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John Tanner – Das Leben eines Jägers 38

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Achtundreißigstes Kapitel

So war mir nun jede Aussicht auf eine Anstellung als Dolmetscher geschwunden, und ich einigte mich daher mit Herrn Stewart, Agent der amerikanischen Pelzhandel-Company dahingehend, für ein jährliches Gehalt von 225 Dollar die Handelsleute zu den Indianern zu begleiten. Außer dieser Summe sollte ich auch Kleidungsstücke erhalten. Dieses Anerbieten schien mir passender als ein anderes, denn ich mochte nicht in der Schmiede arbeiten.

Ich schickte meine Kinder zu Mackinack in die Schule und begab mich darauf mit Herrn Morrison, einem der angesehensten Handelsdiener der Company nach Mackinack. Von dort wurde ich in Gesellschaft mehrerer Franzosen in einem Schiff nach Fond du Lac geschickt. Ich kannte damals die Sitten und Gewohnheiten dieser Leute noch nicht und würde viel vom Hunger auszustehen gehabt haben oder wohl gar verhungert sein, wenn ich nicht imstande gewesen wäre, der Schiffsmannschaft einige Lebensmittel abzukaufen. Von Fond du Lac ging ich mit Herrn Cote zum Regen-See. Meine Unerfahrenheit in dem Geschäft, mit welchem ich jetzt zu tun hatte, zog mir vielerlei Unannehmlichkeiten zu.

Ich hatte noch einige Fallen bei mir und fing in denselben während der Reise eine große Anzahl von Moschusratten. Ich war sehr erstaunt und nicht wenig missvergnügt, als ich erfuhr, dass diese Felle nicht mir gehörten. Ich musste sie nicht nur abliefern, sondern wurde obendrein noch gezwungen, ganz allein ein schwer mit wildem Reis beladenes Kanu zu rudern. Auch hielt man mich zu anderen schweren Arbeiten an, die ich nur mit Widerwillen verrichtete.

Als wir am Regen-See angekommen waren, ging ich auf die Jagd, aber ohne sonderlichen Erfolg. Darauf schickte man mich zu den Stromschnellen, und ich fing dort, noch ehe das Eis ferneres Fischen unmöglich machte, nicht weniger als einhundertundfünfzig Störe. Als es Winter wurde , schickte mich Herr Cote mit meinem Kommiss, vier Franzosen und allerlei Waren , die höchstens 160 Dollar wert sein mochten , zu den Indianern, mit welchen wir Handel treiben sollten.

An Lebensmitteln besaßen wir nur achtzehn Quart Reis für den Mann, und unsere Verhaltungsbefehle lauteten dahin, nicht eher zurückzukommen, bis wir unsere sämtlichen Waren gegen Pelzwerk umgetauscht hätten.

Da ich wusste, dass wir sehr weit würden gehen müssen, ehe wir Indianer treffen konnten, so bat ich Herrn Cote um Erlaubnis, so lange bleiben zu dürfen, bis ich Schneeschuhe, einen Schlitten und Geschirr für zwei sehr kräftige Hunde, welche mir gehörten, angefertigt haben würde. Allein er wollte von längerem Harren und Warten nicht reden hören.

Am vierten Tag fiel tiefer Schnee. Unser wilder Reis war schon aufgezehrt. Der Kommiss und drei Franzosen kehrten zum Fort zurück, und bei mir blieb nur ein Franzose, namens Veiage. Dieser war ein herrlicher Mensch, kühn und ausdauernd. Wir arbeiteten uns, so gut wir konnten, mit unseren schweren Warenballen aus dem Schnee hervor.

Einige Tage später, als wir wegen mangelnder Lebensmittel sehr niedergeschlagen waren, kamen wir zu einigen Indianerhütten. Allein in ihnen herrschte gleichfalls Mangel. Ich ließ Veiage bei den Indianern, nahm einige Waren zum Tausch mit und ging zu einem anderen etwas entfernt liegenden Lagerplatz. Dort aber waren die Indianer gar dem Hungertod nahe. Ich kehrte also wieder um, fand jedoch die Hütten nicht mehr an der Stelle, wo ich meinen Gefährten zurückgelassen hatte. Niemand war zu hören oder zu sehen. Meine Kräfte schwanden, ich setzte mich nieder und erwartete den Tod, denn die Nacht war sehr kalt. In diesem Zustand fand mich ein Indianer, der in jene Gegend kam, um nachzusehen, ob etwas in seinen Fallen wäre. Er machte Feuer und brachte mich in seine Hütte. Er hatte einen Biber gefangen, und dieser musste unter zwanzig Menschen verteilt werden, die seit zwei Tagen auch nicht einen Bissen genossen hatten. Alle befanden sich in der kläglichsten Lage.

Als ich bald darauf, so gut ich es eben vermochte, meinen Weg fortsetzte, traf ich auf die Hütte meines Freundes Oto-pun-ne-be, desselben, welcher in der Angelegenheit mit Waw-be-be-nais-sa meine Partei genommen hatte. Seine Frau stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als sie mich in so großem Elend erblickte, denn Hunger und Mühseligkeiten hatten mich ganz entstellt. Damals kamen acht Franzosen, die gleichfalls halbtot vor Hunger waren, und schlossen sich uns an. Herr Cote hatte sie mir geschickt, denn dieser Mann lebte in der festen Meinung, ich hätte die Bisons längst ausfindig gemacht und besäße Lebensmittel in Hülle und Fülle. Einer von meinen Hunden starb, und wir verzehrten ihn.

Wir verfolgten einen von den Indianern gebahnten Pfad. Seit derselbe jedoch zuletzt betreten war, hatte sich tiefer Schnee auf denselben gelagert. Unter dem Schnee fanden wir mehrere tote Hunde und verschiedene von den Indianern zurückgelassene Gegenstände, zum Beispiel Knochen, alte Mokassins und Lederstücke. Wir aßen alles, um nur nicht vor Hunger zu sterben. Mein letzter Hund wurde geschlachtet und verzehrt. Wir hatten noch einen weiten Weg zurückzulegen, ehe wir hoffen durften, Bisons zu finden. Unsere Kräfte schwanden von Tag zu Tage mehr. Wir hielten also Beratung und beschlossen, einen von den, der Pelzhandel-Company gehörenden Hunde zu schlachten. Auf diese Weise gelang es uns, bis in die Gegend zu kommen, wo sich die Bisons aufhielten. Nun hatten alle Entbehrungen ein Ende.

Als ich viele Bisons geschossen hatte und Überfluss in unserem Lager herrschte, fingen die Franzosen an, faul und unverschämt zu werden. Sie wollten weder das Fleisch herbeischleppen, noch irgendeine Last tragen, überhaupt mir in keiner Weise behilflich sein. Als wir im Begriff waren, zum Kontor zurückzugehen, wollten alle, Veiage allein ausgenommen, sich mit nichts weiter belasten, als ihren eigenen Lebensmitteln und Decken. Veiage und ich teilten also das Pelzwerk unter uns beide auf. Es wog in allem etwa sechshundert Pfund. Wir hatten lange Zeit nötig, um eine so schwere Bürde bis zum Kontor zu schleppen.

Als ich dort angekommen war, legte ich Rechnung ab. Alle Waren, welche man mir anvertraut hatte, waren durch mich in Pelzwerk umgetauscht, ein wenig Pulver und einige Kugeln, die ich zur Jagd benutzt hatte, ausgenommen. So viel wie diese wert waren, zog man mir an meiner Besoldung ab. Ebenso ging es mit zehn Dollar, welche man mir für den der Company gehörenden Hund anrechnete, welchen wir, dem Hungertode nahe, schlachten mussten, um mir und den neun Franzosen das Leben zu retten. Herr Cote meinte, wir hätten kein gutes Geschäft gemacht, und beschwerte sich darüber, dass ich unter meine Tauschartikel keinen Branntwein aufgenommen hatte. Ich gab ihm zur Antwort, für Branntwein würde ich allerdings eine große Menge Pelzwerk zurückgebracht haben, allein ich mochte nicht mit den Indianern handeln, wenn sie berauscht wären. Auch möchte ich mir niemals den Vorwurf aufbürden, geistige Getränke bei ihnen eingeführt zu haben. Er wollte mich nichtsdestoweniger wieder auf den Handel ausschicken und drang darauf, ich sollte Branntwein mitnehmen. Endlich gab ich nach, bemerkte aber, dass ich nur dies eine Mal, seinen Instruktionen gemäß, mich bemühen wollte, für möglichst wenige Waren recht viel Pelzwerk zurückzubringen.

Ich begab mich nun in die Nähe des Wäldersees und brachte für Waren, die höchstens zweihundert Dollar wert sein mochten, dank des Whiskeys, zweimal so viel Pelzwerk mit, als nach meiner ersten Handelsreise. Herr Cote war darüber sehr vergnügt. Ich sagte ihm jedoch, wenn er seine Spekulationen in derselben Weise fortzusetzen gedenke, so müsse er sich nach einem anderen Agenten umsehen, denn ich wolle mich nicht mehr zum Werkzeug so vieler Betrügereien und Ungerechtigkeiten gebrauchen lassen. Ich hatte so lange unter den Indianern gelebt, dass viele unter ihnen meine persönlichen Freunde waren. Ich kannte die beklagenswerte Unordnung, welche eine Folge übermäßigen Genusses starker Getränke sind, so gut, dass ich dem Einführen derselben unter ihnen, mehr hinderlich als förderlich zu sein mich entschlossen hatte. Ich mochte kein Gift unter ihnen verbreiten. Außerdem hatte ich noch einen besonderen Grund, mir beim Handel mit ihnen, ihren unersättlichen Hang zum Branntwein nicht zunutze zu machen. Es war freilich leicht, sie zu übervorteilen. Aber jeder Betrug musste doch ans Tageslicht kommen, und dann hätten sie es mir, den sie als einen der ihren betrachteten, mehr nachgetragen als jedem anderen.

Ich blieb fünfzehn Monate im Dienste der amerikanischen Pelzhandel-Gesellschaft. Während dieser ganzen Zeit schlief ich nur dreizehn Mal im Haus – so sehr war ich beschäftigt. Bei meiner Übereinkunft mit Herrn Stewart war ausgehandelt worden, dass mir erlaubt wurde, meine Kinder am Red River zu besuchen, denn ich wollte den Versuch machen, ob ich sie würde mit mir nehmen können. Man ließ mich um die Zeit dorthin gehen, in welcher die Handelsleute ihre gewöhnliche Jahresreise nach Mackinack machen. Allein ich erhielt weder die Mokassins, noch andere Gegenstände, welche Herr Cote mir versprochen hatte, und ich hatte auf meiner Reise, die ich allein in einem kleinen Kanu machte, viel auszuhalten. Es waren der Kinder, welche ich besuchen wollte, drei, zwei Mädchen und ein Knabe, seit langer Zeit schon von mir getrennt.

Herr Clark, ein Angestellter der Hudson’s Bay Company, welcher damals eine Niederlassung am Red River hatte, und an den ich einen Brief mitgenommen, weigerte sich, mir in irgendeiner Art behilflich zu sein. Am Tag meiner Ankunft hatte ich meine Decke bei ihm gelassen, da ich darauf rechnete, bei ihm wenigstens ein Nachtlager zu erhalten. Als es aber dunkel wurde, und ich mich in sein Haus begeben wollte, schickte er sie mir zurück. Aus der Art und Weise, wie er das tat, sah ich wohl, dass er mich vor die Tür weisen würde, wenn ich ihm noch einmal käme. Ich sah mich daher nach einem zweckmäßigen Platz im Wald um, wo ich die Nacht zubringen konnte. Allein Herr Bruce, der Dolmetscher, von welchem ich schon gesprochen habe, nahm mich , als er meine Vorbereitungen gesehen hatte, zu sich in seine Hütte, lud mich ein, bei ihm zu bleiben, und behandelte mich außerordentlich wohlwollend und gastfrei.

Ich sah wohl, dass ich von Seiten des Herrn Clark auf keinerlei Unterstützung rechnen durfte. Ohnehin wollte dieser bald das Land verlassen. Ich wandte mich daher an den Militärkommandanten Bulger, der sich freundlich und wohlwollend gegen mich bewies. Gleich, nachdem ich ein paar Worte mit ihm gesprochen hatte, fragte er, wo ich übernachtet hätte. Denn er wusste nicht, dass ich schon am Abend vorher angekommen war. Als er erfuhr, dass man mir ein Obdach im Kontor verweigert hatte, lud er mich ein, während der ganzen Zeit meines dortigen Aufenthaltes bei ihm zu wohnen und zu essen. Da er den Zweck kannte, der mich in jene Gegend führte, so fragte er, ob ich denn wüsste, wo sich gegenwärtig meine Kinder befänden. Ich war überzeugt, dass ich sie, ohne gewaltsam mit Gi-ah-ge-wa-go-mo zu verfahren, nicht in meine Gewalt bekommen würde. Er schien sehr zufrieden darüber, dass ich ihm vertrauensvoll alles mitteilte, und beauftragte sogleich Herrn Bruce, die Kinder in das Fort zu schaffen. Wirklich erschienen sie bald und stellten sich vor sein Haus, waren aber von zehn oder zwölf Indianern begleitet, welche sorgfältig darauf achteten, dass sie immer in ihrer Mitte blieben. Ich zeigte dem Captain meine Kinder, worauf er seinem Bediensteten befahl, ihnen zu essen zu geben. Sie erhielten Speise von seinem eigenen Tisch, von welchem er eben aufstand. Allein die Indianer rissen ihnen alles weg, sodass sie auch nicht einen Bissen bekamen. Mit einem Stück Brot, welches man ihnen nachher gab, ging es ebenso. Da befahl Captain Bulger, ein Magazin zu öffnen, und sagte, ich möchte aus demselben etwas für sie wählen. Ich nahm einen halben Sack Pemmikan, im Gewicht von etwa zwanzig Pfund, hieß die Indianer setzen und teilte die Speise unter ihnen auf. Sie weigerten sich, die Kinder verabfolgen zu lassen. Weder ich noch der Captain sollten sie haben. Der Letztere ließ darauf am folgenden Tag die angesehensten unter ihnen zu sich kommen. Gi-ah-ge-wa go-mo war mit dabei. Der Häuptling der Bande war nicht abgeneigt, mir die Kinder herauszugeben, und nahm gleich, nachdem er ins Versammlungszimmer getreten war, neben dem Captain Bulger und mir Platz, wodurch er andeutete, dass er ganz anderer Meinung war, als die übrigen vier Indianer, die von einer Herausgabe nichts wissen wollten. Nun wurden Geschenke, die etwa hundert Dollar wert sein mochten, herbeigebracht und zwischen beiden Parteien auf die Erde gelegt.

Captain Bulger nahm das Wort und sprach: »Meine Kinder, ich habe eine mit Tabak gefüllte Pfeife hierher stellen lassen, nicht um Euch anzudeuten, dass ich Euch, zum Besten dieses Mannes hier, das Recht abkaufen will, zu nehmen, was ihm gehört, sondern um Euch zu zeigen, dass ich darauf rechne, Ihr werdet meine Worte aufmerksam anhören. Dieser Mann ist hierhergekommen und spricht mit Euch nicht nur in seinem eigenen Namen, sondern auch im Namen Eures großen Vaters, der jenseits der Gewässer wohnt, und des großen Geistes, in dessen Hand wir alle sind. Dieses großen Geistes, welcher ihm jene Kinder geschenkt hat. Ihr müsst daher, ohne ihm weitere Hindernisse in den Weg zu legen, die Kinder herausgeben und diese Geschenke als Erinnerung des guten Einverständnisses annehmen, welches zwischen uns besteht.«

Die Indianer beratschlagten miteinander. Als sie ihre Antwort vorbringen wollten, bemerkten sie, dass eine zahlreiche Schar Bewaffneter vor dem Haus in Parade aufgezogen war. Sie sahen sich von allen Seiten umzingelt, nahmen die Geschenke und versprachen die Kinder herauszugeben.

Die Mutter der Kinder war alt geworden. Sie sprach den Wunsch aus, dieselben begleiten zu dürfen. Ich gab dazu meine Einwilligung. Mein Sohn, welcher schon ein ziemliches Alter erreicht hatte, wollte gern bei den Indianern bleiben. Da die Zeit, ihn durch Erziehung zu einer anderen Lebensweise anzuleiten, längst vorüber war, so gab ich ihm völlig freie Hand. Während der ersten vier Tage unserer Reise begleiteten uns mehrere Indianer. Als sie uns verlassen hatten, zog ich mit meinen beiden Töchtern und ihrer Mutter allein weiter.