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John Tanner – Das Leben eines Jägers 40

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Vierzigstes Kapitel

Ich nannte den beiden Handelsleuten den Namen des Menschen, welcher mich verwundet hatte, und sie hielten es für zweckmäßig, mich sogleich zum Dorf zu bringen, welchem Ome-zhuh-gwut-oons angehörte. Sie sagten, wenn es uns gelänge, seiner habhaft zu werden, so wollten sie mir zur Rache behilflich sein, und ich sollte ihn auf der Stelle töten. Sie versteckten mich daher auf dem Boden des Kanus. Als sie bei den Hütten jenes Dorfes landeten, kam ein alter Mann ans Ufer und fragte: »Was gibt es Neues in der Gegend, aus welcher Ihr kommt?«

»Alles geht gut«, antwortete Herr Stewart, »weiter wissen wir nichts.«

»So behandeln uns die Weißen immer«, nahm der Alte wieder das Wort auf. »Ich weiß recht gut, dass in der Gegend da etwas vorgefallen ist. Ihr wollt nur nicht darüber reden. Ome-zhuh-gwut-oons, einer von unseren jungen Leuten, ist zwei oder drei Tage lang den Fluss hinab gerudert und hat uns gesagt, dass das Langmesser, genannt Schaw-scha-wa-ne-ba-se (der Falke), der vor einigen Tagen hier mit Frau und Töchtern durchgekommen ist, diese ermordet hat. Aber ich befürchte, dass er selbst etwas Böses getan hat. Er ist unruhig und immer auf seiner Hut, und als ihr ankamt, hat er die Flucht ergriffen.«

Nichtsdestoweniger suchten die Herren Grant und Stewart nach dem Mörder in allen Hütten. Als sie sich endlich überzeugt hatten, dass er wirklich davongelaufen war, sprachen sie zu dem Alten: »Es ist wahr, er hat in dem Land, aus welchem wir kommen, Böses verübt. Aber der Mann, welchen er töten wollte, befindet sich in unserem Kanu. Wir wissen noch nicht, ob derselbe am Leben bleiben oder sterben wird.«

Nun zeigten sie mich den Indianern, welche sich am Ufer versammelt hatten.

Wir blieben dort ein wenig liegen, um auszuruhen und meine Wunden zu untersuchen. Ich fand, dass die Kugel, welche dicht unterhalb der Gegend, in welcher mein Arm verletzt wurde, in den Leib gegangen war, in den Rippen festsaß, und bat Herrn Grant, er möge sie herausnehmen. Allein er als auch Herr Stewart mochten nicht den Versuch wagen, und ich musste mit meiner linken Hand die Operation selbst machen. Eine Lanzette, welche Herr Grant mir gab, brach sogleich ab, ebenso ging es mit einem Federmesser, denn das Fleisch in jenem Körperteil war sehr hart und fest. Endlich gab man mir ein Rasiermesser mit weißer Schale, und so schnitt ich denn die Kugel heraus. Sie war ganz abgeplattet. Die Damhirschsehne aber und die Medizin, welche Ome-zhuh-gwut-oons daran gebunden hatte, blieben in der Wunde. Da ich jetzt fand, dass die Kugel nicht eigentlich in den Leib gedrungen war, so durfte ich auf Genesung hoffen, aber auch annehmen, dass dieselbe sehr langsam vonstattengehen würde, da sich vermuten ließ, dass sich einiges Gift in der Wunde befand.

Als die Operation vorbei und die Wunde verbunden war, begaben wir uns nach Ah-kee-ko bow-we-tig (der Fall des Kessels), einem Dorf, in welchem der Bruder des Ome-zhuh-gwut-oons Häuptling war. Derselbe hieß Waw-wish-e-ga-bo. Auch diesmal war Herr Stewart so vorsichtig, mich im Kanu zu verstecken, und schenkte gleich nach unserer Ankunft jedem einzelnen Indianer etwas Tabak. Als er aber fand, dass auch hier seine Nachforschungen vergeblich waren, zeigte er mich dem Häuptling und sagte ihm geradezu, sein Bruder habe die Absicht gehabt, mich zu ermorden. Da ließ dieser Mann den Kopf hängen und wollte auf die Fragen der Weißen keine Antwort mehr geben. Wir erfuhren indessen von mehreren anderen Indianern, dass meine Töchter mit ihrer Mutter auf ihrem Weg zum Regen-See in diesem Dorf verweilt hatten.

Als wir beim Kontor der North West Company an jenem See ankamen, fanden wir, dass sie alle von den dortigen Handelsleuten angehalten worden waren. Sie hatten sich nämlich dadurch, dass sie sich sehr unruhig und erschrocken bewiesen, höchst verdächtig gemacht, und man erinnerte sich gleich daran, diese Personen kurze Zeit vorher in meiner Gesellschaft gesehen zu haben. Sobald man mich vom Fort aus erblickte, lief die Mutter in den Wald und zog ihre beiden Töchter mit sich fort. Alle aber wurden von den Agenten der Company wieder eingeholt und vor uns geführt.

Die Herren Stewart und Grant sagten, ich möchte nur bestimmen, wie diese Frau bestraft werden sollte, welche offenbar bei dem Mordversuch gegen mich beteiligt war. Sie erklärten, meine ehemalige Frau sei in allem Betracht ebenso strafbar wie Ome-zhuh-gwut-oons und habe den Tod oder jede andere schwere Strafe verdient, mit welcher ich sie belegen wollte. Ich verlangte indessen weiter nichts, als dass man sie unverzüglich ohne die geringsten Lebensmittel aus dem Fort jagen und ihr streng verbieten solle, sich jemals wieder in demselben blicken zu lassen. Sie war doch Mutter meiner Kinder, ich wollte sie deshalb nicht aufhängen ober durch die Arbeitsleute, welche mir den Vorschlag dazu machten, zu Tode peitschen lassen. Aber ihr Anblick war mir unerträglich geworden. So wurde sie denn ohne weitere Züchtigung fortgejagt.

Nun teilten mir meine Töchter Folgendes mit: Als ich bewusstlos auf dem Felsen niedergesunken war, hielt mich ihre Mutter für tobt. Sie gaben ihrem Befehl nach, wendeten das Kanu und entflohen so schnell es nur gehen wollte. Nachdem sie eine Strecke weit gekommen waren, lenkte die Frau das Kanu gegen eine niedrige, mit Gesträuch bewachsene Landspitze und warf meinen Rock dorthin. Nach einer langen Fahrt versteckten sie sich dann im Wald. Die Alte dachte aber, es sei besser, alles, was mir gehört hatte, bei sich aufzubewahren und kehrte wieder um. Damals, als die Mutter meine Sachen am Ufer zusammenraffte, hatten meine Kinder laut aufgeschrien. Das war also jenes Geschrei gewesen, welches ich gehört hatte.

Herr Stewart ließ mich im Kontor am Regen-See und beantragte Herrn Simon Macgillivray, für mich zu sorgen. Dieser war der Sohn des gleichnamigen Mannes, welcher einige Jahre früher bei der North West Company einen so wichtigen Posten bekleidete. Dieser wies mir einen kleinen Raum zu, wo meine Töchter mir die Speisen bereiteten und die Wunden verbanden. Ich war sehr schwach, mein Arm blieb geschwollen, und von Zeit zu Zeit kamen Knochensplitter heraus.

Ich mochte etwa achtundzwanzig Tage an jenem Ort gewesen sein, da kam Major Delafield, Kontorkommissar der Vereinigten Staaten, ins Kontor, hörte von meinen Abenteuern und erbot sich, mich in seinem Kanu nach Mackinack mitzunehmen. Gern hätte ich ihn begleitet, ich war aber viel zu schwach, eine solche Reise unternehmen zu können. Major Delafield sah selbst ein, dass es nicht anging. Er schenkte mir aber viele gute Lebensmittel, zwei Pfund Tee, Zucker, ein Zelt, Kleider und noch manch andere Sachen.

Zwei Tage nach seiner Abreise zog ich die Damhirschsehne, welche mein Mörder um die Kugel gewickelt hatte, aus meinem Arm. Sie war von grüner Farbe, sehr breit und etwa fünf Zoll lang. Bald nach des Majors Abreise zeigte es sich deutlich, dass Herr Macgillivray mir nicht wohl wollte. Nur aus Furcht vor dem Major hatte er früher mich mit einiger Aufmerksamkeit behandelt. Er beschimpfte und beleidigte mich, und endlich wurde ich gar aus dem Kontor gejagt. Aber die Franzosen benahmen sich mitleidiger gegen mich. Sie kamen, als es dunkel geworden war, heimlich heraus und schlugen mir, ohne dass Macgillivray etwas davon ahnte, ein Zelt auf. Durch des Majors Delafield Güte war ich mit den notwendigsten Bedürfnissen versehen, und meine Töchter blieben bei mir, obwohl Herr Macgillivray oftmals sagte, er wolle sie fortreisen lassen. Seine Verfolgungen gegen mich nahmen an Heftigkeit durchaus nicht ab, obwohl ich das Fort verlassen hatte. Er nahm mir meine Töchter weg und ließ sie im Quartier der Männer schlafen. Sie liefen ihm aber davon und flüchteten in das Zelt seines Schwiegervaters, der ein alter Franzose war, dessen Töchter mit den meinen auf einem sehr freundschaftlichen Fuß lebten.

Seit meiner Ankunft waren nun dreiundvierzig Tage verflossen, und ich befand mich in einer sehr kläglichen Lage. Seit einiger Zeit schon war ich auch der Unterstützung meiner Töchter beraubt. Da trat eines Abends ganz unerwartet Herr Bruce, mein alter Freund, in mein Zelt. Er gehörte zum Gefolge des Major Long, der vom Winnipeg-See zurückkam. Er glaubte, dieser Offizier werde mir gern dazu behilflich sein, meine Töchter aus Herrn Macgillivrays Händen zu befreien, und sie vielleicht wohl auch mit nach Mackinack nehmen.

Obwohl ich kaum imstande war zu gehen, so schleppte ich mich doch spät in der Nacht dreimal bis zum Lagerplatz des Major Long. Aber immer erhielt ich zur Antwort, seine Kanus wären besetzt und er könne nichts für mich tun. Als er aber zuletzt etwas Näheres über mich hörte, schien er mehr Interesse an mir zu nehmen. Da er die Papiere gelesen hatte, welche Gouverneur Clark und andere Personen mir gegeben hatten, sagte er, es sei sehr töricht von mir, dass ich sie nicht gleich vorgezeigt habe. Er hätte mich, sagte er, für einen jener Weißen gehalten, die aus Faulheit oder Hang zu Ausschweifungen sich unter den Indianern umhertreiben. Da er aber jetzt wisse, wer ich sei, so wolle er sehen, was sich für mich tun lasse. Nun ging er selbst, von mehreren Männern begleitet, ins Kontor, um meine Töchter zu suchen. Es war eigentlich seine Absicht gewesen, schon am anderen Morgen weiterzureisen. Da er aber beinahe die ganze Nacht sich mit meinen Angelegenheiten beschäftigt hatte, so beschloss er, einen Tag länger zu verweilen und noch größere Anstrengungen zu machen, um meiner Kinder habhaft zu werden.

Das einzige Resultat seiner Nachforschungen war die Überzeugung, dass die Mädchen durch die Ränke des Herrn Macgillivray und der Familie seines Schwiegervaters in die Hände des Kaw-been-tusch-kwaw-naw, der zu den Häuptlingen im Dorf Me-nau-zhe-tau-nung gehörte, geliefert worden waren. Ich musste also darauf verzichten, sie in diesem Jahr noch fortführen zu können. In der kläglichen Lage, in welcher ich mich befand, blieb mir nur der einzige Ausweg, den bevorstehenden Winter unter Leuten meiner Farbe und bei meinen jüngeren Kindern in Mackinack zuzubringen.

Ich wusste, dass auch Herr Macgillivray, wie beinahe alle übrigen Handelsleute der North West Company, gegen mich aufgebracht war, weil ich vor Zeiten mit dazu beigetragen hatte, dass Lord Selkirk ihr Kontor am Red River eingenommen hatte. Auch war es mir wohl bekannt, dass ich meiner persönlichen Stellung wegen, welche ich den Indianern gegenüber einnahm, schwerlich Erlaubnis bekommen würde, in einem der nahe gelegenen Kontore einer oder der anderen Company mich aufzuhalten. Ich war von einem Indianer auf die hinterlistigste Weise gefährlich verwundet worden, und nach der Landessitte war ich genötigt, mich an dem ersten besten, welcher von der Horde, zu welcher der Mörder gehörte, mir in den Weg kam, Rache zu nehmen. Und man glaubte, dass ich es auch tun würde. Und hatten nun die Indianer erfahren, dass ich mich in irgendeinem Kontor aufhielt, so würden nur sehr wenige dorthin gekommen sein.

Das alles überlegte ich mir und nahm daher gern das wohlgemeinte Anerbieten des Major Long an. Er wollte mich in die Staaten zurückbringen und räumte mir Platz in seinen Kanus ein. Nach Ablauf einiger Stunden sah ich selbst jedoch ein, und der Major konnte es sich gleichfalls nicht verhehlen, dass ich eine solche Reise ohne die größte Gefahr nicht unternehmen konnte. Er vertraute mich daher der Obhut mehrerer Männer an, die sich im Gefolge der Handelsleute befanden. Ich wurde ins Fort zurückgebracht.

Ich wusste wohl, dass die Pforten aller Kontore der North West Company mir verschlossen sein würden. Ich wandte mich daher an die amerikanische Pelzhandelsgesellschaft, in deren Diensten ich vor einiger Zeit gestanden hatte. Der junge Herr Davenport, einer ihrer Beamten, räumte mir sogleich ein Gemach ein. Da jedoch die Lebensmittel auf jener Seite des Flusses ziemlich selten waren, so unterstützte mich der Doktor Mac Laughlin von der North West Company, der an Herrn Macgillivrays Stelle gekommen war. Er schickte täglich genug zu essen, für Herrn Davenport, für dessen Frau und mich.

Einige Zeit nach meiner Ankunft bei Herrn Davenport wurde dieser durch Herrn Cote abgelöst. Der trat in mein Zimmer und sagte, als er mich in demselben liegen sah, weiter nichts als: »Also, Sie haben allein auf Ihre eigene Hand Krieg geführt?«

Abends ließ er mir zu essen geben, und am anderen Morgen früh mich vor die Tür werfen. Ja er verbot mir sogar, den Boden der Vereinigten Staaten zu betreten!

Alle meine Bitten, mit denen sich die des Doktors Mac Laughlin vereinigten, waren nicht imstande, ihn von seinem Entschluss abzubringen.

In dieser Not erlaubte mir der Doktor, auf das englische Gebiet zu kommen. Er gab mir zu essen und sorgte auch anderweitig für mich. Und doch wusste er, dass diese Großmut ihm bei seinem Winterhandel schaden würde. Am Anfang dieser Jahreszeit waren meine Wunden soweit geheilt, dass ich schon wieder auf die Jagd gehen konnte. Mein Gewehr hielt ich in der linken Hand. Aber als ich in den ersten Tagen des neuen Jahres einmal abends ausgegangen war, um Wasser zu holen, glitt ich aus, fiel auf das Eis und brach mir nicht nur an derselben Stelle von Neuem den Arm, sondern auch noch das Schlüsselbein. Und nun musste ich mich noch einmal einer lang andauernden Heilung unterwerfen.

Im Frühling konnte ich wieder auf die Jagd gehen, erlegte viele Kaninchen und einige andere Tiere, deren Felle der Doktor mir auf das Freigebigste bar bezahlte. Als der Zeitpunkt gekommen war, in welchem die Handelsleute ihre Winterquartiere verlassen, sagte er mir, die North West Company hätte keine nach Mackinack bestimmten Fahrzeuge. Er werde jedoch Herrn Cote schon zu zwingen wissen, mich dorthin schaffen zu lassen. Das tat er auch, und Cote versprach, mich in seinem eigenen Kanu bis Fond du Lac zu befördern.

Auf der Strecke von Fond du Lac bis zum St. Marien-Wasserfall stand ich unter der Aufsicht des Herrn Morrison. Dessen Ruderknechte behandelten mich indessen so barsch, dass ich 25 Meilen oberhalb des Wasserfalles darauf bestand, ans Ufer gesetzt zu werden. Dort wollte mich Herr Schoolcroft als Dolmetscher haben, ich konnte aber diesen Vorschlag nicht annehmen. Ich hatte gehört, dass die wenigen Sachen, welche ich in Mackinack gelassen hatte, verkauft worden waren, um von denselben das Kostgeld für meine Kinder zu bestreiten. Die Lage, in welcher sich diese befanden, machte meine Gegenwart erforderlich. Ich ging also dorthin, und Oberst Boyd nahm mich als seinen Dolmetscher an. Das blieb ich bis zum Jahr 1828, wo ich, missvergnügt über die Behandlung, welche man mir angedeihen ließ, nach New York ging, um dafür Sorge zu tragen, dass meine Denkwürdigkeiten veröffentlicht würden. Nach meiner Rückkehr in den Norden nahm mich Herr Schoolcroft, der noch immer Indianer-Agent am St. Marien-Wasserfall ist, als Dolmetscher an, und seit jener Zeit wohne ich dort mit meiner Familie.

Drei von meinen Kindern befinden sich noch unter den Indianern. Die beiden Mädchen, von denen ich früher gesprochen habe, kämen gern zu mir, wenn sie nur entfliehen könnten. Mein Sohn, der etwas älter ist, hängt sehr am Jägerleben. Ich hoffe, dass ich noch einmal einen Versuch werde machen können, um meine Töchter wiederzuholen.