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Das Steppenross – Kapitel 16

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 16
Rote Schriftzeichen

»Das Pferd ist hier geführt worden«, sagte Rube, »und zwar in der Mitte des Trupps – ein Trupp vorn und einer hinter ihm – so sind sie hier vorbeigekommen. Pah!«, fuhr er fort, indem er die Fährte wieder genau beobachtete; »es ist eine hübsche Zahl gewesen, wohl mehr als zwanzig, das sind noch gar nicht alle, wenn ich mich nicht irre. Es sind nur ein paar vorausgaloppiert, um das Pferd zu fangen. Ich möchte meine Büchse gegen ein mexikanisches Gewehr wetten, dass noch ein viel größerer Trupp hier in der Nähe ist. Das ist so gewiss, wie die Sonne aufgeht!«

Diese Meinung brachte mich auf neue, ganz widersprechende Gedanken. Zuerst empfand ich Freude darüber, dass der Schimmel eingefangen worden war. Die Indianer waren doch wenigstens Menschen mit menschlichen Herzen. Obgleich sie die Reiterin für eine Weiße, also für eine Feindin erkannten, so ist sie doch eine Frau und in einer hilflosen Lage. Wodurch sollten sie also zur Feindseligkeit veranlasst werden? Es musste ihre hilflose Lage gerade die entgegengesetzte Empfindung erwecken. Sie erkannten in ihr das Opfer der Grausamkeit und das Opfer ihrer eigenen Feinde. Dies musste sie zur Teilnahme und zum Mitleid rühren. Sie mussten sie befreien, ihre Bedürfnisse stillen, ihre Wunden verbinden, sie pflegen und schützen. Ich war überzeugt, dass sie so menschlich handeln würden.

Aber diese Gedanken waren nur flüchtig und die darauf Folgenden viel bitterer und schmerzlicher. Ich musste unwillkürlich an den Charakter der Wilden denken, denen sie in die Hände gefallen war. War es die nämliche Bande, welche die Grenzstadt überfallen hatte, so gehörte sie zu den südlichen Indianern, zu den Comanchen oder Lipan.

Die Überreste der Stämme der Shawnee und Delawaren sowie der Kickapoo und der Cherokee aus Texas streiften allerdings zuweilen bis an die Ufer des Rio Grande. Aber bei dieser Angelegenheit waren sie nicht im Spiel. Diese Stämme haben durch den langen Umgang mit den Weißen eine Art von halber Bildung angenommen und die Feindschaft gegen die Europäer fast ganz aufgegeben. Sie beschäftigen sich nicht mehr mit Raub und Mord. Sie hatten diesen letzten Streifzug nicht gemacht. Das Verfahren, dessen Spur vor unseren Augen lag, passte eher zum Charakter der trunksüchtigen Apachen, welche in den letzten Zeiten ihre Streifzüge bis zum Fluss hinunter ausgedehnt hatten. Dies kam jedoch ziemlich auf dasselbe hinaus, denn die Apachen sind wie die Comanchen oder noch schlimmer. Mochten die Indianer, auf deren Fährte wir uns befanden, Apachen, Comanchen, Lipan oder mit ihnen verbündete Stämme sein, so kam darauf nichts an, da sie alle einander ähnlich sind.

Den Charakter dieser rohen Männer des Südens kannte ich zu gut, sie unterscheiden sich wesentlich von den Indianern des Nordens, und es trat in meine Erinnerung manches Bild, manche grausame, wilde, zügellose Szene und manche schreckliche Geschichte aus den südlichen Ebenen, die ich gehört hatte.

Ich verweilte nicht lange bei diesem Gedanken, sondern ritt schnell vorwärts. Und dazu wurde ich aus einem anderen Grund getrieben. Wir alle litten quälenden Durst und schnappten förmlich nach Wasser. Dieses körperliche Leiden zwang uns daher, so schnell weiter zu reiten, wie unsere ermüdeten Pferde es vermochten.

Endlich erblickten wir einen Wald, einen großen Laubwald, der im Gegensatz zu der benachbarten schwarzen Ebene um so frischer und erquickender aussah. Es war ein Gehölz von Silberpappeln, das ein Steppenbach begrenzte. Darüber hinaus hatte sich das Feuer nicht erstreckt. Kaum fielen die Augen der Reiter und der Pferde auf diesen klaren Bach, so stießen sie ein wildes Freudengeschrei aus. Die Männer sprangen aus dem Sattel und stürzten sich furchtlos bis an die Brust in das Wasser. Einige schöpften die helle Flüssigkeit mit den Händen, andere bückten sich ungeduldig nieder, senkten das Gesicht in die Flut und tranken.

Die Trapper benahmen sich jedoch weniger unbesonnen als die übrigen. Bevor beide in das Wasser stiegen, richteten sie die Augen unwillkürlich auf die Ufer und den Wald.

Dicht an der Stelle, wo wir haltgemacht hatten, befand sich ein Übergangspunkt, den eine ausgetretene Fährte von zahlreichen Tieren kenntlich machte. Rubes Augen fielen darauf und leuchteten sogleich in ungewöhnlicher Lebhaftigkeit. »Ich sagte es euch«, rief er nach einer Pause, »hier ist die Fährte – die Kriegsfährte!«

Es sind die Straßen der Comanchen und aller der Indianer, welche im »mexikanischen Monat« auf Krieg ausziehen. Einen dieser Pfade hatte der Trapper im Auge, als er den Ruf ausstieß: Es ist die Kriegsfährte!

Ich ließ mir keine Zeit, meinen Durst zu stillen, sondern führte mein Pferd über den Bach, um die Fährte jenseits zu untersuchen. Wie sich vermuten ließ, waren die Trapper an meiner Seite.

Da ich mir einmal die Zuneigung dieser beiden Männer erworben hatte, so brauchte ich nicht daran zu zweifeln, dass sie ihr Leben für mich wagen würden, sie hatten schon zu verschiedenen Malen Beweise davon gegeben. Für Garey, der kräftig und voll Mut, voll edler Gesinnung und im eigentlichen Sinne des Wortes schön war, fühlte ich wirkliche Freundschaft, und der junge Trapper erwiderte meine Zuneigung. Gegen seinen älteren Kameraden hegte ich ein Gefühl, welches sich nicht recht erklären ließ. Es war eine Art Bewunderung, die sich aber mehr auf die geistigen Fähigkeiten als auf die sittlichen und körperlichen Eigenschaften des Mannes erstreckte. Seine geistigen Fähigkeiten waren gewissermaßen Naturtriebe, denn seine Einfälle hatten Ähnlichkeit mit dem Instinkt der Tiere und schienen sich ohne tiefes Nachdenken einzustellen.

Ich wusste, dass mich der alte Trapper sehr gut leiden konnte und mir ebenso eifrig diente wie der jüngere. Er hütete sich aber, mir seinen Eifer zu offen zu zeigen, da er dies eher für eine Schwäche hielt. Seine Zuneigung zu mir wurde noch dadurch erhöht, dass ich ihn niemals in seinen Launen hinderte und es auch nie versuchte, mit ihm in der Kenntnis des Steppenlebens zu wetteifern. In dieser Geschicklichkeit war ich sein Schüler und unterwarf mich als ein solcher stets seinem Willen.

Es kam hierzu noch ein anderer Beweggrund: Die Trapper beteiligten sich aus Liebhaberei an dem Unternehmen, welches uns in Anspruch nahm. Sie liebten ein solches Unternehmen, wie der Jagdhund die Fährte liebt, und hätten es trotz Hunger, Durst und Ermüdung nicht wieder freiwillig aufgegeben.

Auch sie ließen sich kaum Zeit, ihren Durst zu löschen, und folgten mir durch das Wasser, um mit mir vereint die Spur aufmerksam zu beobachten. Es war eine echte Kriegsfährte. Es zeigte sich keine Spur von einem Hund, kein Loch von einem Zeltpfahl. Diese Zeichen wären sichtbar gewesen, wenn es ein Lager wandernder friedfertiger Indianer gewesen wäre. Außerdem mussten dann auch zahlreiche Fußstapfen von indianischen Frauen vorhanden sein, denn die Frau des gebieterischen Comanchen muss als Sklavin die Ebene ebenso wie das nachfolgende Packpferd zu Fuß durchschreiten.

Obgleich sich keine Spur von indianischen Frauen zeigte, sahen wir doch in dem Boden des Ufers Dutzende von weiblichen Tritten, die aber nicht mit den Schritten einer indianischen Frau zu verwechseln waren, denn sie zeigten sich schmal, kaum eine Spanne lang und leicht in der Erde abgeformt, ohne die breiten Absätze, die einwärts gebogenen Zehen und die Spuren von Wildschuhen. Diese zarten Eindrücke mussten von mexikanischen Frauen herrühren, welche kleinere und zierlichere Füße besitzen.

»Gefangene!«, riefen wir, als wir diese Spuren erblickten.

»Ja, die armen Geschöpfe!«, sagte Rube in mitleidigem Ton. »Die verwünschten Indianer haben sie zu Fuß gehen lassen, obgleich es reiterlose Pferde genug gibt. Es ist aber eine gute Anzahl Frauen gewesen, wenigstens zwanzig.«

Wir bemerkten außerdem Spuren von mehr als hundert Pferden und ebenso vielen Maultieren. Einige waren mit Hufeisen beschlagen und teils getrieben, teils geritten worden. Sie waren ebenfalls gefangen.

Für meine Gefährten waren diese Zeichen nicht so unverständlich wie für mich. Sie gaben ihnen die Belehrung, dass es der Pfad eines indianischen Kriegertrupps auf dem Rückwege sei. Sie waren mit Beutegut beladen und hatten eine Menge Gefangene bei sich, Pferde, Maultiere, Frauen, und wie wir an den kleinen Tritten sehen konnten, auch Kinder, die sie vor sich hertrieben oder hinter sich folgen ließen.

Meine Begleiter sahen aber noch mehr aus der Fährte, sie zweifelten nicht länger, dass die Indianer Comanchen wären. Sie sahen dies an einem weggeworfenen Wildschuh, den sie aufgehoben und daran eine Lederquaste hängend gefunden hatten.

Die Fährte war von den Indianern erst vor wenigen Stunden zurückgelassen. Trotz der Trockenheit der Luft war der Schlamm an dem Ufer des Baches noch feucht. Die Indianer mussten daher über den Bach gegangen sein, ehe die Steppe in Flammen stand.

Die Pferde, welche über die verbrannte Steppe gefolgt waren, gehörten zu dem Trupp, der den Schimmel verfolgte. Sie hatten den Haupttrupp, der den Raub und die Gefangenen führte, gerade an der Furt eingeholt. Von dort aus waren sie zusammen weitergezogen.

Dies war wahrscheinlich, beinahe unzweifelhaft, aber die Sache war so wichtig, dass wir Gewissheit erlangen mussten. Der Huf, den wir alle leicht daran erkennen konnten, dass ein Stück am Rande ausgesprungen war, ließ sich am schlammigen Ufer des Flusses nicht finden, aber der Schimmel konnte den übrigen Pferden vorausgeführt oder geritten worden sein, sodass seine Fährte von den übrigen zahlreichen Hufen bedeckt worden war.

In diesem Augenblick kam der Hinterwäldler zu uns, um an der Untersuchung teilzunehmen. Kaum hatte der Jäger die Fährte erblickt, so zeigte er auf die Spur eines beschlagenen Pferdes und rief in bedeutungsvollem Ton: »Mein Pferd! Bei Gott, mein Pferd! Ich könnte die Fährte auf einer trockenen Sandbank erkennen, denn ich kenne jeden Nagel daran, da ich es mit eigener Hand beschlagen habe.«

»Oho!«, sprach Rube in bedenklichem Ton, »das macht die Sache ein wenig anders, aber ich habe es mir gleich gedacht, ja, ja! Der verwünschte Renegat! Ich wusste wohl, dass wir unrecht taten, als wir ihn laufen ließen!«

Rube meinte einen Mexikaner, der unter die Indianer gegangen war und den wir am Felsen gefangen genommen hatten. Ich erinnerte mich jetzt, dass Rube damals geraten hatte, ihn zu töten. Dieser unbarmherzige Rat war aber nicht befolgt worden.

Der Trapper wusste etwas von der Geschichte des Mannes, er hatte seine Gründe angegeben und wiederholte sie jetzt mit den Worten:

»Er ist ein Renegat, und alle Renegaten in den Steppen sind die schlimmsten Feinde der Weißen, namentlich der Texaner. Er zeigte sich bei dem Gefecht, er ist schlimmer als ein Indianer, weil er den Charakter und die Gebräuche der Europäer kennt. Es war sehr einfältig von uns, ihn laufen zu lassen. Er hat dein Pferd gestohlen, Master Stanfield, aber du kannst es als ein Glück schätzen, dass er nicht auch deine Kopfhaut mitnahm, wahrlich, das kannst du!«

Der Renegat hatte Stanfields Pferd gestohlen, und der Jäger erkannte jetzt die Spur seines Pferdes, welches wahrscheinlich von dem Räuber geritten wurde.

Daraus ließ sich vielerlei erklären. Der Kriegertrupp musste derselbe sein, den wir an dem Felsenhügel getroffen hatten, derselbe, der die mexikanische Stadt geplündert und die Hazienda beraubt hatte.

Ha, jetzt erinnerte ich mich dieses Renegaten. Ich hatte ihn halb wild auf der Straße herumtreiben sehen, nachdem wir ihn freigelassen hatten. Ich hatte ihn einmal gesehen, als ich mit Isolina ausritt. Ich erinnerte mich des wütenden Blickes, den er auf meine Begleiterin warf. Nun besann ich mich auch, dass ich ihm damals gedroht hatte. Wilde Gedanken bestürmten meinen Geist.

Ich sprang in den Sattel, befahl, schnell vorwärts zu reiten, und eilte auf der Fährte voraus.

Wir bedurften nicht mehr der Geschicklichkeit der Trapper, denn die Fährte war so leicht zu verfolgen wie eine Heerstraße, und ein Blinder hätte den Weg finden können.

Aber ein Pferd fing nach dem anderen an zu erschlaffen, und bald blieb die Mehrzahl von ihnen mit unsicherem Schritt mehrere Hundert Fuß zurück. Die Leute kämpften gutwillig gegen die Natur an, aber auch sie waren todmüde. Die Pferde ließen sich endlich trotz Sporen und Peitsche nicht mehr vorwärtstreiben, nur mein eigenes vortreffliches Pferd war noch imstande, die Reise fortzusetzen.

Die Nacht brach herein, es dämmerte schon. An dem bewölkten Himmel sah ich, dass kein Mondschein zu erwarten war. Ungern glitt ich aus dem Sattel, ließ mein Pferd weiden und setzte mich auf die Erde. Meine Begleiter kamen lautlos heran, banden ihre Tiere fest und setzten sich um mich her. Einer nach dem anderen streckte sich auf dem Rasen aus, und in wenigen Minuten war alles eingeschlafen.

Ich konnte nicht lange sitzen bleiben. Ich stand auf und wanderte ohne Zweck umher. Bald stieg ich über meine ausgestreckten schlafenden Gefährten, bald begab ich mich zu den Pferden, bald ging ich am Ufer des Baches auf und ab. Dann stieg ich zum Bett des Baches hinab, schöpfte Wasser mit meinen Händen und benetzte zu wiederholten Malen meine Lippen und die Schläfe. Durch die kühle Flüssigkeit wurden meine Nerven erfrischt und mein Geist besänftigt.

Ich setzte mich ans Ufer des klaren Baches und schaute in das Wasser, das über gelben Sand und glänzende Kiesel vorüberrauschte. Es war vollkommen durchsichtig, und obgleich die Sonne schon untergegangen war, bemerkte ich doch in der Tiefe niedliche Silberfische, welche hin und her schwammen. Ich beneidete sie um ihre heiteren Spiele, um ihr Leben in dieser reinen Flüssigkeit. In diesem einsamen Steppenbach lebten sie in voller Freiheit, denn hier gab es keinen Tyrannen der Tiefe, der sie hätte in Schrecken setzen können, weder einen Meerwolf noch einen Alligator, noch einen Delfin, noch einen Haifisch. Sie führten ein beneidenswertes sorgloses Leben.

Allmählich schien es mir, als ob meine Augenlider niedersanken, und ich noch einschlafen könnte. Durch das Gemurmel des Baches wurde meine Schläfrigkeit vermehrt, und ich würde vielleicht eingeschlafen sein, wenn nicht in diesem Augenblick mir zufällig ein Gegenstand aufgefallen wäre, der sogleich den Schlaf wieder verscheuchte. Dicht neben dem Ort, wohin ich mich gesetzt hatte, wuchs eine besondere mexikanische Aloe, und ich bemerkte, dass eines der großen Blätter umgebrochen und die Spitze oben abgerissen war.

Dies war nichts Ungewöhnliches, da ich wusste, dass die Indianer an unserem Lagerplatz haltgemacht hatten. Ihre Spur war ringsumher an den zahlreichen Tritten der Pferde und an den abgebrochenen Baumzweigen zu sehen. Es konnte daher das Blatt leicht von einem Pferde oder Maultier abgenagt worden sein, aber ich befand mich dicht neben der Pflanze und sah zu meinem Erstaunen Buchstaben auf dem Blatt.

Ich kniete nieder, bog das mächtige Blatt um, betrachtete die Oberfläche genau und las: »Von Comanchen gefangen … ein Kriegertrupp … viele Gefangene, Frauen und Kinder, … arme Frauen! Nordwestlich von hier … vom Tod gerettet … ich fürchte …«

Hier endete die Schrift plötzlich, und es fand sich keine Unterschrift. Aber so plump die Züge mittelst des rohen Materials waren, so zweifelte ich nicht, dass sie von Isolina de Vargas herrührten. Ich erkannte die Handschrift. Sie hatte die dornige Spitze abgerissen, als Griffel benutzt und die Buchstaben in die Haut des Blattes eingeritzt. Immer wieder las ich die Worte. Ich untersuchte die anderen Blätter der Pflanze auf beiden Seiten, aber es ließ sich nichts weiter, als was ich gelesen hatte, entdecken.

Durch jene Mitteilung, die mir ganz unerwartet kam, wurde ich tief erschüttert, jeder Zweifel verschwand und ich erfuhr Isolinas Lage genau.

Es war nicht mehr daran zu zweifeln, dass sie noch lebte, und diese Gewissheit erfüllte mich mit Freude. Sie war sogar unverletzt, sie war imstande, zu denken, zu handeln, zu schreiben. Der seltsame Brief lieferte den Beweis davon, dass sie sich in voller Gesundheit befand. Selbst wenn sie gefesselt war, mussten wenigstens ihre Hände frei sein, sonst hätte sie jene Worte nicht schreiben können. Ihre Wächter behandelten sie also nachsichtig und rücksichtsvoll.

Von großer Wichtigkeit war es, dass sie wusste, ich folgte ihr. Hatte sie mich gesehen, als ich ihr nachgaloppierte? Ich hatte ihren Ruf gehört, als sich ihr Schimmel in das Dickicht stürzte. Sie musste mich erkannt haben, denn sie erwiderte meinen Ruf. Sie wusste, dass ich ihr folgte und dass ich ihr weiter folgen würde. Die Schrift hatte sie für mich bestimmt, und ich las die Worte, die mir eine Himmelsbotschaft dünkten, noch einmal.

Je länger ich aber darüber nachdachte, desto schwerer wurde mir das Herz. Aus welchem Grund hatte sie so plötzlich abgebrochen? Was hatte sie zu sagen beabsichtigt und zu gleicher Zeit gefürchtet? Diese Ungewissheit eben quälte mich, und ich machte mir die entsetzlichsten Vorstellungen in meiner Einbildungskraft.

Meine Gedanken lenkten sich wieder auf ihre Hüter, ich dachte über den Charakter des Prärieindianers nach, der sich so wesentlich vom Waldindianer unterscheidet. Die Verschiedenheit ihrer Heimat mag eine Ursache zu diesem Charakterunterschied sein. Der südliche Indianer gleicht in seinen geistigen Eigenschaften mehr dem Spanier als dem Nordamerikaner. Dies erklärt sich aus dem Klima, aus seiner Berührung mit der spanischen Bildung, die sich von der angelsächsischen unterscheidet. Es erklärt sich ferner daraus, dass er stets beritten ist und dass es ihm vergönnt war, seinen weißen Feind zu besiegen und sich mit den weißen Frauen des spanischen Geschlechts zu verheiraten.

Der berittene Indianer der Ebene ist keineswegs schweigsam und mäßig, sondern genusssüchtig, heiter, schwatzhaft, unsittlich, prahlerisch.

Die Comanchen erwerben sich ihre Frauen, indem sie um sie würfeln oder ihretwegen einen Wettlauf auf den schnellen Steppenrossen anstellen. Wenn sie sich um eine Frau bewerben, so bemalen sie sich in auffallender Weise. Sie stehlen Pferde, um die Mittel zu erhalten, sie zu kaufen, sie ziehen in den Krieg, um sie zu rauben.

Und dennoch behandeln sie ihre Frauen höchst tyrannisch. Die Squaw eines Comanchen ist weniger eine Ehefrau als eine Sklavin. Sie hat ein schweres Schicksal zu dulden. Sie muss Holz fällen, Wasser holen, das Zelt aufschlagen und niederreißen, das Pferd führen, das Fleisch einsalzen und die Felle gerben, den Boden für Mais, Melonen und Kürbisse bearbeiten und die Erntearbeiten verrichten. Sie muss ihrem faulen Gebieter dienen und sich von seinen Launen abhängig machen, wenn sie nicht etwa die Ohren oder die Nase verlieren will.

Dies ist das Los der indianischen Frauen, aber noch schlimmer ist das der weißen Gefangenen. Diese muss die eben genannten Lasten und außerdem noch die Feindseligkeit der indianischen Frauen ertragen. Die Sklavin behandelt die weiße Gefangene mit Widerwillen. Sie schlägt, sie misshandelt und verwundet sie, ohne dass der gleichgültige Gebieter sich einmischt.

Dies alles stellte sich meinem Geist vor, und leider war es keine Einbildung, keine Vorspiegelung der Fantasie, sondern es war die Wirklichkeit, es waren entsetzliche Tatsachen.

Es ist nicht zu verwundern, dass der Schlaf meine Augenlider floh. Jeder Gedanke an Ruhe oder Rast wurde verbannt, bevor ich meine Verlobte aus ihrer Gefahr befreit hatte. Auch meine Müdigkeit verschwand. Ich fühlte mich so frisch, als ob ich geschlafen hätte, und meine Nerven waren zu neuen Unternehmungen gespannt. Die geschriebenen Worte hatten meine Aufregung, meine Ungeduld, meine peinliche Furcht vermehrt.

Ich wäre am liebsten zu Pferde gestiegen und ohne Ruhe und Schlaf vorwärts geritten, ohne die Gefahr zu berücksichtigen – aber was konnte ich allein unternehmen? Und nun legte ich mir zum ersten Mal die wichtige Frage vor: Was konnte ich mit meinen wenigen Begleitern unternehmen? Die Räuber waren mit Beute beladen und durch ihre Gefangenen behindert. Wir konnten sie jedenfalls bei Nacht oder bei Tage einholen. Aber was dann?

Wir waren nur unsere Neun und verfolgten einen Kriegertrupp von wenigstens hundert Mann.

Dieser Trupp war zur Schlacht gerüstet und enthielt die besten Männer des Stammes, welche durch die letzten Siege noch mit größerem Mut erfüllt und gegen uns besonders rachgierig gesinnt waren, weil wir sie früher besiegt hatten. Wurden wir selber besiegt, so durften wir keine Gnade von ihnen erwarten. Und war etwas anderes möglich? Konnten neun gegen hundert siegreich sein?

Daran hatte ich bis zu diesem Augenblick nicht gedacht, sondern mich nur von meinem inneren Drang fortreißen lassen. Ich hatte nur den einzigen Gedanken gehegt, den Schimmel einzuholen und die Reiterin zu befreien. Isolina erschien uns jetzt in einer anderen Gefahr als vor einer Stunde: Sie war von dem schrecklichen Los, auf dem Pferd umzukommen, befreit, aber sah das schlimmere Los vor sich, die Squaw eines Indianers zu werden.

Das freudige Gefühl, das ich anfangs empfunden hatte, war daher von kurzer Dauer. Meine Verlobte war vom Tod gerettet, um einer schmachvollen Zukunft entgegenzugehen. Darin erkannte ich eine neue, viel schlimmere Lage.

Während ich nachsann, senkte sich die Nacht herab und sie schien dunkel zu werden. Der Himmel wurde von schwarzen Wolken bedeckt, sodass weder Mond noch Sterne sichtbar waren.

Es wurde allmählich so dunkel, dass ich die Gestalten meiner Kameraden nicht mehr erkennen konnte, obgleich sie dicht neben mir lagen.

Obgleich ich in Gedanken versunken war, merkte ich doch ein körperliches Unbehagen, welches auf den südlichen Steppen häufig empfunden wird, die Kälte. Mit der Nacht hatte sich ein frostiger Wind eingestellt, der binnen einer halben Stunde heftig und kalt wurde. Die Kälte nahm mit der Gewalt des Windes zu, und das Thermometer musste in einer halben Stunde um viele Grade gefallen sein, was auf den mexikanischen Ebenen nicht selten ist. Es war der wohlbekannte Nordwind der Menschen und Tiere oft mit seinem eisigen Hauch tötet.

Ich habe einen strengen kanadischen Winter ertragen, ich reiste an zugefrorenen Seen, ich übernachtete bei Schneewetter in den Wildnissen von Rupertsland, aber ich kann mich keiner solchen schneidenden Kälte erinnern wie derjenigen, welche ein mexikanischer Nordwind mit sich führt. Das Thermometer fällt in der Tat nicht so tief, aber das Gefühl gibt eine viel richtigere Andeutung der Hitze oder der Kälte. Mag dieses Gefühl aus dem Gegensatz entstehen oder durch die plötzliche Veränderung bewirkt werden. Dazu kommt, dass es in solchen Fällen an der geeigneten Kleidung oder an dem Obdach fehlt. Es mag an der Beschaffenheit des Blutes und an anderen Verhältnissen liegen, genug, man empfindet eine so ungewöhnliche Veränderung der Temperatur schmerzlich. Der kalte Hauch des Nordwindes, den ich oft ertragen hatte, war mir nie peinlicher vorgekommen wie in jener Nacht. Der Tag war drückend heiß gewesen, und in der ersten Stunde der Dunkelheit sank das Thermometer um ein Beträchtliches von der Höhe, welche es zur Mittagsstunde gehabt hatte. Es musste unter dem Gefrierpunkt stehen, denn der Wind führte Schnee und Hagel mit sich. Meine Nerven waren zerrüttet, Ruhe und Schlaf hatte ich seit langer Zeit entbehrt, die Reise des heutigen Tages war heiß und ermüdend gewesen. Wir hatten solange auf der heißen Oberfläche der sonnenverbrannten Steppe geweilt und waren in Schweiß geraten. Dies alles trug dazu bei, dass wir nun die Kälte um so schmerzlicher empfinden mussten. Mir war zumute, als ob das Blut in meinen Adern erstarre und erfriere.

Ich war froh, dass ich mich in ein Büffelfell hüllen konnte, welches ein Indianer verloren hatte. Nicht so gut waren meine Begleiter versorgt. Wir waren aufgebrochen, ohne im Geringsten an ein Nachtlager zu denken, und hatten daher auch keine weiteren Vorbereitungen getroffen. Nur einige hatten zufällig Decken auf den Sattel geschnallt.

Der Nordwind weckte alle plötzlich aus dem Schlummer wie ein kaltes Sturzbad. Alle tappten im Dunkeln umher, einige suchten Schutz unter den Decken, andere unter Gebüsch.

Man nahm die Satteldecken von den Pferden, und die armen Tiere standen nun vor Kälte zitternd, den Rücken gegen den schneidenden Wind, die Beine dicht aneinander gezogen. Einige suchten hinter den Büschen Schutz, ohne weiter an die Weide zu denken.

Wir konnten leicht ein Feuer anzünden, denn in der Nähe des Ortes gab es dürres Holz genug und die große Gattung des Mesquite, welche zum Brennen vortrefflich ist. Gierige Leute rieten unbedenklich dazu, aber die Bedächtigere der Gesellschaft stimmten gegen den Vorschlag, und auch die Trapper sprachen sich entschieden gegen denselben aus. Obgleich die Nacht kalt und dunkel war, so würden die Indianer doch weder vom Nordwind noch von der Finsternis abgehalten worden sein, sich hervorzuwagen. Ein Trupp konnte sogar in der Nähe umherschweifen, eine Bande konnte wohl wegen des Büffelfelles zurückkehren, denn die Malerei auf der inneren Seite zeigte, dass es der Staatsmantel eines Kriegers war. Ein Feuer hätte also unser Leben kosten können.

Die Trapper Rube und Garey meinten daher, es sei besser, die Kälte zu ertragen, als unsere Kopfhäute in Gefahr zu bringen.

Dessen ungeachtet wollte aber Rube nicht frieren. Er verstand es, auf der offenen Steppe ein Feuer anzuzünden, ohne dass es jemand sehen konnte. Nach wenigen Minuten hatte er eins zuwege gebracht, das selbst der scharfsichtigste Indianer auf der Steppe nicht entdeckt hätte. Sein Verfahren dabei erregte meine Aufmerksamkeit.

Zuerst sammelte er eine Menge dürres Laub, trockenes Gras und kurzes Reisig vom Mesquitebaum und legte alles unter seine Satteldecke, damit es nicht durch Hagel und Regen nass würde. Dann nahm er sein Bowiemesser zur Hand und grub damit im Rasen ein Loch von einem Fuß Tiefe und demselben Umfang. In dieses Loch legte er zuerst das Gras und Laub, nachdem er aus seiner Jagdtasche Feuerstein, Stahl und Zunder genommen und Letzteren angebrannt hatte. Auf die flammendere Blätter deckte er danach die kleineren dürren Reiser, dann die stärkeren und füllte das Loch bis zum Rand. Über das Ganze deckte er ein Stück Rasen, welches er zuerst ausgeschnitten hatte und das genau darauf passte.

Nun war sein Ofen vollendet. Der Trapper kauerte sich darüber, sodass er das Feuer zwischen die Schenkel nahm. Dann zog er seine alte Decke über die Schultern und ließ sie so weit hinten herabfallen, bis er sie unter seine mageren Schenkel fassen konnte, zog dann die Decke über die Knie und drückte die Enden mit den Zehen fest auf den Boden.

Rube fand bald Nachahmung. Auch der junge Trapper baute sich einen ähnlichen Ofen, und die anderen wärmten sich mit derselben einfachen sinnreichen Erfindung.

Der gutmütige Garey hatte für mich einen besonderen Ofen gemacht, und ich verschmähte es nicht, mich an denselben zu setzen und das große Büffelfell über meine Schultern zu ziehen. So fühlte ich mich warm wie an einem Steinkohlenfeuer.

Ich war nicht in der Stimmung, an der Heiterkeit teilzunehmen, welche das komische Schauspiel bei meinen Begleitern hervorrief. Allerdings gewährte es einen lächerlichen Anblick, wie wir unserer Neun dicht beieinander am Boden kauerten, während der blaue Ranch in unseren Decken aufstieg und sich um unsere Köpfe kräuselte, als ob wir alle in Brand ständen.

Der Wind, der Hagel und die Dunkelheit währten die ganze Nacht. Der scharfe Wind, die eisigen Schloßen blieben sich gleich. Selbst mit dem größten Eifer und mit der vollkommensten Frische hätten wir in der Dunkelheit der Fährte doch nicht folgen können. Sogar ein breiter Kriegspfad hätte sich unter diesen Umständen nicht verfolgen lassen. Es war gefährlich, Licht zu machen, und wir besaßen auch keine Mittel dazu. Es fehlte uns an einer Laterne, und eine Kienfackel wäre beim ersten Hauch des Nordwindes ausgelöscht worden.

Wir konnten nicht daran denken, vor Tagesanbruch und vor dem Aufhören des wilden Sturmes weiter zu reiten. Um Mitternacht zündeten wir neues Feuer an und blieben an Ort und Stelle. Während Hagel und Regen tobten, stützten meine Gefährten die Köpfe auf die Knie und schlummerten ein. Für mich gab es keinen Schlaf. Auch meine Gedanken beruhigten sich nicht. Ich zählte wie im Fieber auf meinem schlummerlosen Lager die Stunden, die Minuten, und die Minuten erschienen mir wie Stunden.

Als sich die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne im Osten zeigten, saßen wir wieder im Sattel und folgten der Fährte.

Diese führte uns nach Nordwest, wie auf der Agave geschrieben stand. Isolina hatte jedenfalls ihre Hüter von ihren Absichten sprechen hören.

Ich wusste, dass Isolina etwas von der Sprache der Comanchen verstand, aber selbst ohne diese Kenntnis konnte sie die Pläne der Indianer erfahren haben. Die südlichen Comanchen besitzen große Sprachkenntnis, und viele reden die schöne Sprache von Andalusien. In früherer Zeit war ein Teil des Stammes von Missionsgeistlichen unterrichtet worden, ohne allen Zweifel hatte Isolina von ihren Plänen reden hören.

Wir näherten uns langsam und vorsichtig dem Lager. Die größte Behutsamkeit war notwendig, denn wenn wir auch nur von einem einzigen zurückgebliebenen Wilden gesehen wurden, so war dies ebenso gut, als hätte uns der ganze Trupp erblickt. Wurden wir auf der Kriegsfährte entdeckt, so mussten wir alle unser Leben verlieren. Und selbst wenn einige von uns entrannen, so war doch unser Plan vereitelt. Diesen Plan hatte ich während der letzten Nachtwache entworfen. Meine Gedanken waren nicht müßig gewesen, dennoch war mir unser Verfahren noch nicht ganz deutlich geworden. Es hing noch von Umständen ab und konnte gehindert oder begünstigt werden.

Wir waren seit zwei Stunden geritten, als wir an dem Ort ankamen, wo die Indianer ihr Nachtlager gehabt hatten.

Die Trapper konnten aus den Spuren im Lager sehen, zu welchem Stamm die Indianer gehörten. Wir hatten es eigentlich schon vorher erraten.

Wir fanden die Pfähle eines einzigen Zeltes vor, jedenfalls die Wohnung des obersten Häuptlings. Es waren Schösslinge aus dem nahen Gebüsch, nur für den augenblicklichen Gebrauch bestimmt. Sie waren in einem Kreis eingesteckt und an den Spitzen mit einem Ring zusammengebunden, sodass das Zelt eine kegelförmige Gestalt gehabt haben musste. Diese Form war uns an den Comachenzelten bekannt.

Rube benutzte die Gelegenheit, seine Kenntnis zu zeigen.

»Wenn es Kickapoo gewesen wären«, sagte er, »so hätten sie ihre Pfähle nach innen gebogen, um eine Art Rundung hervorzubringen. Wären es Waco gewesen, so hätten sie an der Spitze ein Loch für den Rauch frei gelassen. Die Delawaren und Shawnee haben gerade solche Zelte wie die Weißen, aber sie machen ihr Feuer auf eine andere Art an. Bei einem Feuer, welches die Shawnee anzünden, sind die Scheite mit einem Ende nach innen und mit dem anderen nach außen gelegt, gerade so wie die Speichen eines Rades oder wie der Stern auf einer mexikanischen Fahne. Die Cherokee haben ebenfalls ordentliche Zelte, machen aber ihr Feuer noch anders. Sie legen die Scheite nebeneinander, zünden sie nur an der einen Seite an und schieben nach, so weit sie abgebrannt sind. Dies ist ihre Art. Ihr seht aber, dass die Scheite hier ganz anders gelegt sind und dass man sie in der Mitte angebracht hat. So machen es die Comanchen.«

Rube wusste noch mehr zu folgern. Die Wilden waren ebenso früh aufgebrochen wie wir und mussten daher auf der Fährte einen Vorsprung von zwei Stunden haben. Weshalb eilten sie? Vielleicht um noch zu rechter Zeit anzukommen und die großen Büffelherden zu treffen, welche sich bei kaltem Wetter im Norden des Comanchengebietes zeigten. Diese Erklärung des Trappers war wahrscheinlich richtig.

Ich fühlte mich seltsam aufgeregt, als ich über die Stelle hinritt. Es waren noch andere Spuren als die der Weißen, man sah Zeichen der Zivilisation und des Raubes, womit die Gefangenen beladen waren: Stücke von zerbrochenen Tassen und musikalischen Instrumenten, einzelne zerrissene gedruckte Blätter, Flickwerk von seidenen und samtenen Kleidern, ein kleiner Atlaspantoffel, wie nur die mexikanischen Damen tragen, einen abgetragenen und beschmutzten Wildschuh. Dies waren Sinnbilder des Indianerlebens und der Zivilisation. Es war keine Zeit, über diese merkwürdige Gegensätze weiter nachzudenken. Ich suchte mit forschenden Blicken nach einer Spur von meiner Verlobten.

Wie hatte wohl Isolina die Nacht zugebracht?

Unwillkürlich blickte ich auf die Stange des Häuptlingszeltes.

»Junger Bursche«, sagte Rube in diesem Augenblick, »ich bin kein großer Gelehrter, aber ich möchte wetten, dass die Schrift hier für Sie und sonst für niemand bestimmt ist.«

Mit diesen Worten reichte er mir ein Papier, welches ordentlich zusammengefaltet und mit der Adresse Warfield bezeichnet war. Er hatte es dicht neben dem Platz, wo ein Zelt gestanden hatte, im Gras gefunden und zwar in dem oberen gespaltenen Ende eines Stockes, der mit dem anderen Ende in der Erde steckte. Es ließ sich nicht verkennen, dass das Blatt mit Blut geschrieben war.

Ich öffnete es schnell und las:

Heinrich, ich bin noch unverletzt, muss aber das traurige Schicksal befürchten, eine weiße Gefangene unter diesen abscheulichen Männern zu bleiben. Zwei von meinen Peinigern machen Anspruch auf mich. Der eine ist der Sohn eines Häuptlings, der andere der Elende, welchem du das Leben und die Freiheit geschenkt hast. Der Weiße ist der schändlichere Wilde von beiden, schlecht und roh. Beide haben am Einfangen des Rosses teilgenommen und beanspruchen mich deshalb beide als ihr Eigentum. Es soll ein Rat gehalten werden, um zu entscheiden, welchem von diesen Ungeheuern ich übergeben werden soll. Sie kommen, um mich fortzuschleppen. Lebe wohl!

Dies war der Inhalt des Blattes, welches aus einem Messbuch gerissen war. Ich schob die roten Zeilen in die Brusttasche und eilte auf der Fährte vorwärts, ohne ein Wort mit meinen Begleitern zu wechseln.