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John Tanner – Das Leben eines Jägers 36

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Sechsundreißigstes Kapitel

Endlich bekam ich einige Kräfte wieder, und vermochte weiter zu reisen. Etwa zwei Tagereisen von Detroit traf ich unterwegs einen Mann, der eine Siouxpfeife in der Hand hielt. Seine auffallende Ähnlichkeit mit meinem Vater erregte im hohen Grade meine Aufmerksamkeit. Ich bemühte mich, ihn zum Stillhalten zu bewegen und mich ihm bemerklich zu machen. Er aber beachtete mich kaum und entfernte sich. Zwei Tage später erfuhr ich, dass meine Ahnung sich bestätigt hatte. Der Mann war mein Bruder gewesen. Der Gouverneur erlaubte mir nicht, ihm nachzueilen, weil er sich vorgenommen hatte, unterwegs in allen Häusern nach mir zu fragen, also notwendig erfahren musste, welchen Weg ich genommen hatte und unverzüglich zurückkommen würde.

Des Gouverneurs Vermutung war ganz richtig gewesen, denn drei Tage später kam mein Bruder zurück. Er hielt mich lange in seinen Armen. Da ich aber die englische Sprache nicht verstand, so konnten wir uns nur mit Hilfe eines Dolmetschers unterhalten. Er schnitt mir die langen Haare ab, welche ich damals nach Indianersitte trug. Wir besuchten zusammen den Gouverneur Caß, der sehr damit zufrieden war, dass ich meine bisherige Kleidung abgelegt hatte. Aber die der Weißen war mir sehr unbequem, und wenn ich es mir recht behaglich machen wollte, zog ich mich wieder wie ein Indianer an.

Ich wollte meinen Bruder gern bewegen, mich zu meinem Wohnsitz am Wälder-See zu begleiten. Er aber beharrte darauf, ich sollte mit ihm über den Mississippi gehen, und wir reisten zusammen ab. Der Militärkommandant des Fort Wayne nahm uns sehr freundlich auf, und im Allgemeinen war unsere Reise recht angenehm. Nach vierzig Tagen langten wir in der Wohnung meines Bruders an. Sie lag am Mississippi, etwa fünfzehn Meilen oberhalb von New Madrid. Ein anderer meiner Brüder wohnte nicht weit von dort entfernt, und beide gingen mit mir in eine Gegend, etwa fünfzehn Meilen jenseits von Cape Girardeau, wo zwei von meinen Schwestern lebten. Darauf fuhren wir, etwa sechs oder sieben an der Zahl, etwas oberhalb von Cape Girardeau über den Mississippi, gingen über Golkonba, an den Ohio und begaben uns nach Kentucky. In diesem Staat, in der Nähe der kleinen Dörfer Salem und Princeton, wohnten viele von meinen Verwandten.

Meiner Schwester Lucie hatte in der Nacht vor dem Tag meiner Ankunft geträumt, ich käme durch ein Getreidefeld, welches ihr Haus umgab. Sie hatte zehn Kinder. Verwandte, Freunde, Nachbarn, alle kamen herbei, um Zeugen des Wiedersehens zu sein. Obgleich wir uns einander nicht verständlich machen konnten, so vergossen doch alle viele Tränen. Am nächsten Sonntag war der Zusammenfluss der Menschen noch viel größer, im Haus meiner Schwester wurde Gottesdienst gehalten. Mein Schwager, Jeremias Rucker, wollte im Testament meines Vaters einige Verfügungen zu meinen Gunsten finden. Er brachte mich daher nach Princeton und stellte mich der Behörde vor. Es ließ sich jedoch nichts tun. Meine Schwiegermutter, welche nicht weit entfernt wohnte, gab mir 137 Dollar.

Ich ging mit meinen männlichen und weiblichen Verwandten nach Scottsville, wo ein Oheim vom mir wohnte, der mich gern sehen wollte. Dort wurde für mich gesammelt, und ich erhielt hundert Dollar. Nach meiner Rückkehr brachte Oberst Ewing aus Hopkinsville in einer einzigen Stunde, welche ich bei ihm zubrachte, auch hundert Dollar zusammen, die er mir aushändigte. Dieser Gentleman behandelte mich mit großer Aufmerksamkeit und vielem Wohlwollen. Er ist mir seit jenem Tag ein aufrichtiger und tätiger Freund geblieben.

Von Hopkinsville kehrte ich zu meiner Schwägerin zurück und traf Vorkehrungen zu einer Reise an den Wälder-See. Mehrere meiner Verwandten, welche mich bis über den Mississippi begleitet hatten, gingen wieder heim. Mein Bruder blieb jedoch mit seiner Frau bei mir, denn er wollte mich nicht verlassen. Von meinem Bruder Eduard, bei New Madrid, kehrte ich nach Jackson zurück, wo ich krank wurde. Durch die freiwilligen Gaben gastfreier, teilnehmender Menschen, mit denen ich bekannt geworden war, besaß ich damals fünfhundert Dollar in Silber. Mein Bruder war darüber besorgt, diese beträchtliche Summe könnte mich, wenn ich allein ginge, Gefahren aussetzen, und deshalb begleitete er mich.

Von Jackson aus begaben wir uns gemeinschaftlich nach St. Louis, wo wir den Gouverneur Clark trafen, der meinem Bruder schon früher, als er nach dem Norden reiste, um mich aufzusuchen, sehr behilflich gewesen war. Dieser nahm uns wohlwollend auf und bot uns alle mögliche Unterstützung an, deren wir nur bedürfen würden, um den Plan, meine Familie aus dem Indianerland zu holen, auszuführen. Mein Bruder wollte viele Leute zu unserem Beistand mitnehmen, um im Notfall meine Kinder mit Gewalt zu entführen. Ich begab mich indessen eines Tages zum Gouverneur und bat ihn, nicht auf meinen Bruder zu hören, weil dieser mit dem Land, wohin wir wollten, nicht genau bekannt sei und sich auf die Mittel, welche unserer Unternehmung das Gelingen sichern könnten, ebenso wenig verstehe. Mein Wunsch war, weder von meinem Bruder, noch von irgendeinem anderen Weißen begleitet zu werden. Ich wusste wohl, dass jener die Anstrengungen der Reise schwerlich würde ertragen und noch weniger, gleich mir, den ganzen Winter hindurch in einer Indianerhütte leben können. Ich war überzeugt, dass er mich weit mehr hindern als mir förderlich sein würde.

Gouverneur Clark wollte mich den oberen Mississippi hinauf nach dem Wälder-See schicken. Allein ich konnte mich nicht entschließen, diesen Weg zu nehmen, weil ich dann durch das Land der Sioux hätte gehen müssen. Er gab mir ein Mackinack-Boot, in welchem eine hinlängliche Anzahl von Ruderern saß, und das Platz genug für sechzig Mann hatte. Außerdem schenkte er mir drei Fass Mehl, zwei Fass Schiffsbrot, Flinten, Zelte, Hacken und andere dergleichen Sachen. Endlich bewog ich meinen Bruder, zurück zu bleiben, und reiste ab. Die heftige Strömung des Mississippi unterhalb der Mündung des Missouri überzeugte mich bald, dass ein so großes und schweres Fahrzeug für meine Reise sehr unpassend war, und ich ließ es daher am Trageplatze der Sioux zurück. Von dort aus fuhr ich in meinem Kanu, von nur zwei Männern begleitet, bis zu den Quellen des Illinois und von da nach Chicago.

Ich hatte vom Gouverneur Clark einen Brief an den indianischen Agenten zu Chicago, Herrn Mackenzie. Da derselbe kein Fahrzeug besaß, das unverzüglich nach Mackinack hätte fahren können, so ließ er für mich ein aus Rinde zusammengefügtes und mit Indianern bemanntes Kanu instandsetzen. Diese Indianer aber ergaben sich mehrere Tage hintereinander dem Trunk, und während dieser Zeit kam ein Boot an, welches mich aufnahm. Zehn Tage blieb ich in Mackinack, und Captain Knapp bot mir Überfahrt zu der Drummond-Insel an. Doktor Mitchell und der indianische Agent, Oberst Anderson, behandelten mich sehr freundschaftlich. Der Letztere machte eine Reisegelegenheit bis zum St. Marinewasserfall für mich ausfindig. Dort blieb ich zwei oder drei Monate, weil Oberst Dickson, der selbst sich zu einer Reise anschickte, nicht zugeben wollte, dass ich auf einem Boot der Nord west Company, welches während meiner Anwesenheit zwei- oder dreimal abfuhr und wieder zurückkam, über den Oberen See fahren sollte. Endlich segelte er ab und nahm mich mit in sein Schiff. Kaum waren wir eine Strecke weit vom Ufer entfernt, da gab er mir ein Ruder in die Hand, und ich musste, ungeachtet meiner misslichen Gesundheitsumstände, arbeiten, so viel es meine Kräfte nur irgend erlaubten. Er setzte mich darauf, etwa zwanzig Meilen oberhalb des Fort William, an Land, wo wir Herrn Giarson fanden, welcher die Aufsicht über die der Hudsonsbay-Gesellschaft angehörenden Waren führte. Ich war sehr missvergnügt über das Benehmen des Obersten Dickson gegen mich und sagte beim Abschied, obwohl er mich so weit vom Ziel meiner Reise verlassen hätte, so würde ich doch früher nach Me-nau-zhe-tau-nung kommen als er. Mein ganzes Gepäck ließ ich bei Herrn Giarson zurück und wurde mit einem alten Franzosen Handels eins, der mich in einem Kanu über den See bringen sollte. Meine Überfahrt war glücklich, und ich kam in der Tat eher an als Oberst Dickson.

Meine Familie befand sich wohl auf. Am anderen Morgen sagte man mir, dass ein rotköpfiger Engländer (denn als solchen bezeichneten die Indianer den Oberst Dickson) auf meine Hütte zukäme. Ich rief ihm aus derselben zu, er möchte ja nicht eintreten.

»Du findest mich hier in meiner Hütte, obwohl du mich am Ufer des Sees, fern von meiner Wohnung oder einem Ort, wo ich hätte Hilfe suchen können, verlassen hast. Mein Wigwam ist nicht für einen Menschen, wie du es bist, gemacht. Ich hoffe daher, du wirst ihn nicht betreten.«

Ich wusste recht gut, dass er Essen von mir verlangen werde. Ich war jedoch fest entschlossen, ihm weder etwas zu essen zu geben, noch ihn überhaupt nur zu sehen.

Er verließ unser Dorf, um auf dem Weg, welchen gewöhnlich die Indianer nehmen, zum Red River zu gelangen. Da das Wasser außerordentlich niedrig stand, so hatte er viel auszustehen und wäre beinahe, wie wir später erfuhren, vor Hunger gestorben. Am Weg lag ein indianischer Begräbnisplatz, der ringsum eingehegt war. Auf demselben ruhte einer meiner Schwäger, eine Tochter Oto-pun-ne-bes und andere meiner Verwandten und Freunde. Mehrere dieser Gräber waren umzäunt, und auf jedem derselben stand eine aus Zweigen ausgeführte Hütte. Oberst Dickson zerstörte sowohl die Zäune als auch die Hütten. Ein solches Benehmen empörte die Indianer. Sie nahmen sich vor, ihn zu töten und würden es getan haben, wenn eine günstige Gelegenheit dazu sich geboten hätte. Er ging aber nach Pembinah, begab sich von da zum Traverse-See und ließ sich niemals wieder im Land der Chippewa blicken.

Einige Tage nach meiner Ankunft in Me-nau-zhe-tau-nung erkrankte eines meiner Kinder an Masern, die damals unter den Indianern große Verwüstungen anrichteten, und starb. Auch die Übrigen wurden nach der Reihe angesteckt. Ich wusste aber recht gut, wie man diese Krankheit behandeln muss, und so wurden alle gerettet. Bald nachher begann es, an Lebensmitteln zu fehlen, und ich traf gemeinschaftlich mit Me-zhuk-ko-naun Vorbereitungen zu einer Jagdmedizin. Im Traum erblickte ich den jungen Mann, welcher mir schon bei ähnlichen Gelegenheiten erschienen war. Er schwebte, wie früher, so auch diesmal, herab, und stellte sich vor mich hin.

Mit mehr Härte als sonst wohl tadelte er mich, dass ich über den Verlust meines Kindes schreie und klage.

»Von nun an«, sprach er, »wirst du mich nicht wiedersehen, und der Pfad, den du noch zu wandeln hast, wird voll sein von Dornen und Schlingkraut. Wegen der vielen Verbrechen und des schlechten Betragens deiner Frau wird deine Zukunft seine mühevoll sein. Da du mich aber gerufen hast, so will ich dir diesmal noch zu essen geben.«

Als er diese Worte sprach, blickte ich vor mir hin, und sah eine Menge Enten welche einen Teich bedeckten. An einem anderen Platz erblickte ich einen Stör und an einem dritten ein Rentier. Dieser Traum wurde, gleich allen übrigen, erfüllt, wenigstens insoweit er sich auf Jagd und Fischfang bezog.

Als der Winter kam, ging ich an den Red River, um dort Bisons zu jagen und ihr Fleisch zu dörren. Und als es Frühjahr wurde, machte ich mich auf den Rückweg zu den Staaten. Von meiner ersten Frau hatte ich mich schon zehn Jahre vor dem Zeitpunkt, von welchem ich jetzt rede, getrennt. Die Bitten der Indianer und teilweise auch die Lage, in welcher ich mich befand, hatten mich dringend veranlasst, eine andere zu nehmen, von welcher ich damals drei Kinder hatte. Die von meiner ersten Frau befanden sich damals nicht im Dorf. Da die zweite durchaus nicht mit mir gehen wollte, so nahm ich die drei Kinder und zog fort ohne die Frau. Aber am Regen-See kam sie zu mir, und willigte ein, mich bis nach Mackinack zu begleiten.

Auf meinem Rückweg war mir die Nord West Company in mancher Hinsicht behilflich. Da ich aber zu der Drummond-Insel kam, erlebte ich etwas sehr Unangenehmes. Als ich früher nach dem Wälder -See reiste, hatte ich mehrere sehr wertvolle Geschenke abgelehnt, weil ich dieselben nicht fortschaffen konnte. Man hatte mir jedoch versprochen, sie mir zu geben, wenn ich abermals die Insel besuchen würde. In der Zwischenzeit aber war der Beamte, welcher sich so gütig gegen mich gezeigt hatte, durch einen anderen ersetzt worden, der auch ganz anders beschaffen und durchaus nicht geneigt war, etwas für einen Menschen zu tun, der mit den Indianern in Verbindung stand. Dieser Mann wollte mich nicht einmal sehen, geschweige denn mir in irgendeiner Weise behilflich sein. Indessen gelangte ich doch, dank dem Herrn Ermatinger, vom St. Marine-Wasserfall nach Mackinack.

Oberst Boyd, welcher dort zu jener Zeit Agent war, zog mich an sich und wollte mich als Arbeiter in seiner Schmiede verwenden. Da mir aber diese Arbeit nicht zusagte, so mochte ich nicht bleiben. Er gab mir hundert Pfund Mehl, ebenso viel Schweinefleisch, etwas Branntwein, Tabak und andere Dinge. Es lagen damals gerade zwei Fahrzeuge bereit, die nach Chicago segeln wollten, aber keins von beiden wollte mich an Bord nehmen, obwohl ich Geld genug hatte und die Überfahrt bezahlen wollte. In dieser Verlegenheit verkauften mir Indianer für sechzig Dollar ein altes, in schlechtem Zustand befindliches Kanu aus Rinde. Ich mietete drei Franzosen, die mich begleiten sollten. Allein Oberst Boyd erlaubte es ihnen nicht, gab mir jedoch einen Brief an den Doktor Wolkott, indianischer Agent zu Chicago, mit. So reiste ich denn, nur von einem Mann begleitet, ab.