Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Teufel auf Reisen 57

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Zwölftes Kapitel – Teil 2
Wer die Wahl hat, hat die Qual

Völlig verändert in seinem Äußeren und seinem Benehmen kehrte der frühere Schreiber aus der Residenz zurück. Seine Garderobe entsprach jetzt allen Ansprüchen der Mode, obgleich die Zusammensetzung derselben eine ziemlich bunte und geschmacklose war. Sogar ein Lorgnon trug er an goldener Kette und mit Anstand hatte er gelernt, Champagner zu trinken und Austern zu essen. Als er aber auf dem nächsten Ball sogar mit großer Sicherheit Contre, Quadrille und Schottisch tanzte, da wurde er von sämtlichen Damen Gänsebachs einstimmig als das Muster eines vollendeten Gentlemans erklärt. Für die nächsten vierzehn Tage hatte er so viele Einladungen, dass der Rahmen seines Spiegels dieselben kaum zu fassen vermochte. Die Witwe Höfner grüßte er jetzt nur noch als grand Seigneur, wenn er ihr begegnete. Und Hannchen ging er so viel wie möglich aus dem Weg, denn ein Rest von Gewissen war ihm doch noch geblieben.

Für unseren Pußkuchen begann jetzt aber die Zeit, wo sich die Wahrheit des Sprichworts bewährte: »Wer die Wahl hat, hat die Qual.« Sein Stolz und sein Ehrgeiz waren erwacht und je mehr ihm in dem kleinen Städtchen geschmeichelt und entgegen gekommen wurde, desto höher schraubten sich seine Ansprüche. Die Vergangenheit lag längst hinter ihm, die Menschen, welche gegen die Unglücklichen ein so gutes Gedächtnis haben, kannten dieselbe jetzt, dem Glücklichen gegenüber, nicht mehr. Alle Türen waren ihm geöffnet, die Väter wurden täglich vertrauter mit ihm, die Mütter entdeckten jede Woche neue Tugenden und Liebenswürdigkeiten an Herrn Pußkuchen. Aus blauen und schwarzen, aus braunen und grauen Augen strahlten ihm einladend der Hoffnung Sterne. Überall, wo er erschien, empfing ihn nur ein entgegenkommendes Lächeln, dargebracht von schönen und unschönen Lippen, denn die jungen (häufig auch die nicht mehr jungen) Damen zu Gänsebach waren in manchen Dingen ihren Schwestern anderwärts vollkommen ähnlich. Zu diesen Dingen gehörte vornehmlich der Wunsch, möglichst bald und in möglichst vorteilhafter Weise unter die Haube zu kommen. Christian Pußkuchen merkte freilich nicht, dass sie zunächst seine zwanzigtausend Taler so reizend und in jeder Beziehung so tadellos fanden und dass sie aus Rücksicht hierauf Aufopferung genug besaßen, ihn als fünftes Rad am Wagen mit in Kauf zu nehmen. Aber was tat das, es war dies ein kleines Malheur, welches täglich jungen Herren und jungen Damen, auch alten Herren und alten Damen passiert und en fin! Man lässt sich gegenseitig nichts merken, die liebe Eigenliebe hilft auch dabei, man hält sich trotzdem und alle dem für sehr liebenswürdig und interessant. Und siehe da! Ist einmal der eheliche Karren im Gange, so geht es besser als man geglaubt hat, wenn er auch mitunter etwas knarrt, und die Welt nennt das schließlich eine sehr glückliche Ehe!

Ja, zu welchem Entschluss sollte unser Christian Pußkuchen gelangen? Da war des Bürgermeisters Amanda. Hm, etwas dumm, aber gut ausgepolstert, denn sie hatte künftig wohl ebenfalls gegen zwanzigtausend Taler zu erwarten. Dann des Kämmerers Julie. Auch nicht übel – gleichfalls gut wattiert, dabei eine poetische Natur, die jedenfalls zu der größten Hoffnung außerhalb des Hauses berechtigte, denn sie hatte schon in der Pension Gedichte gemacht und Liebesbriefe geschrieben. Da war ferner des Apothekers Charlotte, die den ganzen Tag auf dem Klavier klimperte und wie ein Papagei von Mozart und Beethoven plapperte. Da war ferner des Forstinspektors Mathilde, ein kleiner beweglicher Wildfang, ganz dazu geeignet, ihrem künftigen Mann eines schönen Tages eben ein solches Geweih zum Geschenk zu machen, wie ihr Vater über die Tür genagelt hatte. Ja, was sollte unser Pußkuchen anfangen, welchen Entschluss sollte er fassen, das war die große Frage. Hin und her wogte es in seinem Herzen, ohne dass er mit sich selbst einig werden konnte. Ihm ging es, wie es in jenem Soldatenlied heißt: Heut lieb’ ich die Johanne, und morgen die Susanne, heut fand er die blauen und morgen die schwarzen Augen schön, diese Woche bewunderte er die falschen Flechten von Fräulein Amanda und die andere Woche blickte er zu dem turmhohen Chignon von Fräulein Charlotte wie zu einer schwindelnden Höhe hinauf.

Die Mütter fingen bereits an, ungeduldig zu werden, und die Fräulein Töchter waren von dem langen Warten schon ordentlich müde, die Väter hatten sich beim Austausch des Händeschüttelns mit unserem Helden auch schon die Arme halb ausgerenkt und immer noch konnte derselbe zu keinem Entschluss kommen. Wie ein Rohr schwankte er hin und her, wie ein Gärtner, mitten unter Blumen, suchte er und wusste doch immer noch nicht die Schönste zu finden. Bereits wurde in einem großen Kaffeeklatsch von mehreren der beteiligten Mütter laut darüber Klage geführt, dass die jungen Herren heutzutage doch gar zu wählerisch seien. Ein altes Fräulein, welches längst schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, mit Hymen nähere Bekanntschaft zu machen, rümpfte hierüber höchst schadenfroh die Nase. Ein Stück Kuchen verschwand nach dem anderen, die Tassen klapperten wild durcheinander, die würdigen Matronen befanden sich in der höchsten Aufregung und der Übeltäter, welcher nahe daran war, eine Kaffeerevolution zustande zu bringen, ging unterdessen nachdenkend in seinem Zimmer auf und ab, und murmelte: Amanda – Julie! – Charlotte – Mathilde! – und fasste an die Knöpfe seines Rockes, indem er sich in das bekannte Spiel Grade oder ungrade – soll ich oder soll ich nicht? vertiefte.

Inzwischen hatte sich drüben beim Kronenwirt seit der Rückkehr Pußkuchens aus der Residenz ein neues Leben entwickelt. Mit den großstädtischen Manieren war von ihm den Gänsebachern auch der Geschmack am Champagner beigebracht worden. Da er bestrebt sein musste, die kaum erst angeknüpften Bekanntschaften zu befestigen, so machte er bei solchen kleinen Zechgelagen häufig die Honneurs. Wir müssen dem ehemaligen Schreiber die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass er sich dabei von der freigebigsten und liebenswürdigsten Seite zeigte.

Der Wirt aber war ein durchtriebener Schelm, welcher im Stillen längst schon darüber nachgedacht hatte, wie er es anfangen sollte, um Christian Pußkuchen über das Ohr zu hauen und sich selbst dabei gehörig die Taschen zu füllen. Da er ihn als einen eitlen, von seinem Glück aufgeblasenen und nur mit einem mittelmäßigen Fassungsvermögen begabten Menschen kannte, so griff er ihn bei seiner schwächsten Seite an, verbeugte sich immer sehr tief und respektvoll vor ihm, gab ihm unter allen Umständen in jeder Sache recht, bewunderte sein scharfes Urteil und wusste sich hierdurch nach und nach so in sein Vertrauen einzuschleichen, dass Pußkuchen ihn zuletzt für seinen besten Freund hielt und seine Ratschläge blindlings befolgte. Eines Nachmittags saßen beide im traulichen Gespräch einander gegenüber. Es war gerade eine Zeit, wo keine sonstigen Gäste zugegen waren.

»So geht es nicht, Herr Pußkuchen«, begann der Kronenwirt verschmitzt, »ungeachtet Sie jetzt ein wohl habender Mann sind, so fehlt Ihnen doch noch eine bestimmte Lebensstellung, ein fester Beruf. Die Erstere namentlich müssen Sie sich durchaus zu erwerben suchen. In unserer Zeit ist dies unbedingt notwendig. Man gewinnt sich dadurch einen Kreis bestimmter Freunde und lenkt die Blicke seiner Mitbürger auf sich.«

»Ich habe im Stillen auch schon oft daran gedacht«, bemerkte unser Bekannter, »aber zu einer entscheidenden Wahl bin ich dabei noch nicht gekommen.«

»Ei, ich sollte meinen, die wäre gar nicht schwer. Sie müssen Grundbesitzer werden. Dadurch fassen Sie auf einmal festen Fuß innerhalb eines bestimmten Wirkungskreises. Heutzutage, wo sich das politische Leben nach allen Seiten hin entwickelt hat, wird es Ihnen bei Ihren hervorragenden Eigenschaften nicht schwer werden, in den Landtag als Abgeordneter gewählt zu werden. Sie spielen dann auf einmal eine hervorragende Rolle und wenn Sie dann bei Ihrer Rückkehr beim Forstinspektor oder beim Bürgermeister oder beim Kämmerer Besuch machen. Steht dann auf Ihrer Karte Christian Pußkuchen, Reichstagsabgeordneter, Ritter des Kronenordens, so klingt das selbstredend ganz anders als jetzt, wo es nur heißt Christian Pußkuchen, Rentier, ohne jegliche Titel und Würden

»Das ist wahr«, erwiderte der eitle Mensch, welcher aufmerksam den Reden des Kronenwirts zugehört hatte.

»Denken Sie sich«, fuhr dieser schlau fort, »wenn Ihnen der Minister bei Ihrem Eintritt in den Sitzungssaal unter einer entgegenkommenden Verbeugung die Hand reicht, wenn Ihre Stimme in einer wichtigen Frage den Ausschlag gibt, wenn Sie von der Tribüne herab eine donnernde Rede halten. Dies alles wird dann mit Nennung Ihres Namens in den Zeitungen haarklein berichtet. Ich möchte dann wohl die junge Dame sehen, welche Ihrer Bewerbung widerstände, besonders wenn Sie ihr mit Ihrer Hand gleichzeitig zwanzigtausend Taler in Aussicht stellen.«

»Ja, aber wo findet sich gleich die Gelegenheit zu einem Gutskauf?«

Der Kronenwirt schmunzelte. »Sie wissen, dass Sie einen aufrichtigen Freund an mir besitzen. So habe ich im Stillen schon längst an diesen Fall gedacht. Jetzt eben bietet sich eine vorteilhafte Gelegenheit zu einem solchen Kauf dar. Sie bekommen das Besitztum sozusagen fast zur Hälfte geschenkt, und ein Teil der Kaufgelder kann auch darauf stehen bleiben.«

»Ganz möchte ich mich auch nicht ausgeben, ein paar Tausend Taler sind ohnedem schon verbraucht.«

»Natürlich. Sie müssen immer noch etwas in der Hand behalten. Nun, überlegen Sie sich die Sache. Wenn Sie zu einem Entschluss gekommen sind, so sprechen wir mehr davon.«

»Da bedarf es keines weiteren Entschlusses«, bemerkte Pußkuchen, bei dem der Hochmutsteufel wieder lebendig wurde und der sich bereits die farbenreichsten Bilder ausmalte. »Ich bin zu dem Kauf entschlossen, aber vorher muss ich doch natürlich das Gut erst in Augenschein nehmen.«

»Das ist selbstredend. Nur gebe ich Ihnen den Rat, so lange das tiefste Geheimnis zu beobachten, bis der Kauf abgeschlossen ist. Wenn es ruchbar wird, dass der jetzige Besitzer dasselbe veräußern will, so wird es an Konkurrenten nicht fehlen, denn die Äcker und Wiesen sind vortrefflich. Selbstredend dürfte dann das Angebot bedeutend in die Höhe getrieben werden.«

»Allerdings, das liegt sehr nahe. Also reinen Mund gehalten, Kronenwirt, bis das Geschäft abgeschlossen ist.«

Der biedere Kronenwirt legte mit einer frommen Augenverdrehung die Hand aufs Herz und sagte: »Ihre Interessen sind auch die meinen. Und was ich für einen Freund tue, das geschieht ebenso gut, als wenn es für mich selbst geschähe.« Hierauf stieg er in den Keller und holte eine Flasche vom Allerbesten. Christian Pußkuchen stieß mit ihm an und fühlte schon in Gedanken den Händedruck des Ministers und sah den schönen blanken Kronenorden bereits in seinem Knopfloch blinken.

Eines Vormittags fuhren beide auf das Gut. Der Besitzer desselben empfing sie sehr zuvorkommend und wechselte dabei Blicke mit dem Kronenwirt, die Pußkuchen freilich nicht verstand. Man setzte sich zum Frühstück, und während desselben kam die Angelegenheit zur Sprache, welche unseren Bekannten zu der kleinen Reise veranlasst hatte.

»Es ist richtig«, sagte Herr Schwindelmeier, »ich beabsichtige mein Eigentum zu verkaufen, weil ich willens bin, in der Stadt zu ziehen. Ich trenne mich nur ungern von demselben. Wenn ich aber einen Käufer finde, der mir zusagt, so würde der Handel bald abgeschlossen sein, denn auf ein paar Tausend mehr oder weniger kommt es mir nicht an.« »Nun, die Hälfte der Kaufgelder könnte ich gleich bezahlen, die andere Hälfte müsste freilich als Hypothek darauf stehen bleiben.«

»Damit bin ich einverstanden. Sie finden einen vortrefflichen Viehstand, guten Weizenboden und vorzügliche Wiesen.«

Pußkuchen verstand weder von dem einen noch von dem anderen das Geringste, aber er gab sich das Ansehen, als wenn dies der Fall wäre. Nachdem ihn der biedere Kronenwirt heimlich angestoßen und aufmunternd zugenickt hatte, sagte er: »Nun, wenn es Ihnen recht ist, so nehmen wir einmal eine kleine Besichtigung vor.«

»Mit Vergnügen. Folgen Sie mir, meine Herren, zunächst in die Ställe.«

Der Schafstall und der Kuhstall waren so dunkel, dass man fast keine Hand vor Augen sehen konnte. Herr Schwindelmeier, welcher indessen bereits genau von der Unwissenheit des ehemaligen Schreibers in landwirtschaftlichen Dingen unterrichtet war, machte demselben weiß, dass dies auf einem rationellen Verfahren beruhe, indem man die Beobachtung gemacht habe, dass das Vieh desto besser fresse und die Kühe desto mehr Milch gäben. Dann ging es auf das Feld. Allerdings lauter zäher, schlammiger, schwarzer Boden, der aber, wie der Besitzer versicherte, den schönsten Humus enthielt und welchem nur noch durch etwas Dränage nachgeholfen werden müsste. Der Kronenwirt bestätigte auch dies wieder durch ein bedeutsames Kopfnicken und fügte sogar zum Überfluss hinzu, dass, wären seine Gelder nicht bereits anderwärts angelegt, er selbst wohl Lust hätte, das »prächtige« Gut zu pachten.

Als man sich spät am Abend trennte, war man über den Kaufpreis bereits einig geworden. Wenige Wochen später wurde Christian Pußkuchen als Besitzer des Gutes »Finkenrode« ins Hypothekenbuch eingetragen.

Die beiden Schelme teilten sich lachend die fette Beute, welche sie davongetragen hatten. Herr Schwindelmeier verzog kurz darauf aus der Gegend und der neue Grundherr gab zur Feier der Besitznahme seines Herrensitzes ein splendides Souper in der Krone.

Es gab freilich viele Leute, welche über diesen Kauf bedenklich den Kopf schüttelten. Der Kämmerer, in solchen Dingen erfahren, erklärte gerade zu, dass man Pußkuchen schmählich über das Ohr gehauen habe, denn Finkenrode sei ja bekanntlich weiter nichts als ein unfruchtbares Torfmoor, die Wiesen ständen beständig unter Wasser und verkrüppelteres Vieh gäbe es zehn Meilen in der Runde nicht. Man fing an, den neuen Gutsherrn aufzuziehen. Als dieser den Kronenwirt zur Rede stellte, erwiderte derselbe schlau, das ginge immer so in der Welt, wenn jemand Glück habe. So beneide man ihn und übrigens habe er ja gar nicht zu dem Kauf geraten, sondern Herr Pußkuchen sei hierbei lediglich seinen freien Entschließungen gefolgt. Aber schon nach dem ersten halben Jahr sah dieser, dass er betrogen worden war. Das Gut warf kaum so viel ab, dass die Kosten der Bewirtschaftung gedeckt werden konnten. An pünktliche Verzinsung der hypothekarisch eingetragenen Kaufgelder war gar nicht zu denken. Der Kronenwirt zuckte bedauernd die Achseln, als er von unserem Bekannten um augenblickliche Aushilfe angesprochen wurde. Herr Schwindelmeier drohte mit Exekution, wenn er im nächsten Termin nicht in seinen Forderungen vollständig befriedigt würde.

Eine reiche Heirat macht alles wieder gut, dachte Pußkuchen. Du hast ja die Wahl, du brauchst ja nur zuzugreifen. Die Mütter haben es dir ja mehr als einmal deutlich genug zu verstehen gegeben, dass sie dich gern zum Schwiegersohn annehmen werden. Die paar Schulden sind dann leicht zu tilgen und außerdem weiß ja noch niemand, wie es mit dir steht.