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Die Macht der Drei – Teil 41

Die-Macht-der-Drei

Jane hatte das Flugschiff der Linie Köln – Stockholm betreten. Dr. Glossin stand unter der Menge auf dem Flugplatz und hielt sich hinter einem Verkaufsstand für Zeitungen und Erfrischungen verborgen. Das Schiff wurde gut besetzt. Es zählte mehr als 120 Passagiere, die über die Aluminiumtreppe den Rumpf betraten. Die Aussichten, während der Fahrt von Jane nicht erblickt zu werden, waren nicht schlecht.

Erst im letzten Moment, als die Bedienungsmannschaft schon die Treppe abrücken wollte, trat er aus seinem Schlupfwinkel heraus und eilte als Letzter in das Schiff. Gleich danach wurde die Tür verschraubt, die Maschinen gingen an, und das Schiff verließ den Platz.

Dr. Glossin sah, dass der Korridor, der den Rumpf des Schiffes der Länge nach durchzog, beinahe menschenleer war, und eilte in die Raucherkabine. Hier wusste er sich in Sicherheit und konnte bis zur Landung in Stockholm bestimmt ungesehen bleiben.

Erst jetzt kam er dazu, sich sein Abenteuer und die möglichen Folgen in Ruhe zu überlegen. Wie kam Jane dazu, so plötzlich das Haus in Düsseldorf zu verlassen und nach Stockholm zu fahren? Auf den Gedanken, dass sie kopflos und ohne festes Ziel in die Welt hinausfuhr, kam er nicht.

Silvester musste sie gerufen haben. Sicherlich hatte sie Nachricht von Silvester erhalten und fuhr jetzt den dreien nach. Durch diese Annahme gewann das Unternehmen aber plötzlich ein ernstes Gesicht. Silvester würde Jane am Flugplatz bei der Ankunft erwarten. Vielleicht schon in Stockholm. Vielleicht in Haparanda oder sonst wo.

In jedem Fall musste unvermeidlich irgendwo der Moment kommen, in welchem Silvester an das landende Flugschiff herantrat, um Jane in Empfang zu nehmen. Wo Silvester war, da waren sehr wahrscheinlich auch die beiden anderen in nächster Nähe. Der Doktor verspürte ein kaltes Gefühl zwischen den Schultern, als er den Gedanken zu Ende dachte. Er zog einen kleinen Handspiegel aus der Tasche und betrachtete sorgfältig sein Antlitz. Und nickte zufrieden. Die Veränderungen, die er schon in Düsseldorf an seinem Äußeren vorgenommen hatte, erfüllten ihren Zweck. Beruhigt steckte er den Spiegel wieder weg.

Nicht umsonst war er lange Jahre in die Schule politischer Verschwörungen und Intrigen gegangen. Genötigt gewesen, bald unter dieser, bald unter jener Maske aufzutreten. Die Veränderung des Äußeren war meisterhaft. Nicht nach der Art plumper Anfänger mit künstlichen Bärten und Perücken, die jeder Polizeibeamte auf den ersten Blick erkennt. Nur eine leichte Färbung des Haares, eine andere Frisur und eine Garderobe nach europäischem Schnitt, die sich von der amerikanischen Tracht bemerkenswert unterschied. Dazu seine Fähigkeit, den Ausdruck des Gesichts, das Spiel seiner Züge willkürlich zu verändern. Aus dem Dr. Glossin aus New York war irgendein beliebiger und gleichgültiger europäischer Geschäftsreisender geworden.

Leuten gegenüber, die ihn nur oberflächlich kannten, musste die Veränderung sicheren Schutz gewähren. Ob sie den prüfenden Blicken Janes standhalten würde, war ihm nicht so außer Zweifel. Dass Silvester, dass Atma sie mit einem Blick durchschauen würden, war ihm gewiss. Aber er rechnete damit, dass sie in der Freude des Wiedersehens auf die Mitreisenden wenig achten würden.

Das Schiff landete im Flughafen von Stockholm. Dr. Glossin blieb an seinem Fenster sitzen. Er beobachtete die Passagiere, die das Schiff verließen, die Leute, die sie hier erwarteten. Jane verließ das Schiff. Sie wurde von niemand erwartet, schien auch selbst nichts Derartiges zu erwarten. Nach einer kurzen Frage an einen Beamten wandte sie sich dem Schiff Stockholm – Haparanda zu, das auf dem Nachbargleis zur Abfahrt bereitstand. Glossin folgte ihr. Er nahm auch in dem zweiten Schiff wieder den Platz in der Rauchkabine.

Jane fuhr nach Haparanda. Es war der direkte Weg nach Linnais. Die letzten Zweifel schwanden ihm, dass die drei sich noch in der Nähe von Linnais verborgen hielten, dass Jane auf einen Ruf ihres Gatten an den Torneaelf fuhr. Er sah sie in Haparanda das Schiff verlassen und zur Eisenbahn gehen. Es war so, wie er vermutete. Sie nahm eine Karte nach Linnais. Er tat das Gleiche und fuhr, nur durch eine Wagenwand von ihr getrennt, weiter nach Norden.

Nun stand Jane auf dem Bahnsteig in Linnais. Wieder allein! Niemand war hier, um sie in Empfang zu nehmen. Der Doktor wurde in seiner Überzeugung schwankend. Was hielt den Gatten ab, seiner jungen Frau wenigstens die paar Kilometer entgegenzufahren, die er jetzt noch höchstens von ihr entfernt sein konnte?

Dr. Glossin sah Jane über den Platz vor dem Bahnhof gehen, mit dem Führer eines Karriols verhandeln, sah sie davonfahren. Sollte Jane ihm im letzten Augenblick entgehen?          Sollte das Karriol sie, den Strom entlang, zu irgendeinem neuen unauffindbaren Schlupfwinkel der drei führen? Sollte er hier in Linnais unverrichteter Dinge zurückkehren müssen? Nein und abermals nein. Er musste Jane folgen, musste erkunden, wo sie hinging, wo sie blieb. Ein zweiter Wagen war schnell gefunden. Er gab dem Führer nur den Auftrag, dem ersten Wagen in einigem Abstand zu folgen.

Die Fahrt ging die Uferstraße, am Torneafluss aufwärts, entlang.

Das landschaftliche Bild war schön, doch Dr. Glossin sah nur die Gegend, in der er seine letzte Niederlage im Kampf gegen die drei erlitten hatte. Und er sah vor sich die schlanke Gestalt Janes, nach der er in sehnender Gier verlangte, der er jetzt zu folgen entschlossen war, auch wenn der Weg ihn in den Bannkreis des Inders und des Feuer und Tod speienden Strahlers bringen sollte.

Das Karriol vor ihm hielt auf der Landstraße. Er sah, wie der Wagen umkehrte und leer nach Linnais zurückfuhr. Jane war ausgestiegen und hatte einen Weg den Bergabhang hinauf eingeschlagen. Er ließ den eigenen Wagen bis dorthin vorfahren, hieß ihn warten, auch wenn es Stunden dauern sollte, und folgte der Entschwundenen den Berg hinauf. Hin und wieder sah er ihr Kleid durch die Büsche schimmern. Der Weg führte in leichten Serpentinen zum Truworhaus.

Nun stand er am Waldrand, hatte freien Ausblick auf die Brandstätte. Und sah Jane niedergesunken an der von der Wut des Feuers geschwärzten und verglasten Trümmerstätte knien. Sie hatte die kleine Handtasche und den Telefonapparat fallen lassen und strich mit zitternden Händen über die Steintrümmer.

Das Haus, in dem sie den glücklichsten Tag ihres Lebens, ihren Hochzeitstag, verbracht hatte, eine wüste, brandgeschwärzte Ruine. Die blühenden Gartenanlagen vom Feuer zerfressen. Ihr Gatte verschwunden. Keine Nachricht von ihm.

Die Erschütterung war zu groß. Mit einem Aufschrei fiel sie ohnmächtig nieder. Jetzt brach der Riegel.

Dr. Glossin sah sie fallen und rührte sich nicht von seinem Platz. Jeden Augenblick erwartete er die Gestalt Silvesters, die des Inders auftauchen zu sehen. Vielleicht den Gefährlichsten der drei, Erik Truwor.

Minuten verstrichen. Nichts regte sich. Da begann er langsam die Wahrheit zu ahnen, zu vermuten und schließlich zu erkennen. Jane war aus eigenem Antrieb von Düsseldorf fortgegangen. Sie war an den Ort gegangen, den sie als das Heim der drei kannte, und sie war niedergebrochen, als sie es verwüstet und zerstört wiedersah. Niemand erwartete sie hier. Hilflos lag sie hier im Wald, seinem Verlangen schutzlos preisgegeben.

Er trat aus dem Wald und näherte sich dem Trümmerhaufen. Eine ungeheure Glut musste hier gewirkt haben. Die Granitblöcke, aus denen die Zyklopenmauern des Truworhauses bestanden hatten, waren zu einer zusammenhängenden glasartigen Masse verschmolzen. Kein einfaches Feuer wäre imstande gewesen, das Urgestein zu schmelzen. Hier musste die telenergetische Konzentration gewütet haben. Unzählige Tausende von Kilowatt mussten in diesem Gestein zur Entladung gekommen sein.

Dr. Glossin näherte sich Jane. Er wollte sie aufheben, den Berg hinunterbringen, als sein Blick auf den Telefonapparat fiel. Es reizte ihn, die Apparatur zu versuchen. Mit einem Griff schaltete er die Elektronenlampen ein.

Und er vernahm Worte einer wohlbekannten Stimme, Silvesters Stimme.

Es war in der vierten Nachmittagsstunde. Silvester hatte die Antennen am Pol gespannt und suchte Jane. Er suchte sie auf dem Bild der Mattscheibe und konnte sie nicht finden. Während er mit dem Strahler die Straßen Düsseldorfs absuchte, sprach er Worte der Verzweiflung und der Liebe. Worte, die für Jane bestimmt waren und von Glossin gehört wurden.

»Jane, mein Lieb, wo bist du? Ich kann dich nicht sehen. Dein Zimmer ist leer … Ich suche dich … Alle Straßen, alle Plätze der Stadt ziehen auf dem Bild vor mir vorüber. Nur du bist nicht da … Ich weiß nicht, wo du bist. Vielleicht hörst du meine Stimme. Ich will dich suchen, bis ich dich gefunden habe. Die ganze Welt will ich durchsuchen …«

Glossin erschrak. Wie weit war die entsetzliche Erfindung gediehen! Sie konnten die ganze Welt im Bild bei sich betrachten. Silvester suchte in Düsseldorf. Er brauchte nur in Linnais zu suchen, und er sah seinen alten Feind und hatte die Macht – Glossin zweifelte keinen Augenblick daran – ihn zu Staub und Asche zu verbrennen. Er schleuderte das Telefon von sich, als ob er glühendes Eisen gegriffen hätte.

Weg von hier. So schnell wie möglich weg von diesem Platz, der in der nächsten Sekunde von den dreien gesehen werden konnte.

Er stürzte sich auf Jane. Die hypnotische Verriegelung war gebrochen. Jane war seinem Einfluss wieder preisgegeben. Er ließ seine stärksten Künste spielen. Er strich ihr mit den Händen über Stirn und Schläfen. Mit äußerster Gewalt zwang er sie in seinen Bann. Mit seiner Hilfe und auf seinen Befehl erhob sie sich. Auf seinen Befehl hatte sie alles vergessen, was geschehen war …

In scharfem Trab brachte das Karriol sie nach Linnais. Das Gefährt war nur für einen Passagier bestimmt. Er musste sie während der Fahrt eng an sich ziehen. Hier vollendete er die hypnotische Beeinflussung …

Als Jane in Linnais aus dem Wagen stieg, war sie eine ruhige junge Dame, die mit ihrem Oheim reiste. Wie weggewischt war die Erinnerung an Silvester, an das Truworhaus, an alles Böse, was Glossin ihr jemals zugefügt hatte.

Während die Bahn sie nach Haparanda brachte, während sie im Flugschiff nach Stockholm flogen, fasste Glossin seine letzten Entschlüsse.

Die Erfindung, die gefährliche Erfindung, welche die Macht über die Welt in die Hand eines einzigen Menschen legte, war vollendet. Nach den Worten, die er im Telefon gehört hatte, war kein Zweifel mehr daran erlaubt.

Cyrus Stonard kam mit seinem Entschluss zum Krieg zu spät. Die drei lebten nicht nur, sie besaßen auch die Macht, das Vabanquespiel des Diktators zu durchkreuzen.

Es war Zeit, sich von Cyrus Stonard zu trennen, zu den Engländern überzugehen. Dazu war es notwendig, nach London zu gehen. Aber England war im Krieg. Aller Luftverkehr war eingestellt. Die Linie Stockholm – London lag still. Nur der Hornissenschwarm von hunderttausend Kriegsflugschiffen schwärmte um die englische Küste, bereit, jedes Fahrzeug, das sich England auf dem Luftweg nähern sollte, zu vernichten.

Wer nach England wollte, musste den Bahntunnel zwischen Calais und Dover benutzen. Die alte Linie Stockholm – London war seit einigen Tagen auf Stockholm – Calais umgelegt worden.

Das Schiff brachte Glossin und Jane in wenigen Stunden nach Calais. Seine Räder setzten bei der Landung auf ein Gleis auf, neben dem der Zug nach London stand. Nur ein Drahtgitter trennte den Flugsteig vom Bahnsteig. Aber es war nicht ganz einfach, das Gitter zu durchschreiten. Jenseits desselben, wo der Zug stand, begann praktisch bereits England. England, das sich in einem schweren Krieg befand. Die Passkontrolle war scharf. Es drängten sich viele zu den Türen, aber mehr als einer wurde zurückgewiesen.

Dr. Glossin hatte Zeit. Er stand, Jane leicht untergefasst, ruhig auf dem Bahnsteig und betrachtete die Umgebung.

Die See war von hier aus nicht zu erblicken. Sie lag drei Kilometer entfernt. Außerdem versperrten die gewaltigen Hochbassins den Blick in dieser Richtung. Jene Bassins, die stets mit Seewasser gefüllt waren, die sich in gleicher Ausführung auch auf der englischen Seite des Kanals befanden und deren Aufgabe es war, den Tunnel in wenigen Minuten volllaufen zu lassen. Für den Fall nämlich, dass etwa zwischen England und Frankreich kriegerische Verwicklungen entstanden, dass Truppen von der einen oder anderen Seite her durch den Tunnel in das Land des Gegners zu marschieren versuchten. Dr. Glossin betrachtete die Anlagen überlegen lächelnd. Sie waren veraltet. Man führte den Krieg heute auf andere Weise.

Er dachte an die Pestbomben, an die falschen Banknoten. Die Zeit verstrich darüber. Jetzt war es freier an den Toren des Zaunes geworden. Er zog seine Brieftasche heraus und suchte unter allerlei Papieren. Mit einem Kartenblatt in der Hand, Jane am Arm, schritt er durch die Sperre. Die englischen Beamten warfen nur einen kurzen Blick auf das Papier und gaben ihm in achtungsvoller Haltung den Weg frei. Sie kannten die Unterschrift des Premierministers Lord Gashford.

Fünf Minuten später glitt der Zug aus dem Bahnhof, tauchte in das Dunkel des Tunnels, durchrollte die dreißig Kilometer unter dem Meer in ebenso vielen Minuten und eilte dann durch die Fluren von Canterbury auf London zu.

In einem großen Hotel in London nahm ein älterer Herr in Gesellschaft einer jungen Dame ein Apartment. Als Dr. Glossin aus Aberdeen mit Nichte. Die Ausweise über seine eigene Person, die er dem revidierenden Beamten vorlegte, waren so vorzüglich, dass man der Behauptung, seine Nichte habe ihre Papiere verloren, ohne weiteres Glauben schenkte.

 

***