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Der Kommandant des Tower 7

Der-Kommandant-des-TowerDer Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Erstes Buch
Das Testament Heinrichs VIII.
Siebentes Kapitel

Von der schrecklichen Vorladung, welche der König empfing

Unter der Aufsicht des Doktors Butts und des Wundarztes Ferrys und mithilfe einer Maschinerie, die man zu diesem Zweck anwandte, wurde Heinrich, dessen Bewusstheit nur teilweise zurückgekehrt war, von seinem Sessel emporgehoben und auf ein Bett in seinem Schlafzimmer gelegt. Das Bett, auf dem mau ihn ausstreckte, war von ungewöhnlicher Größe und aus schwarz gebeiztem, glänzend poliertem und reich geschnitztem Eichenholz gefertigt. Der hohe Betthimmel wurde von gewundenen Pfeilern getragen und war oben mit einem Büschel blutroter Federn verziert. Die Vorhänge bestanden aus Golddamast von dichtestem Gewebe, und auf dieselben waren das heilige Kreuz, das St. Georgskreuz, die Rose, das Wappen mit dem aufsteigenden Löwen und Lilien gestickt. Am Kopfende des Bettes war in erhabener Arbeit das Wappen von England angebracht. Trotz der Pracht seiner Vorhänge war das Aussehen dieses riesigen Bettes im Ganzen höchst finster und gab ein passendes Lager für einen sterbenden Monarchen ab. Die Zimmerwände waren mit schönen Teppichen, von den Webstühlen von Tournay behangen, welche die Hauptbegebenheiten aus dem Leben König Salomos des Weisen darstellten. Auf dem oberen Rand waren in schwarzen Charakteren verschiedene Sprüche aus der Heiligen Schrift gemalt, welche auf die Bestimmung des Zimmers Bezug hatten.

Es folgte eine schreckliche Nacht, welche denen, die an Heinrichs Sterbelager wachten oder sich nahe genug befanden, um sein schreckliches Stöhnen und Schmerzgeschrei zu hören, noch lange im Gedächtnis blieb. Jeder, welcher seine entsetzlichen Angstrufe vernahm oder sein Ringen nach Atem mit ansah, fühlte, dass die zahllosen Opfer des Tyrannen furchtbar gerächt wurden. Für jedes Leben, das er geraubt hatte, musste er – so schien es – eine verzweiflungsvolle Marter erdulden, und obwohl er beständig im Sterben lag, wollte ihn doch der Tod nicht ereilen. Die lange, lange Nacht hindurch sah man in dem großen, trüb erleuchteten Zimmer, das einen noch finsteren Ausdruck durch das schwarze Mobiliar und die düsteren Tapeten erhielt, dunkle Gestalten, wie vom Teppich sich ablösend, mit geisterhaften Schritten zum Lager des Königs hinhuschten, den Arzt und den Wundarzt mit fragendem Blick betrachteten und sich dann rasch, aber lautlos zurückzogen, wenn ein Schmerzensschrei dem königlichen Dulder entfuhr. Eine schlanke Gestalt, kaum unterscheidbar von den Tapeten, neben welchen sie stand, blieb die ganze Nacht im Hintergrund des Zimmers stehen, mit augenscheinlicher Besorgnis den Ausgang dieses furchtbaren Ringens mit dem Tod erwartend. Von Zeit zu Zeit schlich Doktor Butts geräuschlos zu dieser finsteren und geheimnisvollen Gestalt und sprach mit derselben in flüsterndem Ton. Ihr leises Gespräch hatte sichtlich Bezug auf den König und auf irgendetwas, das der unermüdliche Wacher, dessen Gebärden die äußerste Besorgnis verrieten, von ihm begehrte. Aber wie wichtig die Angelegenheit auch sein mochte, Butts hielt sie offenbar für unmöglich, denn er schüttelte sein Haupt und kehrte allein an das Bett des kranken Monarchen zurück. Von Schmerz übermannt, sank Heinrich gegen Morgen in Schlaf, und als dieser günstige Umstand dem harrenden Wacher mitgeteilt wurde, verschwand er, nachdem er zuvor von Doktor Butts die Zusicherung erhalten hatte, dass er sofort benachrichtigt werden würde, falls eine Änderung zum Schlimmeren einträte. Einige der schlaftrunkenen Pagen und Diener begaben sich gleichfalls zur Ruhe, aber die Ärzte verließen nicht einen Augenblick das Lager des Königs.

Heinrich schlief einige Stunden, und als er gegen Mittag sehr erfrischt wieder erwachte, sprach er den Wunsch aus, das Sakrament zu empfangen. Nachdem er befohlen hatte, den Bischof von Oxford zu rufen, hieß der König seine Diener ihn wieder aus dem Bett auf seinen Stuhl heben. Doktor Butts bemühte sich, ihm davon abzuraten, indem er ihm die große Gefahr dieses Schrittes vorstellte und ihm die bequemste Lage während der Verrichtung der heiligen Zeremonie anriet, aber Heinrich erklärte auf das Bestimmteste, dass er knien wolle, welche Gefahr auch für ihn daraus entspringen und welchen Schmerz es ihm auch bereiten möge, indem er hinzufügte, dass er dem Sakrament nicht die ihm gebührende Ehre zu erweisen imstande sei, wenn er sich auch nicht bloß auf die Erde werfen, sondern unter die Erde kriechen müsse. Dagegen ließ sich nichts mehr sagen. Sein Gebot wurde erfüllt. Emporgehoben und auf seinen Stuhl getragen, verblieb er in sitzender Stellung bis zur Segnung der Hostie, dann kniete er vor dem Bischof nieder und empfing das Brot und den Wein. Obwohl seine Schmerzen entsetzlich sein mussten, ertrug er sie mit der Standhaftigkeit eines Märtyrers, und der gute Prälat, welcher tief ergriffen war, konnte nicht genug seine Kraft bewundern. Sobald die heilige Handlung vorüber war, wurde der König in sein Bett zurückgetragen und schien sich trotz der großen Anstrengung, die er durchgemacht hatte, nicht viel kränker zu befinden. Nach seinem eigenen Befehl, den man nicht widersprechen durfte, lag er dann bis spät am Tag in ungestörter Ruhe.

Es war der Freitagabend vor Lichtmess des Jahres 1547. Erst etwa zwei Stunden vor Mitternacht erhielt der Earl von Hertford, welcher mit verzweifelnder Ungeduld auf eine Audienz harrte, die Erlaubnis, sich dem König zu nähern. Er fand denselben im Bett liegen, mittelst unförmlicher Kissen zu sitzender Stellung aufgerichtet. Als Hertford ihn betrachtete, fühlte er sich fest überzeugt, dass der König sich rasch seinem Ende nähere, obwohl seine Augen noch klar und seine Stimme so laut und klangvoll wie immer waren. Keine Zeit war zu verlieren, keine Gefahr zu beachten, wenn das große Ziel, das auf dem Spiel stand, erreicht werden sollte.

»Lasst alle sich aus dem Zimmer entfernen«, sagte Heinrich. »Unser Gespräch muss ein durchaus geheimes sein.«

Dies war es eben, was Hertford wünschte. Er sorgte also dafür, dass des Königs Geheiß rasch erfüllt wurde.

»Wir sind allein, Sire«, versetzte er, sobald alle Diener, Doktor Butts und den Wundarzt mit eingeschlossen, das Zimmer verlassen hatten.

»Hertford«, begann der König, während der Earl nahe zu ihm herantrat. »Du siehst mich an, als hieltest du mich für kränker. Leugne es nicht, Mann, ich lese deine wahren Gedanken in deinen Mienen. Es ist kein Wunder, dass ich bedenklich aussehe. Die letzte Nacht war für mich eine entsetzliche, Hertford. Nicht wenn ich einen Herrschertitel dadurch zu erkaufen vermochte, wollte ich noch eine solche Nacht erdulden. Ich vermag mich nicht ohne Grausen daran zu erinnern. Ich stand die Qualen der Verdammten aus. Ich betete – betete vergebens um Linderung dieser Marter. Du weißt, ich bin nicht kindisch abergläubig – ich halte nichts von den Märchen alter Weiber. Du wirst also glauben, was ich dir erzählen will. Wie seltsam und unwahrscheinlich es dich aber auch bedünken mag, glaube nicht, dass meine Nerven durch Krankheit erschüttert sind.«

»Was immer Eure Majestät mir erzählen mag, ich werde es unumstößlich glauben. Davon seid überzeugt«, antwortete Hertford. »Und ich weiß wohl, dass Eure Nerven so stark wie nur jemals sind.«

»Du lügst! – Du glaubst das nicht – aber sie sind es. Doch zu meiner Erzählung! – Und gib um so mehr darauf acht, da du sehen wirst, dass sie dich ebenso sehr wie mich betrifft.«

»Kommt ein Geist in der Erzählung vor, mein königlicher Herr?«, fragte Hertford.

»Schweig, du wirst es erfahren«, entgegnete Heinrich finster. »Vergangene Nacht versuchte ich während einer kurzen Erholungspause zwischen meinen Schmerzanfällen einzuschlafen, als ich die Uhr Mitternacht schlagen hörte – ganz deutlich, denn ich zählte die Schläge – und als der letzte Nachhall verklang, wandte ich mich an Butts und bat ihn, mir einen Trunk zu geben. Er war fortgegangen, während Ferrys, der bei mir wachen sollte, augenscheinlich vom Schlaf überwältigt, auf den Stuhl gesunken war, neben welchem du stehst. Ich wollte ihn wecken und schelten, und hätte es auch sicherlich getan, wenn mich nicht alle Kraft der Sprache und Bewegung plötzlich verlassen, als ich ein Phantom, ein grässlich gespenstisches Phantom, auf mein Bett zuschleichen sah. Und wen, meinst du, erblickte ich?«

»Ich vermag es fürwahr nicht zu erraten, mein hoher Herr«, antwortete Hertford.

»Surrey, neu erstanden aus seiner blutigen Gruft – seine edlen Züge fahl und entstellt – seine Locken mit Blut befleckt – sein schöner Hals vom Beil durchhauen – und doch wunderbarerweise wieder auf den Schultern ruhend -grauenhaft anzuschauen – aber ich erkannte ihn sogleich. Seine Augen schienen zu leben und den bannenden Zauber eines Basilisken zu üben, denn als er sie auf mich heftete, konnte ich meinen Blick nicht von ihnen abwenden. Dann regten sich seine Lippen, und mit einer so drohenden Gebärde, wie ich sie nimmer von einem sterblichen Mann ertragen hätte. Mit einer schrecklicheren Stimme, als mein Ohr jemals vernommen hatte, sagte er mir, er komme, mich vor den Richterstuhl des Himmels zu laden, und ich müsse dort erscheinen, ehe die Uhr noch einmal die Mitternachtsstunde verkünde.«

»Lasst das Euren Geist nicht bedrücken, mein gnädigster Herr«, sprach Hertford, selbst nicht ganz frei von abergläubiger Angst, obwohl er sich Mühe gab, den König zu beruhigen. »Ich befand mich in der vergangenen Nacht um Mitternacht und lange nachher in Eurem Schlafzimmer und ich sah und hörte nichts von dem, was Ihr berichtet. Es war ein böser Traum – aber ganz bestimmt nur ein Traum. Ich bitte Euch daher, lasst Euch diese Fantasien nicht quälen.

»Sie sind durch die Krankheit, an der Ihr leidet, erzeugt worden.«

»Nein, Hertford«, erwiderte Heinrich im Ton der tiefsten Überzeugung, »es war weder ein Traum noch die Wirkung einer krankhaften Einbildung. Ich hätte ein solches Gespenst nicht beschwören können, wenn ich es gewollt hätte – und ich wollte es nicht, wenn ich es könnte«, fügte er schaudernd hinzu. »Ich sah Surrey gauz deutlich dastehen, wo du jetzt stehst. Ich will Dir nicht alles erzählen, was der Geist von Rache und Wiedervergeltung sprach, aber er prophezeite dir und deinem Bruder ein blutiges Ende.«

»Ich habe keine Furcht vor der Prophezeiung«, sagte Hertford mit einem Ton, der seine Worte einigermaßen Lügen strafte. »Und ich beschwöre Eure Hoheit, der Vision kein Gewicht beizulegen. Ihr habt mir erzählt, wie der Geist zu Euch kam, aber Ihr habt mir nicht gesagt, wie er sich wieder entfernte.«

»Ich weiß nicht, wie er verschwand«, antwortete Heinrich. »Eine Zeit lang blieb ich gebannt, wie unter dem Druck eines Albs. Aber zuletzt brach ich durch eine gewaltsame Anstrengung den Zauber, der mich gefesselt hielt, und stieß einen Schrei aus. Da fand ich den Geist entwichen und Butts an seinem Platz stehen. Auch Ferrys war wach.«

»Alles ist jetzt erklärt«, versetzte Hertford. »Es war der Alb, der Eure Hoheit bedrückte. Ihr braucht keine Furcht zu hegen.«

»Furcht! – Ich habe keine!«, rief der König aus. »Kein lebender Mann hat jemals Heinrich den Achten zittern gemacht, und kein Toter soll das vermögen. Der Geist mag recht haben, was dich und deinen Bruder betrifft, aber ich will ihm beweisen, dass er in einem Punkt unrecht hat.«

»Indem Ihr die Frist, welche er Euch bestimmt hat, überlebt, nicht wahr, mein König?«, fragte Hertford. »Vonseiten eines Sterblichen würde solch eine Weissagung ein Hochverrat gewesen sein, aber Geister sind ausgenommen von den gesetzlichen Strafen.«

»Der Scherz ist unzeitgemäß, Mylord«, bemerkte Heinrich finster. »Ich werde den Geist äffen, wenn ich es vermag, indem ich bis morgen lebe, aber auf jeden Fall will ich ihn äffen, indem ich Norfolk dem Schafott überweise. Ich will den Kopf des Herzogs haben, bevor ich sterbe. Das will ich, weil der Geist mir, wie zum Hohn, sagte, ich würde auch dies nicht erreichen. Ich will ihm seinen Vater nachsenden, damit er ihm Gesellschaft leiste.«

»Was immer diesen Entschluss herbeigeführt haben mag, bin ich froh, recht froh, dass Ihr ihn gefasst habt«, sagte Hertford. »Bliebe Norfolk am Leben, so würde er dem Prinzen Edward ohne Zweifel während seiner Minderjährigkeit die größten Ungelegenheiten verursachen. Er könnte noch mehr tun: Vom Papst, von Kaiser Karl V. und ihren Söldlingen unterstützt, könnte es ihm selbst gelingen, die Krone vom Haupt des jungen Prinzen auf das Haupt der Prinzessin Mary zu übertragen und so das ganze Werk zu vernichten, Sire, an dessen Vollendung Ihr so lange und unablässig gearbeitet habt. Er könnte ebenso wohl die Reformation hemmen als auch die Erbfolge ändern. Ihr habt den Prinzen Edward von einem gefährlichen Gegner, Surrey, befreit, aber der zweite und mächtigere Feind lebt noch.«

»Er soll Edward nimmer belästigen«, erwiderte der König. »Er soll morgen früh enthauptet werden. Besorge sogleich den Vollstreckungsbefehl und händige ihn dem Kommandanten des Towers aus.«

»Weshalb nicht heute noch?«, fragte Hertford.

»Zu dieser Stunde?«, rief Heinrich finster aus. »Eine geheime Hinrichtung würde man auf Rechnung der Furcht oder des Zornes schreiben – und ich fühle weder das eine noch das andere. Nein! Morgen früh ist zeitig genug. Ich werde meinen Sinn nicht ändern. Hole den Exekutionsbefehl. Weshalb zögerst du?«

»Wenn ich wagen dürfte, Eurer Majestät, eine Sache ans Herz zu legen …«, stammelte Hertford.

»Ha! Was ist es?«, fragte der König.

»Ihr habt weise und wohlüberlegt all Eure Anordnungen für die Zukunft getroffen, allein Ihr habt die Hauptsache, die Unterzeichnung Eures Testamentes, unterlassen. Hier ist das Dokument, Sire, das Ihr meiner Obhut anvertraut habt«, fügte er hinzu, ein Kästchen hervorlangend, aus dem er mehrere Papierbogen nahm, die mit einer grünen und weißen Schnur zusammengeheftet waren. »Es fehlt nur Eure Unterschrift und der Abdruck Eures königlichen Siegels.«

»Lass es mir«, sagte Heinrich, das Testament zu sich nehmend. »Vielleicht, dass ich noch einige Änderungen darin mache.«

»Änderungen!«, rief der Earl aus, den seine gewöhnliche Vorsicht im Stich ließ.

»Ja, Änderungen! Weshalb nicht?«, schrie der König zornig und misstrauisch. »Wenn es mir einfallen sollte, deinen Namen von der Liste meiner Testamentsexekutoren zu streichen, könnte ich das tun, denke ich.«

»Fern sei es von mir, Eurer Hoheit die Macht zu bestreiten, irgendeine Änderung zu treffen, die Ihr für gut befinden mögt«, antwortete Hertford in fast demütigem Ton.

»Aber ich flehe Euch an, die Unterzeichnung nicht zu verschieben.«

»Du tätest besser, mich nicht mehr zu belästigen«, entgegnete Heinrich finster. »Vollziehe sofort deinen Auftrag. Sende John Gage zu mir. Ich wünsche mich mit ihm zu beraten.«

»Würde kein anderer als Sir John Gage Euch genehm sein?«, fragte Hertford.

»Ha! Was ist das? Wagst du Scherz mit mir zu treiben? Kein anderer als Gage wird mir genehm sein. So, da hast du deine Antwort, fort mit dir!«

Kaum imstande, seine Verstimmung zu verhehlen, machte Hertford eine tiefe Verbeugung und entfernte sich.