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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Auf Seeland

Der-Freibeuter-Dritter-TeilDer Freibeuter
Dritter Teil
Kapitel 3

Auf einem elenden Fischerboot kamen sie in Seeland an. In Kallundborg trennte sich Norcroß von seinen Gefährten. Sie gingen nach Helsingoer, er fühlte sich unwiderstehlich nach Kopenhagen gezogen. Und obgleich er sich dort der augenscheinlichsten Gefahr aussetzte, so vermochte er doch dem mächtigen Triebe nicht zu widerstehen. Er wechselte mit einem der Offiziere die Kleider, ließ sich den Bart wachsen und trat dann an einem Knotenstock seine Fußwanderung zur Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Dänemark an. Der grobe breite Filzhut eines Landmannes beschattete sein Gesicht, verschwunden waren alle Abzeichen seines Standes und alle Merkmale seiner Lebensart.

In dieser Gestalt kam er in Kopenhagen an.

»Nur noch einmal will ich sie sehen«, sagte er zu sich selbst. »Nicht sprechen will ich sie, kein Blick von ihr soll mich treffen! Stumm betrachten und dann gehen will ich, um sie nie mehr zu sehen. Mit einem Blick von ihr Abschied nehmen und dann hinüber nach Stockholm zu meiner Frau und die Gute lieben, wie sie es verdient! Ja, ja, ich will ein guter Hausherr, ein braver Ehemann, ein zärtlicher Vater werden. Aber erst noch einen Blick! Nur einen!«

Stumm wandelte er durch die Straße, in welcher des Vizestatthalters von Gabel Haus stand, am Abend, am Mittag und am Morgen, und wurde nicht müde, und wurde nicht verdrossen, bis er sie endlich sah.

Friederike in schwarzer Kleidung – ihre Mutter war gestorben – stieg zu Pferde, als er vorüberging. Er war wie von einem Zauber an die Stelle gebannt und starrte unter seinem breiten Hut der Jungfrau ins Gesicht. Eben schwenkte sie sich in den Sattel und sprengte davon. Es zog ihn nach, er konnte nicht widerstehen, und er lief, um ihr nachzukommen und dachte nicht mehr an sich, noch an die Gefahr, in die er sich begab. Friederike ritt mit ihrem Reitknecht dem Hafen zu. Norcroß war ihr im Fußweg zur Seite. Der Reitknecht machte das Fräulein auf den nachrennenden und sie immerfort ansehenden Bauern aufmerksam. Seine Augen hingen unbeweglich an ihrer königlichen Gestalt, er vermochte sie nicht abzuwenden. Tief und tiefer sog er wieder das süße Gift in die Seele.

Das Fräulein betrachtete den Bauern und befahl dem Reitknecht vorauszureiten. Dann sprengte sie an den Fußweg heran und winkte Norcroß zu sich. Er zögerte.

In demselben Augenblick war sie bei ihm: »Ich habe Euch erkannt, Kapitän!«, sagte sie hastig. »Flieht um Gotteswillen! Dass mir nicht das Schrecklichste widerfährt, Euren Kopf springen zu sehen. Welche Torheit treibt Euch hierher! In Dänemark blüht Euch kein Segen. Fort! Fort! Hinter jedem Baum lauert der Tod auf Euch.«

»Friederike!«, rief Norcroß, die Hände emporhebend.

»Fort! Ich liebe Euch nicht mehr! Ihr seid mir verhasst. Ihr seid die Quelle meiner Reue!«, rief das Fräulein und sprengte davon.

»Habe ich recht gehört?«, stammelte der Kaperkapitän erschrocken. »Sie hasst mich? Sie fühlt Reue? O, so hat die Flamme des Erdgeistes auch diesem Engel die Schwingen versengt, so ist auch an dieses Götterbild der Staub der Heerstraße geflogen. Friederike Reue? Wohlan, so will auch ich bereuen und mich bessern! Nun gut! Es war der letzte Aufstoß einer besseren Natur, womit der Himmel mich und sie ausgestattet hat. Er ist vorüber, der Fieberparoxismus, und ich will ein frommer, geduldiger, vernünftiger Mensch unter den anderen lieben Menschen sein. Sie sind ja so redlich, so bieder, so gütig diese Brüder.

Sie sind ja alle halbe Engel, und ich will nicht länger ein halber Teufel sein. Nun darf ich auch nicht mehr ausziehen auf Raub, denn es ist ja unrecht, seine ehrlichen Brüder zu berauben. Ich will ein Ackersmann werden, wie Gad, die gute Seele, und mir mit der Pflugschar mein Glück aus der Erde holen.«

In furchtbarer Zerknirschung wandelte er im Hafen und erkundigte sich nach den vor Anker liegenden Schiffen. Da erfuhr er, dass eine russische Fregatte auf der Kopenhagener Reede tags darauf die Anker lichten werde. Man sagte ihm, dass die Ruderknechte derselben soeben auf den Amagermarkt gegangen seien, um Proviant für die Abfahrt einzukaufen. Norcroß verfügte sich dorthin, fand die Matrosen und wurde für ein Trinkgeld des Handels mit ihnen eins, dass sie ihn mit auf das Schiff nehmen wollten. Er ging also in ihrer Mitte durch den Hafen und an der Zollbude vorüber. Die Wache vor derselben hatte die Matrosen beim Aussteigen nicht gezählt, hielt also Norcroß auch für einen Moskowiter und ließ sie ungehindert das Boot besteigen und absegeln. Auf der Fregatte angelangt, bot Norcroß dem Kapitän ein gut Stück Geld, wenn er ihn an die schonische Küste übersetzen lasse. Er sei ein schwedischer Bauer, der sich in einem Geschäft verspätet und Eile habe. Der Kapitän ließ sich finden und gab Befehl, den Bauer in der Schaluppe nach Schonen zu führen. Norcroß zahlte und schwamm in wenigen Minuten dem Schwedenreich zu. Schon glaubte er der Gefahr entronnen zu sein und triumphierte über sein gewonnenes Spiel, da stieg aus dem Wasser in der Ferne ein Segel höher und höher und kam schnell den Sund herauf. Norcroß ahnte nichts Gutes. Aber die Schaluppe war erst in der Gegend von Dragon und also an ein Entrinnen nicht zu denken. Sobald die Flaggen des heraneilenden Schiffes zu erkennen waren, sah Norcroß, dass es ein Admiralschiff sei. Es dauerte nicht lange, so war das Schiff da und gebot der Schaluppe zu halten. Als der Führer des Admiralschiffs sich auf dem Verdeck zeigte, erkannte Norcroß zu seiner Bestürzung den Kommandeur Tordenschild. Doch fasste er sich, so gut er konnte, und trat dem in die Schaluppe herabsteigenden Seehelden keck entgegen.

»Wohin wollt Ihr diese Schaluppe führen?«, fragte Tordenschild die Ruderknechte.

»Wir bringen diesen schwedischen Bauern auf Befehl unseres Kapitäns nach Schonen.«

»Hast du einen dänischen Pass zu deiner Reise in Dänemark?«, fragte der Kommandeur den Kapitän.

»Nein, ich bin drum gekommen, als ich in der Herberge lag. Ich bitte Euch, gestrenger Herr, lasst mich heim, Frau und Kinder warten auf mich.«

»Ein Boot!«, rief Tordenschild in Richtung seines Schiffes.

Sogleich wurde ein kleines Boot ausgesetzt.

»Du bist mein Gefangener, Bauer. Ich will deine Aussagen in Kopenhagen prüfen lassen. Jetzt kannst du dir alles Reden ersparen. Wirst du für wahr befanden, so erhältst du Pass und Freiheit. Ob du ein paar Tage früher oder später in deine Heimat kehrst, ist einerlei. Steige in das Boot!«

Norcroß sah ein, dass Gehorchen das Klügste und jede Widersetzlichkeit unnütz und verderblich sei. Er war nur froh, dass ihn Tordenschild nicht mit auf sein Schiff nahm, wo ihn leicht einer aus der Umgebung des Kommandeurs hätte erkennen können, und stieg winselnd, nach Art der Bauern, in das Boot, das zwei Matrosen nach Kopenhagen führten. Dem Admiral Judiker übergeben, wurde er nach kurzem Verhör auf den Holm in das unter dem Namen »Trunken« bekannte Gefängnis gesetzt. Dort fand Norcroß eine Menge schwedischer Untertanen als Gefangene, zu seinem Glück war keiner dabei, der ihn persönlich gekannt hätte. Die Aufsicht über ihn erhielt ein ausgedienter Schiffer, nun Oberprofoss und Schließer, namens Peter Früß, der Trunk und Scherz liebte, und mit seinen Gefangenen auf dem besten Fuß lebte, sobald sie nur Rum und Wein für ihn bezahlten. Norcroß hatte kaum einen Tag in seinem Gefängnis gesessen, als er auch schon mit der Schwäche seines Hüters vertraut war und sie zu benutzen beschloss. Er ließ nicht nur wacker spirituöse Getränke anschaffen und zechte mit seinem neuen Freund Tag und Nacht. Er übergab dem Schließer auch hundert Dukaten zum Aufheben und machte ihn zum Vertrauten, indem er ihm gestand, dass er kein Bauer, sondern ein schwedischer Kaufmann sei und früher in Seediensten gestanden habe. Nun war der alte lustige Früß für seinen neuen Gefangenen mit ganzer Seele eingenommen und wich nicht von ihm. Beide erzählten sich von ihren Seefahrten und Seemannsschwänken, es gab eine Menge Berührungspunkte und der Schließer schwur Stein und Bein, seit Antritt seines Amtes noch nicht so frohe Tage verlebt zu haben wie bei seinem neuen Freund. Früß, durch den Besitz des Geldes vollends sicher gemacht, tat dem Kapitän nach einigen Tagen den Vorschlag, mit ihm auf ein Kaffeehaus zu gehen.

»Der Wirt heißt Kragenlund und ist mein Vetter«, sagte er zutraulich, »ein prächtiger Kerl, auf Schifferparole, Freundchen! Er ist den ganzen Tag besoffen und lässt seiner Frau freien Pass. Ein Kernweib, Freundchen, zwar schon achtunddreißig, aber noch immer ein delikates Fischchen. Sie ist hübsch mit ihren Töchtern in die Wette. Nur nicht zaghaft, junger Freund. Ich weiß, junges Blut ist voll Übermut. Mit mir alter Segelstange ist es vorbei, es ist alles morsch. Ein Schmätzchen drück ich ihr zuweilen noch auf das weiße weiche Patschchen. Aber zwei Töchter hat sie, die eine ist achtzehn, die andere sechzehn Jahre alt, und ich will noch am Fockmast hängen oder gesäckt werden, wenn die Älteste nicht das schönste Mädel in ganz Kopenhagen, was sag ich -in ganz Dänemark ist! Na, Ihr sollt die jungen Laffen alle drum herum liegen sehen, adlig und bürgerlich, von der See und vom Land. Mein versoffener Vetter wird reich durch seine hübschen Weibsleute ohne alles Verdienst und Würdigkeit, denn er kann wahrlich nichts dazu, dass sie so schön sind, noch dass sie überhaupt sind.«

Norcroß trug Bedenken, sich in das Kaffeehaus zu wagen, aus Besorgnis, dort erkannt zu werden. Doch kam ihm die Aussicht auf die Bekanntschaft mit Frau Kragenlund und deren Töchtern gar zu lockend vor, und er vertraute auf seine Gewandtheit und schöne Gestalt, um die eine oder die andere zu seiner Flucht zu benutzen.

Er antwortete also: »Seht, Freund, ich bin ein Schwede, und das wüssten doch alle, die mich im Kaffeehaus des Herrn Kragenlund in Eurer Gesellschaft sehen würden. Ihr kennt ja den törichten Hass, welchen die Dänen gegen die Schweden, und diese gegen jene haben. Ihr seid über diese Albernheiten hinaus und seht in mir den unschuldigen Einwohner des Schwedenreichs, der Euerm König alles Gute gönnt, aber auch nicht alles Schlechte auf seinem Hals haben möchte. So denkt Ihr. Aber Ihr könnt nicht bürgen, dass andere auch so denken. Ihr müsst Euch im Gegenteil eingestehen, sie werden nicht so großartige Gesinnungen haben wie Ihr.

Ihr werdet auch nicht imstande sein, mich vor den Beleidigungen, Angriffen und Sticheleien junger Naseweise zu schützen. Ihr werdet nicht verhindern, dass ich darauf antworte. Das setzt böses Blut und noch mehr. Wir könnten in schlimme Händel kommen, zumal wenn ich Euren hübschen Basen den Hof machte. Wenn Ihr mir also nicht versprecht, dass wir zusammen in ein besonderes Stübchen platziert werden, wo hinein kein Däne darf, so kann ich Euch nicht begleiten, so leid es mir auch tut. Glaubt nicht, dass ich mich vor Händeln fürchte, aber ich suche sie auch nicht.«

»Wenn es weiter nichts ist, Freundchen, so ist der Schlagbaum schnell vor dem freundlichen Hafen gehoben, und Ihr könnt mit vollen Segeln einziehen. Es ist ein Eckstübchen da, eigentlich das Putzstübchen der Madame und daran stößt ihr Schlafgemach. Das gibt sie gleich her, so wie sie Euch nur einmal gesehen hat. Denn Ihr seid, auf Schifferparole, der schönste Kerl, der mir jemals vor die Nase gekommen ist, und ich will nur die Augen sehen, die die Frau Base machen wird, sobald sie Eure Flagge entdeckt! Zieht neue Segel auf und flickt Euer Takelwerk ein bisschen aus. Ich wette darauf, Ihr kapert sie und die Tochter dazu.«

»Wollen wir nicht noch einige von den schwedischen Gefangenen mitnehmen, den alten Edelmann und den Unteroffizier, den Bierbrauer? Es sind ja noch mehr nette Kerle dabei.«

»Meinetwegen, wenn sie ihren Kaffee bezahlen können. Ich darf sie schon mitnehmen, wenn ich nur für sie hafte, dass mir keiner entwischt. Na, ich will schon auf sie Acht haben und die liebe Vetter- und Basenschaft nebst Kellner und Laufjungen helfen mir aufpassen. Ich will allemal, wenn ich mit Euch zu Madame Kragenlund gehe, Ihrer zwei mitnehmen und mit ihnen abwechseln, dass an jeden etwas kommt.«

Norcroß scherte sich Bart und Haare und schaffte sich anständige Kleider an, um seiner Gestalt den möglichst vorteilhaftesten Anstrich zu geben. Der Oberprofoss, darüber entzückt, zählte in Gedanken schon die Gläser, die er bei und mit seinem Vetter auf seiner Gefangenen Kosten leeren werde.

An einem Nachmittag ging Norcroß mit seinem Hüter zu dem Kaffeehaus. Frau Kragenlund, ein rundes, nettes Weibchen, deren gefälliges Äußeres noch des alten Früß Beschreibung übertraf, empfing den neuen Gast mit ausnehmender Freundlichkeit, und trat demselben mit sichtbarem Vergnügen ihr Putzstübchen ab. Norcroß spielte erst den Zurückhaltenden, Scheuen und – da er bald sah, dass die Frau im Haus das Regiment führe und durch sie alles, durch die schönen Töchter aber nichts auszurichten sei – den Verliebten in Madame Kragenlund. Mit schlauer Berechnung ließ er zur rechten Zeit einen feurigen Blick auf sie schießen, den er, von ihr bemerkt, verwirrt auf den Boden heftete, dann schickte er einen Seufzer fort, rutschte unruhig auf dem Sessel, stammelte der feuerfangenden Frau einige Artigkeiten vor und hatte es schon nach dem ersten Besuch dahin gebracht, dass die Wirtsfrau in ihn verliebt war.

Auf dem Rückweg lachte Früß pfiffig. »Hoho! Das quatscheliche Fischlein hat schon an den Köder angebissen und zappelt an der Angel. Die Frau Base hat mich beiseite genommen und mich dringend gebeten, Euch ja alle Tage zur Hummerstraße Nummer 1463 zu führen , wo Gunde Kragenlund Kaffeehaus hält. Ich soll die halbe Zeche immer frei haben. O da kann ich schon leben, denn die andere Hälfte bezahlt Ihr. Wir wollen der guten Frau gern diese Gefälligkeit erweisen.«

Punkt zwei Uhr nachmittags wandelte der Oberprofoss nun Tag für Tag mit Norcroß und zwei anderen schwedischen Gefangenen nach Kragenlunds Kaffehaus, und Norcroß stand mit Madame Kragenlund bald auf vertrautem Fuß.

Unter vier Augen, nachdem er seine erheuchelte Schüchternheit abgelegt hatte, fing er an, sie für seinen Plan zu bearbeiten, und ehe drei Wochen vergangen waren, hatte er sie so weit, dass sie ihm zur Flucht behilflich zu sein versprach.

Nun hatte aber die Frau eine so heftige Leidenschaft für ihn gefasst, dass sie mit ihm zu fliehen begehrte und der Kapitän sich dadurch einer neuen großen Verlegenheit Preis gegeben sah, an die er noch nicht gedacht hatte. Er war genötigt, ihr die Gefahren der gemeinschaftlichen Flucht mit den schwärzesten Farben zu malen und ihr das Versprechen zu geben, ihr, sobald er in Stockholm angelangt sei, Nachricht von sich zukommen zu lassen, damit sie ihm nachfolge. Sobald sie sich durch seine Schwüre gesichert glaubte, bot sie all ihre Schlauheit auf, um dem geliebten Mann fortzuhelfen. Am verabredeten Tag stellte sich Norcroß, als habe er keine Lust, mit in das Kaffeehaus zu gehen. Allein der alte Schiffer war schon so sehr an den Gang gewöhnt, dass er bitterböse wurde und seinem Gefangenen befahl, mit zur Hummerstraße zu wandern. Norcroß sagte hierauf: »Aber ankleiden mag ich mich nicht erst. Mir ist nicht wohl. Ich will in meinem Schlafrock gehen.«

»Tut das immerhin! Niemand wird es Euch verwehren und die Frau Base sieht Euch setzt lieber im Schlafrock als in Eurem Bratenkleid.«

Sie gingen. Frau Kragenlund goss dem alten Früß den stärksten Rum ins Glas, Norcroß trank ihm wacker zu. Als der Profoss daran war, berauscht zu werden, ging Norcroß hinaus. Fran Kragenlund erwartete ihn draußen, warf ihm einen Mantel um die Schultern, einen breiten Hut auf den Kopf und eilte Hand in Hand mit ihm aus dem Haus, die Straße hinab.

Früß bemerkte die Abwesenheit seines Freundes nach einiger Zeit, und da derselbe lange ausblieb, so würde er sicherlich nach ihm gesehen haben, wenn nicht die liebe Base auch abwesend gewesen wäre. So aber deutete er mit den Augen schelmisch nach der Schlafkammertür und machte die anderen Gefangenen aufmerksam, dass man den Kaufmann und die Frau Base nachher zum Besten haben wolle.

An der Ecke der Straße angelangt, stieg Frau Kragenlund mit ihrem Geliebten in einen Wagen, den sie hierher bestellt hatte, und im raschen Trab ging es zum Tor hinaus. Dort standen schon von der listigen Frau bestellte Vorspannpferde und im schnellsten Rennen flogen sie bis nach Tarbek. Im Wagen hatte die Frau Mannskleider für Norcroß. Er kleidete sich um und schied unter Küssen und Liebkosungen von der verliebten Schankwirtin, die sich von ihm noch einmal alle Besprechungen wiederholen ließ. Sie drückte ihm zehn Dukaten in die Hand und kehrte weinend zur Stadt zurück.

Norcroß wanderte zu Fuß nach Ringstreit. Aber des Gehens entwöhnt, fühlte er sich bald so angegriffen, dass er unmöglich weiter wandern konnte. Seine Füße waren geschwollen, eine große Müdigkeit lag in seinen Beinen. Er musste sich also entschließen, in Ringstreit an einer Bauernhütte anzuklopfen und um Herberge zu bitten. Der Bauer ließ ihn eintreten, betrachtete ihn mit misstrauischen Blicken und fragte. »Wer seid Ihr, Mann?«

»Ein Bürger von Helfingoer und komme von Kopenhagen, wohin mich eine Erbschaftsangelegenheit meiner Frau rief.«

»Ihr von Helfingoer?«, versetzte der Bauer ungläubig. »Das schwätzt einem anderen vor. Ihr seid kein Däne, das verrät Eure Sprache, Ihr seid auch kein Bürger von Helfingoer, das verraten Eure Kleider. Und überdies ist mir’s, als hätte ich Euch schon in anderen Kleidern und in einem anderen Haus gesehen; ich meine in einem Wasserhaus. Oho! Ich bin auch zwanzig Jahre zur See gewesen!«

Norcroß erschrak, ließ sich aber nichts anmerken, sondern antwortete: »Ich weiß nicht, was Ihr faselt, Mann. Ich bin freilich in England geboren und als Matrose nach Helfingoer gekommen; da hat mir’s meine Frau angetan.«

Der Bauer schüttelte den Kopf, flüsterte seiner Frau heimliche Worte zu und ging fort. Diese Dinge kamen dem Kapitän bedenklich vor. Er schickte sich an, auch hinaus zu gehen, aber mit Schrecken ward er inne, dass er kaum auf den Füßen zu stehen vermochte.

»Wohin wollt Ihr?«, fragte die Frau barsch. »Ihr bleibt hier, bis mein Mann zurück ist.«

»Auf den Hof. Ihr seht zu, dass ich kaum einen Schritt gehen kann. Ich werde Euch nicht entfliehen.«

»Das wollte ich Euch auch nicht geraten haben. Wir hätten Euch bald genug eingeholt.«

Norcroß kroch hinaus. Er sah ein, dass er verraten war. Der schrecklichste Gedanke für ihn war, sein neues Elend herankommen zu sehen und ihm wegen der brennenden Schmerzen an seinen Füßen nicht entfliehen zu können. Da warf er die Blicke verzweifelt umher, und gedachte seiner zu Hause in Trauer lebenden Frau, welche er in fünf Monaten nicht gesehen hatte, und die Sehnsucht nach ihr kam mit Jammer in seine Seele. Aber diese Gedanken gaben ihm neue Kraft, die Schmerzen zu ertragen. Er sah in dem, den Hof im Hintergrund begrenzenden Zaun eine Lücke und hinkte darauf los. Zur Rechten gewahrte er einen anderen Bauernhof. Der Besitzer desselben war vor seiner Hütte beschäftigt.

»Ach, Freund, helft doch einem armen kranken Mann!«, winselte er. »Seht, Euer unbarmherziger Nachbar will mich ins Loch stecken lassen, weil ich ein englischer Matrose gewesen bin.«

»Das ist ein schlechter Kerl, der jedermann aus bloßer Lust ins Verderben zu stürzen sucht«, versetzte der Angeredete. »Der hat mir schon viel geschadet und tut mir allen Schabernack an. Kommt herein zu mir, ich will Euch alles erzählen.«

Norcroß ließ sich das nicht zweimal sagen und hörte geduldig des Bauers langweilige Erzählung an, woraus er abnahm, dass einer so schlecht sei wie der andere und dass ihn dieser gewiss nicht aufgenommen und verpflegt haben würde, wenn ihn der andere nicht misshandelt hätte.

Doch Norcroß war der Mann, der alle Umstände zu benutzen wusste, und so redete er dem Bauern so lange nach dem Maul, bis ihn dieser in die Bodenkammer in ein Bett steckte und zwei Tage lang verpflegte. In dieser Zeit erholte sich der Kapitän. In der Nacht des zweiten Tages brach der Bauer auf, um Reißbündel und Holzstangen zu Helfingoer zu Markt zu fahren. Norcroß beredete ihn, ihm einen Platz unter dem Reiß zu bereiten. Ein Dukaten hob die Bedenklichkeiten des Bauern, und Norcroß fuhr, mitten in Reiß und Holz liegend, ab. Die Besorgnis für seine Sicherheit ließ ihn in seiner unbequemen und beschwerlichen Lage ausharren, bis sie in die Nähe der Hafenstadt kamen. Da trieb ihn der Hunger heraus. Es war schon Nachmittag und er hatte noch nichts genossen. Er nahm von seinem Retter Abschied und trat in ein Wirtshaus an der Straße, unweit der Stadt. Hier wurde er eines englischen Matrosen ansichtig. Diesen redete er an und gab sich ihm als Landsmann und Standesgenosse zu erkennen. Der Kerl hatte darüber große Freude.

Norcroß ließ ihm wacker einschenken. Sie erzählten einander von ihren Seefahrten, speisten zusammen und waren nach einigen Stunden die innigsten Freunde. Norcroß bat den Matrosen, die Kleider mit ihm zu tauschen. Dies war dieser sehr zufrieden, denn Norcroß’s Kleider waren fein und neu, die seinen alt und zerrissen. Gegen Abend wanderte Norcroß in englischer Matrosentracht an der Seite seines neuen Freundes, dem Hafen zu. Zur Erkenntlichkeit verschaffte der Matrose dem Kapitän an selbigem Abend noch einen Schiffer, welcher erbötig war, in der ersten Frühe des folgenden Morgens nach Helsingburg hinüberzufahren. Norcroß schlief in der elenden Hütte des Schiffers mit Sorgen. Er hatte das Vertrauen auf sein Glück verloren. Ehe noch der Tag graute, war er schon auf und trieb seinen Fährmann zur Eile. Ein altes, zerbrechliches Boot war bestimmt, den berühmten Freibeuter nach Schweden zurückzubringen. Er handhabte die Ruderstange selbst aus allen Kräften, um so eilig wie möglich hinüberzukommen. Das Schifflein flog, von seiner Kraft getrieben, und ehe noch die Sonne in die Mittagslinie trat, stand John Norcroß, in den ärmlichen Matrosenkleidern, aber das verjüngte Herz voll neuer Hoffnungen, auf schwedischem Grund und Boden.