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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 56

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Zwölftes Kapitel – Teil 1
Wer die Wahl hat, hat die Qual

Herr Christian Pußkuchen war ein armer Schreiber am Landgericht und spielte selbst in dem kleinen Städtchen, wohin ihn das Schicksal verschlagen hatte, eine äußerst untergeordnete Rolle. Nur sehr wenige Leute gaben sich die Mühe, vor ihm den Hut zu ziehen, desto häufiger und desto tiefer musste er sich aber selbst bücken, denn nirgends fand die Vettern- und Basenschaft einen ergiebigeren Boden wie in Gänsebach und da hatte ein Mann wie unser Held gar viele Rücksichten zu nehmen, um sich nicht Feinde zu machen und sich nicht der Gefahr auszusetzen, seinen zu jeder Zeit kündbaren Posten durch irgendeine Kabale zu verlieren.

Jahr aus Jahr ein trabte Christian Pußkuchen schon des Morgens acht Uhr zum Gerichtsgebäude und einen Tag wie den andern spitzte er dort seine Feder und schrieb, bis ihm die Finger wehtaten, dicke Aktenhefte, verzehrte regelmäßig um elf sein mageres in Papier gewickeltes Butterbrot und blickte während der Erholungspause durch die Fensterscheiben und erlaubte sich bei dem lieben Gott ganz leise die bescheidene Anfrage, warum er ihm denn nicht ein eben solches Vollmondgesicht verliehen, wie drüben dem Kronenwirt, der sich eben behaglich die Sonne auf seinen breiten Rücken scheinen ließ, und weshalb es ihm denn nicht vergönnt sei, ein Faullenzerleben wie dieser zu führen und nebenbei auch noch behaglich mit den blanken Talern in der Tasche zu klappern.

Das half aber alles nichts, die Frage des armen Schreibers blieb unbeantwortet, die Welt ging ihren gewöhnlichen Gang, er selbst nahm um kein Haarbreit zu und vor wie nach musste er die Aktenstöße füllen, ohne dass sich seine Einnahmen dadurch auch nur um etwas gebessert hätten.

Ein rechter Trost war es für Christian Pußkuchen, dass er bei einer armen Witwe Aufnahme gefunden hatte, die ihn, trotz seiner Dürftigkeit und ungeachtet des Wenigen, was er ihr zu bieten vermochte, doch mit Aufmerksamkeit behandelte und seinen freilich nur geringen Wünschen stets mit Bereitwilligkeit entgegenkam. Das größte Verdienst hierbei hatte freilich deren Tochter Hannchen, ein stilles verständiges sinniges Mädchen, auch schon über die erste Jugendblüte hinaus, aber doch noch ganz frisch und appetitlich und immer noch um etwa zehn Jahre jünger wie der bereits etwas ausgetrocknete Schreiber. Und wie dieser mit der Feder, so musste jene sich mit der Nadel sauer genug ihr Brot verdienen. Und wenn der Erstere noch spät beim matten Schein der Lampe Kopialien anfertigte, um sich einen kleinen Nebenverdienst zu erwerben, so saß jene noch ebenso spät und nähte, um die Ungeduld oder die Eitelkeit dieser oder jener eigensinnigen Kundin noch rechtzeitig zu befriedigen. Dabei verlor sie aber nie die Geduld oder den guten Willen, ja der Letztere reichte sogar so weit, dass sie noch Zeit fand, mit stets gleicher Bereitwilligkeit die freilich immer sehr defekte Wäsche ihres Mieters sauber auszubessern und sich auch des dünnen Röckchens desselben mitleidsvoll anzunehmen, wenn hier und da – was sehr häufig geschah – eine mürbe Naht platzte oder sich ein Knopf als mehr als reife Frucht von demselben ablöste.

Wir wollen nicht behaupten, dass sich Christian Pußkuchen gegen solche Aufmerksamkeiten gleichgültig zeigte, wir wollen auch nicht sagen, dass die noch immer frische und ansprechende Gestalt Hannchens das Herz des Schreibers ganz gleichgültig gelassen hätte. Im Gegenteil, nicht selten schweiften in mancher einsamen Stunde seine Blicke in die Zukunft und Hannchen, den Brautkranz in den Locken, tauchte dann als liebliches Bild an seiner Seite auf. Aber seufzend wandte er sich jedes Mal von diesem anziehenden Gemälde ab, denn obgleich er allerdings die Hoffnung hatte, einst als Aktuar angestellt zu werden, so lagen doch vorläufig die Aussichten noch gar zu fern, um an die Begründung eines häuslichen Herdes zu denken. Und das sanfte verständige Mädchen – nun, wir wollen eben auch nicht behaupten, dass ihr Christian Pußkuchen ganz gleichgültig war und er hatte ja auch so manchen bedeutsamen Wink fallen lassen – aber an Geduld war sie ja von Jugend an gewöhnt. Mit der ihrem Geschlecht eigenen Ausdauer ertrug sie daher das Warten, solange die Hoffnung in ihrem Herzen lebte, das im Stillen im Auge gehaltene Ziel, wenn auch spät, aber doch endlich noch einstmals zu erreichen.

Für jetzt konnte Christian Pußkuchen nichts weiter tun, als Mutter und Tochter am Sonntag Nachmittag spazieren führen. Er tat dies mit einer gewissen Ritterlichkeit, indem er in der Buschmühle, dem gewöhnlichen Ziel ihrer Wanderungen, Kaffee und Kuchen bestellte und sich bei einigen festlichen Gelegenheiten sogar bis zur Schokolade und einer Flasche Wein hinaufschraubte, so wie er es sich auch nie nehmen ließ, Hannchen bei ihrem Geburtstag jedes Mal durch eine Aufmerksamkeit zu überraschen.

Jahr aus, Jahr ein, fuhr, wie gesagt, die spitze Feder des Schreibers über das Papier und nichts schien sich in seiner Lage ändern zu wollen, als eines Tages Christian Pußkuchen in ganz unerwarteter Weise aus seiner Monotonie aufgerüttelt wurde. Zuerst fasste er sich nach dem Kopf, um sich zu überzeugen, dass derselbe noch zwischen seinen Schultern stecke, dann machte er drei verwegene Sprünge und stieß dabei mit der Nase gegen ein altes Repositorium und zuletzt war er nahe daran, das eben unter den Händen habende Aktenstück zum Fenster hinauszuwerfen, besann sich aber noch zur rechten Zeit und begnügte sich damit, dasselbe mit sichtbarer Verachtung zur Seite zu schleudern.

Was war es denn nun, was den sonst so anspruchslosen, in seiner Gedrücktheit stets so bescheiden auftretenden Schreiber plötzlich so aufgeregt hatte? Ein Brief war am Gericht angelangt, und bald durchlief die Kunde davon das ganze Städtchen, wonach Christian Pußkuchen ganz unerwartet der Erbe eines Oheims geworden war, der sich bisher nur sehr wenig um ihn gekümmert zu haben schien. Der alte Mann hatte gespart und bei Inventarisierung seines Nachlasses fand sich ganz unerwartet ein Vermögen von zwanzigtausend Talern vor, die keinesfalls für den Neffen bestimmt gewesen waren, welche diesem aber nun durch eine Laune des Schicksals zufielen, denn den Verblichenen hatte ganz unerwartet der Tod überrascht und ein Testament war nicht vorhanden.

Es ist merkwürdig, wie veränderte Glücksumstände den Charakter plötzlich ändern und wie auch die Menschen, einem solchen unerwartet glücklich Gewordenen gegenüber, auf einmal ganz anders werden. Schon auf dem Heimweg konnte dies unser Bekannter gewahr werden. Viele grüßten ihn, die ihn sonst nicht über die Schulter angesehen hatten. Andere drückten ihm beglückwünschend die Hand, manche stellten ihm sogar Geldmittel zur Disposition, wenn er solche vielleicht augenblicklich bedürfen sollte. Es war wohl kein Wunder, dass dem armen Schreiber der Kopf zu schwindeln begann und dass ihn der Hochmutsteufel beim Schopf fasste. Eine ganz andere Welt breitete sich jetzt vor seinen Blicken aus, die Quellen des Lebens sprudelten ihm nunmehr entgegen, an denen er so oft als Durstiger gelegen hatte, ohne sich auch nur ein einziges Mal an ihnen laben zu können. Was in seiner Seele vorging, wusste er vielleicht in diesem Augenblick selbst noch nicht, aber bereits kamen die bösen Geister langsam herangeschlichen, und Hochmut und Eitelkeit flüsterten ihm verlockende Worte ins Ohr.

Auch bis in die Wohnung der Witwe Höfner war schon die Kunde von seinen veränderten Glücksumständen gedrungen. Als er nun in das kleine Stübchen trat, begrüßte ihn diese auf das Teilnehmendste, und auch Hannchen reichte ihm die Hand. Mit Tränen in den Augen sagte sie, dass sie um seinetwillen Gott von Herzen danke, dass es so gekommen sei und dass sie sich glücklich fühle, weil sie ihn nun auch glücklich sehe.

Was auch in der Seele des Schreibers vorgehen mochte, in diesem Augenblick würde er sich doch geschämt haben, solchen warm ausgesprochenen Wünschen einen kalten Dank entgegenzusetzen. Lächelnd erwiderte er daher den Händedruck und bewegt fügte er hinzu, dass auch sie beide nunmehr an seinem Glück teilnehmen sollten. Hannchen senkte den Kopf, und ohne dass sie wusste, weshalb, trat eine Verstimmung bei ihr ein. Der Sinn dieser Worte gestattete doch eine mehrseitige Auslegung. Herr Pußkuchen vermied es, auf eine nähere Erklärung einzugehen. Aber schon im nächsten Augenblick entschuldigte ihn auch wieder ihr gutes Herz – die neue Lage. Wie viele Gedanken mochten sich jetzt in seinem Kopf kreuzen? Konnte man denn verlangen, dass er gleich mit einer Erklärung hervorträte? Nein, sie tat ihm unrecht. Mit der gewöhnlichen Unbefangenheit lächelte sie ihm schon in der nächsten Minute wieder zu, als er sich im Gespräch wieder an sie wendete.

Es gibt genug Leute, welche stets bereit sind, sich dem Glücklichen anzuschließen und ihm ihre Dienste anzubieten, ebenso wie sie denjenigen schleunigst verlassen, welchen die launenhafte Fortuna den Rücken zukehrt. So fand auch jetzt Christian Pußkuchen auf einmal Gönner zur Genüge, die bereit waren, ihm die Brücke zu schlagen, mit deren Hilfe er aus seiner engen Gerichtsstube zunächst in die Bürgerressource und dann in die höheren Familien des Städtchens eingeführt wurde. Zuerst benahm er sich allerdings verlegen und linkisch, als er aber sah, wie man ihm von allen Seiten mit Aufmerksamkeit entgegenkam, als man tat, als sei nie ein armer Schreiber namens Christian Pußkuchen vorhanden gewesen, als selbst jetzt die vornehmsten und stolzesten jungen Damen ein entgegenkommendes Lächeln und ein offenes Ohr für ihn hatten, da gewöhnte er sich selbst bald an seine veränderte Lage. Schneller als er geglaubt hatte, trat die Vergangenheit mit ihren unliebsamen Erinnerungen bei ihm immer mehr in den Hintergrund zurück.

Er wohnte zwar noch bei der Witwe Höfner, aber nicht etwa aus Anhänglichkeit für die brave Frau, die sich in seiner Armut so uneigennützig seiner angenommen, sondern weil er den Entschluss gefasst hatte, auf einen Monat zu der Residenz zu gehen und weil er es daher nicht mehr der Mühe werthielt, eine größere Wohnung zu mieten. Er sprach zwar noch nach wie vor freundliche Worte mit Mutter und Tochter, aber jetzt doch nur noch flüchtig und mit größerer Zurückhaltung. Man konnte es ganz gut gewahr werden, dass er es absichtlich darauf anlegte, die Kluft zwischen sich und diesen einfachen, aber braven und uneigennützigen Menschen nach und nach unvermerkt immer größer werden zu lassen. Mit einem Wort, der Hochmutsteufel hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich bei Christian Pußkuchen häuslich einzurichten. In seinem Gefolge waren die Undankbarkeit, die Selbstsucht, die Eigenliebe und andere Laster erschienen, um ebenfalls bei ihm Quartier zu nehmen.

Frau Höfner merkte sehr wohl die Veränderungen, welche mit dem ehemaligen Schreiber vorgegangen waren, und verdenken konnte man es ihr wahrlich nicht, wenn sie sich darüber, ihrer Tochter gegenüber, mit einiger Bitterkeit aussprach.

»Da siehst du den Dank, welchen wir ernten«, sagte sie zu dieser. »Auf einmal sind wir ihm zu klein und zu gering geworden, der vornehmen Gesellschaft gegenüber, mit der er jetzt umgeht. Schämt er sich nunmehr unser? Wenn er sich auch scheut, es auszusprechen, so sehe ich es ihm doch deutlich an, dass er nur auf eine passende Gelegenheit wartet, um uns in ganz entschiedener Weise für immer den Rücken zu kehren.«

»Welche Verpachtungen hat er denn aber eigentlich auch gegen uns?«, bemerkte Hannchen mit mehr Ruhe als erwartet werden durfte. »Schön finde ich es allerdings auch nicht von ihm, dass er die Vergangenheit so schnell gänzlich vergessen konnte. Aber wenn wir auch arm sind, so haben wir doch auch unseren Stolz und wir werden am besten daran tun, wenn wir uns nichts von den uns zugefügten Kränkungen anmerken lassen.«

Im Stillen entschlüpfte aber doch dem braven, mit einem vortrefflichen Herzen ausgestatteten Mädchen mancher Seufzer. Mehr als einmal war es vorgekommen, dass ihre Augen sich mit Tränen gefüllt hatten, wenn sie in schlaflosen Nächten der Hoffnungen gedachte, die, so bescheiden dieselben auch immer gewesen waren, doch das Ziel ihrer stillen Wünsche gebildet hatten und welche von dem ehemaligen Schreiber ja selbst durch gar nicht missverstehende Andeutungen und Hinweisen genährt worden waren.

Als dieser aber nun eines Morgens im Reiseanzug in das kleine Wohnzimmer trat und erklärte, er komme, um nun für längere Zeit Abschied zu nehmen, da er sich zu der Residenz begebe, und dabei einen Fünfzigtalerschein hervorzog und die Witwe bat, denselben als Ausgleich für die mancherlei Gefälligkeiten anzunehmen, die er von ihr erfahren hatte, da senkte sich doch ein tiefer Stachel in das ohnedem schon so schwer verletzte Herz des armen Hannchens. Abwehrend mit der Hand winkend, flossen ihre Augen über, während sie der Mutter einen bittenden Blick zuschickte. Und diese verstand den Wink. Selbst in ihrem Stolz verletzt und von Unwillen erfüllt über solches rücksichtsloses Benehmen, schob sie die Banknote zurück. Pußkuchen mit einem strafenden stolzen Blick messend, sagte sie ruhig: »Freundschaftsdienste ließen sich nichts bezahlen, und wenn sie sich beide auch in beschränkten Verhältnissen befänden, so wären sie doch nicht die Leute, welche sich auf diese Weise abfinden ließen und er möge nur ruhig reisen, denn davor sei er sicher, von ihnen jemals belästigt zu werden.«

Freilich stieg Herrn Pußkuchen, als die einfache Frau ihn in so würdiger Weise abfertigte, das Blut ins Gesicht. Er stotterte eine Entschuldigung, aber zuletzt strich er doch das Geld ruhig ein. Als sei er einer Last enthoben, atmete er erleichtert auf, als er das kleine Häuschen hinter sich hatte und schnell die Straße entlang eilte, um sich zum Bahnhof zu begeben.