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John Tanner – Das Leben eines Jägers 35

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Fünfundreißigstes Kapitel

Da die Versammlung sich bald trennen wollte, lud mich Gouverneur Caß ein, mit ihm zu speisen, und mehrere Gentlemen wollten mit mir zechen. Als ich vom Tisch aufgestanden war, hatte ich Mühe, meine Hütte wieder zu erreichen. Einige Tage später sagte mir der Dolmetscher, der Gouverneur wäre begierig gewesen, zu sehen, bis zu welchem Grad ich die Leidenschaft der Indianer für starke Getränke teile, und ob ich mich im Rausch ebenso betragen würde wie sie. Der Wein hatte jedoch nicht so stark auf mich gewirkt, dass ich mir meiner nicht mehr bewusst gewesen wäre. Ich hatte mich niedergelegt und wachte auf, ohne nur die geringste Folge des Rausches zu spüren.

Einige Potawatomi stahlen das Pferd, welches mir unterwegs der gütige Alte, Ah-ku-na-gu-zik, geliehen hatte. Die jungen Leute jedoch, welche bei meinem Freund Be-nais-sa waren, machten es wieder ausfindig, und ich stellte es seinem Eigentümer, welcher auch zur Versammlung gekommen war, zurück. Als Gouverneur Caß vernahm, wie gütig dieser Mann mir gegenüber gewesen war, beschenkte er denselben mit einem wertvollen Sattel. Der Alte weigerte sich eine Zeitlang, denselben anzunehmen. Als man ihn aber endlich dazu bewogen hatte, zeigte er sich äußerst dankbar. Er sprach: »Es haben mir die Greise gesagt, welche mich vor vielen Jahren unterrichteten, als ich noch ein Knabe war, ich sollte gut sein und allen Menschen Gutes tun, besonders den Fremden, welche aus einer weit entlegenen Gegend kommen, überhaupt allen, die ich in einem hilflosen und verlassenen Zustand sähe. Wenn ich das täte, sagten sie mir, dann würde auch der große Geist an mich denken, mir Gutes tun und mich für mein Betragen belohnen. Für diesen Menschen hier habe ich nur so wenig getan, und was für eine große Belohnung habe ich nicht erhalten!«

Er drang in mich, ich sollte sein Pferd nehmen, das seiner Meinung nach bei Weitem nicht so viel wert war wie jener Sattel, und ließ mir keine Ruhe deshalb. Endlich gab ich unter der Bedingung nach, dass er es so lange behalten sollte, bis ich es ihm abfordern würde. Der Gouverneur gab mir Sachen, die wohl zwanzig Dollar wert sein mochten. Da ich eine weite Reise zu machen hatte, so kaufte ich ein Pferd für achtzig Dollar, die in Waren bezahlt wurden. Beim Meeting (der Indianerversammlung) waren zwei Männer aus Kentucky anwesend, welche mehrere meiner Verwandten kannten. Der Eine hatte sogar in seiner frühen Jugendzeit in der Familie meiner Schwester gelebt. Mit diesen beiden machte ich mich auf den Weg, obwohl meine Gesundheit noch etwas schwankend war. Kurze Zeit nachher verschlimmerte sich mein Zustand dermaßen, dass ich nicht mehr zu Pferde sitzen konnte. Da entschlossen sie sich, ein kleines Boot zu kaufen, und der eine übernahm es, mich zu Wasser weiter fortzuschaffen, während der andere mit unseren Pferden auf dem gewöhnlichen Weg fürbass zog. Auf jener Strecke des Big Miami trifft man auf viele Mühlenschleusen und andere Hindernisse. Selbst die Reise auf dem Fluss war für mich sehr angreifend, und dabei ging sie langsam vonstatten.

Kurze Zeit später wurde ich so schwach, dass ich mich kaum noch bewegen konnte, und ich hielt vor dem Haus eines armen Mannes an, welcher am Ufer des Flusses wohnte. Da er Mitleid mit mir zu haben schien und sehr geneigt war, mich sorgfältig zu pflegen, so entschloss ich mich, bei ihm zu bleiben. Der Mann, welcher bis jetzt mein Reisegefährte gewesen war, sagte mir, er nehme seinen Weg nach dem Ohio zu, wolle aber wiederkommen oder mir jemand anderes schicken.

Der Mann, in dessen Haus ich blieb, verstand einige Wörter von der Ottawasprache und versäumte nichts, um mir meine Lage erträglich zu machen, bis mein Neffe kam, den mir meine Verwandten in Kentucky geschickt hatten. Von ihm erfuhr ich, dass mein Vater im Jahr 1811, drei Monate nach dem großen Erdbeben, welches New Madrid zerstörte, gestorben war. Auch erzählte er mir manches andere von meinen Angehörigen.

Unsere Reise bis Cincinnati, wo wir ein wenig ausruhten, war sehr langweilig und beschwerlich. Wir fuhren dann den Ohio in einer Barke hinunter. Mein Fieber kehrte regelmäßig Tag für Tag wieder, und wenn mich der Frost überfiel, mussten wir immer eine Zeitlang stillhalten. Wir kamen daher auch nicht rasch von der Stelle. Wir hatten einen Mann bei uns, der meinem Neffen behilflich war, mich in das Schiff hinein und wieder heraus zu heben, denn ich war wie ein Gerippe geworden und konnte ohne Unterstützung weder aufrecht stehen noch essen.

Nach einem düsteren und bewölkten Tag kamen wir bei Einbruch der Nacht vor einem hübschen Landgut an, dessen Wohnhaus recht einladend aussah. Wir stiegen aus unserem Boot, als es schon dunkel geworden war. Meine beiden Begleiter nahmen mich beim Arm und führten oder trugen mich vielmehr bis vor das Haus. Mein Neffe setzte den Eigentümer von unserer Lage in Kenntnis und sagte ihm, wie schwierig und vielleicht lebensgefährlich es für mich sein würde , wenn ich gezwungen wäre, weiter zu reisen. Er schlug uns aber nichtsdestoweniger ein Obdach ab und warf uns, da mein Neffe dringend wurde, barsch vor die Tür.

Es war schon ziemlich spät am Abend, und die nächste Pflanzung mochte anderthalb Meilen weit entfernt liegen. Da dieselbe nicht am Strom, sondern landeinwärts lag, so konnte unser Boot uns nichts nützen. Mein Neffe trug mich mit Hilfe seines Gefährten auf den Armen dorthin. Es mochte Mitternacht gewesen sein, als wir vor einem großen, aus Backsteinen aufgeführten Gebäude standen. Die Bewohner lagen alle in tiefem Schlaf, an keinem Fenster war Licht zu sehen. Als aber mein Neffe an die Tür klopfte, kam ein Mann und öffnete. Sein Erstes, was er tat, war, mir Beistand zu leisten. Er half mir beim Hineingehen und rief seine Frau und Tochter herbei, welche meinen Gefährten zu essen brachten. Für mich bereitete er eine Arznei und brachte mich dann in ein Bett. So schlief ich denn bis zum späten Morgen und blieb beinahe den ganzen Tag über in diesem Haus, wo ich mit der größten Freundlichkeit behandelt wurde. Seitdem fühlte ich mich etwas wohler und kam ohne weiteres Ungemach bis zu dem Orte, wo die Kinder meiner Schwester wohnten. Eine Nacht blieb ich bei einem meiner Neffen John und ging dann zu einem seiner Brüder, bei welchem ich etwa einen Monat lang krank lag. Damals erhielten meine Verwandten einen Brief und machten mir begreiflich, dass derselbe an mich gerichtet sei. Ich verstand aber seinen Inhalt nicht, obwohl sie mir dasselbe verschiedene Mal vorlasen. Seit meiner Ankunft hatte ich fast immer das Bett gehütet, und da man mich beinahe immer allein ließ, so hatte ich noch nicht gelernt, mich verständlich auszudrücken, verstand auch nicht, was mir andere sagten. Ich fühlte mich übrigens ein wenig besser, konnte auch schon einigermaßen begreiflich machen, was ich wollte, als ein zweiter Brief ankam. Nun erfuhr ich, dass mein Bruder Eduard, dessen Namen ich niemals vergessen hatte, eine Reise zum Red River gemacht hatte, um mich aufzusuchen. Einer meiner Oheime, welcher etwa hundert Meilen von meinem damaligen Aufenthaltsort entfernt wohnte, lud mich ein, zu ihm zu kommen. Aber alle meine Gedanken waren auf meinen Bruder Eduard gerichtet, und ich verlangte nach meinem Gaul, um ihn am Red River aufzusuchen. Etwa zwanzig bis dreißig Nachbarn traten zusammen, um mich von dem Reiseplan abzubringen. Als sie jedoch sahen, dass ich fest bei meinem Vorsatz blieb, gab jeder von ihnen mir etwas Geld, der Eine einen Schilling, der Andere ein Poar, noch andere reichten mir mehr, und so ritt ich fort.

Kaum mochte ich etwa zehn Meilen weit geritten sein, als in Folge der Anstrengung mich ein Krankheitsanfall heimsuchte, und ich musste bei einem Mann einkehren, dessen Namen ich später erfahren habe. Er hieß Morgan. Bei ihm blieb ich vier Tage, und als ich nach Ablauf derselben mein Pferd verlangte, versammelten sich auch hier Leute um mich und machten mir einige Geschenke. Der Eine steckte mir Brot in einen Sack, der Andere band sein Spanferkel hinter meinem Sattel fest, kurz, sie versorgten mich mit Geld und Lebensmitteln.

Ich wollte nach Detroit zurückkehren. Da ich aber noch sehr schwach war, so begleitete mich Herr Morgan nach Cincinnati. Ich hatte die Bemerkung gemacht, dass ich krank wurde, sobald ich in einem Hause schlief, und deshalb weigerte ich mich nun, während dieser Reise mich in einem solchen zur Ruhe zu legen und wählte mir einen anderweitigen passenden Platz aus. Ich tat recht daran, denn ich merkte bald, dass ich kräftiger wurde. Als Herr Morgan Cincinnati verlassen hatte, setzte ich meine Reise allein fort, und bald fehlte es mir an Lebensmitteln.

Damals rief mir ein alter Mann, der vor seiner Tür saß, zu: »Halt an, komm!«

Von allem, was er mir sagte, verstand ich nur diese paar Worte. Aus seinem ganzen Benehmen aber sah ich, dass er es gut meinte, und ritt daher in seinen Hof. Er nahm mir mein Pferd ab und gab demselben viel Korn zu fressen. Ich selbst ging ins Haus. Er stellte mir viel Fleisch vor, ich konnte es aber nicht essen, und nun reichte er mir Nüsse, von denen ich mehrere verzehrte. Als er bemerkte, dass ich lebhaft wünschte, weiter zu reisen, sattelte er mein Pferd, das sich sattgefressen hatte, und führte es mir vor. Ich bot ihm Geld, er wollte aber nichts nehmen.

Ein paar Tage später hielt ich vor einem Haus an, in dessen Hofraum eine große Menge Korn aufgehäuft war. Mein Pferd war fast dem Hungertod nahe. Ich ritt hinein, zog einen Dollar aus der Tasche und gab ihn einem dastehenden Mann. Darauf nahm ich mehrere Garben Getreide und warf diese meinem Pferde vor. Ich konnte den Bewohnern dieses Hauses nicht begreiflich machen, dass mich hungerte, oder vielmehr, sie schienen mich nicht verstehen zu wollen. Ich trat ins Haus. Die Frau schien verärgert zu sein. Ich sah ein Stück Brot liegen, zeigte auf dasselbe hin und führte meine Hand zum Mund. Aber sie wollte auch dieses Zeichen nicht verstehen. Da nahm ich das Brot, führte es zum Mund und tat so, als wollte ich es essen.

Sie aber rief ihren Mann, der schnell herbeikam, mir das Brot wegriss, mich vor die Tür warf, auch meinem Pferd das Korn wegnahm und rief, ich sollte mich packen.

Darauf ging ich in ein großes, aus Backsteinen aufgeführtes Haus und beschloss, in diesem mein Glück zu versuchen. Aber ein sehr dicker Mann fuhr mich laut und barsch an. Was er sagte, weiß ich nicht. Aus seinen Bewegungen aber nahm ich an, dass er mir den Eintritt verbot. Dessen ungeachtet wollte ich hineingehen. Er stürzte jedoch auf mich zu, packte mein Pferd beim Zaum und sprach vielerlei zu mir. Ich merkte wohl so ungefähr, dass er mich für einen Indianer hielt. Er wollte mir mein Gewehr wegnehmen. Später erfuhr ich, dass er eine obrigkeitliche Person war und eine Schenke hielt. Damals aber war ich hungrig, krank und sehr reizbar. In meiner Hand hielt ich einen Hickorystock, der etwa so dick wie mein Daumen und drei oder vier Fuß lang sein mochte. Damit zog ich ihm einen so derben Hieb über das Gesicht, dass er mich los ließ, und ich machte mich davon. Zwei junge Männer, deren Pferde vor dem Haus angebunden waren, und die mir Reisende zu sein schienen, schlossen sich mir an, und wir zogen eine Strecke weit desselben Weges.

Jene Reise war sehr beschwerlich und unangenehm. Ich fühlte mich alle Tage schwächer und mutloser, war wieder allein, fand bei den Leuten keine Anteilnahme und litt viel von Hunger und Krankheit. Nachts schlief ich, meinem Entschluss getreu, immer im Wald. Aber es war für mich nicht leicht, Wildbret zu schießen, und meine Gesundheitsumstände erlaubten mir nicht, weit vom Wege ab zu jagen.

Als ich ziemlich nahe bei der Quelle des Big Miami war und eines Abends einem Landmann einen Dollar angeboten hatte, nichtsdestoweniger aber von ihm fortgejagt worden war, ohne für mich oder mein Pferd das Geringste erhalten zu haben, legte ich mich eine geringe Strecke weit von seinem Haus entfernt im Holz nieder und machte mich, als meiner Meinung nach alle schliefen, auf die Beine, um ein wenig Korn für mein Pferd zu holen. Ich hatte denselben Abend für mich ein Huhn gekauft, wovon ich einen Teil verzehrte. Am anderen Morgen befand ich mich ein wenig besser. In jener Gegend wurden die Wohnungen immer seltener, die unangebauten Zwischenräume immer größer. In einem Wale traf ich auf ein Rudel Schweine, tötete eins davon und hing das Fleisch an meinem Sattel auf. So war ich denn für eine Weile vom Hunger frei.

Am Erie-See lebte ein Handelsmann, den ich recht gut kannte und der die Ottawasprache so gut redete wie ich selbst. Als ich diesen Mann aber um etwas Futter für mein Pferd ansprach, rief er, ich sollte mich fortpacken, er gebe mir nichts. Er besann sich jedoch gleich und bot mir Korn für Bärenfleisch, denn dafür hielt er das an meinen Sattel gebundene Schweinefleisch. Ich wandte ihm jedoch den Rücken zu, setzte über den Big Miami und schlief im Wald.

In jener Nacht befand ich mich sehr unwohl, und als ich am anderen Morgen bemerkte, dass mein Pferd fortgelaufen war, sah ich mich kaum imstande, es zu suchen. Ich schleppte mich jedoch bis an den Fluss, und bemerkte nun, bass sich mein Tier am anderen Ufer befand. Ich rief den Handelsmann, dessen Haus mir gerade gegenüber war, bei Namen, und bat ihn, er möge mir doch mein Pferd bringen oder schicken, denn ich sei schwer krank. Er aber weigerte sich dessen. Da ersuchte ich ihn, mich im Kanu hinüberzuholen, denn in meinem Zustand möchte ich nicht gern den Körper nass machen. Auch das schlug er mir ab, und so blieb mir nichts anderes übrig, als durch den Fluss zu schwimmen. Ich nahm mein Pferd und ritt wieder zu meinem Lagerplatz zurück, konnte jedoch an jenem Tage nicht weiterreisen.

Am anderen Morgen brach ich auf und hatte das Glück, ein Haus zu finden, in welchem ich von der Frau mit großer Freundlichkeit behandelt wurde. Sie gab meinem Pferd Korn und setzte mir gepökeltes Schweinefleisch vor. Das reichte ich ihr jedoch zurück, weil ich es nicht essen konnte. Sie gab mir darauf frisches Wildbret, und davon nahm ich ein wenig. Sie lud mich durch Zeichen ein, unter ihrem Dach zu schlafen. allein ich dankte dafür und wählte mir unweit von der Behausung einen passenden Lagerplatz, wo ich das Fleisch, welches sie mir gegeben hatte, kochte. Noch ehe meine Mahlzeit fertig war, schickte sie mir durch ein Kind etwas Brot und frische Butter.

Am anderen Morgen ritt ich weiter und traf beinahe gar kein angebautes Land mehr. Im Dorf, wo Ah-ku-nah-gu-zik wohnte, wollte ich nicht anhalten. Ich hatte schon zu viele Verpflichtungen gegen diesen Mann und befürchtete, er möge noch einmal in mich dringen, sein Pferd anzunehmen. Als ich etwa hundert Meilen von der Stadt Detroit entfernt sein mochte, wurde meine Krankheit sehr bedenklich. Ich konnte nicht weiter fort und entschloss mich endlich, etwas Tartarus emeticus zu nehmen, welchen ich seit langer Zeit bei mir trug, und den ich vom Doktor Mac Laughlin am Regensee erhalten hatte. Als ich denselben kaum geschluckt hatte, fing es an zu regnen. Mich fror, ich wurde nass und litt an einem furchtbar heftigen Krampf. Nach dem Regen bedeckte sich die Oberfläche des Baches, an welchem ich lagerte, mit Eis. Ich durchbrach dasselbe, und blieb, um mir die Fieberhitze zu vertreiben , lange Zeit im Wasser. Mehrere Tage lang lag ich schwer krank, konnte nicht von der Stelle und hoffte nicht einmal mehr auf Genesung. Endlich kamen zwei Männer mit dem Postwagen vorüber. Einer von ihnen sprach etwas Indianisch. Sie konnten jedoch, da sie keine Zeit verlieren durften, nichts für mich tun.