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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jack Lloyd Folge 10

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Der Beute hinterher

Quälend langsam drehte die White Swallow sich vor den Wind. Immer näher kam die Jagdgaleone. Die Schreie der spanischen Mannschaft, das Prasseln des Feuers und eine erneute Explosion an Bord des feindlichen Schiffes schufen eine Geräuschkulisse, die Jack einen Schauer über den Rücken jagte. Selten hatte er den Tod in so unmittelbarer Nähe wüten sehen und die ständig wachsende Hitze erinnerte ihn daran, dass die Gefahr, ebenso zu enden wie die spanische Galeone, größer war, als er ursprünglich befürchtet hatte. Endlich hatte die Swallow den neuen Kurs eingeschlagen und dennoch schien es, als würde die Bark keine Fahrt aufnehmen. Jack warf einen verzweifelten Blick hinauf zum Hauptsegel, doch das Tuch blähte sich nicht. Joe schüttelte resignierend den Kopf. Leise murmelte er: »Sie nehmen uns buchstäblich den Wind aus den Segeln.«

Jack, der einmal mehr die spanischen Kriegsgaleonen um ihre Ruderer beneidete, stieß einen harten Fluch aus. Plötzlich hellte sein Gesicht sich auf. Obwohl sie noch immer kaum vorwärts kamen, schien es, als würde die Swallow sich von dem brennenden Schiff entfernen.

»Wie …?«

»Es herrscht fast Flaute, Käpt´n! Der Feind fällt zurück, sie haben keine Segel mehr!«

Der Ausruf aus dem Ausguck rief lautstarken Jubel unter der an Deck versammelten Mannschaft hervor. Jack atmete tief durch, während Joe ihm auf die Schulter klopfte. Die Blässe im Gesicht des alten Seebären zeigte klar, wie knapp sie dem sicheren Tod entgangen waren. Eine letzte, alles andere übertreffende Explosion war von der Jagdgaleone zu hören. Dann brach das Schiff auseinander. Jack betrachtete kopfschüttelnd das Werk, das die Kanonenkugeln der Swallow verrichtet hatten. Sie mussten irgendeinen Glückstreffer erzielt haben. Was auch immer an Bord des spanischen Kriegsschiffes die erste Explosion ausgelöst hatte, es war stark genug gewesen, letztlich das Ende des Feindes herbeizuführen. Die Stimme aus dem Ausguck riss Jack aus seinen Gedanken.

»Mehrere Überlebende entfernen sich an Bord eines Beibootes!«

»Lasst sie. Sie sind keine Gefahr für uns. Und bis sie Santiago erreicht haben, sind wir längst über alle Berge.«

»Wenn du dich da mal nicht täuschst, mein Freund.« Joes gute Stimmung wirkte wie weggeblasen. Jack sah seinen Freund fragend an, um dann dem ausgestreckten Arm des alten Seebären mit dem Blick zu folgen. Doch er sah nichts, nur das ruhig vor ihnen liegende Meer. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm aufging, dass genau das das Problem war. Die Jungfrau war verschwunden.

»Wir haben doch ihre Segel völlig zerfetzt! Wie konnten sie …?«

»Die Beisegel, Käpt´n.« Joe dachte mehr laut, als dass er wirklich mit Jack gesprochen hätte.

»Diese spanischen Mistkerle haben die Zeit genutzt, um Ersatzsegel zu hissen und damit zu verschwinden.«

»Weit können sie nicht gekommen sein. Volle Segel! Kurs Santiago!«, hallte Jacks Befehl über das Deck. Jeder an Bord kannte seine Aufgabe und so dauerte es nicht lange, bis die Swallow unter vollen Segeln mit Kurs Santiago ihre Reise fortsetzte. Einzig die Flaute, die ihnen noch vor kurzem das Leben gerettet hatte, reichte aus, um die Besatzung der White Swallow schier verzweifeln zu lassen.

Fast zwei Tage nach der überstandenen Seeschlacht erreichte die Swallow die Gewässer vor Santiago. Die Lebensmittelvorräte waren mittlerweile weiter zur Neige gegangen. Dennoch dachte niemand an Bord der Bark daran aufzugeben. Nach etwas mehr als einem halben Tag hatte die Flaute endlich aufgehört und mit einem Mal war der Wind zurückgekehrt. Im Verlauf des letzten Tages war es der Mannschaft der Swallow zweimal gelungen, die Jungfrau am Horizont zu sichten. Doch das spanische Handelsschiff hatte es tatsächlich geschafft, sich in den Hafen von Santiago zu retten. Die Swallow war auf Parallelkurs zur Küste gegangen, während sich Jack, Joe und zwei andere Männer, die Jack mittlerweile zu seinem engsten Vertrautenkreis zählte, in seiner Kajüte berieten.

Martin, einer der Überlebenden der ursprünglichen Mannschaft der Swallow, der etwa in Jacks Alter war und mit dem Schwert ebenso gut umzugehen verstand wie er ein begnadeter Kletterer war, hatte sich vehement dafür ausgesprochen, an einer versteckten Stelle an Land zu gehen und in einem der kleinen Dörfer an der Küste Lebensmittel zu erwerben. Dann, so sein Vorschlag, könnte man der Jungfrau vor Santiago auflauern. Aber mit dem Nahrungsmittelvorrat, der noch an Bord der Swallow zu finden war, würden sie keine drei Tage mehr überstehen, bevor sie ernsthaften Hunger leiden mussten.

Christopher, ein alter Seebär, der in Port Royal zur Mannschaft gestoßen war, brachte die Idee ein, offen unter englischer Flagge in den Hafen zu segeln, dort Handel zu treiben und zu versuchen, den spanischen Händler ausfindig zu machen. Da derzeit kein Krieg zwischen England und Spanien herrschte, mussten sie zwar mit einem kühlen, nicht aber mit einem feindlichen Empfang rechnen.

Joe, der sich vornehm zurückhielt, kannte Jacks Plan aus einem Gespräch unter vier Augen, das sie bereits vor einigen Stunden geführt hatten, und so wartete er gespannt darauf, was die beiden anderen zu der Idee ihres Kapitäns sagen würden.

»Beides gute Möglichkeiten«, erklärte Jack nachdenklich. »Aber ich denke, wir sollten anders verfahren.«

»Welche andere Möglichkeit hätten wir, Käpt´n?«, fragte Christopher, der stirnrunzelnd nachhakte.

»Feststeht, wir benötigen Lebensmittel und frisches Wasser. Ebenso sicher ist, wir müssen nach Santiago hinein, denn ich glaube nicht, dass die Jungfrau noch einmal den Fehler machen wird, ohne Militärbegleitung ihre Reise fortzusetzen. Wenn wir warten, bis sie den Hafen wieder verlassen, werden sie mindestens ein Kriegsschiff im Schlepptau haben. Und wer weiß, ob wir dann wieder so viel Glück haben wie bei unserer letzten Begegnung mit einer spanischen Jagdgaleone.«

Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Nach einer kurzen Kunstpause fuhr Jack fort: »Wir werden in einer versteckten Bucht an Land gehen, so wie Martin vorgeschlagen hat. Aber nicht um in einem der kleineren Dörfer Handel zu treiben, sondern um die Stadt von der Landseite zu betreten. Von hier aus wird kaum jemand mit einer Bedrohung durch Freibeuter rechnen. In Santiago machen wir uns auf die Suche nach unserem Ziel und statten dem Spanier einen Besuch ab.«

»Klingt für mich nach einem guten Plan«, ergriff Joe direkt Partei für seinen Kapitän. Auch Martin und Christopher nickten, wobei Christopher etwas das Gesicht verzog, was ihm einen fragenden Blick Jacks einbrachte.

»Siehst du ein Problem?«

»Vielleicht, Käpt´n«, erklärte der alte Seebär nachdenklich.

»Dann erhelle uns mit deiner Weisheit«, spottete Joe grinsend. Jack wusste, dass die beiden sich nicht sonderlich leiden konnten, was hauptsächlich daran lag, dass Joe allen neuen Mannschaftsmitgliedern etwas voreingenommen gegenüberstand. Die Tatsache, dass Jack den alten Mann, der schon den einen oder anderen Piratenzug mitgemacht hatte, relativ schnell in den Kreis seiner Vertrauten aufgenommen hatte, führte nicht unbedingt zu einem besseren Verhältnis zwischen dem Ersten Maat und Christopher. Dementsprechend kühl klang dieser auch, als er fortfuhr.

»Wenn wir weit genug von der Stadt entfernt landen wollen, um nicht aufzufallen, werden wir ein paar Stunden Marsch zwischen uns und Santiago bringen müssen. Wer garantiert uns, dass die Jungfrau in dieser Zeit den Hafen nicht längst verlassen hat?«

»Niemand. Aber das Schiff ist so beschädigt, dass es wohl die nächsten Tage nicht auslaufen wird«, erklärte Jack lächelnd.

»Und wie wollen wir den Händler in Santiago überhaupt ausfindig machen, ohne dabei allzu sehr aufzufallen?«, entgegnete Martin, der nun einen Einwand vorbrachte.

»Wir werden die Mannschaft aufteilen. Zehn Mann begleiten mich nach Santiago. Ich werde unseren Freund Pablo mitnehmen.«

»Den Portugiesen?«

»Genau den. Er spricht das beste Spanisch von uns allen. Wenn er die Erkundigungen einzieht, wird es weniger auffallen. Du, Christopher, bleibst hier und übernimmst das Kommando über die White Swallow. Ihr wartet vier Tage. Sollten wir dann nicht zurückgekehrt sein, macht ihr, dass ihr wegkommt.«

»Ist nicht dein Ernst«, entfuhr es Joe. Doch ein Blick seines Kapitäns brachte den Maat schnell zum Schweigen.

»Es hängt viel daran, dass dieser Auftrag gelingt. Wir schulden es dem Gouverneur, diese Angelegenheit zu erledigen. Erst wenn wir mit einem positiven Bericht nach Port Royal zurückgekehrt sind, sind wir frei zu segeln, wohin wir wollen. Und ich denke, das zu erreichen, liegt in unser aller Interesse.«

Allgemeines Nicken war die Antwort.

»Dann sollten wir uns beeilen, die Sache hinter uns zu bringen. Joe, suche neun weitere Männer aus und bereite sie auf unseren Ausflug vor. Christopher, Martin, sorgt dafür, dass wir eine Bucht nahe Santiago ansteuern, die nicht zu weit entfernt, aber auch nicht zu nah an der Stadt liegt. Und ruft mich, wenn die Vorbereitungen abgeschlossen sind.«

Die Männer nickten erneut und machten sich auf, Jacks Befehle umzusetzen. Nur Joe blieb in der Kajütentür noch einmal kurz stehen und sah sich zu seinem Kapitän um. Jack hatte sich auf die Liege sinken lassen und starrte die Decke an. Das ausgemergelte Gesicht seines jungen Freundes machte dem alten Seemann Angst. Jack würde diesen Auftrag ausführen, koste es was es wolle. Das wurde Joe in diesem Augenblick klar. Der junge Freibeuter war bereit, sein Leben dafür aufs Spiel zu setzen. Und genau das war es, was dem Maat Sorgen bereitete.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters