Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Das Steppenross – Kapitel 19

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 19
Die Ratsversamm1ung

Ich vernahm die gellende Stimme eines Aufrufers, der sich im Lager hören ließ, und darauf folgte eine seltsame Bewegung. Zwar konnte ich den Mann nicht verstehen, aber der seltsame Ton verriet, dass er auf irgendetwas Wichtiges hindeutete.

Die Indianer regten sich, umschritten das lodernde Feuer, indem sie sich wie bei einem stummen feierlichen Tanz kreuzten, folgten oder begegneten. Auch andere eilten von verschiedenen Seiten des Lagers herbei, um sich unter die Männer, die um das Feuer lagerten, zu mischen oder wenigstens Zuschauer zu sein. Ich verlor nicht lange Zeit mit Beobachtungen. Die Aufmerksamkeit war so sehr in Anspruch genommen, dass ich Gelegenheit fand, das Gehölz unbemerkt zu erreichen.

Ich schritt unverzüglich langsam und mit gleichgültiger Miene darauf zu. Ich ahmte dabei den Schritt eines Comanchen nach. Derselbe ist nicht kühn und frei wie der des Huronen, Irokesen und des Chippewa, sondern gleicht dem gezwungenen geräuschlosen Schritte eines englischen Jockey.

Wahrscheinlich spielte ich meine Rolle gut. Ein Indianer, der von der Pferdewache zum Feuer ging, streifte mich und rief mich mit dem Namen Wakono.

»Was gibt es?«, antwortete ich in spanischer Sprache, indem ich die Stimme und die Betonung eines Indianers so gut wie möglich nachahmte. Ich wurde überrascht, und die Antwort war gewagt, aber ich konnte nicht stumm bleiben.

Der Mann erstaunte ein wenig, dass ich ihm in mexikanischer Sprache antwortete, aber er verstand mich und entgegnete: »Hörst du den Ruf, Wakono? Warum kommst du nicht? Der Rat versammelt sich, und Hissoo Royo ist bereits dort.«

Die Wörter »Ruf, »Rat« und den Namen Hissoo Royo verstand ich, das Übrige sagten mir seine Gebärden. Der Name Hissoo Royo war der indianische Name des spanischen Renegaten.

Obwohl ich ihn verstand, war ich doch nicht auf eine Antwort vorbereitet. Ich durfte nicht wagen, spanisch zu antworten, da ich nicht wusste, wie weit Wakono mit dieser Sprache vertraut war.

Ich sah mich in Verlegenheit gesetzt. Wie sollte ich den zudringlichen Wilden, der gewiss ein Freund Wakonos war, loswerden, wenn er sich an mich hängte?

Da geriet ich auf einen glücklichen Einfall. Ich nahm eine sehr ernste und würdige Mine an, als wäre ich in tiefem Nachdenken versunken und wünschte, nicht gestört zu werden. Ich erhob die Hand, winkte dem Mann, sich zu entfernen und wandte zu gleicher Zeit den Kopf, indem ich weiter schritt.

Der Indianer folgte dem Zeichen und entfernte sich, aber wie es schien, ungern. Ich blickte zurück und sah, wie er sich mit zögerndem Schritt entfernte, jedenfalls ein wenig über das seltsame Benehmen seines Freundes Wakono erstaunt.

Ich wagte nicht eher, mich umzudrehen, als bis ich im Schatten des Gehölzes war. Als ich zurückblickte, war mein Freund zum Feuer hingegangen, und ich sah ihn, wie er sich unter die dort befindliche Menge mischte.

Durch den Schatten war ich jetzt vor jeder Beobachtung geschützt und konnte überlegen, was zu tun sei. Durch das Ereignis, das mich in Schrecken gesetzt hatte, war ich zu gleicher Zeit an Erfahrung reicher geworden. Ich hatte erstens einen Namen erhalten, zweitens erfahren, dass eine Beratung in Aussicht stand, und drittens, dass der Renegat Hissoo Royo an dieser Beratung beteiligt sei.

Dies war eine wichtige Mitteilung, die mir in Verbindung mit dem, was ich schon wusste, jetzt alles klar machte. Es sollte keine andere Beratung stattfinden als die, durch welche der Streit zwischen dem Renegaten und dem anderen Häuptling entschieden werden sollte, wer nämlich ein Recht auf meine Verlobte habe.

Die Beratung sollte sich jetzt versammeln und war noch nicht zusammengetreten. Ich war also zur rechten Zeit gekommen. Bis jetzt hatte es noch niemand gewagt, Hand an sie zu legen. Weder der weiße noch der rote Wilde waren in ihren Besitz gekommen.

Die Feindschaft zwischen den beiden Schurken hatte dazu gedient, Isolina bisher zu schützen. Sie war auf solche Weise vor jeder Rohheit bewahrt worden, dies war ein seltsamer Trost, aber doch immer ein Trost.

Aber wo war sie? Ich sah sie nirgends, obwohl ich von meinem neuen Platz das Lager, die Bewohner und die Feuer noch besser als vorher übersehen konnte.

Sie wird gewiss im Zelt sein oder – ein neuer Gedanke! Vielleicht ist sie im Wald, bis die Beratung die Entscheidung getroffen hat.

An die letztere Vermutung knüpften sich Hoffnungen und Pläne. Ich wollte das Gehölz durchsuchen. Wenn ich sie dort fand, so war mein Unternehmen leicht, viel leichter, als ich geglaubt hatte.

Ich konnte sie dann aus den Händen ihrer Wachen befreien. Mit meinen Waffen konnte ich sechs Menschen erlegen, mit den tödlichen Kugeln meiner Revolver konnte ich es sogar mit einer bewaffneten Übermacht aufnehmen, und überdies bemerkte ich, dass die meisten Wilden, auf die Sicherheit des Lagers vertrauend, ohne Waffen umhergingen.

Da eine Beratung zusammenkam, ließ sich sogar annehmen, dass ich sie allein oder nur mit einem einzigen Bewacher finden würde. Vermutlich gingen die Männer alle hin, einige als Beteiligte, andere, um selber daran teilzunehmen, noch andere, um die Vorgänge neugierig zu beobachten. Es nahmen also gewissermaßen alle Anteil daran. In diesem Augenblick erinnerte ich mich aller Gebräuche dieser wilden Unmenschen.

Ohne weiter Zeit mit Nachdenken zu verlieren, schlich ich in das Gehölz und begann meine Nachforschung.

Es war leicht vorwärtszukommen, denn weder Unterholz noch die weitläufig stehenden Bäume hinderten mich. Ich konnte mit Leichtigkeit fortschreiten, ohne mich zu bücken. Das dunkle Laub verbarg mich und die Wildschuhe gestatteten mir, ohne Geräusch mit leisen Schritten vorwärtszugehen. Der Boden war vor dem Licht geschützt, als ob kein Mond geschienen hätte. Ich bewegte mich auf einem schmalen dunklen Gang. Das Gehölz bestand fast gänzlich aus dem immergrünen Pecanbaum, der jetzt noch den größten Teil seines grünen Laubes trug. Nur wo die Bäume etwas weitläufiger standen, drangen die Mondstrahlen hindurch.

Es war jedoch hell genug, um zu bemerken, dass ich mich in meiner Vermutung getäuscht hatte, dass nicht alle Männer sich in der Versammlung, nicht alle Frauen sich am Lagerfeuer befanden.

Ich wurde jedoch nicht beachtet und ging ungehindert weiter. Schnell, so weit der Weg es gestattete, durchschritt ich das Gehölz. Ich betrat jede freie Stelle und suchte überall bis an die äußersten Grenzen des Waldes. Ich sah mehrere Personen, Männer und Frauen, aber nicht die Gesuchte.

Isolina musste also im Zelt sein.

Ich wandte mein Gesicht zum Zelt hin, ging vorsichtig weiter und erreichte bald die dahinter befindlichen Bäume.

Ich blieb am Rand stehen und blickte vorsichtig durch die Zweige. Ich brauchte nicht länger zu suchen. Meine Verlobte befand sich dort.

Isolina stand vor mir, dass ich sie sehen, hören, sie fast mit den Händen berühren konnte. Aber ich wagte es nicht, sie anzusprechen, um sie deutlicher sehen zu können.

Seitdem ich das große Feuer zuletzt gesehen, hatten sich die Gruppen bedeutend verändert, und es zeigte sich jetzt ein neues Schauspiel, das meine Aufmerksamkeit eine Zeit lang fesselte, ehe sich mein Blick auf Isolina richtete.

Das Feuer loderte nicht mehr, oder nur, wenn es einen Augenblick geschürt wurde. Die Stämme waren verkohlt und das Licht, welches sie von sich gaben, war schwächer, aber rot und dunkel glühend. Die Scheite waren jedoch so gelegt, dass sich das Feuer erhielt und das Lager bis zu seinen äußersten Grenzen erhellte.

Die Wilden, welche das Feuer umringten, standen nicht mehr, bildeten auch keine unregelmäßigen Gruppen, sondern saßen oder kauerten, in gleichen Zwischenräumen voneinander, rings um den hohen Haufen der glühenden Holzbrocken.

Ich zählte die Männer nicht, aber es mochten ungefähr zwanzig anwesend sein. Alle trugen ihr Nationalkostüm. Ihr Oberteil war nackt, mit Ausnahme der Arme, welche durch Armbänder geschmückt waren. Nase, Ohren und Hals waren mit Muscheln geziert. Alle waren weiß, braun und rot bemalt. Ich sah ohne Zweifel die beratende Versammlung vor mir.

Ich brauchte kaum zehn Sekunden, um diese Einzelheiten zu beobachten. Es war nur nötig, dass meine Augen sich an das Licht gewöhnten. Dann verweilten meine Blicke auf Isolina.

In dem Kreis der Indianer, welche das Feuer umschlossen hielten, befand sich eine Lücke von zehn bis zwölf Fuß. Der Boden machte vom Zelt bis zum Bach hin eine kleine Senkung, sodass jener freie Raum sich gerade vor dem Zelt und über dem Feuer befand. An diesem Ort, genau in der Mitte zwischen dem Zelt und dem Feuer und ein wenig hinter dem Kreis der Beratenden, befand sich die Gefangene. Das Zelt lag zwischen ihr und meinem Standpunkt, sodass ich sie nicht gleich hatte bemerken können.

Sie saß auf einer Decke von Wolfsfell. Sie war halb zurückgelehnt und wandte den Rücken dem Zelt zu, während sie auf die Beratung hinblickte. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, bemerkte aber, dass ihre Arme frei, ihre Füße jedoch gebunden waren. Obwohl ich das Gesicht meiner Verlobten nicht sah, erkannte ich sie doch an den Umrissen ihrer Gestalt. Ich konnte mich nicht täuschen.

Ein anderer auffallender Umstand entging meiner Beobachtung ebenso wenig. Auf der anderen Seite des Feuers, Isolina gerade gegenüber, erblickte ich einen Gegenstand, der mir wohl bekannt war – das weiße Ross. Es war nicht angebunden, sondern wurde von einem Indianer gehalten. Da ich es von keinem meiner früheren Standpunkte aus bemerkt hatte, so war es jedenfalls erst vor Kurzem herbeigeführt worden. Man stritt sich auch um diesen Besitz wie um seine Herrin und machte es zum Gegenstand des Prozesses.

Einen anderen Gegenstand, der meine Aufmerksamkeit erweckte, betrachtete ich nicht mit freundlichem Anteil, sondern mit Widerwillen und Entrüstung.

Fern vom Kreis der Beratenden und den zuschauenden Gruppen hielt sich der Renegat Hissoo Royo. So wild und teuflisch wie er sah keiner von den anderen aus, obwohl die hässlichen, mit den Kriegsfarben beschmierten Gesichter einen hinreichend abschreckenden Anblick darboten.

Dieser Mann hatte von Natur schon hässliche Züge. Jetzt waren sie aber wirklich entsetzlich durch die Bemalung, die er angenommen hatte. Auf seiner Stirn trug er einen weiß gemalten Totenkopf mit gekreuzten Knochen, und darüber war ein blutender Skalp deutlich nachgeahmt.

Die natürliche Hautfarbe wurde nicht verdeckt, und umso abschreckender war diese unnatürliche Entstellung. Die weiße Haut, die sich an einzelnen Stellen als Grund der bunten Malerei zeigte, bildete einen seltsamen Gegensatz zu den dunklen Farben.

Seinen Nebenbuhler konnte ich trotz aller Bemühung nicht erblicken. Er mochte sich unter den Zuschauern befinden oder noch nicht angekommen sein. Da er der Sohn des obersten Häuptlings war, so war es auch nicht unwahrscheinlich, dass er sich in dem Zelt befand.

Man brachte die große Friedenspfeife und zündete sie am Feuer an, dann ging sie in der Runde von Mund zu Mund, und jeder der Wilden nahm einen Zug. Damit wurde die Beratung eröffnet.

Ich hätte keinen besseren Platz wählen können, als den ich zufällig erhalten hatte. Vor mir lag das Feuer, die Beratenden, die umstehenden Gruppen, mit einem Wort, das ganze Lager.

Es war auch von Wichtigkeit, dass ich sehen konnte, ohne selber bemerkt zu werden.

Am Rande des Gehölzes zog sich ein schmaler Schattenstreifen hin, der durch den Saum des Dickichts hervorgebracht wurde. Er glich dem, der mich geschützt hatte, während ich im Wasser watete. Während mich also das Zelt gegen den Schein des Feuers von vorn deckte, schützte mich das dichte Land der Pecanbäume von hinten, da das Mondlicht schräg auf den Wald fiel.

Sobald ich meine vorteilhafte Stellung erkannt hatte, beschloss ich, diesen Ort nicht zu verlassen.

Meine Sinne waren jetzt so geschärft, dass ich alle Umstände in wenigen Minuten beobachtet hatte. Ich erkannte alles, was sich auf meinen Plan bezog.

Es war nur eine Art zu handeln möglich – ich musste nach meinem ersten Plan verfahren. Vor so vielen Augen war es nicht möglich, die Gefangene heimlich zu entführen. Ich überzeugte mich, dass sie offen und durch einen kühnen Streich erobert werden musste.

Aber konnte ich in diesem Augenblick den Versuch machen? Konnte ich vorwärts stürzen und mit meinem Messer die Gefangene befreien, die nur zehn Schritte von meinem Standpunkt entfernt war? War es denn möglich, zu entkommen, ehe die Wilden sich auf uns warfen?

Dies war unmöglich – sie saß den Indianern und namentlich dem Renegaten zu nahe. Der Letztere stand fast nur einen Schritt von ihr entfernt. Er trug ein dreischneidiges, spanisches Messer im Gürtel und hätte mich niedergestoßen, ehe ich fähig war, das Seil von ihren Fesseln zu durchschneiden. Es war unmöglich. Ich hatte keine Hoffnung, dass dieser Versuch gelingen könnte. Ich musste daher eine günstige Gelegenheit abwarten. Wohl erinnerte ich mich des letzten Rates, den mir Rube gegeben hatte, nicht zu hastig zu handeln. Er hatte mich ermahnt, den verzweifelten Schlag, wenn es nötig wäre, bis auf den letzten Augenblick zu lassen. Jedenfalls konnten dann die Umstände nicht schlimmer sein als jetzt. Nachdem ich dies überlegt hatte, kam ich zu dem Entschluss, meine Ungeduld zu zügeln und zu warten. Mein Blick wanderte abwechselnd hier und dort hin, von Hissoo Royo zu den Gestalten, die am Feuer kauerten, von ihnen zu den entfernten einzelnen Gruppen.

Nur zuweilen fiel mein Blick auf Isolina.

Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht ihr Gesicht, sondern nur die Rückseite ihrer Gestalt gesehen. Ich fühlte das Verlangen, ihr Gesicht zu sehen, denn ich erinnerte mich an das, was mir in der Hazienda erzählt worden war.

Endlich lächelte mir das Glück. Die Gefangene drehte den Kopf und wandte mir das Gesicht zu.

Auf der Stirn, auf den Wangen war kein Zeichen, keine Wunde zu sehen. Die Haut war unverletzt, glatt und durchsichtig, der Schmied in der Hazienda war barmherzig gewesen oder er war in seinem scheußlichen Werk gestört und gehindert worden.

Endlich unterbrach die laute Stimme eines Ausrufers die Stille, sie verkündete den Anfang der Beratung.

Das ganze Verfahren war so förmlich, und jeder einzelne Schritt geschah in solcher feierlichen Regelmäßigkeit, dass ich beinahe zu dem Gedanken gekommen wäre, ich befände mich vor einem Gericht der zivilisierten Welt und sollte einer Verhandlung vor Geschworenen beiwohnen. Nur die freie Luft, das Feuer, die Kleidung und die grimmige Bemalung der Wilden erinnerten mich an die Wirklichkeit. Es sollte freilich ein Prozess geführt werden, aber ohne Richter. Die Richter wurden zu gleicher Zeit durch die Geschworenen gebildet, denn die Verhandlung war so einfach, dass angenommen werden konnte, das Gesetz sei jedem ohne Erklärung verständlich. Ebenso fehlten die Anwälte. Beide Teile, der Kläger wie der Beklagte, führten ihre Sache selbst. Diese Sitte, welche sich vielleicht anderswo auch einführen ließe, ist bei dem Gerichtsverfahren in der Steppe ganz gewöhnlich.

Jetzt erscholl der Name Hissoo Royo, von lauter Stimme gerufen. Er wurde durch den Ausrufer aufgefordert, vor Gericht zu erscheinen. Dies hatte wieder Ähnlichkeit mit unseren Gebräuchen.

Der Ausrufer sprach den Namen dreimal aus und bei jeder Wiederholung wurde sein Ton gellender und lauter. Es war nicht nötig, dass der Mann die Kräfte seiner Stimme aufbot, denn der Gerufene befand sich an Ort und Stelle und war zur Antwort bereit. Noch ehe der Widerhall verklang, antwortete der Renegat mit lauter Stimme, trat auf den freien Raum im Kreis, richtete sich hoch auf und blieb mit verschränkten Armen stehen.

Ich überlegte in diesem Augenblick, ob ich vorwärts stürzen und sogleich mein Geschick und das meiner Verlobten entscheiden sollte. Es schien eine günstige Lage, und ich machte mich einen Augenblick zum Sprunge bereit. Als ich jedoch zufällig auf die Zuschauer im Hintergrund blickte, sah ich, dass viele sich gerade auf dem Weg befanden, den ich einschlagen musste. Die Mehrzahl von ihnen trug Waffen in der Hand oder an ihrem Körper.

Gegen eine solche Macht war ich nicht imstande, anzukämpfen. Eine solche Linie konnte ich unmöglich durchbrechen. Der Versuch wäre wahnsinnig gewesen. Ich erinnerte mich wieder an Rubes Rat und stand von dem unbesonnenen Plan ab.

Es folgte jetzt eine Pause, nach welcher einer von den Richtern aufstand und Hissoo Royo durch einen Wink zum Sprechen aufforderte.

Der Renegat begann: »Rote Krieger und Brüder! Was ich vor dem Rat zu sprechen habe, bedarf nicht vieler Worte! Ich fordere jenes mexikanische Mädchen als meine Gefangene und als mein Eigentum! Wer macht mir mein Recht streitig? Ich fordere auch das weiße Ross als meine redlich erworbene Beute!«

Der Renegat schwieg, als wollte er weitere Befehle von der Versammlung erwarten.

»Hissoo Royo hat seine Ansprüche auf das mexikanische Mädchen und das weiße Ross geltend gemacht. Er sagt nicht, auf welches Recht er sie gründet. Sein Recht mag er der Versammlung darlegen.«

Diese Worte sprach der nämliche Indianer, der den Renegaten aufgefordert hatte und die Versammlung zu leiten schien. Er übte dieses Amt nicht aus höherer Machtvollkommenheit, sondern weil er der Älteste war. Das Alter hat bei den Indianern stets den Vorrang.

»Brüder!«, sagte der Aufgeforderte, »mein Anspruch ist gerecht, und ihr sollt darüber richten. Ich kenne eure redlichen Herzen, ihr werdet sie nicht der Gerechtigkeit verschließen. Ihr braucht euch nur an das Gesetz zu erinnern, dass derjenige, der einen Gefangenen macht, auch das Recht hat, ihn zu behalten und mit ihm anzufangen, was ihm beliebt! So lautet das Gesetz eures Stammes, das des meinen lautet ebenso, denn euer Stamm ist der meine!«

Diese Rede wurde von lautem Beifall unterbrochen.

»Rote Krieger!«, fuhr der Sprechende fort, »meine Haut ist weiß, aber mein Herz trägt dieselbe Farbe wie eure Herzen! Ihr habt mir die Ehre erwiesen, mich unter eure Nation aufzunehmen. Ihr machtet mich zuerst zum Krieger und dann zum Kriegshäuptling. Habe ich euer Vertrauen missbraucht?«

Diese Frage wurde durch lebhafte Rufe verneint.

»Ich vertraue daher eurer Gerechtigkeit und eurer Wahrheit! Ich brauche nicht zu fürchten, dass die Farbe meiner Haut eure Augen blenden werde, denn ihr alle kennt die Farbe meines Herzens!«

Diese listige Wendung bewirkte einen wiederholten Ausruf des Beifalls.

»So hört denn, meine werten Brüder! Ich fordere das Mädchen und das Pferd! Wo und wie ich sie gefunden habe, brauche ich nicht zu sagen, denn eure eigenen Augen waren bei der Gefangennahme zugegen. Es beteiligten sich viele Reiter an der Verfolgung und man spricht, es sei zweifelhaft, wer sie gefangen genommen habe. Aber ich bestreite, dass irgendein Zweifel obwalten könne. Mein Lasso schlang sich zuerst um den Kopf des Tieres, zog sich dann um den Hals zusammen und brachte es zum Stehen.

Zu gleicher Zeit mit dem Pferd wurde natürlicherweise auch die Reiterin eingefangen. Dies war mein Werk, und beide sind meine Gefangenen. Beide fordere ich als mein Eigentum. Wer meine Ansprüche bestreitet, der trete hervor!«

Die letzte Herausforderung sprach Hissoo Royo in trotzigen Ton, dann nahm er wieder seine vorige Stellung ein und blieb mit verschränkten Armen stumm stehen.

Wieder folgte eine Pause, worauf abermals der alte Krieger, welcher zuerst gesprochen hatte, ein Zeichen gab. Einen Augenblick darauf rief der Ausrufer mit seiner lauten und gellenden Stimme: »Wakono!«

Bei diesem Namen fuhr ich wie vom Blitz getroffen zusammen.

Jetzt wurde mir alles klar. Wakono war der Gegner des Renegaten. Es war derselbe, dessen Rock mich bekleidete, dessen Mantel von meinen Schultern herabhing, dessen Federschmuck meinen Kopf zierte, durch dessen Farben mein Gesicht entstellt wurde. Wakono war kein anderer als der Krieger, welcher die rote Hand auf der Brust und das Kreuz auf der Stirn trug.

Es wurde dreimal und jedes Mal in lauterem Ton gerufen.

»Wakono! Wakono! Wakono!«

In diesem Augenblick wurde ich von einem seltsamen Gefühl erfüllt. Ich befand mich in einer gefährlichen Lage. Ich ließ die Zweige, welche ich zurückgebogen hielt, aus meinen bebenden Fingern los. Sie schlossen sich vor meinem Gesicht, und ich wagte nicht, wieder hinauszusehen.

Einige Sekunden lang stand ich still und ohne Regung. Meine Nerven waren in der schrecklichsten Aufregung.

Ich sah nicht hinaus, aber ich lauschte. Es herrschte tiefe Stille. Niemand rührte sich, niemand sprach. Man wartete auf den Erfolg des Ausrufers.

Aufs Neue erscholl die Stimme des Ausrufers und wiederholte dreimal:

»Wakono! Wakono! Wakono!«

Es folgte wieder ein tiefes Schweigen, aber ich hörte ein leises Gemurmel der Verwunderung. Man war erstaunt, dass der Indianer nicht auf seinen Namen hörte. Ich allein wusste, weshalb er ausblieb. Ich wusste, dass er nicht erscheinen konnte.

Ich hatte zwar übernommen, den echten Wakono nachzuahmen, aber ich war nicht vorbereitet, den wilden Häuptling bei diesem Austritt vorzustellen. Die Zuschauer mussten warten.

In diesem Augenblick der höchsten Gefahr fühlte ich mich sogar geneigt, meine Lage fast lächerlich zu finden. Ich teilte die Zweige noch einmal und wagte es, hinauszublicken.

Es war eine Verwirrung entstanden. Man hatte gemeldet, dass Wakono nicht anwesend sei. Die Anwesenden saßen noch immer ruhig in ihrer Reihe, aber die jüngeren Krieger, welche sich hinter ihnen befanden, stießen raue Rufe aus, bewegten sich unruhig hin und her und drückten in dieser Weise Erstaunen und Ärger gleichzeitig aus.

In diesem wichtigen Augenblicke trat ein Indianer aus dem Zelt. Es war ein Mann von ehrwürdigem Äußeren, welches vorzugsweise seinem Alter zuzuschreiben war. Seine Wangen waren gefurcht und sein Haar gebleicht, wie dies bei den Indianern selten ist.

Die ganze Erscheinung dieses Mannes deutete auf eine wichtige Person. Wakono war der Sohn eines Häuptlings, dieser alte Mann war jedenfalls der Häuptling selber.

Dies vermutete ich, und meine Vermutung erwies sich als richtig.

Der weißhaarige Indianer trat in den Kreis und gebot mit einem Wink Stillschweigen.

Man gehorchte ihm augenblicklich. Das Murmeln hörte auf, und alle standen lauschend.