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Das Steppenross – Kapitel 6

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 6
Ein Steppenbrand

Ich erholte mich schnell. Wenngleich meine Wunden tief waren, so waren sie doch nur Fleischwunden und schlossen sich infolge der Wirkung der Arzneien. So rau meine Ärzte waren, so hätte ich doch bei einer solchen Krankheit nicht in bessere Hände fallen können. Während ihres Lebens voll Abenteuern und Gefahren hatten sie sich reiche Erfahrung in der Heilkunde erworben und verstanden einen Klapperschlangenbiss oder die Schmarren von einer Bärentatze besser zu heilen als ein amerikanischer Arzt.

Nach drei Tagen war ich stark genug, zu Pferde zu steigen. Wir nahmen Abschied von unserem Lager und brachen mit unserem schönen Gefangenen auf. Er war noch immer wild wie ein Hirsch. Aber wir ergriffen Vorsichtsmaßregeln, um seine Flucht zu verhindern. Die Trapper befestigten ihn mittels des Lassos an ihre beiden Sättel und nahmen ihn zwischen sich.

Wir kehrten nicht auf der alten Fährte zurück, denn meine Kameraden kannten einen kürzeren Weg, auf welchem wir überdies eher Wasser erreichen konnten. Wir schlugen eine westlichere Richtung ein, welche uns in gerader Linie zum Rio Grande, ein wenig oberhalb der Aussiedlung bringen musste.

Der Himmel war grau und die Sonne unsichtbar. Wir hatten keinen Führer und fürchteten, von der geraden Linie abzuweichen. Um dies zu verhindern, bedienten sich meine Begleiter eines Kompasses, den sie selber erfunden hatten. Als wir uns aus dem Lager entfernten, wurde ein Schössling in die Erde gesteckt und an die Spitze desselben ein Stück Bärenfell befestigt, welches man in der Entfernung von einer englischen Meile erkennen konnte. Nachdem die Richtung festgestellt worden war, steckten sie einige Hunderte Schritte davon einen zweiten Stock ebenfalls mit einem Stück Bärenfell versehen, in die Erde. Diesen Signalstangen wandten wir den Rücken und ritten zuversichtlich ab, indem wir von Zeit zu Zeit zurückblickten, ob wir auch die Richtung innehatten. Solange sie sich einander deckten, ritten wir in gerader Richtung. Ich hatte den Instinkt meiner Freunde schon früher kennengelernt und wunderte mich daher nicht über diese sinnreiche Erfindung.

Waren die schwarzen Punkte unseren Blicken ziemlich entschwunden, so wurde ein ähnliches Paar, wozu wir das Zeug mitgenommen hatten, aufgesteckt und unsere Richtung wieder auf eine Meile gesichert. So pflanzten wir neue Schösslinge auf, bis mir ziemlich sechs Meilen auf der Ebene zurückgelegt hatten.

Jetzt erblickten wir gerade vor uns, etwa fünf Meilen entfernt, ein Gehölz und richteten unseren Lauf darauf hin.

Wir erreichten das Gehölz gegen Mittag und fanden, dass es aus Eichen bestand und mit wilden Chinabäumen und Akazien, auch mit einigen größeren Heuschreckenbäumen untermischt war.

Wir hatten nur einen kurzen Ritt gemacht. Meine Begleiter fürchteten jedoch, dass eine größere Anstrengung mir Fieber verursachen könne. Sie schlugen vor, hier unser Lager für die Nacht aufzuschlagen und die Reise am folgenden Tag zu beenden. Ich fühlte mich zwar stark genug, weiter zu reiten, machte jedoch keine Einwendung gegen den Vorschlag. Unsere Pferde wurden abgesattelt und in der Nähe des Flusses angebunden.

Garey führte in seiner Jagdtasche Angel und Schnur bei sich. Er versah den Haken schnell mit einem Köder und wir begaben uns beide an den Fluss, warfen die Schnur aus und setzten uns nieder, um zu warten, bis ein Fisch anbeißen würde.

Das Fischen war nicht nach Rubes Geschmack, denn er war kein Fischesser. Lange Zeit sah er uns ohne große Teilnahme zu.

»Der Kuckuck hole das Fischen«, rief er endlich. »Ich gebe alle Fische in Texas für ein Stück Hirschfleisch. Ich will nur sehen, ob ich nicht etwas auftreiben kann. Der Ort sieht ganz nach Hirschen aus.«

Mit diesen Worten warf der alte Trapper die lange Büchse über die Schulter, verfolgte den Lauf des Flusses und entschwand unseren Blicken.

Garey und ich fuhren fort zu angeln. Der Erfolg war gering, denn es gelang uns nur, ein paar Katzenfische zu fangen, die gerade nicht zu den schmackhaftesten Wassertieren gehören. Plötzlich hörten wir den Knall von Rubes Büchse. Er schien von der Steppe zu kommen, und wir eilten auf den Hügel, um zu sehen, ob der Schuss Erfolg gehabt hatte. Rube war auf der Steppe fast eine halbe Meile von dem Lager entfernt. Sein Kopf und seine Schultern wurden über den Stängeln der Sonnenrosen sichtbar. Da er sich von Zeit zu Zeit bückte, erkannten wir, dass er ein Wild getötet hatte und es abzog oder ausweidete. Das Wild konnten wir wegen der Stängel nicht sehen.

»Es wird wahrscheinlich ein Hirsch sein«, bemerkte Garey. »Die Büffel gehen in der letzten Zeit nicht mehr so weit nach Süden, doch habe ich oben am Grande einige erlegt.«

Schweigend gingen wir wieder zum Fluss und setzten unser Angeln fort. Wir dachten nicht daran, dass Rube Hilfe bedürfen konnte, da er uns ja sonst ein Zeichen gegeben haben würde. Wir erwarteten, er würde mit seinem Wild bald in das Lager zurückkehren.

Eben hatten wir in dem Bach viele Silberfische bemerkt und waren dadurch wieder zurückgelockt worden. Da wir sie als eine ausgezeichnete Speise kannten, so wünschten wir, einige davon zu fangen.

Wir vertauschten unseren Köder mit einigen Stücken Goldschnur von meiner Uniform. Es gelang uns, mehrere von den schönen Fischen aus dem Wasser zu ziehen. Wir freuten uns über das köstliche Gericht, das wir zu erwarten hatten.

Unvermutet wurde unsere Unterhaltung durch ein Knistern unterbrochen, das uns beide veranlasste, nach der Prärie zu blicken. Auf den ersten Blick sprangen wir gleichzeitig auf. Unsere Pferde bäumten sich am Lasso und wieherten vor Furcht, und Rubes Mustang wieherte laut. Die Veranlassung war auch erschrecklich genug. Der Wind hatte einige Funken zwischen die dürren Blumenstängel getrieben und die Steppe stand in Flammen. Die Niederung, auf welcher wir standen, war kurzes Büffelgras und konnte nicht leicht Feuer fangen.

Selbst in diesem Fall war es leicht zu entkommen. Aber unser Gefährte musste, wenn er zu dem Rand des Flusses zurückkehren sollte, gerade den Flammen entgegengeführt werden. War er nicht schon lange vor dem Ausbruch des Feuers unterwegs, so musste ihm dieser Rückzug notwendigerweise abgeschnitten sein. Die Pflanzen waren trocken wie Zunder und die vom Wind angefachte Flamme loderte hoch empor, züngelte sich an den dürren Stängeln hinauf oder schlang sich um sie und verzehrte sie in einem Augenblick.

Von schlimmer Ahnung erfüllt, eilten wir beide nach der Steppe hin. Als wir das Feuer zuerst bemerkten, hatte es sich nur zu beiden Seiten des Heuschreckenbaumes, wo wir lagerten, ausgedehnt. Wir befanden uns gerade nicht an dieser Stelle, sondern ein wenig abwärts am Fluss. Wir eilten daher nicht nach dem Baum zu, sondern nach der nächsten Höhe, um die Lage unseres Freundes zu beobachten. Die Höhe, welche wir erreichten, war ungefähr zweihundert Schritte vom Heuschreckenbaum entfernt. Wir sahen zu unserem Erstaunen jetzt, dass sich das Feuer bereits weit verbreitet hatte und schon an dem Ort wütete, wo wir hinaufgeklettert waren. Dieser Blick enthüllte uns die Lage des Trappers. Er hatte einen sicheren Tod zu erwarten.

Wir beide standen wie betäubt da und beobachteten die fortschreitenden Flammen. Keiner sprach ein Wort. Das peinlichste Gefühl hielt unsere Zungen gebunden. Unsere Herzen schlugen hörbar, und ich wusste, dass mein armer Begleiter den tiefsten Schmerz empfand.

Wir blieben nicht lange in unserer Ungewissheit, obgleich kein Schrei, kein Ruf einer menschlichen Stimme ausgestoßen wurde oder wenigstens zu hören gewesen wäre. Die Flammen waren bereits über den Ort hinaus, wo wir den unglücklichen Trapper zuletzt gesehen, und hatten die Erde schwarz und verkohlt zurückgelassen. Die Ebene konnten wir vor Rauch nicht übersehen, doch wussten wir, das unglückliche Opfer war unterlegen, und es blieb uns nichts anderes übrig, als seine Gebeine in der glühenden Asche zu entdecken.

Garey und ich hatten uns inzwischen heiser gelacht. Wir waren höchst neugierig darauf, die näheren Umstände des Abenteuers kennenzulernen.

Rube wich unseren Fragen eine Zeitlang aus und zeigte sich ärgerlich. Dies war jedoch, wie Garey recht gut wusste, nur Schein. Nachdem der Letztere seinem Kameraden die Flasche, welche noch etwas Pass-Whisky enthielt, in die Hand geschoben hatte, wurde derselbe wieder versöhnt und erzählte uns nach einigem Zureden Folgendes.

»Ihr seid beide gewaltig unerfahren, wenn ihr glaubtet, dass ich, der ich mich beinahe vierzig Jahre in der Steppe mit den grauen Bären und den Indianern herumgeschlagen habe, mich von einem solchen Funken Feuer würde erwischen lassen. Jener junge Bursche dort könnte mich allenfalls für einen Grünschnabel halten, denn er selber hat mich einmal mit einem grauen Bären verwechselt. Aber du hättest es besser wissen müssen, Bill Garey, da du mich besser kennen musstest. Nun, als ich das Kraut brennen sah«, fuhr Rube fort, nachdem er einen tüchtigen Schluck aus der Flasche getan hatte, »da wusste ich, dass es nichts nützen würde, davonzulaufen. Hätte ich das Ding genau besehen, als das Feuer ausbrach, so würde ich vielleicht Zeit dazu gehabt haben. Aber ich war gerade im Begriff, das Vieh abzuhäuten, hatte den Kopf tief herunter gebückt und sah nicht eher etwas davon, als bis ich das Knistern hörte. Dann war natürlicherweise keine Möglichkeit vorhanden, davonzukommen. Das sah ich gleich auf den ersten Blick.

Ich war gerade nicht gleichgültig, im Gegenteil, ich war gewaltig erschrocken. Eine Zeitlang glaubte ich schon, dass ich daran glauben müsste, da fiel mein Auge aber auf den Büffel. Wie ihr seht, hatte ich das Tier ungefähr zur Hälfte abgehäutet, und da fiel mir ein, ich könnte hineinkriechen und das Fell über mich ziehen. Zuerst versuchte ich es, aber ich konnte mich nicht zu meiner Zufriedenheit zudecken und gab es auf. Dann kam mir der bessere Gedanke, das Innere des Tieres auszuräumen und mich dort zu verstecken. Ich glaubte nicht, dass ich dazu lange Zeit brauchte, ein paar Rippen des Büffels herauszuschneiden und die Eingeweide auszureißen. Ebenso wenig Zeit brauchte ich dazu, meinen Körper mit den Füßen voraus durch das Loch zu zwängen. Es blieb mir auch nicht viel Zeit übrig. Es war gerade der letzte Augenblick, und kaum noch davonzukommen. Als ich aber den Kopf beinahe hindurch hatte, kam das Feuer gepfiffen und sengte mir fast die Ohren ab. Haha! Nun, die Art, wie das Feuer herumkam, war ein Warnungszeichen. Es brüllte, kreischte, heulte und zischte und das Gras knisterte wie eine Million Pferdepeitschen. Fast wäre ich von dem Rauch erstickt worden, aber es glückte, mir das Stück überzuziehen, und dies gewährte mir einige Erleichterung. So lag ich, bis ich den Jungen von einer Tabakspfeife sprechen hörte und daraus erfuhr, dass die ganze Geschichte vorüber wäre.«

Damit schloss Rube seine Erzählung und machte sich wieder daran, den halb gerösteten Büffel auszuweiden. Garey und ich halfen ihm, und nachdem wir die besten Leckerbissen herausgeschnitten hatten, kehrten mir zum Lager zurück.

Am anderen Morgen, nach einem herrlichen Frühstück von Büffelfleisch, das mit einem Becher kalten Wassers aus dem Bach hinuntergespült wurde, sattelten wir unsere Pferde und schlugen den Weg zu einem Hügel ein, der sich über die Ebene erhob.

Plötzlich wurde ich durch die Stimme Gareys erschreckt, welcher mit Nachdruck meldete: »Beim Himmel! Indianer!«

Meinen Lippen entschlüpfte die Frage: »Wo?«

Diese Frage wurde unwillkürlich getan, bedurfte aber keiner Antwort. Das Auge Gareys leitete mich, und als ich der Richtung seines Blickes folgte, sah ich eine Reihe Reiter hinter dem Hügel hervorkommen und auf der Ebene hinreiten. Meine beiden Begleiter zogen die Zügel an und machten Halt. Ich folgte ihrem Beispiel. Wir saßen alle drei regungslos im Sattel und beobachteten die plötzlich erschienenen Reiter. Ein Dutzend mochte etwa hinter dem Hügel hervorgekommen sein und einer ritt gerade auf uns zu.

»Wenn es Indianer sind«, sagte Garey, »so sind es Comanchen.«

»Und wenn es Comanchen sind«, setzte Rube mit Nachdruck hinzu, »so müssen wir kämpfen. Sie befinden sich auf dem Kriegspfad und haben Übles vor. Seht nach euren Steinen und nach eurem Zündkraut!«

Augenblicklich befolgten wir Rubes Rat. Es war notwendig, die Vorsichtsmaßregel so schnell wie möglich zu treffen. Wir alle wussten, dass uns nichts als Kampf übrig blieb, sobald die herankommenden Reiter wirklich Comanchen waren.

Infolgedessen nahmen wir unverzüglich eine Verteidigungsstellung ein. Wir stiegen schnell ab, schützten uns durch unsere Pferde und erwarteten die herankommenden Feinde.