Ein geheimer Blick von ihm besänftigte Elisabeth sogleich, und sie nahm der Stiefmutter gegenüber ein versöhnlicheres Wesen an. Lady Hertford bemerkte diesen plötzlichen und auffallenden Wechsel und erkannte die Ursache ebenfalls. Ein unwillkürlicher Ausruf Catharines, als sie die auffällige Zuvorkommenheit Sir Thomas’ bei Elisabeths Ankunft im Tower bemerkte, hatte Lady Hertford auf die rechte Fährte geführt, und Beobachtungen hatten sie darauf in ihren Vermutungen bestärkt. Nur zu gut erinnerte sie sich der Schmach, die ihr die Königinwitwe angetan hatte, jetzt fühlte sie, dass sie die Rache in Händen habe. Catharines Kälte und hochfahrendes Wesen gegen seine Schwester hatten dem liebenswürdigen jungen Fürsten weh getan, und er war gerade im Begriff, sich einzumischen, als Seymours Eintritt die Wolken zerstreute und in Sonnenschein verwandelte.

»Meiner Treu, lieber Onkel«, sprach er lächelnd, »Ihr bringt gute Laune mit. Wir schienen hier auf der Schwelle irgendeines unerklärlichen Missverständnisses zu stehen, das Eure Gegenwart aufgeklärt hat. Welches Zaubermittels bedient Ihr Euch?«

»Keines, das ich wüsste, gnädiger Herr«, antwortete Sir Thomas. »Aber wenn ich ein Zauberer wäre, so würde ich das Unheil zunichtemachen und nicht erst befördern. Ich würde Vertrauen an die Stelle grundlosen Verdachtes setzen und unbesonnene Hitze in Sanftmut verwandeln. Wenn ich das könnte, so würde ich Ew. Majestät Lob verdienen.«

»Ihr eignet Euch eine schöne Rolle an, Sir Thomas«, bemerkte Catharine noch etwas gereizt.

»Keine bessere, als wozu er berechtigt ist, gnädige Frau«, antwortete Edward. »Wenn mein Oheim seine Kunst zu gefallen jederzeit mit so gutem Erfolg anwendet, so kann er mit Recht eitel darauf sein.«

»Geruhen Ew. Majestät«, sprach Fowler vortretend und sich tief verbeugend, »der Haushofmeister ist eben gekommen, um anzuzeigen, dass das Bankett bereit sei.«

»Gut, dann wollen wir uns gleich hinbegeben«, versetzte Edward. »Eure Hand, schöne Cousine«, fügte er zu Lady Jane Grey gewendet hinzu. »Und Ihr, lieber Onkel, führt unsere Schwester in den Bankettsaal.«

Im Stillen entzückt, aber äußerlich es nicht verratend, bot Seymour sogleich der Prinzessin seine Hand zu Catharines großem Ärger. Voran schritt eine Anzahl von Dienern, Pagen und Zeremonienmeistern, dann folgte die ganze Gesellschaft und wurde beim Erscheinen im Bankettsaal von den in der Nähe der Tür stehenden Trompetern mit lustigen Fanfaren begrüßt.

Bei der Tafel saß die Königinwitwe neben dem König, denn der Lordprotektor machte keinen Versuch mehr, ihr den Platz streitig zu machen, nachdem sie ihn in der früher erzählten Weise behauptet hatte. Sir Thomas Seymour stand nicht mehr hinter dem Stuhl Ihrer Majestät, sondern setzte sich zwischen die Prinzessin Elisabeth und die Gräfin von Hertford. Es ereignete sich nichts Erhebliches bei dem Festgelage, welches ebenso reich und großartig war, wie die früheren, und welchem alle Mitglieder des Conseils, alle Edelleute und andere angesehene Leute, die sich gerade im Tower befanden, als Gäste beiwohnten. Aber Catharines Eifersucht wurde aufs Neue durch Seymours schlecht verhehlte Aufmerksamkeiten gegen ihre junge Nebenbuhlerin erregt, Aufmerksamkeiten, die augenscheinlich der Prinzessin nichts weniger als unangenehm waren. Die vernachlässigte Königin schmachtete nach einer Gelegenheit, beide ihren Zorn fühlen zu lassen. Aber da sich kein Vorwand zu einem derartigen Ausbruch der Leidenschaft fand, verzehrte sie sich in stiller Wut. Entweder hatte den Sir Thomas alle Klugheit verlassen, oder die Macht seiner Leidenschaft beraubte ihn aller Selbstbeherrschung, denn zu Ende des Banketts machte er nicht einmal den Versuch, sich Catharine zu nähern, sondern er bot wiederum der Prinzessin seine Hand. Ohne auch nur einen Blick für die zurückgesetzte Königin zu haben oder vielleicht auch ohne nur an sie zu denken, folgte er seinem königlichen Neffen und der Lady Jane Grey zur Halle hinaus. Catharine stand wie versteinert bei diesem Benehmen und presste die Hand aufs Herz, um ihrer Bewegung Herr zu werden. Es war ihr noch nicht ganz gelungen, als Lady Hertford auf sie zukam.

»Mich dünkt, ich errate, was in Eurer Majestät Innerem vorgeht«, bemerkte die Gräfin.

»Welch eine Unverschämtheit!«, rief Catharine stolz aus. »Mit welchem Recht behauptet Ihr, die Geheimnisse meines Inneren zu kennen?«

»Eure Hoheit verraten Ihre Gefühle durch den Mangel an Selbstbeherrschung«, antwortete Lady Hertford. »Es ist wenig Scharfsinn notwendig, um das zu entdecken, was jedermann sahen kann. Übrigens verdienten meine freundlichen Absichten nicht diese Zurückweisung. Ich kam, um Euch zu warnen. Ihr seid betrogen – schändlich betrogen von ihm, dem Ihr vertraut. Ich habe beim Bankett genug gehört, um mich davon zu überzeugen. Ich könnte mehr sagen – aber meine Lippen sind jetzt stumm.«

»Nein, nein! Redet! Redet! Ich bitte Euch, teuerste Gräfin!«, rief Katharina in höchster Aufregung. »Ihr saßet neben ihm und müsst gehört haben, was vorging. Um der Barmherzigkeit willen, redet!«

»Beruhigt Euch, ich bitte Eure Hoheit« entgegnete Lady Hertford, im Stillen über ihren Schmerz jubelnd, obwohl sie sich den Anschein von Sympathie gab. »Ich kann mich in Eure Lage versetzen und will meine Hilfe leihen, wenn Ihr sie nicht verschmäht. Wenn Ihr wirklich von dieser unwürdigen Leidenschaft – so muss ich sie nennen, trotzdem, dass Sir Thomas der Bruder meines Gemahls ist, – die Ihr über Euch habt Herr werden lassen, befreit sein wollt, so begebt Euch morgen Nachmittag in Lady Herberts Gemach an der nördlichen Galerie, und Ihr werdet genug hören, um Euch von der Treulosigkeit Eures Liebhabers zu überzeugen.«

»Hat Elisabeth ihm dort eine Zusammenkunft bewilligt?«, fragte Catharine, indem sie totenbleich wurde.

»Eure Hoheit wird sehen«, entgegnete Lady Hertford. »Wenn Ihr mir die Sache überlassen wollt, so werde ich sorgen, dass Ihr ungesehen Zeuge dieser Zusammenkunft sein könnt.«

»Tut es, Gräfin«, sprach Catharine. »Beweist mir, dass er meineidig ist, und ich will jedes Gefühl in mir töten, und wenn ich selbst darüber sterben sollte.«

»Der Beweis soll nicht fehlen, verlasst Euch darauf«, entgegnete Lady Hertford. »Aber ich tue dieses in der Hoffnung, Eure Hoheit zu kurieren, – aus keinem anderen Grund.«

»Ich weiß es, und werde Euch für immer verpflichtet sein«, erwiderte die Königin gnädig.

»Aber Eure Hoheit muss sich für den Rest des Abends Zwang auferlegen, um den Erfolg des Planes nicht zu stören«, bemerkte Lady Hertford. »Weder Sir Thomas noch Lady Elisabeth dürfen sich beobachtet glauben.«

»Es wird schwer halten, aber ich will es versuchen«, seufzte Catharine.

»Zweifelt nicht, ich tue, wie ich sage. Eure Hoheit soll bei dem Rendezvous zugegen sein. Es soll in Eurem Belieben stehen, sie zu überraschen, wenn es Euch gut dünkt. Ich empfehle mich nun Eurer Majestät untertänigst.«

»Endlich bin ich gerächt für die Schmach! Nein, noch nicht ganz. Aber morgen wird sie ganz ausgetilgt werden.«

So sprach die Gräfin zu sich selbst, indem sie die Königin verließ.