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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl – Der Feuerreiter

Rübezahl
Der Berggeist des Riesengebirges
Sagen und Schwänke neu erzählt nach R. Münchgesang
Der Feuerreiter

Der junge Bauer Gotthold lud eben den letzten Sack Mehl auf seinen Wagen, den er aus der Mühle geholt hatte. Der Müller Marx stand dabei und sah ihm lachend zu.

»Blinder Eifer schadet nur«, sagte er zu dem Bauern. »Nur die Ruhe kann’s bringen.«

Marx war ein Grobian und rücksichtsloser Mensch, dafür war er im ganzen Gebirge bekannt. Gotthold glaubte außerdem, dass er von ihm übers Ohr gehauen worden sei bei der Verrechnung der Kleie. Der Bauer, sonst ein besonnener und achtsamer Mann, war diesmal ganz aus dem Häuschen.

Der Streit hatte schon eine Viertelstunde gedauert und schien noch immer nicht zu Ende zu sein. Die Säcke lagen jetzt sicher auf dem Wagen, der Bauer nahm die Peitsche in die Hand, klopfte dem Pferd den Hals, und dieses wusste, dass es jetzt wieder fortgehe, zog an, und Gotthold half schieben.

Als die Karre in Fahrt war, blieb er noch einmal stehen und rief dem grinsender Müller zu: »Du bist ein Spitzbub, Marx. Heute hast du Oberwasser, aber wundere dich nicht, wenn dir auch einmal einer einen bösen Streich spielt, und das kommt manchmal über Nacht.«

Der Müller lachte jetzt aus vollem Halse und sagte zu dem Knecht, der den Streit mit angehört hatte: »Kleine Töpfe laufen doch bald über.«

Dann ging er in die Mühle zurück und machte sich da etwas zu schaffen.

Gotthold aber ging mit seinem Geschirr heim, spannte das Pferd aus, lud den Wagen ab und besorgte ruhig die vielerlei Geschäfte, die dem Landmann obliegen, sodass seine Frau und das Bärbele, seine Tochter, gar nicht merkten, dass er heute einen verdrießlichen Tag gehabt habe. Nach fleißiger Leute Art ging er danach früh zu Bett und schlief bald fest ein.

Seht ihr an dem Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Nicht ganz richtig scheint’s zu sein,
Denn es gehet auf und nieder.

Und auf einmal welch Gewühle
Auf der Brücke, durch das Feld!
Horch, das Feuerglöcklein gellt!
Überm Berg, überm Berg
Brennt es in der Mühle!

Um Mitternacht weckte die Bäuerin ihren Mann. »Es muss irgendwo Feuer sein, Gotthold. Mir ist so angst.«

Der Bauer stand auf und sah aus dem Fenster. Richtig, da drüben war der Himmel grausig gerötet, in einiger Entfernung liefen Leute hastig zu der Brandstätte. Wagen rasselten dahin. Gotthold suchte zu ermitteln, wo es sein könne, aber da die Nacht täuscht, rief er: »Am besten sehe ich selbst danach.«

»Ziehe dich warm an«, erwiderte die Frau, »die Nacht ist kühl.«

Das tat Gotthold. Er nahm außerdem seine Laterne mit, die er vorher anzündete, und ging rüstig der Brandstätte zu.

Die Mühle brannte lichterloh. Wohl waren einige Leute beschäftigt, den Brand zu löschen, gaben aber bald das nutzlose Werk auf. Gotthold stellte sich unter die Schaulustigen und sah gleichfalls müßig zu. Der Müller lief rasend vor Zorn umher und stieß wilde Verwünschungen aus.

»Das ist angelegt worden«, schrie er, »das hab ich meinem Todfeind zu verdanken. O, der schändliche Bube! Mich um Hab und Gut zu bringen.«

»Es ist angelegt worden«, schrie auch der Knecht, »zum Glück weiß ich, wer es getan hat.«

»Wer hat’s getan?«, rief die Menge.

»Ich weiß es«, sagte der Knecht, »und es wird bald an den Tag kommen.«

Plötzlich kam der Schultheiß mit zwei Bütteln auf Gotthold zu.

»Unglücklicher Mann, was hast du angestellt?«, sagte der Schultheiß.

»Wer? Ich?«, rief der Bauer erstaunt, »ich weiß nicht, was das heißen soll.«

»Der ist’s gewesen und kein anderer«, sagte der Knecht. »Er hat sich vermummt, aber das hilft ihm nichts. Ich habe gesehen, wie er sich vor einer Stunde an unserer Scheune zu schaffen machte. Was hat einer bei nachtschlafender Zeit in unserem Gehöft zu suchen? Er hat einen Hass auf den Müller und hat ihm erst heute ein Unheil angedroht. Das habe ich mit meinen eigenen Ohren gehört, das kann ich beschwören.«

»Was sagst du nun, du Bösewicht?«, rief der Schultheiß.

»Ich weiß nicht, was ihr wollt«, antwortete der Bauer.

»Nun, mit dem Leugnen kommst du nicht weit. Du wirst schon Farbe bekennen. He da, schließt den Mann in Ketten und bringt ihn nach Hirschberg! Ich sage dir, du Galgenstrick, die Herren in Hirschberg haben feine Mittelchen, um von dir die Wahrheit zu erfahren.«

Gotthold wusste nicht, wie ihm geschah, als sie ihn fesselten und abführten. Die Menge rief ihm Verwünschungen nach, und Marx, der Müller, hätte ihn gern totgeschlagen, doch verhinderten das die Büttel.

»Ha«, rief der Knecht, »das ging geschwind! Ein wahres Glück, das ich den Schelm erwischen konnte! Und dabei ist er auch noch so töricht, sich hier breitspurig hinzustellen und der Gerechtigkeit in die Arme zu laufen.«

»Das hast du gut gemacht!«, riefen ein paar andere Knechte und tranken ihm zu, denn der Müller hatte Schnaps für diejenigen besorgen lassen, die ihm hatten löschen helfen. Während alle den Branntwein des Müllers tranken, sprachen sie mit Entrüstung von Gottholds üblem Streich. Nun wollte jeder längst gewusst haben, dass der Bauer der gefährlichste, tückischste und heuchlerischste Mensch in der ganzen Gegend sei. Seine Frau sei auch nicht besser, weil Gleich und Gleich sich ja immer zusammenfände.

Sobald die arme Frau das Schreckliche erfuhr, fasste sie sich, nahm ihr Kind und ging nach Hirschberg. Sie bat, mit dem Richter reden zu dürfen. Sie wurde vorgelassen und angehört, aber das war auch alles, was sie erreichen konnte.

Kühl wurde ihr geantwortet: »Auf dein Zeugnis lege ich gar keinen Wert. Natürlich willst du deinen Mann herauslügen. Der Gotthold hat auf den Müller einen grimmigen Hass und hat ihm gedroht. Im Zorn ist er hingegangen, um Feuer anzulegen, und der Knecht, der alles beschworen hat, ist ihm dabei in den Weg gekommen. Du musst mir schon andere Leute bringen, die mir beweisen, dass er euer Haus zu jener Stunde nicht verlassen hat. Diese Aussage ist mir keinen Pfifferling wert. Geh heim!«

Da ging die arme Trine heim und sah ihren Mann nicht wieder. Sie musste die Wirtschaft selber führen, und diese kam sichtlich zurück, denn die gehässigen Nachbarn taten, was sie vermochten, um sie zu schädigen, vor allem der Müller und sein Knecht. Allwöchentlich verlangte der Büttel Geld von der Frau, damit ihr Mann im Stockhaus beköstigt werden könne. Sie gab, was sie hatte, aber die Sendung wurde zum guten Teil veruntreut.

Es war länger als ein Jahr, dass Gotthold schon gefangen saß. Inzwischen war er ein armer Mann geworden. Seine Frau war so viel bestohlen und betrogen worden, dass sie kein Vieh mehr im Stall, kein Korn in der Scheune besaß. Das Holz war verbraucht, und in dem Vorratsstübchen sah es windig aus. Das Weihnachtsfest stand vor der Tür, und der Vater konnte auch diesmal wieder nicht dabei sein. Inzwischen hatte der Müller wieder aufgebaut, denn wenn er auch große Verluste tragen musste, so besaß er doch Ländereien genug, auf die er Kapital aufnehmen konnte. Es fehlte ihm also nicht an Geld.

Auch seinem Knecht fehlte es nicht an Geld. Seit dem Brand war er nicht mehr in der Mühle, hatte auch keine andere Stelle angenommen, sondern trieb sich bald da, bald dort herum und war selten nüchtern. Häufig lärmte er dann in den Schenken, kam immer wieder darauf, dass er, er allein auf die Spur eines schweren Verbrechens gekommen sei, und fing wohl auch an, wie ein Kind zu weinen.

Die Trine, Gottholds Frau, mied er, ja er ging in großem Bogen um das Gehöft herum.

Der armen Frau ging es so traurig, dass sie nicht nur das Entbehrliche, sondern auch das Unentbehrliche verkaufen musste.

Auch heute kramte sie mit Tränen in den Augen einige Haushaltstücke zusammen und tat sie in einen Korb. Bärbele wusste nun schon, dass sie damit zu dem Händler gehen musste, um einige Groschen dafür zu erlösen.

Sie schlich sich aus dem Haus und wählte recht stille Wege, damit ihr nicht die bösen Jungen nachrufen sollten: »Achtung, da kommt die Brandstifterbärbel.«

Der Händler sah das Bärbele ungern kommen. Verdrießlich prüfte er den Inhalt des Korbes und sagte: »Bring das nur der Mutter wieder! Was soll ich damit? Es kauft’s mir keiner ab, das Plunderzeug, und hier liegt’s mir nur im Wege. Aber nun kommt das Fest, ja so. Da hast du etwas, das will ich dir schenken.«

Er drückte ihr ein paar Pfennige in die Hand und schickte das Kind weg. Das Mädchen weinte in sich hinein, überlegte aber doch, wie sie der Mutter den Misserfolg schonend mitteilen sollte.

Da kam ihr der Müllerknecht entgegen, betrunken, wie gewöhnlich. Er sah das Bärbele, und es wurde ihm ganz eigentümlich zumute. Er sah, dass das Mädchen vor ihm flüchten wollte, holte es bald ein und vertrat ihm den Weg.

»Wo warst, Bärbele? Auf dem Bettel? Wird nicht viel eingebracht haben. Da hast du einen Taler. Sag deiner Mutter, es wäre von mir, und sie möchte sich einen guten Tag machen.«

Der Bursche hielt ihr wirklich einen Taler hin und wollte ihn dem Mädchen aufnötigen.

»Nein, von Euch nehme ich kein Geld. Nein, ich tue es nicht!«

»Und warum nicht!«

»Weil Ihr meinen Vater ins Unglück gestürzt habt.«

»O du giftige Kröte!«, rief der Knecht nun wütend, »ich will dir den Mund stopfen.«

Er fiel über das Kind her und prügelte es.

Da traf ihn ein Peitschenhieb. Erstaunt drehte sich der Trunkenbold um und merkte erst jetzt, dass eine mit vier schwarzen Pferden bespannte Kutsche hinter ihm stand, deren Herankommen er gar nicht bemerkt hatte. In der Kutsche saß mit strenger Miene und rotem Bart ein Richter in seiner Amtstracht, ihm gegenüber der Schreiber mit hoher weißer Perücke und einer Brille mit kreisrunden Gläsern, und hinten standen zwei Büttel mit Ketten und Stricken und dem breiten Richtschwert. Den Peitschenhieb musste der Knecht wohl von dem Richter erhalten haben.

»Wer erlaubt dir, das Kind zu prügeln?«, fragte dieser streng, nachdem er ausgestiegen und auf die beiden zugekommen war.

»Der Fratz will den Taler nicht nehmen, den ich ihm geschenkt habe.«

»Und weshalb nicht?«

»Weil ich seinen Vater ins Unglück gestürzt hätte.«

»Und warum hast du den Vater ins Unglück gestürzt?«

»Das weiß ich selber nicht«, antwortete der Knecht sehr unbedacht. »Lasst mich jetzt gehen!«

Hätte er gehen können! Er stand wie angewurzelt vor dem fremden Richter, der ihn mit seinen lodernden, furchtbaren Augen festhielt.

»Willst du nicht dein Gewissen erleichtern?«, fragte ihn der strenge Mann. »Ich lese in deiner Seele, Bursche. Du hast Schweres auf dem Herzen und wirst nicht früher Ruhe haben, bis es herunter ist. Heraus mit der Sprache! Wer hat den Feuerreiter gerufen?«

»Ihr seid nicht der zuständige Richter, Herr, ich werde …«

»Wer hat den Feuerreiter gerufen?«

»Mir wird übel von Euren Fragen. Lasst mir meine Ruhe! Lasst mich …«

»Wer hat den Feuerreiter gerufen?«

Der Bursche wand sich hin und her, suchte zu entfliehen, wollte wenigstens dem forschenden Blick des Richters ausweichen. Als aber beides misslang, seufzte er tief, weinte wie ein Kind und sagte schluchzend: »Es muss doch einmal heraus, und einmal muss es an den Tag kommen. Ich bin’s gewesen. Ich habe dem Marx das Geld gestohlen und dann die Mühle angesteckt, und den Gotthold, der mit dem Müller einen Streit hatte, habe ich in falschen Verdacht gebracht. Mir tut nichts so leid wie das Kind, und darum bin ich toll und wild geworden, weil es von mir keine Wohltat annehmen wollte. Und jetzt, Herr Richter, tut mit mir, was Euch beliebt, bestraft mich, denn ich habe es verdient. Und wenn Ihr mich aufs Schafott bringen wollt, so will ich es Euch danken, denn das Leben, so ein Leben, ist mir eine unerträgliche Last.«

»Und du bist dafür, dass der Unschuldige noch heute in Freiheit gesetzt wird?«

»Ja, Herr, und legt bei ihm ein gutes Wort für mich ein, dass er mich nicht verflucht, weil ich ihm so übel mitgespielt habe.«

»Steige auf, Gesell!«, sagte nun der Richter, und zu dem Mädchen sprach er: »Geh fröhlich heim zu deiner Mutter, mein Kind, du wirst bald von mir hören.«

Bärbele hatte die Unterredung wohl verstanden. Sie fasste Vertrauen zu dem fremden Richter und wollte ihm etwas wie einen Dank sagen, doch im Augenblick war alles verschwunden. Froh ging das Mädchen heim und erzählte der staunenden Mutter die unerhörte Neuigkeit.

Als aber Mutter und Kind noch ängstlich hoffend beieinandersaßen, hörten sie, dass die Haustür ging und ein Mann eintrat.

»Das ist der Vater!«, riefen beide entzückt und sprangen auf. Gleich darauf trat Gotthold ein und schloss sie weinend in seine Arme.

»Ich bin frei!«, rief der Mann. »Ein fremder Richter hat mich hierher gefahren. Der Müllerknecht, der nun für mich eingesperrt ist, hat alles gestanden.«

Dann beschrieb er das Aussehen des fremden Richters, Zug für Zug, und Bärbel bestätigte, dass es derselbe gewesen sei, der ihr vor einer Stunde so freundlich geholfen hatte.

Nachdem die drei glücklichen Menschen nun die erste Freude des Wiedersehens genossen hatten, sagte Gotthold auf einmal: »Aber, liebe Frau, was für ein Getöse ist doch da draußen? Das stampft und wiehert im Hofe, grad als ob wie früher Vieh draußen wäre.«

Sie gingen hinaus, und Wunder über Wunder! Im verschlossenen Stall standen die vier Pferde des fremden Richters und zerrten an den Ketten. Im Kuhstall blökten Rinder, in der Scheune lagerten große Haufen Getreide, im Schuppen fand sich eine Unmenge Heu und Stroh, auch der Schafstall, der Schweinestall, der Hühnerhof sowie das Taubenhaus – alles war wieder bevölkert und bot ein fröhliches Bild.

Ganz verwirrt von dem unverhofften Segen kehrten sie in das Haus zurück. Da fand sich aller Hausrat wieder, in Küche und Speisekammer war Nahrung in Hülle und Fülle, und im Schränkchen neben dem Bett des Mannes fanden sie einen Beutel mit einem beträchtlichen Betriebskapital in guten harten Talern bester Währung.

Da kamen die guten Leutchen aus dem Staunen gar nicht heraus. Bald sprach sich in der Nachbarschaft herum, dass Gotthold wieder zurück sei. Da kamen die Dorfleute, schüttelten ihm die Hand und sagten, dass sie niemals an seiner Unschuld gezweifelt hätten und froh wären, ihn wieder um sich zu haben. Marx, der Müller, schickte ihm einen Sack feines Mehl und ließ ihm sagen, er möge ihm nicht mehr gram sein, irren wäre menschlich.

Gotthold war keinen Augenblick darüber im Zweifel, dass er dies Rübezahl zu verdanken habe. Nach langer Trübsal hatte er sein Familienglück wiedergefunden. Wohlstand und Ehre waren bei ihm eingekehrt, und mit inniger Rührung, mit ausgebreiteten Armen rief er nach den Bergen hin: »Sei bedankt für so viel Güte, du herrlicher Berggeist!«

 

***

 

Rübezahl hat nach dieser großherzigen Tat nichts mehr von sich hören lassen, und manche sagen, er sei in sein unterirdisches Reich zurückgekehrt. Wenn das so ist, dann wird er wohl da unten den Feuerströmen den rechten Weg weisen, damit auf Erden kein schweres Erdbebenunglück mehr entstehe, und damit würde seine Güte wohl ungleich viel mehr Menschen zuteil.