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Die Macht der Drei – Teil 32

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Unter den Passagieren des Flugschiffes Stockholm – Köln befand sich Dr. Glossin. Während seine Mannschaft nach dem Abenteuer in Linnais im eigenen Schiff in die Staaten zurückkehrte, fuhr er nach Deutschland.

Das Flugschiff war ein gutes, ziemlich schnelles Fahrzeug der mitteleuropäischen Verkehrsgesellschaft. Für zweihundert Passagiere eingerichtet, legte es bei einer Stundengeschwindigkeit von etwas über vierhundert Kilometer die Strecke Stockholm – Köln in rund vier Stunden zurück. Dr. Glossin war um acht Uhr morgens von Stockholm fortgeflogen. Fahrplanmäßig musste das Schiff den Kölner Flughafen zwölf Uhr mittags erreichen. Jetzt stand es zwischen Malmö und Kiel über der Ostsee.

Der Doktor hatte es sich in einer Fensterecke bequem gemacht und zog für sich die Bilanz des Geschehenen. Die Sachen waren nicht schlecht gegangen. Erik Truwor und die seinen waren vernichtet. Es war bereits schwarz auf weiß gedruckt zu lesen. Haparandas Dagblad hatte in der Morgenausgabe einen kurzen Bericht über das Unglück von Linnais. Eine rätselhafte Brand-und Explosionskatastrophe, die mehrere schwedische Bürger das Leben gekostet haben sollte. Er hatte einige Exemplare der Zeitung gekauft, bevor er von Haparanda die Reise nach dem Süden antrat.

Dr. Glossin konnte zufrieden sein. Der heikle Auftrag des Präsident-Diktators war erledigt. Die drei Menschen, die er wirklich fürchtete, waren tot. So, wie er es geplant hatte, war es geschehen. Die Engländer hatten ihm die gefährliche Arbeit besorgt. Dass die bei der Gelegenheit etwas angesengt worden waren, störte ihn wenig. Wenn er an den eingebildeten Trotter dachte, der schließlich seine Brandblasen im Tornea kühlen musste, empfand er ein gewisses Vergnügen.

Erik Truwor war tot. Der Mann, der im Begriff stand, eine Macht zu gewinnen, an der Weltreiche zerschellen konnten. Der gräuliche Inder war verbrannt. Der braune Satan, der ihm den starken Hypnotiseur, selbst in den Bann der Hypnose gezwungen hatte. Und Silvester Bursfeld war gestorben. Silvester, dessen späte Rache er fürchten musste. Silvester, der ihm Jane entrissen hatte.

Das Verhältnis des Arztes zu dem Mädchen war immer komplizierter geworden. Er brauchte sie als Medium von unübertrefflicher Leistung. Als ein Medium, mit dessen Hilfe er räumlich und zeitlich ins Weite blicken, die Pläne und Taten seiner Gegner rechtzeitig erkennen, entfernte Zusammenhänge aufzudecken vermochte. Das war es, was ihm in den letzten Wochen gefehlt hatte. Alle seine Misserfolge schrieb er diesem Fehlen zu. Jane musste wieder fest in seiner Hand sein.

Sein Medium, sein Talisman und seine Liebe!

Mit verzweifelter Kraft klammerte sich die vereinsamte Seele des alternden Mannes an den Gedanken, Jane ganz sein Eigen zu nennen. Er fühlte unbewusst, dass diese Liebe für ihn die Entsühnung bedeute. Er träumte von einem neuen Leben in Reynolds-Farm an Janes Seite. Jetzt fuhr er nach Düsseldorf, um sie für sich zurückzuerobern.

Warum musste auch Jane einen Brief an ihre Nachbarin in Trenton schreiben und sich erkundigen, ob das Grab ihrer Mutter gut gepflegt werde. Es lag auf der Hand, dass dieser Umstand dem um das Wohl seines Mündels so ängstlich besorgten Vormund von den Empfängern des Briefes nicht verheimlicht werden würde. So wusste Dr. Glossin, dass Jane im Hause Termölen in Düsseldorf lebte. Es war einfach, beinahe zu einfach gewesen, ihren Aufenthaltsort zu erfahren. Viel schwieriger würde es sein, mit ihr in Verbindung zu treten.

Während das Schiff die westfälische Ebene überflog, versuchte der Arzt, sich einen Plan zu machen. Wann hatte er Jane das letzte Mal gesehen? Damals, als der Inder R.F.c.2 wie Wachs schmelzen ließ; als Glossin um sein Leben laufen musste. Das musste eine Annäherung des Doktors unmöglich machen. Es kam noch dazu, dass Jane doch inzwischen mit Silvester zusammen gewesen sein, von ihm erfahren haben musste, welche Rolle Glossin bei seiner Gefangennahme und Verurteilung gespielt hatte. Es schien bei solcher Sachlage ein unmögliches Unterfangen für den Arzt, Jane vor die Augen zu treten.

Aber schwierige Aufgaben reizten ihn. Er kannte seine eigene hypnotische Macht über Jane. Gelang es ihm, sich ihr zu nähern, seinen Einfluss wirken zu lassen, so musste es ihm glücken, sie wieder ganz in seinen Bann zu zwingen, alle störenden Erinnerungen wegzusuggerieren. Nur der erste Angriff musste geschickt ausgeführt werden. Die ersten dreißig Sekunden entschieden alles.

Ruhig und mit voller Nervenkraft an das Werk gehen, darauf kam es an. Er nahm einige der winzigen Pillen, die ihm eine genau auf die Minute dosierte Nervenentspannung verschafften, und streckte sich in den Sessel zurück. So saß er regungslos, bis das Schiff in Köln landete. Eine knappe halbe Stunde später schritt er durch die Straßen Düsseldorfs auf das Haus Termölen zu.

Sein Plan war einfach. Zu irgendeiner Stunde würde Jane doch einmal die Wohnung verlassen. Sie auf der Straße abpassen, das Fluidum wirken lassen, sie beeinflussen, sie in seinen Bann zwingen. Er war so einfach, dass er wohl gelingen musste. Wenn nicht … es gab wohl ein »Wenn«, aber Dr. Glossin hatte es gar nicht in den Bereich der Möglichkeit gezogen.

Er schleuderte die Straße entlang, und der Zufall begünstigte ihn.

Jane trat aus dem Haus und ging in der Richtung zum Rattinger Tor hin. Dr. Glossin verschlang ihre Gestalt mit den Blicken. Sie hatte sich ein wenig verändert, seitdem er sie zuletzt so gesehen hatte. Die beängstigend ätherische Zartheit ihres Teints war einer gesünderen Farbe gewichen. Ihre Figur war voller und kräftiger geworden.

Sie ging die Straße entlang, blieb hier und dort vor einem Schaufenster stehen und musterte die Auslagen. Mit der Gewandtheit eines Jägers pirschte sich der Doktor an sie heran. Unbeachtet in ihre nächste Nähe kommen, den Einfluss wenige Sekunden wirken lassen, und das Spiel war gewonnen.

Während Jane die Schmuckstücke im Schaufenster eines Juweliers betrachtete, kam er dicht an sie heran, stand unmittelbar hinter ihr und ließ seine ganze Energie spielen.

Jane schien es zu merken. Unangenehm, wie eine fremde körperliche Berührung. Sie drehte sich um und sah ihm unbefangen in die Augen.

Dr. Glossin erschrak. Das war das Mädchen nicht mehr, das sich in Trenton und Reynolds-Farm willenlos seinem Blick unterwarf. Er gab das Spiel verloren, erwartete im nächsten Moment eine Flut von Vorwürfen zu hören, sann auf schnellen Rückzug.

Nichts dergleichen geschah.

Jane begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Sie lud ihn ein, mit in das Haus zu kommen, und geleitete ihn dort in das Besuchszimmer. Hier erkundigte sie sich nach allen Bekannten in Trenton.

Dr. Glossin beantwortete ihre Fragen ausführlich und versuchte, dieses eigentümliche Benehmen zu ergründen. Ganz vorsichtig ließ er den Namen Elkington fallen. Jane reagierte nicht darauf. Der Doktor wurde deutlicher. Er sprach von Elkington, wo er sie das letzte Mal gesehen habe. Jane blickte ihn verwundert an.

»Elkington? … Ellington? … Ich bin nie in Elkington gewesen. Soweit ich mich erinnere, haben wir uns das letzte Mal in Trenton beim Begräbnis meiner Mutter gesehen.«

»Aber meine liebe Miss Jane können Sie sich auch nicht an Reynolds-Farm erinnern …?«

Jane schüttelte verneinend das Haupt. Dabei lachte sie vergnügt, lachte den Doktor geradezu aus, bis er seine Neugier nicht mehr meistern konnte.

»Darf ich fragen, Miss Jane, welcher Umstand Ihre Heiterkeit erregt?«

»Gewiss, Herr Doktor, ich amüsiere mich darüber, dass Sie mich noch immer als Miss anreden. Ich glaubte, mein Mann hätte Ihnen meine Vermählung längst mitgeteilt …«

Dr. Glossin sah nicht sehr geistreich aus. Das Erstaunen war zu groß, die Neuigkeit war zu überraschend und kam zu plötzlich.

Jane sah es und brach in ein helles Gelächter aus.

»Sie wissen also nicht, dass ich verheiratet bin? Wissen natürlich auch nicht, wer mein Mann ist?«

»Keine Ahnung, Mrs … Mrs …«

»Mrs. Bursfeld, damit Sie meinen vollen Namen kennenlernen, Herr Doktor.«

»Ich konnte es mir fast denken.«

Dr. Glossin murmelte die Worte unhörbar vor sich hin. Mochte Jane immerhin geheiratet haben, so war sie heute doch schon wieder Witwe. Das sollte ihn nicht stören. Aber er musste klar sehen, welche Veränderung mit ihr vorgegangen war.

Ihre Erinnerung war lückenhaft. Sie wusste nichts mehr von Reynolds-Farm, wusste vielleicht überhaupt nicht mehr, dass es jemals einen Menschen namens Logg Sar gegeben hatte, obwohl sie heute Mrs. Bursfeld war. Todesurteil, Verrat, alle die Dinge, bei denen Glossin eine so schlimme Rolle spielte, waren ihrem Gedächtnis entschwunden. Es war dem Doktor klar, dass hier eine suggestive Beeinflussung vorlag. Man hatte Jane diese aufregenden Vorfälle vergessen lassen, um ihr hier ein ruhiges Leben der Erholung und Kräftigung zu ermöglichen. Die guten Wirkungen der Maßnahme zeigten sich auch unverkennbar an ihrem Aussehen.

Aber noch etwas anderes musste geschehen sein. Während Dr. Glossin mit Jane sprach, versuchte er die alten Künste. Ganze Ströme magnetischen Fluidums ließ er auf sie wirken, während er im Laufe des Gespräches ihre Hände ergriff. Mit aller Kraft versuchte er sie wieder unter seinen Willen zu zwingen. Ein Weilchen ließ ihn Jane gewähren. Dann entzog sie ihm ihre Hände.

»Nun ist es genug, Herr Doktor. Sie sehen mich an … so … was … wollen Sie?«

Bei diesen Worten schaute sie ihm selbst so sicher und unbeeinflusst in die Augen, dass er seine Bemühungen aufgab.

Ein mächtiger Wille hatte Jane gegen alle hypnotischen Beeinflussungen von anderer Seite verriegelt. Wohl konnte er ruhig mit Jane sprechen. Aber alle Annäherung konnte ihm nichts nutzen. Sie war gegen seinen Einfluss gefeit. Eine Verriegelung, die Atma gelegt hatte … Dr. Glossin zweifelte, ob es ihm je gelingen könnte, sie wieder aufzuheben. Ein einziges Mittel blieb, eine schwere seelische Erschütterung. Wenn sie stark genug war, wenn sie die Seele mit voller Macht traf, dann konnte sie den Riegel vielleicht zerbrechen.

Dr. Glossin lehnte sich in seinen Stuhl zurück und holte aus seiner Brusttasche ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt hervor.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, Mrs. Bursfeld, wenn meine Blicke länger als üblich an den Ihren hingen, meine Hände länger als gewöhnlich in den Ihren ruhten. Die überraschende Mitteilung Ihrer Vermählung bringt mich in eine eigenartige Lage, macht eine Nachricht, die sonst nur bedauerlich gewesen wäre, zu einer Trauerbotschaft.«

Jane blickte ihn mit weit geöffneten Augen an. Überraschung und Bestürzung malten sich auf ihren Zügen.

»Eine schlimme Nachricht aus Linnais.«

Dr. Glossin sagte es, während er Jane das Haparanda Dagblad mit der Nachricht vom Untergang des alten Hauses Truwor hinhielt.

Jane warf einen Blick darauf. »Herr Doktor, ich verstehe kein Schwedisch. Sie müssen mir das übersetzen.«

Dr. Glossin nahm das Blatt wieder an sich und begann Wort für Wort zu übersetzen. Die Nachricht vom Brand, von den Explosionen. Vom Untergang des ganzen alten Hauses in einer einzigen wabernden Lohe. Vom sicheren Tod aller Insassen.

Während er Zeile für Zeile übersetzte, wurde Jane von Sekunde zu Sekunde blasser. Bei den letzten Worten sank sie mit einem leisen Schrei ohnmächtig von ihrem Stuhl auf den Teppich.

»Jetzt oder nie … vielleicht ist der Riegel gebrochen.«

Dr. Glossin beugte sich über die ohnmächtig Daliegende. Er strich ihr über die Stirn. Alles magnetische Fluidum, über das er verfügte, versuchte er in ihren Körper zu jagen. Sie wieder ganz unter seinen Willen und Einfluss zu zwingen.

Er befahl ihr, sich zu erheben, und Jane führte den Befehl aus. Mit halb geschlossenen Augen stand sie vor ihm.

Auf einen Dritten hätte die Szene einen wunderbaren Eindruck gemacht … Kein Wort wurde gesprochen. Lautlos erteilte Dr. Glossin seine Befehle. Lautlos vollzog sie Jane, solange sie diese noch vollzog.

Eine Richtung der Pupillen von Jane gefiel dem Doktor nicht. »Sehen Sie mich an. Sehen Sie mir genau in die Augen«, befahl er.

Jane leistete dem Befehl keine Folge. Erst wanderte ihr Blick. Dann drehte sich ihr Haupt und dann der ganze Körper. Sie wandte dem Doktor halb den Rücken zu. Wäre Dr. Glossin über die Himmelsrichtungen in dem Zimmer orientiert gewesen, hätte er bemerkt, dass Jane genau nach Norden blickte.

So stand sie. Minuten hindurch. Dr. Glossin bot seine ganze Kraft auf und hatte keinen Erfolg.

Wenn der Riegel jemals gebrochen war, so war er in diesen Sekunden wieder zusammengeschweißt.

Jetzt wandte sich Jane ruhig dem Doktor wieder zu. Sie zeigte eine heitere Miene. Jede Angst und Unruhe waren wie weggewischt. Sie nahm die Unterhaltung da wieder auf, wo sie vor langen Minuten gestockt hatte.

»Dieser Zeitungsbericht ist doch längst überholt. Ein bedauerlicher Zwischenfall. Ein Brand, der im Laboratorium von Erik Truwor ausbrach. Ich hörte davon. Es ist schade. Es hält die Arbeiten wieder auf. Ich werde meinen Mann ein paar Tage länger entbehren müssen. Aber Sie können beruhigt sein. Er ist unversehrt und arbeitet mit allen Kräften an seiner Erfindung weiter …«

Dr. Glossin hatte das Empfinden, als ob alles um ihn niederbräche. Eben noch seines Sieges gewiss. Im Bewusstsein, drei Gegner vernichtet zu haben. Im Begriff, Jane wieder unter seinen Einfluss zu zwingen.

Und nun? Die junge Frau stand sicher und selbstbewusst vor ihm. Sie lachte über die Mitteilungen, die sie niederschlagen sollten.

»Herr Doktor, Ihre Nachrichten sind überholt. Ich habe neuere, bessere.«

Mit dieser im Konversationston vorgebrachten Bemerkung schlug sie alle seine Angriffe zurück, vereitelte sie seine Anstrengungen, setzte sie ihn der Gefahr aus, sich lächerlich zu machen, wenn er seinen Besuch noch weiter ausdehnte.

Dr. Glossin empfahl sich. Äußerlich höflich, innerlich zerrissen und wütend.

»Wenn nicht die eine, so die andere! Wir wollen sehen, wie Lady Diana die Nachricht aufnimmt.«

Mit diesem Vorsatz verließ er das Haus.