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Der bayerische Hiesel – Teil 42

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Hiesel als Prälat

Der Freiherr von Racknitz hatte der augsburgischen Regierung durch seinen Stabsamtmann zu Haunsheim die schriftliche Zusage gemacht, dass er alle seine Kräfte aufbieten werde, dem landesgefährlichen Hiesel demnächst für immer das Handwerk zu legen. Der Plan hierzu ging vom Stabsamtmann aus, der in vielen Wirtshäusern laut geäußert hatte, dass er das Land von diesem Ungeheuer befreien werde, koste es auch, was es immer wolle.

Er organisierte eine beständige Streife, zusammengesetzt teils aus herrschaftlichen Jägern und Amtsknechten, teils aus mutigen Bauernburschen, worunter viele ausgediente Soldaten, die nun zu Hause arbeiteten und sich an reguläres Militär anschlossen. Diese Gemeindestreifen wechselten Tag und Nacht ab und folgten dem Hiesel überall auf der Ferse nach.

Von diesen Verhältnissen wurde Hiesel durch seine Spione genau unterrichtet. Er erzählte es auch unverhohlen in den Wirtshäusern, um damit zu prangen und zu schrecken, dass er alles wisse, und stieß bei solchen Gelegenheiten die furchtbarsten Drohungen gegen den Freiherrn von Racknitz und dessen Stabsamtmann aus, dem er unter den grässlichsten Flüchen einen unvermeidlichen Tod schwur. Hiesel erfuhr eines Morgens, als er eben über ein Feld ging, von einem Hirtenjungen, dass der Stabsamtmann von Haunsheim vorbeigefahren sei. Er habe ihn angebettelt, und jener erwidert, er sei mit keiner kleinen Münze versehen. Er möge sich sohin beim Pförtner des Dominikanerklosters zu Obermedlingen melden, wo er zu Mittag speise, dort wolle er etwas für ihn zurücklassen.

Hierüber ganz erfreut, schenkte Hiesel dem Knaben ein Zwölfkreuzerstück, suchte einige Kameraden auf und begab sich nach Obermedlingen, wohin ein kurzer Weg von einer starken halben Stunde führte.

Vom Wirtshaus aus schickte Hiesel den Anderl, einen seiner verschmitztesten Kameraden, zur Klosterpforte und ließ den Herrn Stabsamtmann ersuchen, zu ihm ins Wirtshaus zu kommen, indem er ihm eine wichtige Nachricht mitzuteilen habe.

Natürlich kam der Eingeladene nicht, weil er wohl wusste, welches Schicksal ihm bevorstand.

Hiesel hatte absichtlich nicht durch irgendeine List den Stabsamtmann herauslocken lassen, weil er es darauf anlegen wollte, selbst in das Kloster zu kommen.

Der Stabsamtmann ließ ihm sagen, dass jetzt unmöglich Zeit habe, wünsche aber Hiesel mit ihm zu sprechen, so möge er ihn nur zu Haunsheim besuchen.

Dieser Spott verdross den Hiesel. Er nahm seinen Stutzen und den Hund mit sich, umging das Kloster, um nicht gesehen zu werden, und schellte an der Pforte.

Der Pförtner hatte seinen Gedanken an die Verwegenheit, dass Hiesel es wagen würde, ganz allein in das Innere des Klosters zu kommen, dessen Dienstpersonal hinreichend war, ihn zu bezwingen.

Er öffnete also die Pforte und wollte sie gleich wieder schließen, als er den Gefürchteten erblickte, dessen Personalbeschreibung und Bildnis damals in allen Ecken des Bayern- und Schwabenlandes zu finden war. Allein Hiesel stemmte sich gegen die Tür und erzwang den Eingang. Vier Wildschützen hatten schon das Glockenhaus der Kirche besetzt, um das Sturmläuten zu verhüten.

Dem Geruch köstlicher Speisen folgend, gelangte er zum Refektorium, ein stattlicher Saal, worin die Mönche und einige Gutsbesitzer der Nachbarschaft bei einem fetten Schmaus saßen und sich eben mit allerlei Bemerkungen über Hiesels Kühnheit und vermessene Einladung des Stabsamtmannes beschäftigten.

Ein neuvermählter Landjunker, zuvor Leutnant bei dem augsburgischen Reichskontingent, stürzte ein Glas Burgunder hinunter und prahlte: »Herr Prälat, hätte ich den Kerl nur da, ich wollte gleich fertig mit ihm sein!«

»Da ist er!«, rief Hiesel, die Tür aufreißend, und alle Gäste saßen lautlos wie versteinert auf ihren Stühlen.

»Nun, Herr Krautjunker, da steht ja der Kerl, mit dem Ihr gleich fertig seid. Warum haltet Ihr jetzt nicht Wort? Nun, wir zwei finden uns schon noch. Jetzt hab’ ich’s mit dem da oben zu tun.«

Rechts vom Prälaten saß der Stabsamtmann. Hiesel nahm einen Stuhl, drängte einen Herrn, der links vom Prälaten saß, zur Seite und stellte seinen Stuhl so, dass nur der Prälat zwischen ihm und seinem Feind saß, der bleich vor Angst wurde, sich den Schweiß von der Stirn wischte und nicht aufzublicken wagte.

Hiesel legte den Stutzen quer auf seinen Schoß, ohne den Hut zu rücken, während Tiras auf den Seitentischen mit dem Braten sich gütlich tat.

»Was führt dich in diese heiligen Mauern, Hiesel, ohne meine Erlaubnis«, fragte mit ernster Würde der Prälat.

»Ich bin ein freier Mann und frage nach keines Menschen Erlaubnis, zu tun, was ich will.«

»Bedenkst du nicht, dass du jetzt in meiner Gewalt bist? Ohne den Platz zu verlassen, kann ich durch ein geheimes Zeichen befehlen, Sturm zu läuten, meine Dienerschaft hereinrufen, dich binden und den Gerichten ausliefern lassen!«

Hiesel lachte laut auf. »Probiert es, geistlicher Herr! Von Euch allen kommt doch keiner mehr lebendig hinaus. Aber gegen das Sturmläuten ist schon gesorgt. Ein Schuss von mir, und in einer Viertelstunde steht das ganze Kloster in Flammen. Zwanzig Kameraden sind bei den Getreide – und Strohscheunen mit Pechkränzen in Bereitschaft, Euch zu braten.«

»Welche verwegene Sprache!«

»Spart die überflüssigen Worte! Also, Herr Stabsamtmann, Ihr seid der Allerweltshieselfänger? Nun das freut mich, Euch persönlich kennenzulernen. Ich weiß alles, was Ihr gegen mich bereits unternommen habt und noch im Schilde führt. Gebt Euch keine Mühe mehr. Ihr bringt es doch nicht mehr zu Ende, denn heute noch müsst Ihr sterben.«

Mit diesen Worten fasste er den Stutzen und spannte den Hahn, stand auf und trat einige Schritte zurück – zum Schuss fertig.

In der Todesangst stürzte der Stabsamtmann zu Hiesels Füßen und flehte um sein Leben, da er Vater von sieben unmündigen Kindern sei.

Drohend erhob sich der Prälat und gebot ihm im Namen Gottes und der Kirche augenblicklich den Saal und das Kloster bei Strafe des Kirchenbannes zu verlasen.

»Jetzt bin ich Prälat!«, donnerte ihm Hiesel entgegen, und Tiras schien nur einen Wink zu erwarten, um den Knieenden zu zerreißen.

Da legte sich Pater Anselm, ein achtzigjähriger Greis, ins Mittel und hielt an Hiesel eine sanfte, zum Herzen dringende Anrede, worin er besonders seine Tapferkeit und seine Großmut rühmte, und ihm bemerkte, dass er eben deswegen, weil er die Macht besitze, sich zu rächen, weit edelmütiger handeln würde, wenn er ihm verziehe, und mit einer Summe Geldes, nicht für sich, denn Hiesel verkaufe seine Großmut nicht, sondern für seine Kameraden, sich begnügen möchte.

Der Prälat stimmte gleichfalls einen gemäßigteren Ton an, und die übrigen Gäste vereinten ihre Bitten mit den Bemühungen des Paters Anselm.

Hiesel fühlte sich durch diese Behandlung geschmeichelt. Sie hatte seine schwache Seite berührt. Er willigte ein, gegen eine Entschädigung von 500 Gulden, wovon jedoch 100 Gulden der prahlerische Krautjunker zu bezahlen habe, wenn ihm sein Leben lieb sei, dem Stabsamtmann weder hier noch anderwärts, außer im Falle eines Angriffes, an Leib und Leben zu gehen, oder auf eine andere Art zu verletzen.

Der Handel wurde geschlossen, beide reichten sich die Hände zum Zeichen der Versöhnung, und nun setzte sich Hiesel zur Tafel und aß und trank nach Herzensluft.

Endlich nahm er von der Gesellschaft Abschied und kehrte mit dem Geld, welches der Prälat vorschoss, in das Wirtshaus zurück, wohin der Pater Küchenmeister einige große Schüsseln mit trefflichem Braten und der Pater Kellermeister ein derbes Fass Wein nachsendeten.

Vom köstlichen Wein betrunken, besuchte Hiesel mit seiner Bande auch das untere Wirtshaus zu Obermedlingen, da ihm verraten wurde, dass dort der Bauer Johann Ortlieb von Haunsheim sitze, der erst vor wenigen Tagen über ihn geschimpft habe.

Er wurde sogleich nach der gewöhnlichen Manier behandelt, zu Boden geworfen und mit den blanken Hirschfängern gefährlich verwundet, und als er mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte zu entkommen versuchte, von dem Hund zusammengerissen und von Hiesels Schlagring an den Augen so schwer verletzt, dass Blut und Wasser über die Wangen des Unglücklichen rannen, dem es endlich gelang, die Tür zu erreichen und in einen Stall zu flüchten, wohin ihm noch eine Kugel nachpfiff, die ihn aber nicht mehr erreichte.

 

***

 

Der Überfall des Klosters, von wenigen Kameraden gedeckt, deren Anzahl er dem Prälaten fünffach höher angegeben hatte, ist ein Beweis seiner alle Vorsicht verhöhnenden Verwegenheit, die seinen Untergang nach und nach notwendigerweise beschleunigen musste. Jedes tollkühne Unternehmen dieser Art bildete wieder eine neue Speiche zu seinem Rad, das schon näher als Hiesel wähnte, über seinem Haupt drohend schwebte.